Den inneren Schweinehund besiegen?

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Bastian

Mitglied
Bloß ein Waldspaziergang


An einem sonnigen Morgen, einem von jenen die einen bloß aus dem Bett zu locken versuchen, da sie sich spätestens nach 2 Stunden in eine Waschküche verwandeln, öffnete sich mein linkes Auge als erstes.

Es erblickte zunächst den klaren blauen Himmel, dann den Radiowecker und aufgrund des ersten Anblickes, entschloss es sich dreist seinen rechten Nachbarn zu wecken.
Das rechte Auge tat sich auf, erblickte den Wecker als erstes und den wundervollen Himmel erst als zweites. Es warf seinem Kollegen einen mürrischen Blick zu und wollte sich gerade daran machen die Luken wieder dicht zu machen, als durch das hereinfallende Licht und die schiere Unendlichkeit dieses königsblauen Meers das von der Sonne offenbart wurde, der Geist ebenfalls dazu inspiriert wurde, den schönen Morgen nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.
Und damit ihm die beiden Augen in ihrer Launenhaftigkeit keinen Strich durch die Rechnung machen konnten, machte er sich sogleich daran den restlichen Körper aus seiner Schlafphase und dem Reich der Träume in die so genannte wirkliche Welt hinüber zu holen, was wunderbarerweise auch ohne weitere Zwischenfälle funktionierte.
Üblicherweise sträubten sich nämlich einige der Glieder gegen diesen abrupten Übergang und vor allem die Arme trugen diesem Widerwillen gerne mit einer lähmenden Taubheit Rechnung und ließen sich dann nur schwer kontrollieren. Dem Widerwillen selbst waren solche Spielchen in der Regel egal, da er kam wie er wollte und erst ging, wenn man es nicht mehr erwarten konnte.

Als sich nun der ganze Körper wieder in der Realität manifestiert hatte, machte ich mich daran aufzustehen. Der Tag mochte wirklich inspirierend werden.
Ich kroch auf meinem Bett zum Fenster um hinaus zu blicken, und konnte in der kalten Luft deutlich die kleinen weißen Rauchkronen sehen die auf den Schornsteinen der Häuser zu sitzen schienen und deren Spitzen sich schnell in der kühlen Märzluft verloren.


Es war 6 Uhr.
Der Kopf tat sich daran seinen Schopf entschieden hängen zu lassen, da er mit dieser Zeit weder etwas anfangen konnte noch in der letzten Zeit auch nur daran gedacht hatte etwas mit dieser Zeit anfangen zu wollen. Höchste Zeit also etwas dagegen zu tun!
Doch da er mit dieser Entscheidung ziemlich alleine da stand, musste er seinen Widerstand auch gleich wieder aufgeben, denn vor allem der Bauch trieb die ganze körperliche Gemeinschaft entschieden gen Küche und unterstrich diese Forderung mit gelindem Knurren. Dies sollte den anderen zu verstehen geben, dass es mächtig Ärger geben konnte, wenn diese nicht baldigst spurten. Und da der Bauch (in Koalition mit dem Magen und den „Vereinigten Verdauungsorganen“) sowieso einer der unangenehmsten Genossen im Bund sein konnte, störte sich der Rest der Gemeinschaft auch wenig daran ihm seinen Willen zu lassen. Bloß keinen Streit hieß es.
Nach einem zufrieden stellenden Frühstück, angereichert durch zwei Tassen Kaffee ohne Zucker, dem üblichen Studium des aktuellen Spiegels und des momentanen Fernsehprogramms stellte man sich nun die Frage was man denn mit diesem Übermaß an Tageszeit anstellen sollte. Oder, was konnte man denn damit anfangen?
Auch wenn der Vergnügungsapparat des Gehirns dafür plädierte den Fernseher wieder einzuschalten und im (wahrscheinlichsten) Falle eines eher miserablen Programms wenigstens einen Film zu Rate zu ziehen, war man sich größtenteils darüber einig, dass man die frühe Gunst dieser vom Himmel herbeizitierten Pracht nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte.
Das Gewissen, welches an diesem Tag einen geradezu unheimlichen Elan versprühte, verbreitete eine allgemein unangenehme Stimmung und vertrat die Meinung, dass es eine Schande sei solch einen Tag unter heimischem Dach zu verbringen.
Beide Beine stimmten dem im Großen und Ganzen zu, wobei einzig das linke Knie einige Bedenken anzumelden hatte. Man müsse sich für das kommende Alter schonen, hieß es dort.
Die kreative Seite des Geistes, sogleich angespornt dieses Problem im Sinne einer optimalen Lösung zu beheben, meldete sich, inspiriert durch die Weite des Raums über den Strassen und Dächern diese Frühe, und schlug im Sinne der romantischen Novellen, die man ja vor nicht all zu langer Zeit geradezu verschlungen hatte, einen Waldspaziergang vor.
Dieser würde der Gemeinschaft im Ganzen wohl zu Gute kommen, stellte keine all zu große Belastung dar und würde den kompletten Haufen mal so richtig in Schwung bringen, mit frischer Luft, dem lustigen Gezwitscher der Vögel in den Wipfeln, dem mild rauschenden Blätterdach und dem inständigen und fast nicht wahrnehmbarem Atem der Natur um einen herum.
Sogleich meldete sich der Widerwille.
Es sei zu früh, der Weg bis zum Wald zu weit, zu steil, zu uninteressant. Man würde eventuell fremden Menschen begegnen, vielleicht sogar Hunden, oder gar Wildschweinen (diese Aussicht rief die Verwegenheit auf den Plan, die zwar nicht wirklich mit diesem Ereignis rechnete, aber man konnte ja nie wissen) und deshalb fände man es besser sich kollektiv dem Unterhaltungsapparat anzuschließen. Dies würde nämlich weitaus weniger Aufwand bedeuten.
Er versuchte die Eitelkeit auf seine Seite zu ziehen, indem er ihr zuflüsterte, dass man sich ja eh erst sämtlichen Waschprozeduren ausliefern musste um für eine solche Wanderung gewappnet zu sein.
Dann verkündete er laut, dass sich das Wetter während der Waschprozeduren leicht ändern konnte und sprach somit eigentlich bloß die Bequemlichkeit, die unnötigen Taten lieber aus dem Weg ging, an. Wege und Pfade mochten vom vorigen Wetter noch gänzlich aufgeweicht sein, weswegen ein Spaziergang durchaus ungemütlich sein konnte. Überhaupt so meinte er, sähe der Morgen bloß von der Behaglichkeit der heimischen Stube so erquicklich aus und schon allein aufgrund der niedrigen Temperaturen, die im Schatten der Bäume bestimmt noch niedriger wäre, sollte man doch gleich besser zuhause bleiben und dem süßen Nichtstun wieder einmal die Ehre erweisen.
Darin habe man schließlich die meiste Übung und es sei ja nicht unbedingt so, dass man damit nur schlechte Erfahrungen gemacht habe. Außerdem sei man solche frühen Spaziergänge gar nicht gewohnt und könnte sich vielleicht eine Erkältung oder schlimmeres zulegen. Gab es in dieser Jahreszeit nicht schon Zecken?

