Das wahre Wunder

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AnBa

Mitglied
Bisher habe ich nur Kindergeschichten geschrieben. Dies ist mein Ausflug in eine andere Kategorie. Ich bitte sehr um ehrliche Kritiken. Vielen Dank.


Das wahre Wunder

Gibt es Wunder wirklich? Diese Frage stellt sich die Menschheit, so lange sie denken kann. Sollen wir Dinge glauben, die den Gesetzlichkeiten von Natur, Wissen und Geschichte widersprechen und uns somit in Erstaunen versetzen? Glauben wir den Augen- und Ohrenzeugen, die von unfassbaren Erlebnissen berichten? Nun, ob ein Ereignis übernatürliche Züge trägt, liegt sicher im Auge des Betrachters. Es gibt aber ein Geschehnis, das jeder Mensch, egal welcher Herkunft, welcher Religion und welchen Alters als wahres Wunder bezeichnet, obwohl es jeden Tag millionenfach unter uns ist.

Mein wahres Wunder begann an einem frühen Samstagmorgen mit einem leichten Ziehen in der linken Bauchseite. „Bestimmt wieder falscher Alarm.“, dachte ich, ignorierte den hart werdenden Bauch und wuchtete mich unbeholfen wie ein Walross auf die andere Seite. Nach einer Stunde wiederkehrenden Reißens innerhalb meiner Bauchdecke, entschloss ich mich, die Nachhaltigkeit dieser „verheißungsvollen“ Ankündigung zu überprüfen.

So lag ich die nächste halbe Stunde in der Badewanne, missachtete meine durch das heiße Wasser hervorgerufenen Schwindelanfälle und hoffte, der Kelch würde heute noch mal an mir vorübergehen. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“, schoss mir plötzlich ein altes Sprichwort durch den Kopf und ich schob in Gedanken ein geseufztes „Leider.“ hinterher. Ich hatte Angst! Verzweifelte, unbändige, verwirrte Angst und ich ahnte, dass sie solange anhalten würde, bis mein Wunder vollbracht war. All die unzähligen (leider auch wahrhaftigen) Berichte meiner Freundinnen schossen durch mein Gehirn und hinterließen eine wahre Feuerbrunst an Emotionen. Selbst das in Unmengen durch meinen Körper rasende Adrenalin bewirkte leider nicht, dass sich meine Gebärmutter beruhigte. Wieso auch? Meine Gefühle, Sorgen, Ängste und Wünsche ignorierend, zog sie sich stoisch in ihrem eigenen Rhythmus zusammen. „Hinaus, hinaus!“, schien sie zu rufen, leise noch, doch schon entscheidend.

Nachdem ich das Wasser, jedoch nicht die Angst, von mir abgeschüttelt hatte, gab ich diesem Rufen nach, alarmierte meinen Mann, zerrte meine Krankenhaustasche unter dem Bett hervor (die war vorschriftsmäßig seit drei Wochen gepackt), drückte sie ihm in die Hand und ging erst einmal in die Küche, um mir einen „beruhigenden“ Kaffee zu kochen. Als ich wie ein Häufchen Elend am Küchentisch saß, hörte ich, wie oben hektisch Schranktüren geknallt wurden und der Wasserhahn im Bad für eine Millisekunde lief. Der Adrenalinstoß schien meinen Mann also auch erreicht zu haben. Halleluja!

Die Fahrt zum Krankenhaus glich einer stetigen Berg- und Talfahrt und ich meine damit nicht die Eigenschaften der Wegstrecke, sondern die rege Abwechselung zwischen Entspannung und Kontraktion. Selbst beim rasantesten Fahrstil meines Mannes habe ich nicht so verkrampft im Beifahrersitz gesessen und das Ende des Trips herbei gesehnt, wie ich es zu diesem Zeitpunkt tat.

Nach dem Einzug in die gebärtechnische Abteilung des Krankenhauses und der Verkabelung meines voluminösen Bauches, kam die Dienst habende Hebamme (ich sollte noch so einige andere kennen lernen) zu dem Entschluss, dass eigentlich noch nicht so viel in meiner derzeit
wichtigen Bauchregion los war.

Wie? Was? Ich hatte mich doch sicher verhört. Wenn zu diesem Zeitpunkt meine Gebärmutter noch nicht mit vollem Einsatz fleißig war…was kam denn dann noch?!
Blankes Entsetzen erfasste mich und ließ mir den Angstschweiß aus allen Poren treten. Zaghaft bat ich um die Kontrolle meines Muttermundes. „Na, der wird sich doch wohl schon wenigstens angestrengt haben.“, hoffte ich inständig und betet das erste Mal seit Jahren wieder zu Gott.

