Das ultimative Photo

Raniero

Textablader
Das ultimative Foto

„Papa, aber nun setz dich doch endlich richtig hin!“ rief Anni Hofgrasser ungeduldig ihrem Ehemann zu.
Seit einigen Tagen befanden sie sich in Urlaub, die Beiden, im schönen Süden der Republik, und so manche Erkundigungstour auf Schusters Rappen hatten sie bereits hinter sich.

Für diesen Tag aber hatten sie sich etwas Spezielles vorgenommen, denn das Wetter war derartig schön, dass man glauben könnte, Petrus selbst hätte die Absicht gehegt, an diesem Ausflug teilzunehmen.
Aus diesem Grund hatten sich Anni und Herbert, so hieß ihr Mann, den sie stets Papa nannte, obwohl er gar nicht so viel älter war als sie, frühzeitig am Morgen auf den Weg gemacht, ein sehr ausgefallenes Plätzchen aufzusuchen, um besonders schöne Urlaubsfotos zu schießen, für sich selbst und für die lieben Daheimgebliebenen.
Gegen Mittag, als die Sonne ihr Zenit erreicht hatte und unbarmherzig auf die schöne Naturwelt herunterstrahlte, hatten auch Anni und Herbert ihr Tagesziel erreicht, und beschlossen, als erstes eine zünftige Brotzeit zu veranstalten.
Hierzu packten sie das erforderliche Zubehör, das sie in ihren Rucksäcken bei sich trugen, aus; zwei winzige Klappstühle und einen ebenso winzigen Tisch, auf dem sie alles ausbreiteten, was zur Stärkung dienen sollte.
Nach Beendigung ihrer üppigen Mahlzeit begannen sie schließlich, Vorkehrungen für den eigentlichen Zweck des Unternehmens, der Aufnahme von ultimativen Urlaubsfotos, wie sie es nannten, zu treffen.
Während Anni, die begeisterte Hobbyfotografin, die dafür notwendigen Gerätschaften vorbereitete, räumte ihr Mann die Reste der Brotzeit vom Tisch, um Platz zu schaffen für das wichtigste Utensil, das er aus seinem Rucksack hervorzauberte; ein kleines Reiseschachspiel.
Behutsam stellte er es auf den Miniaturtisch und brachte die Figuren in die Ausgangsstellung.
„Ja, Anni“, strahlte Herbert sein Weib an, „so etwas hat nicht jeder vorzuweisen, aus dem Urlaub, und dann noch vor solch einer Kulisse.“
„Du hast Recht, so ein Foto hat nicht jeder“, gab Anni zurück, „Papa, aber nun setz dich doch endlich richtig hin, wie es sich gehört. Ich werde jetzt eine ganze Serie Bilder schießen und die Besten davon schicken wir an verschiedene Zeitschriften verschicken. Ob wir wohl einen Preis gewinnen?“
„Bestimmt, Anni, bestimmt“, erwiderte ihr Mann und setzte sich hinter dem kleinen Tisch in Positur wie ein Schachweltmeister vor dem ersten Zug, „wer kommt denn schon auf so eine ausgefallene Idee, außer uns?“ zwinkerte er ihr zu. „die Leute werden ins Staunen geraten!“
Bevor die Leute, wen immer er auch damit gemeint hatte, ins Staunen geraten konnten, staunte er selbst, der gute Herbert, während seine Anni mit dem Fotoapparat im Hintergrund sehr nervös wurde.
Kaum nämlich hatte ihr Mann Platz genommen und sich für die geplante Serie so richtig in Positur gesetzt, da gesellte sich ein vorbeikommender Wandersmann zu ihm und beugte sich über das Schachbrett, offenkundig ein Kenner der Materie in Erwartung des ersten Zuges, den der Meister tun würde.
Der Meister hatte jedoch gar nicht die Absicht, dieses zu tun, er posierte schließlich nur für ein paar originelle Fotos vor atemberaubend schöner Kulisse, sonst nichts; außerdem konnte er gar nicht Schach spielen, sondern hatte alles ausschließlich nur als Urlaubsgag in Szene gesetzt, aber durfte er dieses dem fremden Schachfreund so ohne weiteres mitteilen? Was sollte der von ihm halten?
Während der Wanderer noch auf das Schachbrett starrte und der Eröffnung harrte, gesellte sich ein Zweiter hinzu und baute sich derart vor dem Tischchen auf, dass er Anni komplett die Sicht versperrte.
Nun aber wurde es Herberts Frau aber zu bunt:
„Könnten die Herren ein paar Schritte zurücktreten bitte“, rief sie voller Ungeduld, „damit ich ein Foto machen kann?“

Erstaunt blickten die beiden Wanderer zu ihr herüber; sie hatten die fotografierwütige Anni im Hintergrund noch gar nicht bemerkt.
„Aber natürlich tun wir das, liebe Frau“, riefen beide unisono, und traten, wie gefordert, ein paar Schritte zurück, jedoch einen einzigen zuviel.

Während Anni auf den Auslöser drückte, fielen beide gleichzeitig kopfüber mit markerschütterndem Geschrei nach hinten...

Anni hatte in der Tat ein ultimatives Urlaubsfoto geschossen, vor grandioser Gebirgskulisse, auf dem Gipfel des höchsten Berges der Region, aber dieses Foto war auch gleichzeitig ihr Ultimo; seitdem rührte sie nie wieder einen Fotoapparat an, und auch Herbert, so wollen gut unterrichtete Kreise wissen, hat nach diesem Vorfall unverzüglich sein Schachspiel weggeschmissen.
 

Raniero

Textablader
in der Tat, schwarz ist sie, die Story, und so war es auch beabsichtigt. :)

Danke für den Hinweis auf's Korrekturlesen.

Gruß Raniero
 



 
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