Der „genetische“ Schal

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Wow! Die Farben sind echt stark.
Orange dominiert. Ein paar abgestufte Brauntöne bändeln verspielt mit den beiden tiefroten Mittelstreifen an. Himmelblau und kobaltblau streiten mutig um die Gunst der anderen Farben. Grün ist schwach vertreten. Karl hat einen ererbten Herzfehler. Aber das wusste er vor der DNA-Untersuchung.
Karl spaziert zum ersten Mal mit dem neuen Schal über die Einkaufsstraße. Er geht allein. Susi ist auf Geschäftsreise. Sie kommt erst heute Abend zurück. Er wird sie am Flughafen abholen. Na, die wird Augen machen, wenn er ihr die Story erzählt.

Karl trägt nämlich einen Schal mit seinen eigenen DNA Mustern. Er ist durch einen Artikel in einem Lifestyle-Magazin auf den Einfall gekommen. Er war sofort ganz versessen auf die Idee.
Man muss bei einem Institut eine DNA-Analyse durchführen lassen. Das Ergebnis wird als farblicher Code an eine Weberei in Asien geschickt. Am Ende des Gesamtvorganges bekommt man einen Schal mit Farbmustern, die vom Untersuchungsergebnis abgeleitet werden. Da jeder Mensch in bestimmten Sequenzen einzigartig ist, bekommt jeder Besteller auch ein Unikat. Perfekt.
In einer Welt, die zunehmend durchorganisiert erscheint, muss man seine Individualität bewahren. Karl ist hundert Pro von dieser Ansicht überzeugt. „Sei der Du bist“ und solche Sprüche gehen bei ihm runter wie natives Olivenöl zum Salat.

Was hatte er zu tun, um an das Teil zu kommen? Das war die erste und wichtigste Frage überhaupt.
Er musste, zusammen mit der Vorkasse, eine Schweißprobe an die Servicegesellschaft einsenden. Die Probe ging weiter an ein superhoobidoobi Gen-Analyse Institut. Dann hieß es - warten.
Beim Eingang der Antwort auf seine Bestellung kam Karl sich vor wie ein Avatar in einem SciFi Film. Seine Gene waren gefragt. Er malte sich aus, wie weißbekittelte Experten in einem futuristischen Glaspavillon im kambodschanischen Dschungel ein Reagenzglas mittels Roboterfingern extrem vorsichtig anhoben. Anschließend bugsierte das Hightech System seine wertvollen Körperausscheidungen in einen luftdicht abgeschirmten Glasbehälter. Dessen Eingangskathoden waren natürlich mit Goldfolie überzogen. Die elektromagnetischen Solarwellen aus dem Weltraum durften auf keinen Fall den Analysevorgang stören. Goldfolie - für die Besten war das Beste gerade gut genug. Karl schmunzelt vor sich hin.

Er trägt den Schal im aktuellen Stil um den Hals gelegt. Die Enden werden dabei locker ineinander verschlungen und nicht am Vorderhals geknotet. Langsam schlendert er jetzt durch die angrenzende Einkaufspassage. Schauen sie ihn schon an? Ja. Jetzt sieht eine ältere Frau verwundert zu ihm hin. War das jetzt schon der Schal oder hat sie so gekuckt, weil er sie erwartungsvoll angestarrt hat? Man weiß ja nie.
Karl wird jetzt noch einige Versuchsreihen mit dem Angestarrtwerden anschließen. Er will dieses Gefühl erleben wie: „Oha, sieh da, der Herr trägt einen DNA-Schal. Respekt.“
Die Leut` scheinen allesamt ein bisschen abgestumpft. Das liegt am vielen Fernsehen und an diesem Smombie- Unwesen, das ist Karl schon klar. Die Reizüberflutung macht den Menschen von heute blind für das Außergewöhnliche, für das Individuum im Mann – für die Erkenntnis eines DNA-Schals.
Er bleibt nun stehen und betrachtet sich in einem Spiegel. Ja, das ist er, unverwechselbar Karl. Einmalig.
 