Die Ernüchterung folgte gleich auf dem Fuße. Zwei Zentimeter! Zwei, nicht acht oder neun. Fünf wären auch nicht schlecht gewesen, aber zwei? Selbst mein Mann wusste, dass das nicht viel war, wenn man 12 Zentimeter brauchte und so schaute er mich mitleidig an.

„Aber warum kommen die Wehen denn dann schon so oft?“ fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen, während eine von diesen über mich hinwegrollte.
Ich bekam ein Schulterzucken und ein gemurmeltes: „Scheinen ineffektiv zu sein.“ zur Antwort.

Dieser Satz sollte mich die nächsten 18 Stunden wie ein wahrhaftiger Fluch verfolgen, ließ mich mehrere Wannenbäder praktizieren, Sitzbälle behüpfen, an Seilen festkrallen, meinen Mann beschimpfen, weinen, schreien, verzweifeln, um kurz vorm Ende nur noch ein Schatten meiner selbst zu sein.

Auch die viel gepriesene Rückenmarksnarkose (natürlich nur was für Weicheier, wie ich eines bin) hielt nicht das, was mir die Ärzte versprochen hatten. Leider legte die nämlich nur eine Seite meiner Bauchnerven lahm, so dass die andere in den vollen Genuss der Übergangswehen kam.

In meiner Pein keimte langsam Irrsinn auf. „Wer hat sich das Wort Wehen eigentlich ausgedacht?“, kreischte ich aufgebracht in einer kurzen Verschnaufpause. „Wehe sie kommen, oder was? Oder wehret euch? Ohhhh, das tut weeehhh.“, unterbrach mich die nächste Wehe und machte ihrem Namen alle Ehre.

„Wunder? Wer sagt denn, dass eine Geburt ein Wunder ist?“, ereiferte ich mich zwei Minuten später. „obwohl, es steckt das Wörtchen Wunde darin. Wenn das hier zu Ende ist, dann bin ich nur noch eine einzige, riesige Wunde!“ Auch hier konnte ich meine Gedanken nicht zu Ende spinnen, denn die nächste Kontraktion raubte mir den Atem.

Die letzte halbe Stunde dieses Martyriums erlebte ich in einem umnebelten, komaähnlichen Zustand. Ich konnte nicht mehr klar denken und tat nur das, was mir die Ärzte und Hebammen hektisch zuriefen. „Pressen“, „Atmen.“, „Nicht pressen!“, „Auf gar keinen Fall pressen, jetzt kommt die Saugglocke!“

SAUGGLOCKE?! Urplötzlich war ich wieder hellwach und schrie: „Niemals! Keine Saugglocke. Bitte, bitte machen sie einen Kaiserschnitt. Mein armes Kind!“ Ich fing hemmungslos an zu schluchzen. Jetzt war sie wieder da, die Angst, für die ich die letzten Stunden keine Zeit mehr gehabt hatte. Mit brachialer Gewalt überlagerte sie alles, was ich fühlte, selbst den Schmerz der Presswehen. Was hatte ich nicht schon für grausame Geschichten über Saugglockengeburten gehört!

Doch es war schon zu spät, die Saugglocke saß und zwei, drei Presswehen später war alles vorbei.

Vorbei? Nein, denn dann begann das wahre Wunder, auf das ich so lange gehofft und gewartet hatte. Die Hebamme legte mir das Schönste, was ich je gesehen hatte auf meinen erschlafften Bauch. Es war klein, zart und duftete, wie Babys nur duften können. Die großen, dunklen Augen betrachteten mich voller Urvertrauen und die schmalen Ärmchen fuchtelten unkoordiniert durch die Luft. „Wir haben es geschafft.“, flüsterte ich dem kleinen Wesen ins Ohr und mein Herz quoll über vor Freude, Liebe und der Erkenntnis, dass das Leben uns manchmal übernatürliche Kräfte abverlangt. Dies war zweifelsohne ein unfassbares Ereignis gewesen, welches uns zum Staunen bringt. Ein wahres Wunder eben.
 

AnBa

Mitglied
Bisher habe ich nur Kindergeschichten geschrieben. Dies ist mein Ausflug in eine andere Kategorie. Ich bitte sehr um ehrliche Kritiken. Vielen Dank.


