Der 50. Geburtstag

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist soweit. Bange habe ich den Tag erwartet, jetzt ist er da.
Ich werde verehrt, das Zimmer steht voller Blumen. Die Urne in der Mitte ist wunderschön. "Bernd Hutschenreuther" steht darauf geschrieben, Geburts- und Todestag sind eingraviert.
Ich habe seit dem 18. Lebensjahr in die Sterbehilfe eingezahlt, jetzt ist es soweit. Heute muss ich mich entscheiden. Bisher hat nie jemand die Sterbehilfe verweigert. Wir sind eine junge Gesellschaft. Wenn die Kinder groß waren, hatten unsere Vorfahren ihre Aufgaben erfüllt. Heute "bekommen" die Frauen keine Kinder mehr. Mit 18 gehen sie in die Geburtshilfe und spenden Eizellen, dann können sie sich voll ihren Aufgaben oder ihrer Freizeit widmen. Die Eizellen werden mit Spermien vereint, eingefrostet und später in großen Replikatoren zu fertigen Menschen entwickelt. Bereits vor der Geburt beginnt die Konditionierung.
Die Bibel enthält als neue Evangelien das Buch Huxley und das Buch Orwell, das dritte Testament.
Es gibt keine Harz-IV-Empfänger mehr, denn Arbeitslose erhalten bereits vor dem 50. Geburtstag das Recht auf Sterbehilfe, nachdem das Arbeitslosengeld abgelaufen ist. Das Begräbnis wird zwar nur zweitklassig, Pappsarg und Reciycling-Urne, aber das Arbeitslosenproblem ist gelöst.

Ich musste kurz unterbrechen, denn soeben wurde der Film "Bernds Leben" gezeigt, der Ausschnitte aus meiner Biografie enthielt. Überwachungskameras haben jeden meiner Schritte aufgezeichnet und der Film war ergreifend schön.

Die Geburtstagstorte hat geschmeckt, ich habe die Kerzen ausgeblasen.

Jetzt kommt die Kommission, genauer, es kommen drei unabhängige Kommissionen, denen ich meinen unbändigen, uneingeschränkten und unabhängigen Willen zu sterben bescheinigen werde. Es geht alles mit rechten Dingen zu.

Ich kann auswählen, wie. Die meisten bevorzugen schmerzlose Arten. Ich auch.

Ich gehe in den Kinosaal, wo Filme gezeigt werden. Ich habe "Clockwork Orange" ausgewählt - sowie "Die überleben wollen" (Soylent Green).

Die Filme sind Kult, jeder wählt sie.

Heute wird man nicht in Soilent Green verwandelt. Nach dem Tod wird - entsprechend meiner Patientenverfügung - alles entnommen, was noch brauchbar ist.

Viele lassen sich plastinieren. Das sehe ich nicht als mein Ziel an. Ich möchte nicht plastiniert und im Kinderzimmer aufgestellt werden. Solche Horrorkabinette sollte man abschaffen.

Man soll meine unbrauchbaren Reste verbrennen. Die Asche kommt in die Urne. Nach der Ruhezeit von 25 Jahren wird sie dann zum Straßenbau verwendet.

Es ist Abend geworden. Zeit ins Kino zu gehen. Vor dem Film gibt es einen Gong. Den habe ich mir gewünscht. Viele wünschen ihn sich.

Ich sitze im bequemen Stuhl, der Gong. Der Vorspann. Ich werde müde, lege jetzt die Gedankentasten ab. Macht's gut. War mir eine Freude.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Einfach nur furchtbar, ein solches Szenario. Einfach nur furchtbar, und wir Menschen sind auf dem besten Weg, es Realität werden zu lassen.
Was der Mensch kann, wird er eines Tages machen. Denn wie sagte Huxley so treffend: Technisch sind wir Übermenschen, moralisch noch nicht einmal Menschen.

Ich werde Bernd vermissen.


LG Doc
 

Paloma

Mitglied
Hallo Bernd,

SF? Ich fürchte fast, soo weit sind wir davon gar nicht mehr entfernt und es wäre doch auch alles so einfach.
Tja, Schwein gehabt – ich bin auch 60, naja beinahe …
Fein gezeichnetes, düsteres Szenario – gerne mit leichtem Schaudern gelesen.

Liebe Grüße
Paloma
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Noch ein Szenarium in dieser Welt. Es gibt Uns, ein Un ist jemand, der nicht freiwillig den Weg ins Glück ging.
Gezwungen wird keiner, Uns sind durchaus vorhanden, aber Außenseiter. Keiner unterhält sich mit ihnen, sie sind uralt. Da mit 50 automatisch jeder Arbeitsvertrag endet, sind die meisten arbeitslos, oder sie arbeiten illegal. Sie lassen das Gesicht straffen, setzen Perücken auf, einige besorgen neue Papiere, sodass sie wieder 40 sind.
Es gibt Gruppen, die helfen, indem sie andere umbringen, die ähnlich aussehen. Im Internet findet man entsprechende Suchprogramme.
Andere ernähren sich von Abfällen und schlafen in Ruinen.
Es passiert ihnen nichts, denn es ist ein freies Land. Wenn sie beim Plündern erwischt werden, werden sie in die "Slums" verbannt. Diese sind von einer Hecke umgeben, die undurchdringlich ist. (Mauern hat die Volksversammlung abgelehnt.)

Hier könnte eine Liebesbeziehung zwischen einem Un und einem Menschen stattfinden. Diese ist streng verboten und die Kinder müssen abgetrieben werden, denn die Gene der Uns könnten defekt sein.

Da ist noch viel Spielraum.

Enige gehen zu Gladiatorenkämpfen. Diese finden in Stadien statt. Da man dort vom Leben zum Tode kommen will, ist man kein Un und darf kämpfen, bis man stirbt. Es finden hohe Wetten statt.
Hoologans werden, wenn man sie erwischt, ganz freiwillig Gladiatoren, dürfen aber vor jedem Kampf eine hohe Summe zahlen. Sie bleiben solange Gladiatoren, bis sie alles abgezahlt haben.

Gerüchten nach gibt es einen hundertjährigen Gladiator, aber ich glaube den Gerüchten nicht, denn die stammen gewiss von "ihnen".
"Sie" sind die, wegen denen immer wieder was schief geht, Bestrafung gibt es nicht. Sie werden völlig freiwillig Gladiatoren, wenn man sie findet, oder wenn sie nichts mehr zu essen haben.
 

Curd Belesos

Mitglied
moin moin Bernd,

Science Fiction - nein, es ist für mich in Szenen eher eine Beschreibung des Lebens, das um uns herum statt findet. Wir negieren es nur.

[blue]Enige gehen zu Gladiatorenkämpfen. Diese finden in Stadien statt. Da man dort vom Leben zum Tode kommen will, ist man kein Un und darf kämpfen, bis man stirbt. [/blue]

Meine Lesart:

Einige gehen zu den IS Kämpfen. Diese finden in Ansiedlungen statt. Da man dort vom Leben zum Tode kommen will, ist man kein Un - gläubiger und darf kämpfen, bis man stirbt.

Science Fiction - nein, der tägliche Wahnsinn, den wir wie einen Science Fiction Film wahrnehmen, uns umdrehen und an die niedrigen Zinsen der Bausparkassen denken.

LG
CB

PS: du solltest aus deinem Kommentar

[blue]"Noch ein Szenarium in dieser Welt." und "Da ist noch viel Spielraum. "[/blue]

unter den Haupttext setzen.
 



 
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