Das war knapp . . .

ulli nass

Mitglied
. . . er hat das Sonnensystem hinter sich gelassen, ist nach Durcheilen unendlicher interstellarer Leere sehr schnell in die massive Gravitationswirkung der Nachbargalaxie Andromeda gedriftet, hat dabei deren gigantischen Spiralarme in ihrer nahezu seit Ewigkeiten währenden Rotation bestaunt – nebenbei hat er die das Spektrum seiner gattungsspezifischen, äußerst differenzierten Farbwahrnehmung transzendierenden Explosionen unzähliger Supernovae bewundert, die Neutronensterne in ihrer aberwitzigen Rotation gesehen, den Sog von schwarzen Löchern gespürt, den feinen Rhythmus der vom Urknall zeugenden Hintergrundstrahlung mehr als nur erahnt.

Schließlich ist er bei seiner Reise in den wabernden Glutofen geraten, in dem die elementaren Bausteine der Materie entstehen, hat in den Fluktuationen des Quantenschaumes gebadet und ist zum grandiosen Finale im energiegeladenen Vakuum gestrandet, welches vor allem Anfang war. -

Nur einer äußerst unwahrscheinlichen Schwankung in der nicht verstandenen Konsistenz dieses im Prinzip doch strukturlosen Vakuums hat er es schließlich zu verdanken, dass er, nun zugleich Welle und Teilchen, in das Sein zurückgekehrt ist. Amüsiert lässt er nun keinen Doppelspalt mehr aus, registriert voller Genugtuung die Welle hinter dem Spalt als Interferenzbild und akzeptiert total gelassen, dass die irdischen Beobachter, gegen alle Erwartung ein Interferenzbild hinter dem Doppelspalt auf ihren Detektoren auch dann erhalten, wenn sie durch die beiden Schlitze der sensiblen Detektoren einzelne Teilchen schicken und zählen. Aber das ist ja alles viel später – noch gibt es ja kein menschliches Bewusstsein.

Zunächst kann er überhaupt nicht ermessen, ob Sekunden oder Äonen vergehen,hat kein Verständnis für die Zeit, die es in Anspruch nimmt, bis sich ungeordnete Materie zu Atomen organisiert und zu immer komplexeren Verbindungen jener Grundbausteine konglomeriert, aus dem alles Existierende besteht. Aber er sieht, wie aus diesem Staub des Anfangs durch Kondensation und Gravitation die ersten Milchstraßen entstehen, in deren Sternen fortwährend neue Elemente erbrütet werden.

Das Spiel hat begonnen, die Galaxien formieren sich zu riesigen Mustern, die wiederum wabenförmige Strukturen bilden in den unermesslichen Räumen, welche durch ihre Verbindung mit der Zeit zu einem Kontinuum verschmelzen. All diese, den Gesetzen von Kausalität und der Unschärfe der Quantenmechanik unterworfenen Abläufe, lernt er zu verstehen bevor er schließlich wieder auf dieses eine besondere Staubkorn in der Unendlichkeit stößt, seinen Heimatplaneten, auf dem vor über 4 Milliarden Jahren dieser überaus bemerkenswerte,Leben erzeugende Prozess begonnen hat, dem auch er seine Existenz verdankt – die biologische Evolution.

Als er sein Planetensystem erkennt, erfasst ihn umgehend Panik.
Die Sonne hat sich aufgebläht und ihr dritter, einstmals Blauer Planet, ist bereits verbrannt. Die Ozeane längst vergangener Zeitalter sind verdunstet, alles Leben vertilgt – steril und keimfrei befindet sich die Erde im Zustand finaler Agonie . . . er kommt zu spät, Jahrmillionen zu spät, findet seinen Stern rot aufgebläht im finalen Stadium seines unabdingbaren Lebenszyklus ...

Mit dem beängstigenden Gefühl, keine Luft zu bekommen wacht Peter auf – er braucht Zeit zur Orientierung. Seine erste Wahrnehmung ist das Geräusch, das gleichmäßiges Atmen erzeugt. Es kommt von Anna – seiner Frau – die offenbar fest schläft. Soweit er es erkennen kann, momentan ohne die den Traum begleitenden unruhigen Bewegungen der Augäpfel unter den Lidern, also in der Phase des tiefen Nachtschlafes.

Wie oft hat ihn ihr leiser Atemrhythmus gerettet, ihm den Glauben an die Realität auch in Nächten verstörender Träume zurückgegeben? Anna hat keine Ahnung davon. Sie kann nichts wissen darüber, denn er hatte mit ihr nie darüber gesprochen. Peter ist immer davon ausgegangen, dass sie seine nächtlichen Unruhezustände nicht wahrnimmt. Sie würde auch nicht verstehen, dass sich aus der der Banalität ihres ausgeglichenen Vegetativums für ihn Erlösung generiert.

So wie gerade jetzt.

Noch einmal gelingt der Übergang vom Traum zur Wirklichkeit –

Gerettet !
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo Ulli!

Physik trifft Poesie ... und wird geerdet im menschlichen Miteinander. Schön!

Ich hätte gern gewusst, wie der Traum weiter gehen würde, wenn Peter nicht zu spät gekommen wäre, "Jahrmillionen" zu spät ...

Gruß, Hyazinthe
 



 
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