Das wahre Wunder

Gibt es Wunder wirklich? Diese Frage stellt sich die Menschheit, so lange sie denken kann. Sollen wir Dinge glauben, die den Gesetzlichkeiten von Natur, Wissen und Geschichte widersprechen und uns somit in Erstaunen versetzen? Glauben wir den Augen- und Ohrenzeugen, die von unfassbaren Erlebnissen berichten? Nun, ob ein Ereignis übernatürliche Züge trägt, liegt sicher im Auge des Betrachters. Es gibt aber ein Geschehnis, das jeder Mensch, egal welcher Herkunft, welcher Religion und welchen Alters als wahres Wunder bezeichnet, obwohl es jeden Tag millionenfach unter uns ist.

Mein wahres Wunder begann an einem frühen Samstagmorgen mit einem leichten Ziehen in der linken Bauchseite. „Bestimmt wieder falscher Alarm.“, dachte ich, ignorierte den hart werdenden Bauch und wuchtete mich unbeholfen wie ein Walross auf die andere Seite. Nach einer Stunde wiederkehrenden Reißens innerhalb meiner Bauchdecke, entschloss ich mich, die Nachhaltigkeit dieser „verheißungsvollen“ Ankündigung zu überprüfen.

So lag ich die nächste halbe Stunde in der Badewanne, missachtete meine durch das heiße Wasser hervorgerufenen Schwindelanfälle und hoffte, der Kelch würde heute noch mal an mir vorübergehen. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“, schoss mir plötzlich ein altes Sprichwort durch den Kopf und ich schob in Gedanken ein geseufztes „Leider.“ hinterher. Ich hatte Angst! Verzweifelte, unbändige, verwirrte Angst und ich ahnte, dass sie solange anhalten würde, bis mein Wunder vollbracht war. All die unzähligen (leider auch wahrhaftigen) Berichte meiner Freundinnen schossen durch mein Gehirn und hinterließen eine wahre Feuerbrunst an Emotionen. Selbst das in Unmengen durch meinen Körper rasende Adrenalin bewirkte leider nicht, dass sich meine Gebärmutter beruhigte. Wieso auch? Meine Gefühle, Sorgen, Ängste und Wünsche ignorierend, zog sie sich stoisch in ihrem eigenen Rhythmus zusammen. „Hinaus, hinaus!“, schien sie zu rufen, leise noch, doch schon entscheidend.

Nachdem ich das Wasser, jedoch nicht die Angst, von mir abgeschüttelt hatte, gab ich diesem Rufen nach, alarmierte meinen Mann, zerrte meine Krankenhaustasche unter dem Bett hervor (die war vorschriftsmäßig seit drei Wochen gepackt), drückte sie ihm in die Hand und ging erst einmal in die Küche, um mir einen „beruhigenden“ Kaffee zu kochen. Als ich wie ein Häufchen Elend am Küchentisch saß, hörte ich, wie oben hektisch Schranktüren geknallt wurden und der Wasserhahn im Bad für eine Millisekunde lief. Der Adrenalinstoß schien meinen Mann also auch erreicht zu haben. Halleluja!

Die Fahrt zum Krankenhaus glich einer stetigen Berg- und Talfahrt und ich meine damit nicht die Eigenschaften der Wegstrecke, sondern die rege Abwechselung zwischen Entspannung und Kontraktion. Selbst beim rasantesten Fahrstil meines Mannes habe ich nicht so verkrampft im Beifahrersitz gesessen und das Ende des Trips herbei gesehnt, wie ich es zu diesem Zeitpunkt tat.

Nach dem Einzug in die gebärtechnische Abteilung des Krankenhauses und der Verkabelung meines voluminösen Bauches, kam die Dienst habende Hebamme (ich sollte noch so einige andere kennen lernen) zu dem Entschluss, dass eigentlich noch nicht so viel in meiner derzeit
wichtigen Bauchregion los war.

Wie? Was? Ich hatte mich doch sicher verhört. Wenn zu diesem Zeitpunkt meine Gebärmutter noch nicht mit vollem Einsatz fleißig war…was kam denn dann noch?!
Blankes Entsetzen erfasste mich und ließ mir den Angstschweiß aus allen Poren treten. Zaghaft bat ich um die Kontrolle meines Muttermundes. „Na, der wird sich doch wohl schon wenigstens angestrengt haben.“, hoffte ich inständig und betet das erste Mal seit Jahren wieder zu Gott.