ThomasQu

Mitglied
Guten Morgen, Rhondaly,
du hast schon einen krummen Humor und gut geschrieben auch noch.
Hat Spaß gemacht!
Leider ist das Wort "Vorderhals" sperrig, denn der Hinterhals ist bekanntermaßen das Genick. Vielleicht wäre "... eng verknotet" oder so etwas Ähnliches besser?
Gesundes Neues Jahr,
Thomas
 
Wow! Die Farben sind echt stark.
Orange dominiert. Ein paar abgestufte Brauntöne bändeln verspielt mit den beiden tiefroten Mittelstreifen an. Himmelblau und kobaltblau streiten mutig um die Gunst der anderen Farben. Grün ist schwach vertreten. Karl hat einen ererbten Herzfehler. Aber das wusste er vor der DNA-Untersuchung.
Karl spaziert zum ersten Mal mit dem neuen Schal über die Einkaufsstraße. Er geht allein. Susi ist auf Geschäftsreise. Sie kommt erst heute Abend zurück. Er wird sie am Flughafen abholen. Na, die wird Augen machen, wenn er ihr die Story erzählt.

Karl trägt nämlich einen Schal mit seinen eigenen DNA Mustern. Er ist durch einen Artikel in einem Lifestyle-Magazin auf den Einfall gekommen. Er war sofort ganz versessen auf die Idee.
Man muss bei einem Institut eine DNA-Analyse durchführen lassen. Das Ergebnis wird als farblicher Code an eine Weberei in Asien geschickt. Am Ende des Gesamtvorganges bekommt man einen Schal mit Farbmustern, die vom Untersuchungsergebnis abgeleitet werden. Da jeder Mensch in bestimmten Sequenzen einzigartig ist, bekommt jeder Besteller auch ein Unikat. Perfekt.
In einer Welt, die zunehmend durchorganisiert erscheint, muss man seine Individualität bewahren. Karl ist hundert Pro von dieser Ansicht überzeugt. „Sei der Du bist“ und solche Sprüche gehen bei ihm runter wie natives Olivenöl zum Salat.

Was hatte er zu tun, um an das Teil zu kommen? Das war die erste und wichtigste Frage überhaupt.
Er musste, zusammen mit der Vorkasse, eine Schweißprobe an die Servicegesellschaft einsenden. Die Probe ging weiter an ein superhoobidoobi Gen-Analyse Institut. Dann hieß es - warten.
Beim Eingang der Antwort auf seine Bestellung kam Karl sich vor wie ein Avatar in einem SciFi Film. Seine Gene waren gefragt. Er malte sich aus, wie weißbekittelte Experten in einem futuristischen Glaspavillon im kambodschanischen Dschungel ein Reagenzglas mittels Roboterfingern extrem vorsichtig anhoben. Anschließend bugsierte das Hightech System seine wertvollen Körperausscheidungen in einen luftdicht abgeschirmten Glasbehälter. Dessen Eingangskathoden waren natürlich mit Goldfolie überzogen. Die elektromagnetischen Solarwellen aus dem Weltraum durften auf keinen Fall den Analysevorgang stören. Goldfolie - für die Besten war das Beste gerade gut genug. Karl schmunzelt vor sich hin.

Er trägt den Schal im aktuellen Stil um den Hals gelegt. Die Enden werden dabei locker ineinander verschlungen und nicht geknotet. Langsam schlendert er jetzt durch die angrenzende Einkaufspassage. Schauen sie ihn schon an? Ja. Jetzt sieht eine ältere Frau verwundert zu ihm hin. War das jetzt schon der Schal oder hat sie so gekuckt, weil er sie erwartungsvoll angestarrt hat? Man weiß ja nie.
Karl wird jetzt noch einige Versuchsreihen mit dem Angestarrtwerden anschließen. Er will dieses Gefühl erleben wie: „Oha, sieh da, der Herr trägt einen DNA-Schal. Respekt.“
Die Leut` scheinen allesamt ein bisschen abgestumpft. Das liegt am vielen Fernsehen und an diesem Smombie- Unwesen, das ist Karl schon klar. Die Reizüberflutung macht den Menschen von heute blind für das Außergewöhnliche, für das Individuum im Mann – für die Erkenntnis eines DNA-Schals.
Er bleibt nun stehen und betrachtet sich in einem Spiegel. Ja, das ist er, unverwechselbar Karl. Einmalig.
 



 
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