Der Aufsässige

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Der Aufsässige

Fjo lauerte hinter einer kniehohen Kiste und beobachtete wie Tschu mit seinen stählernen Armen das Messer auf den groben Stein hin und her wetzte. Blaue, rote und gelbe Funken sprangen in einem wilden Tanz durch die Luft. Es war ein schöner Anblick und dennoch machte ihn diese hühnenartige Gestalt nervös. Er wäre zu gerne aus seinem Versteck herausgesprungen, aber er musste sich wie ein gefräßiges Tier zurückhalten und auf einen unachtsamen Moment warten. Dann würde er, wie er es bei all seinen Opfern handhabte, ihn rücksichtslos von hinten packen und ihm seine Krallen in den Rücken bohren und ihm seine hübschen schwarzen Augen aus diesem furchtlosen Gesicht kratzen.

Tschu war ein richtiges Prachtexemplar - ein seltenes Geschöpf mit einer unüberwindbaren Anziehungskraft. Er war nicht nur schön – für Fjo war er der Schönste.
Mit seinen langen zotteligen Haaren ähnelte er einem Wildpferd und auch seine Art kam ihm so unbändig vor wie er es nur von einem undressierten Tier her kannte.
Aber nicht nur das reizte ihn. Tschu gehörte zu den Stärksten. Er konnte Menschen so lange durch die Luft drehen bis sie sich in seinen starken Armen übergaben. Aber seine größte Anerkennung bekam Tschu, als er einmal einem Menschen das Bein herausgerissen und ihn damit windelweich geprügelt hatte. Und doch, so stark er nun auch war, gehörte er nicht zu den Kriegern des Stammes.
Wenn er auch diese Gabe besaß, so war es nicht die einzige. Tschu war flink wie ein Wiesel. Einmal hatte er ihn dabei erwischt, wie er einem Kaninchen hinterher gesprungen war. Er war so schnell wie ein Leopard, so bissig, so unbeschreiblich gerissen, dass er jedes Tier überlisten konnte. Und doch gehörte er nicht zu den Jägern in ihrem Volk.
Nein, Tschu bekam eine edlere Aufgabe zuteil. Er schmiedete Waffen. Er war ein Meister des Handwerks und des Feuers und Fjo vergötterte ihn dafür, denn er hatte sich einen Status in ihrem Stamm ergattert, den er selber nie erreichen würde. Von Tschu hing die Existenz des Volkes ab. Er war ein Führer der hinter der Bühne stand. Er war ein Gott in der Schmiede des Krieges.

Dies ist jetzt, heute, vielleicht auch noch morgen. Aber es war nicht vor der Zeit des Umbruchs so gewesen. Damals kannten sie sich auch nicht. Tschu fiel ihm zum ersten Mal auf, als er vor die Menschen trat und zu ihnen sprach. Er sprach und alle hörten zu.
So lernte er ihn kennen, leider zu spät, denn Tschu setzte an diesem Tag Maßstäbe, die ihm, ohne dass er es wusste, eine weitere Periode überleben lies.

Tschu war einer von denen, die sich dafür einsetzten, die Aufsässigen zu töten und Reviere zu bilden. Dies sagte er und alle hörten zu. Fjo hätte an diesem Tag wahrscheinlich mit einigen anderen rebelliert, aber als er ihn reden hörte, als alle ihn reden hörten, wusste er, dass man diesen Mann sprechen lassen musste, denn er war ein Löwe in diesem Gebiet, der seine Gegner zerfleischte wenn es sein musste. Aber es wäre nicht dazu gekommen, denn zu dieser Zeit sehnten sich viele Menschen nach einem Führer und so sprach er wie ein Herr zu ihnen, gut und gnädig, streng und bedacht und mit Respekt. Er sprach so laut, dass seine Worte noch Tage später in Fjos Ohren hallten und seine Ohren waren wahrhaftig nicht mehr die Besten. Tschus Worte waren Gesetz und selbst diejenigen, die gegen ihn waren, hätten niemals den Mum gehabt, etwas gegen ihn zu sagen.

Doch Fjo lies sich nicht einfach so von seinen Worten abspeisen. Zwar wurden die Aufsässigen, die sich nicht bekehren ließen, getötet oder verjagt, aber Fjo durstete so sehr nach Verrat, dass er sich in dieser schwierigen Phase ruhig verhielt. Tschu zähmte alle die sich nicht auf eine Seite einigen konnten und je mehr er bekehrte, desto mehr wollte Fjo, diese – seine - Gesetze übertreten. Er hatte sich lange versteckt gehalten, war unscheinbar geblieben, hielt sich an die neuen Regeln. Aber er wusste, dass er die Gesetze übertreten würde und er würde die alten Regeln als Erstes bei Tschu wieder verwenden. Denn der „kleine Kreis“ hatte einen Aufsässigen vergessen, vergessen zu töten, zu verjagen, zu demütigen und nun wartete Fjo auf seine Stunde in der er Tschu verspeisen würde. Aus seinen Mundwinkeln floss Speichel, aber diesmal lies er ihn gewähren.
Er wollte endlich wieder Menschenfleisch. Jetzt. Er wollte Tschu mit Haut und Haar.
 
S

Stoffel

Gast
Hallo Herbert,

diese Art von Geschichten sind zwar nicht so mein "Revier", aber sie ist gut und flüssig geschrieben, find eich.
Hört sich aber an, als wäre es ein Teil eines Buches, kann das sein?

lG
Stoffel
 
Hallo Stoffel,
in der Tat könnte es sich um eine Stelle in einem Roman handeln. Da aber Steinzeitromane nicht mein Fall sind und mir nur diese Stelle im Kopf herumgeisterte, habe ich mich für diese Fassung entschieden.
Trotzdem ein dankeschön für das Lesen und Dein Feedback.

Viele Grüße
Herbert
 

Venus

Mitglied
Lieber Himmel, Herbert!

Das ist einfach perfekt!!
Ich fühl' mich, als lauere ich da neben Fjo gekauert mit. Ich kann sie sehen, die blaugelbroten Funken!!
Und irgendwie ertappe ich sogar meine Nase, die sich mehr und mehr kräuselt, weil ich beinahe durch die Zeilen etwas hindurchriechen möchte.

Ich weiß nicht, warum solche Zeilen entstehen, ich weiß nur, dass es grausigschön war, sie zu lesen!

Glückwunsch!

Venus
 
Hallo Venus,
vielen Dank für Deine äußerst aufbauende Kritik. So etwas liest man natürlich immer gerne und fördert den Geist zum weiterschreiben.

Vielleicht steckt ja in jedem von uns so ein kleiner Kannibale aus der früheren Zeit? Wer weiß, aber so lange wir nicht zum Vegetarier werden, sind Gelüste nach einer zarten Hähnchenbrust wohl allgegenwärtig. Ich habe noch nie Menschenfleisch gegessen und habs natürlich auch nicht vor, weil allein der Gedanke schon scheußlich genug ist, aber was wäre, wenn es sich aus einem Umstand heraus so ergibt. Dann heißt es friß oder stirb.

Na dann Mahlzeit.

Viele Grüße
Herbert
 



 
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