Die Ernüchterung folgte gleich auf dem Fuße. Zwei Zentimeter! Zwei, nicht acht oder neun. Fünf wären auch nicht schlecht gewesen, aber zwei? Selbst mein Mann wusste, dass das nicht viel war, wenn man 12 Zentimeter brauchte und so schaute er mich mitleidig an.

„Aber warum kommen die Wehen denn dann schon so oft?“ fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen, während eine von diesen über mich hinwegrollte.
Ich bekam ein Schulterzucken und ein gemurmeltes: „Scheinen ineffektiv zu sein.“ zur Antwort.

Dieser Satz sollte mich die nächsten 18 Stunden wie ein wahrhaftiger Fluch verfolgen, ließ mich mehrere Wannenbäder praktizieren, Sitzbälle behüpfen, an Seilen festkrallen, meinen Mann beschimpfen, weinen, schreien, verzweifeln, um kurz vorm Ende nur noch ein Schatten meiner selbst zu sein.

Auch die viel gepriesene Rückenmarksnarkose (natürlich nur was für Weicheier, wie ich eines bin) hielt nicht das, was mir die Ärzte versprochen hatten. Leider legte die nämlich nur eine Seite meiner Bauchnerven lahm, so dass die andere in den vollen Genuss der Übergangswehen kam.

In meiner Pein keimte langsam Irrsinn auf. „Wer hat sich das Wort Wehen eigentlich ausgedacht?“, kreischte ich aufgebracht in einer kurzen Verschnaufpause. „Wehe sie kommen, oder was? Oder wehret euch? Ohhhh, das tut weeehhh.“, unterbrach mich die nächste Wehe und machte ihrem Namen alle Ehre.

„Wunder? Wer sagt denn, dass eine Geburt ein Wunder ist?“, ereiferte ich mich zwei Minuten später. „obwohl, es steckt das Wörtchen Wunde darin. Wenn das hier zu Ende ist, dann bin ich nur noch eine einzige, riesige Wunde!“ Auch hier konnte ich meine Gedanken nicht zu Ende spinnen, denn die nächste Kontraktion raubte mir den Atem.

Die letzte halbe Stunde dieses Martyriums erlebte ich in einem umnebelten, komaähnlichen Zustand. Ich konnte nicht mehr klar denken und tat nur das, was mir die Ärzte und Hebammen hektisch zuriefen. „Pressen“, „Atmen.“, „Nicht pressen!“, „Auf gar keinen Fall pressen, jetzt kommt die Saugglocke!“

SAUGGLOCKE?! Urplötzlich war ich wieder hellwach und schrie: „Niemals! Keine Saugglocke. Bitte, bitte machen sie einen Kaiserschnitt. Mein armes Kind!“ Ich fing hemmungslos an zu schluchzen. Jetzt war sie wieder da, die Angst, für die ich die letzten Stunden keine Zeit mehr gehabt hatte. Mit brachialer Gewalt überlagerte sie alles, was ich fühlte, selbst den Schmerz der Presswehen. Was hatte ich nicht schon für grausame Geschichten über Saugglockengeburten gehört!

Doch es war schon zu spät, die Saugglocke saß und zwei, drei Presswehen später war alles vorbei.

Vorbei? Nein, denn dann begann das wahre Wunder, auf das ich so lange gehofft und gewartet hatte. Die Hebamme legte mir das Schönste, was ich je gesehen habe auf meinen erschlafften Bauch. Es war klein, zart und duftete, wie Babys nur duften können. Die großen, dunklen Augen betrachteten mich voller Urvertrauen und die schmalen Ärmchen fuchtelten unkoordiniert durch die Luft. „Wir haben es geschafft.“, flüsterte ich dem kleinen Wesen ins Ohr und mein Herz quoll über vor Freude, Liebe und der Erkenntnis, dass das Leben uns manchmal übernatürliche Kräfte abverlangt. Dies war zweifelsohne ein unfassbares Ereignis gewesen, welches uns zum Staunen bringt. Ein wahres Wunder eben.
 

angela

Mitglied
Hallo AnBa,
ich bin nicht so der Stiltyp, mich interessiert mehr der Inhalt einer Geschichte. Deine finde ich gut und kann sie, dank ähnlicher Erlebnisse, auch perfekt nachvollziehen. Hast du gut rübergebracht.
 

AnBa

Mitglied
Hallo Angela,

vielen Dank für Dein Feedback. Ich freue mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat.

Liebe Grüße
---Anke
 



 
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