Ganz in Gedanken mit mir selbst schlenderte ich so von einem Raum zum nächsten, wunderte mich was ich dort eigentlich wollte, verlor mich wieder in mir selbst und wanderte gemächlich weiter, bis ich an dem kleineren der Wohnzimmerfenster vorbeikam.
Durch dessen geöffnete Jalousie lächelte eine orangegoldene Scheibe ihr Licht in die sonst dunkle Weite des Raumes und begrüßte freundlich meinen langsam wieder ermattenden Geist.


Die Diskussion strengte ihn an und mit zunehmender Dauer wollte er von der ganzen Angelegenheit immer weniger wissen, da ihn das Gerede im Inneren, die ständig gleichen negativen Argumente langweilten und ermüdeten.
Beide Augen wollten sich zunächst abwenden, doch der Sinn für schöne und erhabene Momente zwang sie, sich an die ungewohnte Helligkeit zu gewöhnen. Man genoss die Stille und schon heilige Schönheit dieses Momentes.
Von Wolken und jeglichem Dunst ungetrübt, entfaltete dieser ferne Stern seine frühe Kraft und regte den Geist mit seiner reinen und gleißenden Anmut in unvergleichlicher Weise an. Ideen entfalteten sich, flogen von ihrem Licht magisch angezogen der Sonne entgegen, labten sich an ihrer Leben spendenden Energie, kehrten wieder zu ihrem Ursprung zurück und entfachten dort mit ihrer neu gewonnenen Vitalität ein weiteres Feuerwerk an Gedanken und Ideen.
Vorhaben und schnelle Pläne, Wünsche und gute Absichten, kleine Erkenntnisse und große Brücken wurden in beeindruckendem Maße hervorgebracht, labten sich in gleicher Weise an dem orangefarbenen Gold, das sicher die Welt erhellte und kehrten ebenfalls mit neu gewonnener Kraft zurück und konnten einfach nicht mehr im Wust der Ungedanken vergehen, wie es sonst der Fall war.
Zu hell erstrahlte nun der Glanz ihrer eigenen Sterne. Zu deutlich hoben sie sich vom düsteren Zwielicht des pessimistischen Firmaments im Inneren der Schädeldecke ab und prangten dort als unverkennbare Zeichen, die den guten Vorsätzen wie Seefahrern in der Vorzeit - und noch heute - den rechten Weg weisen konnten.
Bestärkt und ermutigt von den guten Sternen, gewärmt von der lebensfrohen Heiterkeit einer scheinbar wiedererwachten Sonne, entkamen die meisten Diskussionsteilnehmer dem alles verschlingenden Moloch der Untätigkeit, den der Widerwille auftun wollte.
Und sogar die Bequemlichkeit, die er eigentlich schon auf seiner Seite wähnte, sonnte sich geradezu in der Vorstellung an einen gemächlichen Gang unter dem wiedererwachenden Blätterdach des nun immer näher rückenden Waldes.
Der Widerwille holte zu einem letzten, jedoch nicht verzweifelten Schlag aus:
Er wandte sich an die Gewohnheit, diesen an sich trägen Gesellen, der es normalerweise stets gut mit der Bequemlichkeit hielt und eigentlich nichts lieber tat als seinen erworbenen Traditionen zu folgen. Aus diesem Grund hielt er auch nicht all zu viel von neuen Möglichkeiten, da er die alten schon zu genüge kannte und er sie ja nicht umsonst lieb gewonnen hatte.
Zusammen bildeten diese beiden Riesen eine dunkle Wand aus lautem Schweigen. Der Widerwillen umgarnte die Gewohnheit, redete wie üblich nicht erst auf ihn ein, sondern erinnerte diesen an die vergangenen Tage und Wochen. Ja sogar ganze Monate konnte er in ihm wachrufen, in denen man sich ja wohl ohne große Probleme die Zeit auch im Hause habe vertreiben können. Und dieses mochte die Gewohnheit auch nicht im Mindesten bestreiten.
Die restliche Versammlung im Inneren, die von dieser, durchaus an eine Verschwörung erinnernde, Unterredung ausgeschlossen war, vernahm nur ein gelegentliches „Mhmhm“, oder auch „Jaja, da hast du schon recht“.
