Der Anruf

2,00 Stern(e) 1 Stimme

Sergey

Mitglied
Der Anruf

Es war ein regnerischer Nachmittag, an welchem er an seinem Schreibtisch saß und ziellos auf die flimmernde Oberfläche seines Bildschirms starrte. Nun stellte er mit nicht allzu großem Bedauern fest, dass er das, was sich schon seit einer halben Stunde darauf abspielte, nicht mehr wahrnahm. Er schaltete den Bildschirm ab und kehrte sich dem schon seit über zwei Wochen offen stehenden Fenster zu. Er spürte die kühle Luft, die zusammen mit dem beruhigenden Geräusch der unendlich vielen, auf die Fensterbank aufprallenden, Regentropfen, langsam ins Zimmer kroch. Schon seit er aufgestanden war erwartete er ein prächtiges Sommerwetter, wie er es aus seiner Kindheit im Juli eines jeden Jahres gewohnt war. Nach einer Weile drehte er seinen Stuhl in die Richtung des Fensters, damit er beim hinausschauen aufrecht sitzen konnte. Denn er erwartete ein Sommerwetter.

Ein Telephon ertönte und schien die Musik des Regens völlig zu vertreiben. Was würde wohl geschehen, wenn er den, an seiner träumenden Seele zerrenden Ton, einfach verdrängte? Sie würde gewiss auflegen, sich vielleicht ein paar bedeutungslose Gedanken machen. Sie würde sich nicht für ihn freuen.

Er schaute betrübt auf eine Photographie, von der eine fremde Person zu ihm hinaufblickte. Er könnte den kleinen Ständer, an welchem das Photo befestigt war, sein Leben lang auf dem Tisch verschieben, doch er würde dann immer noch darauf herabschauen müssen. Man könnte den Ständer auf den vorderen Rand des Bildschirms stellen. Dort würde er zu dem Bild bequem hinaufblicken können. Die Oberfläche war jedoch vom Staub bedeckt und ließ somit keinen Platz über.

In der Zwischenzeit kam die Sonne hinter den Wolken hervor und begann die letzten Spuren des allmählich schwindenden Regens zu verwischen. Schon bald war es draußen so heiß, dass man plötzlich von überall her das knatternde Geräusch der Marquisen hörte. Er spürte eine Kälte, die sich im Raum eingenistet hatte. Er stand auf, schloss das Fenster und ließ die Jalousien hinuntersausen. Sein Warten auf das Sommerwetter war so vergeblich wie nutzlos.

Das Telephon klingelte immer noch. Jetzt kam ihm der Ton bei weitem nicht mehr so unerträglich vor und er nahm den Hörer ab. Eine fremde Stimme mit einer Prise von Selbstverständlichkeit begrüßte ihn.

Sie war es

Der Bildschirm wurde wieder angeschaltet, denn irgendeine Beschäftigung musste er sich suchen. Er saß ein wenig unbequem, denn die Stuhllehne befand sich nun unter seinem Arm und hinderte ihn daran den Hörer aufrecht zu halten.

Der Stuhl war immer noch auf das Fenster ausgerichtet.
 

Amarinya

Mitglied
Hallo Sergey,

ich finde die Situation gut beschrieben. Der Schluss ist ... eigenartig, ich weiß nicht so recht, was ich damit anfangen soll. :) Aber das finde ich gar nicht mal schlecht, lässt viele Interpretationen offen.
Eindrucksvoll finde ich Sätze wie "Eine fremde Stimme mit einer Prise von Selbstverständlichkeit begrüßte ihn."! Super!

Nicht ganz so gelungen scheint mir "die flimmernde Oberfläche seines Bildschirms" - Oberfläche sagt dazu kaum jemand. Auch "Ein Telephon ertönte" könnte noch etwas anders formuliert werden.

Schreibst Du "Telephon", "Photographie" und dergleichen absichtlich in der etwas altertümlich wirkenden "ph"-Schreibweise?

PS: Wie immer: alles nur *meine* persönliche Meinung ...
 

Zefira

Mitglied
Hallo Sergey und Amarinya,

ich gebe Amarinya recht.
Folgendes aber noch - ist auch meine persönliche Meinung - :

Der ganze erste Absatz ist mir zu distanziert und zu verwickelt geschrieben.

Ich präsentiere mal beispielhaft meine Vorschläge:

>Es war ein regnerischer Nachmittag, an welchem er an seinem Schreibtisch saß und ziellos auf die flimmernde Oberfläche seines Bildschirms starrte.<
Es war ein regnerischer Nachmittag. Er saß an seinem Schreibtisch und starrte auf den flimmernden Bildschirm.

>Nun stellte er mit nicht allzu großem Bedauern fest, dass er das, was sich schon seit einer halben Stunde darauf abspielte, nicht mehr wahrnahm. <
Seit einer halben Stunde schon nahm er gar nicht mehr wahr, was sich darauf abspielte. Er merkte das plötzlich und empfand kein Bedauern.

>Er schaltete den Bildschirm ab und kehrte sich dem schon seit über zwei Wochen offen stehenden Fenster zu.<
Er schaltete den Bildschirm ab und wandte sich zu dem Fenster. Es stand offen, schon seit über zwei Wochen.

>Er spürte die kühle Luft, die zusammen mit dem beruhigenden Geräusch der unendlich vielen, auf die Fensterbank aufprallenden, Regentropfen, langsam ins Zimmer kroch. <
Durch das Fenster kroch kühle Luft ins Zimmer. Unendlich viele feine Regentropfen fielen mit beruhigendem Klopfen auf die Fensterbank.
(schönes Bild übrigens)

>Schon seit er aufgestanden war erwartete er ein prächtiges Sommerwetter, wie er es aus seiner Kindheit im Juli eines jeden Jahres gewohnt war. <
Er hatte prächtiges Sommerwetter erwartet. Früher, in seiner Kindheit, war im Juli immer prächtiges Sommerwetter gewesen.

Und so weiter. Der Protagonist scheint ein leicht zwanghafter Mensch zu sein (ich würde es zwanghaft nennen, wenn jemand ein Foto nicht aufstellen möchte, weil dort wegen des vielen Staubs kein Platz mehr ist), und deshalb ist eine distanzierte Erzählweise angebracht. Aber trotzdem finde ich, man käme auch mit weniger Nebensätzen und Einschüben aus.


Sonst gefällt es mir - situativ, eine Impression, geschickte Charakterzeichnung allein durch einen schlichten, aber gut gewählten Handlungsablauf.

Grüßle,
Zefira
 

Sergey

Mitglied
Danke für Eure Kritik

Hallo Amarinya und Zefira !

Ich freue mich, dass Euch meine Kurzgeschichte im Großen und Ganzen zugesagt hat. Ich freue mich über Kritiken jeglicher Art, da ich ja nun auch sehr gerne Kritiken verteile. Ich habe vor heute Abend meine neue Geschichte mit dem Titel "Das Schachspiel" zu veröffentlichen, vielleicht habt Ihr ja Lust Euch die mal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Ich würde mich sehr freue da ein Feedback von Euch zu erhalten.

Wünsche Euch noch viele kreative Stunden und Alles Gute

Gruß

Sergey
 



 
Oben Unten