Demontage

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Demontage

Schneider hatte Schwierigkeiten mit seinen weiblichen Hilfskräften. Vor einigen Wochen hatte sich das Problem drastisch verschärft, als man ihm als Ersatz für eine ausgeschiedene Mitarbeiterin eine gewisse Frau Fuchs zuordnete, über die bei anderen Abteilungen heftig getuschelt wurde. In Verkennung der Situation glaubte man bei der Personalabteilung, dass die windige Dame in der recht abgelegenen Werksbibliothek ihren Sexappeal mangels Publikum vergeblich verströmen und bei dem trockenen Job bald selbst Staub ansetzen würde.
Frau Fuchs erkannte schnell, dass sie ihren neuen Vorgesetzten um den Finger wickeln konnte. Wenn ihr eine übertragene Arbeit nicht passte, setzte sie mit Erfolg eine Schmollmiene auf - und Schneider erledigte den Kram selber (was gelegentlich - zum Ärger seiner Frau - in Heimarbeit über das Wochenende ausartete).
Eines Tages wurde er Zeuge eines Frühstücksklatschs, bei dem Madame Fuchs einer Kollegin die Vorzüge ihrer neu erworbenen knallroten. Couch erläuterte. Schneider tat uninteressiert, aber automatisch stellte er sich vor, wie sie sich auf dem guten Stück hin- und herräkelte.
Dann kam der Betriebsausflug. Schon ziemlich früh endete dieser in einer gemütlichen Kneipe. Der neue Beaujolais war gerade eingetroffen, und es wurde ausgesprochen lustig.

Madame war so richtig in ihrem Element. Schneider, im Grunde ein Ästhet hatte es früher schlicht für unordentlich gehalten, wenn Frauen Kleidung trugen, welche die Unterwäsche und damit auch die Formen durchschimmern ließ. Er hatte das bisher einfach als unschön empfunden. Bei ihr fühlte er anders, er fühlte sich angezogen.
Die etwas klein geratenen Brillengläser standen in merkwürdigem Verhältnis zu großen bunten Ohrringen, und das lange dunkle Naturhaar passte auch nicht zu ihren hellblauen Augen. Die Frau hatte was Irritierendes - sie war eine Provokation!

Gegen Mitternacht wurde zum Aufbruch geblasen. Sie hakte sich bei Schneider ein und fragte unverblümt, ob er nicht mal ihre rote Couch begutachten wolle. Im ersten Moment bekam er einen mächtigen Schreck, aber dann trieb ihn die Neugier. Madame wohnte nur ein paar Straßen weiter.
Wenig später aalte sie sich schon auf ihrer Neuerwerbung, nachdem sie Schneider einen Weinbrand als Munter- und Mutmacher angeboten hatte. Aber er wurde nicht mutig. Er lief vor sich selbst davon.
"Wollen Sie nicht mal Probe sitzen, Chef?", forderte sie ihn heraus. "Ich sitze Ihnen lieber gegenüber und erfreue mich an Ihrem Anblick".
"Sie sind wirklich genügsam ... noch einen Schluck Asbach?" Es war eine rhetorische Frage. Sie hatte ihm bereits eingeschenkt.
Sein Blick fiel auf eine an der Wand hängende Gitarre.
"Ich wusste gar nicht, dass Sie musikalische Ambitionen haben. Betreiben Sie das ernsthaft?"
"Ernsthaft ist bei mir selten was, ich klimpere".
Sie nahm die Gitarre vorn Haken und versuchte sich an einem französischen Chanson. Die Akkordgriffe gingen zwar teilweise daneben, aber ihre rauchige Altstimme ...
Nein, sowas!
Sie genoss seine Überraschung und verblüffte ihn mit weiteren Darbietungen. Sie kam aber doch bald an ihre Grenzen. Sie hängte die Gitarre zurück. Im Vorbeigehen streifte sie seinen Arm. Er fühlte sich wie elektrisiert. Ihm wurde der Kragen eng. Irgendwie musste er sich aus dem Netz der Spinne befreien.
In diesem Dilemma fielen ihm die "Hauswespen" ein, von denen sie berichtet hatte. Die hatten sich irgendwo mal in einem Hohlraum hinter einem Balken breitgemacht und sich eines Tages über Madames Räumlichkeiten verteilt.
"Sind Sie eigentlich Ihre Wespenviecher wieder losgeworden, von denen Sie mal erzählten?"
"Fällt Ihnen jetzt wirklich nichts anderes ein?"
"Ja schon, aber ... Er schielte nach ihrer Wespentaille. "...wissen Sie überhaupt, wie spät es ist?"
"Sie sind ein ..." Er sah sie fragend an, obwohl er genau verstand. "Ich habe nichts gesagt".
Ja, er war ein Feigling. Aber besser ein Feigling, als jetzt alles aufs Spiel zu setzen. Er hatte ohnehin eine Grenze überschritten - was ihm sicher noch Beschwerden bereiten würde.
"Na ja, wenn Sie unbedingt gehen wollen, will ich Sie nicht aufhalten". Mit einem läppischen "Na denn bis morgen“ verabschiedete er sich. "Heute Chef, nicht morgen", rief sie ihm belustigt hinterher, in die laue Augustnacht. Die Kirchturmuhr schlug zwei.