Je länger dieses Gespräch dauerte, desto größer wuchs die Bequemlichkeit an, breitete sich im Grunde immer weiter aus, reckte und streckte sich bis in die Höhe, so dass die nun am Boden kauernden Ideen immer mutloser wurden.
Bald würden sie ihre geistige Führung verloren haben, den wieder entdeckten Glanz am Firmament des Geistes nicht mehr erkennen können und nur noch schmachvoll beschauliche Tatenlosigkeit würde den Körper und alle die mit ihm waren, auf irgendeinem verstaubten Liegemöbel verharren lassen.
Das Tuscheln endete.
Der Widerwillen wandte sich zufrieden von der Gewohnheit ab, der sich weiter nach oben streckte und bedrohlich laut gähnte, und freute sich darüber wieder einmal die Oberhand behalten zu haben. Ein Sieg mehr auf seiner fast ewigen Liste. Bei sich dankte er der Rechthaberei für die gute Schule, die er unter ihrem Einfluss genießen durfte und wollte sich gerade zur Seite legen um dem nun folgenden Schauspiel wie so viele Tage und Wochen und Monate zuvor einmal mehr zuzusehen. Da streckte sich die Gewohnheit noch ein letztes Mal - es wurde absolut finster im Inneren – und sprach:
„Aber mal sehen wie es da draußen so werden mag. Vielleicht wird es ja ganz angenehm und wir können das öfter mal unternehmen.“
Mit diesen Worten (und einem letzten Hüsteln) faltete er sich wieder zu einem fast unsichtbaren Bündel zusammen und legte sich in einer nahe Ecke nieder, denn er wollte mit ansehen, was nun geschehen würde.
Der Widerwillen sprang entsetzt auf! Er hatte verloren?
Das konnte doch nicht sein! Er konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal verloren hatte und jetzt dieses. So sicher hatte er sich doch gefühlt und so leicht einzuschätzen war doch die Gewohnheit.
Was war denn bloß geschehen?
Der Widerwillen blickte um sich und konnte gerade noch erkennen, wie eine Gestalt mit sich und dem Gang der Dinge zufrieden zu den anderen hinüberging und sich unter sie mischte.
Man klopfte ihr sprichwörtlich auf die Schulter, sprach überschwängliches, aber nicht unangebrachtes Lob aus, umarmte sie und jeder freute sich nun, dass es sie gab.
Denn oft genug hatte man durch sie auch schon Schwierigkeiten erleben müssen. Doch das war nun alles vergessen und man betrachtete sich nun mit ihr im Bunde wieder als vollkommenere Einheit und war glücklich baldigst den Spaziergang antreten zu können.
Dem Widerwillen wurde klar warum er verloren hatte.
Die Neugier hatte die Bequemlichkeit gepackt und ihr zugesetzt, nur konnte der Widerwillen dies in dessen maßloser Ausbreitung nicht erkennen, da auch er in dieser Schwärze den Überblick verloren hatte.
Kurz dachte er darüber nach noch einen letzten Angriff auf die Entschlossenheit der Unternehmungslustigen zu starten, doch diese Überlegung verwarf er sogleich wieder.
„Niemand wird jetzt noch auf mich hören. Die Kugel ist ins Rollen gebracht und mir fehlt einfach die Kraft sie jetzt noch aufzuhalten.“, dachte er bei sich.
Mutlos legt er sich zur Seite und in seiner Enttäuschung entging ihm das Zweifel von ihm Besitz ergriffen hatten und dabei schelmisch grinsten. Auch sie freuten sich irgendwie auf den bevorstehenden Spaziergang und die Erfahrung neuer Ereignisse und Möglichkeiten.

Ich ging also gleich duschen, putzte mir gründlich die Zähne und fand sogar die Ruhe und Muße mich ordentlich zu rasieren.
Ich zog mich an, legte zur Sicherheit noch einen Schal um und trat im warmen Schein der immer noch frühen Morgensonne hinaus ins Leben.
 



 
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