Der Ausflug in Korea

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habibi

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Nicht nur die frühe Morgenstunde, es war halb Sechs, auch der Ort der Abfahrt war ungewöhnlich. Seoul, Busbahnhof. Ich war der einzige Weiße dort und wohl auch der Einzige, der kein Koreanisch sprach. Dafür sprach außer mir auch keiner Englisch oder eine andere Sprache als dieses Unglaublich fremd klingende Koreanisch. Es war mühsam meinen Zielort im Osten des Landes begreiflich zu machen, ein Ticket zu bekommen und den richtigen Bus zu erwischen. Nicht nur die Sprache, auch die Schrift ist von einem anderen Stern. Abfahrt sechster Stock, Ausgang zwölf. Die Zahlen zumindest sind vertraut. Völlig faszinierend in einem Hochhaus loszufahren, im sechsten Stockwerk und dann wie in einem gigantischen Parkhaus die Kreise hinunterschraubend, ein Bus hinter dem anderen, einfädeln in den verschiedenen Stockwerken, in einer unglaublichen Geschwindigkeit, und doch so routiniert, dass keine Panik aufkommt. Die Abreise klappte, auch dank der Hilfe bemühter Koreaner. Völlig überraschend dann die Reaktion, als wir aus dem Bushochhaus draußen sind. Lautstark reklamieren die Fahrgäste sofort das Video einzuschalten und starren dann gemeinsam stundenlang auf den winzigen Bildschirm neben dem Fahrer, der Ton ist auf volle Lautstärke geschaltet. Es stört niemanden, es scheint, als hätten alle die Reise nur deshalb unternommen, um endlich einen Videofilm zu genießen.
Nach zwei Stunden dann die erste Unterbrechung, Rast an einer Autobahnraststätte. Alle hinaus zu den Toiletten und zum Schnellrestaurant. Essen ist obligatorisch und im Fahrpreis inbegriffen. Nix Englisch! Aber! Die Gerichte sind auf einer Tafel abgebildet und ich brauche nur auf ein Foto deuten. Den mit Stolz überreichten Dessertlöffel ignoriere ich und bediene mich der üblichen Stäbchen. Anerkennung der anderen Fahrgäste. Es schmeckt scheußlich, Kutteln mit Nudeln, aber unter den Augen der Einheimischen überwinde ich jedes Würgen. Beim nächsten Halt, zwei Stunden später, weiß ich es besser und schaue mir die Gerichte erst im Original an. Ähnlicher Erfolg! Gegrillte Knorpel mit süßem Kraut. Ein weiterer Versuch bleibt mir erspart, denn in den Bergen sind die Raststätten knapp und der Stopp gilt nur noch den „Austrittwilligen“, Frauen auf die linke Seite, Männer auf die rechte. Die Endstation war ein kleines Dorf. Als wir ankamen fuhr der Bus in die Gegenrichtung los. Ich weiß, zumindest phonetisch, wie der Ort heißt, zu dem ich will und der Taxifahrer weiß ohne mein Zutun bereits, wohin es gehen soll. Es ist ein Resort, Ausgangspunkt für Bergwanderungen. Dort stelle ich verwundert fest, keine Gäste. Damit ist genug Platz, auch für Preisverhandlungen. Die Dame an der Rezeption fragt, ob ich koreanisch übernachten will oder westlich. Ihr Mund lächelt, ihre Augen spiegeln ihre Gedanken „dieser Arsch wird jetzt sicher fragen, was der Unterschied ist!“ Darum sage ich schnell „koreanisch“. Es war ein Fehler! Der Preis war sowieso derselbe. Ich werde am nächsten Tag auf „westlich“ wechseln. Wieder ein Missgriff! Westlich ist eine durchhängende Matratze auf einem ausgeleierten Drahtgittereinsatz und koreanisch ist eine zwei Zentimeter dicke Wollunterlage die auf den beheizten Fliesen des Raumes ausgebreitet wird. Mit zunehmender Nacht sind alle vorstehende Knochen gefühlsmäßig auf das dreifache gewachsen und auch die Bauchlage ist nur mehr qualvoll zu ertragen. Aber! Keine Rückenschmerzen! Wahrscheinlich hätte ich nach zwei Wochen diese Art der Übernachtung als erholsam empfunden – ich blieb aber nur drei Tage. Darum kamen meine Knochen nicht dazu, sich an das „koreanisch“ zu gewöhnen. Ab fünf Uhr Früh war sowieso nicht mehr an Schlaf zu denken. Ankunft der Busse mit den Wanderern aus dem ganzen Land! Auf den ungefähr fünfhundert Metern im Geviert großen Parkplatz wurden generalstabsmäßig die einzelnen Gruppen mit Trillerpfeifen zu den verschiedenen Ausgangspunkten für die Wanderungen dirigiert. Mit schier schafsherdenhafter Gleichmütigkeit schubsten und drängelnden die etwa dreitausend Menschen zu den Führern, die in barschem Tonfall die Kunden verteilten. Ich war der einzig „freie“, wenn auch nicht unabhängige.