Obwohl er der Verführung letztlich widerstanden hatte, beschlich ihn das dumpfe Gefühl, dass von seinem Status als Vorgesetzter kaum noch etwas übrig geblieben war.
Ein Zufall sorgte dafür, dass er noch weiter in ihre Abhängigkeit geriet. Madame hatte über den Durst getrunken, war in eine Verkehrskontrolle geraten und ihren Führerschein für drei Monate losgeworden. Somit war es für sie naheliegend, Schneider darum zu bitten, dass er sie mit seinem Wagen zum Dienst mitnahm, musste er ja sowieso durch Jugenheim fahren.
Ihm wurde ständig heiß und kalt, wenn er neben ihr saß. Sie machte sich offensichtlich einen Spaß daraus, ihn ständig anzuheizen.
Und dann vergaß er sich doch und fasste ihr unter den Rock. Sie reagierte prompt und schob seine Hand unsanft zur Seite, mit einem ausgesprochen kalten Lächeln. Sie wechselten kein Wort mehr, bis er sie an ihrer Wohnung absetzte. Er war sich im Klaren, dass sie mit ihm ihr Spiel trieb. Sie hatte sich mit Sicherheit nicht von ihm belästigt gefühlt, aber sie würde den Zeitpunkt bestimmen wollen ... Ihm war miserabel zumute.
Am nächsten Morgen holte er sie wieder ab. Sie schien sich an nichts zu erinnern. Stattdessen berichtete sie von einem amüsanten Pornofilm, den sie sich vor ein paar Tagen angesehen hätte. Wie er zu sowas stehe, wollte sie wissen. Er war verärgert.
"Eigentlich denke ich an etwas ganz anderes".
"So - woran denn ... Chef?"
Das Wort 'Chef' aus ihrem Munde klang, wie es herablassender gar nicht klingen konnte. Wenn sie ihn geduzt hätte, wäre es ihm fast lieber gewesen. "Ich denke an unsern Umzug ins AT-Gebäude", sagte er so unterkühlt wie möglich.
"Ich gehe davon aus, dass Sie mich bei dieser Aktion weitgehend schonen werden ... Chef?" Und nach einer weiteren winzigen Pause: "Wann geht das denn überhaupt los?"
"Nächsten Montag".
Am Sonntagabend rief sie ihn an.
"Sie brauchen mich morgen nicht abholen. Ich habe eine scheußliche Migräne. Auf bald, Chef!"
Umzugskisten füllen oder sich etwa gar bei Transportarbeiten verausgaben, das war ihre Sache nicht. Der Umzug ging ohne Madame über die Bühne.
Als er sie vier Tage später morgens wieder abholte, kochte er im Grunde vor Wut. Als sie zugestiegen war, war er ihr aber schon wieder verfallen.
Vorige Nacht war sie ihm im Traum erschienen. Darin hatte er mit ihr geschlafen. Doch auch von Hassgefühlen erfüllt, hatte er ihr dabei in voller Absicht wehgetan.
So ging es einfach nicht weiter.
Aber das Schicksal meinte es gut mit Schneider. Madame selbst "löste" sein Problem. Technisch begabt und von irgendjemandem fachkundig beraten, brachte sie es fertig, ihr Arbeitsstundenkonto an der Gleitzeituhr zu manipulieren. Eine Mitarbeiterin war misstrauisch geworden, entdeckte den Schwindel und meldete den Vorfall der Personalabteilung. Fristlose Kündigung war die Folge.
Wirklich befreit fühlte sich Schneider dennoch nicht. Wann würde er seine Selbstachtung wiederfinden?
 

Juhser

Mitglied
"Willst Du die hier anwesende Handschelle zur Frau haben? Dann antworte mit 'Ja'.
Und willst Du den hier anwesenden Kerker zum Mann nehmen, dann antworte auch Du mit 'Ja'."
...
Ist es denn wirklich so schlimm mit unseren Beziehungen, dass wir einander nicht Freiheit und Freude, sondern Fessel und Versuchung sind?
Gutes Konzept! Aber bislang eben nur ein Konzept. Eine seichte Beichte?
Bin mal gespannt, ob eine dichterische Ausarbeitung folgt.
 
Hallo Juhser!

Soweit sich die 'seichte Beichte' auf den wenig sympathischen Protagonisten bezieht, gebe ich Dir recht. Aber ich glaube, ein minutiös ausgearbeitetes Werk mit Tiefgang geliefert zu haben. Da ich es selbst aber nicht für dichterisch sondern für sehr realistisch halte, passt es wohl besser ins Tagebuch. Eine seichte Darstellung ist es bestimmt nicht.
 



 
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