Daumenschrauben

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Jeremias

Mitglied
Jeremias Salser

Daumenschrauben

sie drehen
die daumenschrauben
ihrer erwartungen
immer enger
bis ich
lautlos schreie
und das schweigen
über mich stülpe

längst habe ich
verlernt
zu atmen
ich würge
an der Angst
bilde sätze
aus zusammenhanglosen
abgestumpften worten
die silben aufgereiht
wie rostige perlen

lautlos fallen die buchstaben
aus meinem mund
es gibt keine schranken
manchmal
wenn ich mich vergesse
spucke ich sie
in meine hände
halte sie fest
zwischen meinen handflächen
und drücke ihnen
die luft ab

so lange
bis sie mich
für verrückt halten
worte sterben nicht
denke ich
und schließe die augen
bis mir die luft eng wird
aufgehängt
die verbindung wurde
unterbrochen

sie drehen
die daumenschrauben
immer enger
 

Shaiku Narim

Mitglied
"Daumenschrauben" ist ein wirklich festschraubendes Gedicht, es hat mich sofort angesprochen und ich finde selten Lyrik, die mir so entspricht.
 
H

Holger

Gast
Lieber Jeremias,
Dein Text ist ist nachvollziehbar, ist auch interpretierbar und bleibt sehr gut beim lyrischen Ich.
Genau deshalb stoße ich mich am

Sie drehen die Daumenschrauben

Das ist mir zu anonym. Wer ist sie und warum? Du motivierst mich nicht, Dir in Dein Gefühl zu folgen. Ich erkenne zwar als Wirkung Deine Hilflosigkeit aber ich habe keine Ursache für Deine "Folter"

Die Daumenschrauben selber sind natürlich ein sehr starkes, gewichtiges Bild. Sie symbolisieren mir Schmerz und machen mir ein Agieren mit meinen Händen nicht möglich.

Und empfinde ich das Überstülpen des Schweigens als nicht stimmig, auch wenn beide Bilder nur symbolischen Charakter haben. Genauso geht es mir mit den folgenden Zeilen:

zwischen meinen handflächen
und drücke ihnen
die luft ab


Das sind so die Widersprüchlichkeiten, die sich für mich hier auftun, wobei Du im Weiteren sehr gut nachvollziebar mit den Bildern umgegangen bist.

Beste Grüße
Holger
 

Jeremias

Mitglied
Hallo Shaiku Narim, Stemo, Holger,
Vielen DAnk für Euer Interesse an meinem Gedicht. Am besten hat mir natürlich Dein Beitrag gefallen, Shaiku Narim. Es freut mich, dass mein Gedicht in der Lage ist, Dich derart anzusprechen. Also nochmals danke! Da ich neu bin, habe ich Deine Gedichte noch nicht kennengelernt, ich habe mir jedoch vorgenommen, sie alle zu lesen.
Nun Stemo, ich weiss nicht,warum ich ausfliegen soll. Kuckucksnest irritiert mich etwas. Da der Kuckuck seine Eier in fremde Nester legt, müsste ich also in einem fremden Nest sitzen. Glaube mir, das wüsste ich!
Hallo Holger! Es freut mich, dass Du dich so ausgiebig mit meinem Gedicht beschäftigt hast. Gerne will ich mich auch mit den angesprochenen Punkten auseinandersetzen, da man nur so dazulernen kann. Das braucht bei mir aber seine Zeit.
Vielleicht darf man die "Daumenschraube" nicht alleine sehen. Sondern es heisst die "Daumenschrauben ihrer Erwartungen"
Wenn der Schmerz so gross ist, dass ich ihn nicht mehr aushalten, ja nicht einmal mehr schreien kann, dann stülpe ich endgültig das Schweigen über mich. Sicher, wer sind Sie?, sollte man es erklären und damit zerreden oder sollte man es einfach der Fantasie überlassen.
Auf jeden Fall werde ich mich nochmals eingehend damit beschäftigen.
Vielen Dank und viele Grüsse, bis bald, Jeremias
 

stemo

Mitglied
Kuckucksnest

War nur so eine Assoziation (Einer flog übers Kuckucksnest u.a.: Zitat: "so lange, bis sie mich für verrückt halten"...
Schliesse mich Holger an, ein anonymes "sie" ist problematisch ohne Brücke zu "ihrer" Identität...
Gutes Gedicht, lohnt sich noch etwas dran zu arbeiten!
Gruss! stemo
 



 
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