Vier Routen standen zur Auswahl, jede war unglaublich „überlaufen“ und ich entschied mich für den steilsten Aufstieg, in der vagen Hoffnung, dass dort nur die Geübten unterwegs wäen und damit wesentlich weniger Leute. Aber ich rechnete nicht mit dem Verständnis der Koreaner, dass jeder „geübt“ ist, sobald er aus dem Bus steigt. Stundenlang quälte ich mich in der Kolonne, an Ständen mit getrocknetem Fisch und Erfrischungslimonade in Plastiksäcken entlang. Und keine Chance, irgendwo auszubrechen, abzukürzen, abzuweichen. Der Weg war mit Stacheldraht zu beiden Seiten eingezäunt. So hatte ich mir eine Bergwanderung nicht vorgestellt. Endpunkt war ein tiefer Teich, in den ein Wasserfall sehr fotogen hineinspritzte. Hinter dem hüfthohen Zaun war militärisches Gelände angezeigt. Es juckte mich in diese unberührte Hochlandschaft hinein zu wandern, aber die Erinnerung an das Erlebnis zwei Tage vorher, ließ mich zurückschrecken. Ich hatte eine desolate Stacheldrahtabsperrung in der Umgebung von Seoul überstiegen und war den Hügel hinauf geklettert, vielleicht dreihundert Meter, und als ich oben über die Kante krabbelte, sah ich in den Lauf eines Gewehres und darüber in das übellaunige Gesicht eines Soldaten – warum kam mir bloß der Gedanke an einen Vietkong, das war in einem anderen Land, aber trotzdem – der mich anschrie und, ohne dass ich ihn wirklich verstehen konnte war sofort klar, umdrehen und den gleichen Weg hinunter! Ich sauste und schlitterte im Schweinsgalopp die Felsen hinunter, verfolgt von den Feldstecheraugen des Landesverteidigers. Ich wollte nicht nochmals eine solche Überraschung riskieren.
Die Erfahrungen dieses Tages nutzte ich für den nächsten Tag und war schon vor dem Eintreffen der Busse unterwegs. Meine Knochen hätten ein längeres koreanisches Liegen sowieso nicht ausgehalten. Die Buden waren noch geschlossen. Als ich am Fuß einer riesigen, vielleicht fünfhundert Meter hohen Wand resignieren wollte, kam mir von unten ein etwa dreißig jähriger Koreaner nach und fordert mich auf, ihm zu folgen. Hinter einem Felsvorsprung, von vorher nicht zu sehen, begann eine stählerne Stiege, unterbrochen von Podesten, die bis zum Gipfel hinauf führte. Frei an die Felswand gedübelt, mir Geländer, ganz so, als wäre sie in einem Wohnhaus. Anstrengend, wir nickten uns gegenseitig immer wieder aufmunternd zu. Oben ein kleines Plateau, fünf auf sieben Meter. Mein Begleiter begann sofort einen Stand aufzubauen, aus Teilen , die er hinter Felsen festgezurrt hatte. Es war eine Werkstatt, um in Münzen das Datum und den Ort einzuschlagen, zur Erinnerung an die Bewältigung des Gipfels. Die Geldmünzen mussten die Kunden selbst geben. Aber vielleicht konnte man die auch vom Meister bekommen. Jedenfalls musste er oben sein, bevor die ersten Gäste kamen und bleiben, bis die letzten gingen.
Bei meinem Abstieg wurde der Betrieb, je weiter ich hinunter kam, immer toller. Ausgestopfte Leoparden als Fotokulisse, fliegende Händler mit Getränken und Snacks und picknickende Gruppen am Bach. Der wurde zunehmend zur Kloake, warum die Leute dort saßen war unverständlich. Ebenso, warum jeder alles, was er nicht mehr brauchte, einfach hineinwarf.
Die Rückfahrt war ähnlich wie die Hinfahrt. Nur – bei der Taxifahrt zum Bus erwischte uns ein Polizist mit einer Laserpistole. Zu schnell! Der Fahrer argumentierte mit dem Lizenzräuber und deutete auf mich. Es war klar! „Dieser blöde Westler hat es eilig, wie eben alle von ihnen – weißt eh! – ich musste schneller fahren. Ich kann nix dafür! Es ist seine schuld!“ Jedenfalls ließ uns der Haberer weiterfahren, mit einem entsprechenden Blick auf mich.
Nach dem ersten Zwischenstop des Busses gab mir eine junge frisch verheiratete Frau im traditionellen Hochzeitskleid eine Packung getrockneten Fisch, diesen für uns stinkenden und ungenießbaren Leckerbissen, der aber für von den Koreanern hoch geschätzt wird. Der Angetraute saß mit mürrischem Gesicht daneben. Ich konnte mir darauf keinen Reim machen und fragte eine interessiert guckende ältere Dame, was ich davon halten solle. Sie kramte ihr Englisch zusammen und meinte mit breitem Grinsen „she love you!“. „Aber sie ist doch frisch verheiratet! Und ihr Mann sitz neben ihr!!“ Und die Dame „das macht nichts! Korean woman very strong!” Nun, ich nicht! Ich machte mich ganz klein und verschwand in der Polsterritze.
 
Hi habibi,

nuanciert und stimmungsvoll die Reisebeschreibung. Es ist wohl mehr eine Szene, eine Impression, gewiss keine Erzählung in dem Sinne, dass es einen Handlungsstrang ect. gibt. Also eine Reiseschilderung. Sehr gut beobachtet und genauso gut geschrieben, finde ich. Dabei aber auch sehr stark aus Sicht des Westlers beschrieben, fast mit wertendem Unverständnis für seine Umgebung.
Viele Grüße

Monfou
 



 
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