Der Aussichtsturm
Ich hocke zusammen gekauert auf dem Männerklo des Aussichtsturmes und horche angespannt. Ist da noch ein Laut, ein Zeichen von umherlaufenden Leuten zu hören? Nein! Alles ruhig, so ruhig wie, ja wie auf einem Friedhof oder wie in einem Grab. Langsam stelle ich ein Bein nach dem anderen auf den gefliesten Boden und öffne vorsichtig die Toilettentür, spähe durch den Spalt in den Raum. Leere, kein Geräusch ist zu hören. Aus meiner Brust entrinn ein tiefer Seufzer und ich gehe in den Vorraum. Dort setze mich an die Wand gelehnt auf den Boden und öffne meinen Rucksack. In diesem sind meine Begleiter verborgen, eine Flasche Schnaps - BOLS Alter Weinbrand – und mein Tagebuch.
Beides stiere ich an und frage mich: „Warum ich, warum hat es mich erwischt?“ und wieder überkommt mich dieses flaue Gefühl. Ich nehme kaum die Tränen wahr, die einfach über die Wangen rollen und sich in den Bartstoppeln fangen. Da liegt es, mein Tagebuch, ihm vertraute ich mein Leben an. Ich greife mit eiskalten, zitternden Händen nach dem abgegriffen grauen Buch und schlage es auf.
***
21.03.00
Gegen 7:00 Uhr krümmt sich Jenny und schreit: „Peter, Peter, es geht los, meine Fruchtblase ist geplatzt!“ Jetzt nur nicht die Nerven verlieren und ruhig bleiben, sagte ich mir und gehe zu Plan A über.
1. Wehenabstände messen
2. Tascheninhalt noch einmal kontrollieren
3. Verkehrsfunk abhören
4. Auto holen
5. und ins Krankenhaus fahren
Alles läuft perfekt.
9:00 Uhr Ankunft im Krankenhaus
9:30 Uhr im Kreißsaal
Dann das gequälte Gesicht von Jenny, ihre lauten jammervollen Schreie und ich so hilflos neben ihr. Streichle sie und leide mit ihr.
14:08 Uhr wird unser Sohn Florian geboren, schiebt sein Köpfchen in die neue große Welt und schreit sich die Lunge fast aus dem Hals. Bin ich glücklich, so glücklich. Mir laufen unaufhörlich Tränen des Glücks übers Gesicht, ohne das ich es merke. Mein Herz zerspringt fast und als mir die Hebamme dieses kleine Menschlein, so blutverschmiert und schreiend in die Arme legt, da falle ich großer Kerl beinahe um. Ich setze mich und betrachte ihn voller Bewunderung.
Leider muss ich dann weg, muss Jenny und meinen Sohn allein lassen, sie brauchen Ruhe.
***
Während ich diese Zeilen lese zerreißt es mir fast das Herz und eine Träne nach der anderen tropft unaufhörlich auf das Stück Papier. Ich blättere mit zitternden Fingern weiter.
***
21.04.01
Der Kleine ist ein Jahr alt. Mit noch unsicheren Schritten läuft er mir entgegen. Ich nehme meinen Sohn auf den Arm, werfe ihn hoch und fange ihn wieder auf und er lacht hell und laut auf. Greift mit seinen Patschhänden in mein Gesicht und zerrt mich unermüdlich an den Haaren. Ich habe ihm eine Eisenbahn geschenkt. Ja, ja es ist vielleicht noch zu früh, aber er kreischt vor Freude auf, wenn der Zug seine monotonen Runden dreht.
Als Gäste sind die Großeltern gekommen und ich bin bei meinem Kind und meiner Frau abgeschrieben, darf alle bewirten und verwöhnen. Ich bin ein wenig eifersüchtig auf sie. Aber sie gehen ja wieder.
***
Ein leises Lächeln huscht mir über das Gesicht, als ich sie alle im Wohnzimmer sitzen sehe und mir einfällt, wie ich umher gerannt bin.
Und da ist er wieder! Der unaufhaltsame Druck kriecht in mir hinauf, umklammert mein Herz und wird es augenblicklich zerdrücken. Aber halt, da ist ja die Flasche. Ich greife nach ihr und nehme einen kräftigen Schluck daraus. Spüre, wie die beißende Flüssigkeit durch meine Kehle in die Speiseröhre rinnt und im Magen ankommt. Noch ein Schluck und noch einer, ja das wird mir helfen.
Ich blättere weiter.
***
15.08.01:
Urlaub Ostsee: Jenny und Florian am Strand. Er hat einen so winzigen Strohhut auf und läuft nackig umher. Kennt keine Angst vor dem Wasser und wir müssen höllisch auf ihn aufpassen. Laut kreischt er vor Begeisterung und schreit: „Papa, Papa!“
Jenny hat ihre alte Figur wieder und sieht umwerfend in ihrem neuen pinkfarbenen Bikini aus. Ihre Brust hat sich durch den Kleinen verändert und gefällt mir sehr.
***
Oh Gott, ich lass das Tagebuch sinken, bin nicht mehr fähig weiter zu lesen. Wozu auch! Mir ist es, als wäre es gestern. Es war unser schönster Urlaub überhaupt und dann?
Wieder fließt ein Schluck aus der Flasche durch meinen Rachen und verwundert stelle ich fest, es brennt nicht mehr. Ich setze die Falsche noch einmal an und schlucke, schlucke.
Ich greife abermals nach dem Tagebuch. Doch was ist das? Ich fasse ins Leere! Nach dem zweiten Versuch gebe ich es auf und lehne mich bleiern zurück. In meinen Gedanken verfolge ich die Seiten des Buches weiter.
***
Ja, dann kam doch der 27.10.01! Meine Jenny erwartete mich zu Hause mit einem so liebevoll gedeckten Tisch, Blumen standen darauf und ein Ultraschallfoto lag da. Sie leuchtet wahrlich vor Freude und erklärte stolz, dass wir ein zweites Baby bekommen werden. Im August, während des Urlaubs haben wir doch öfters das Kondom vergessen und da, ja da ist es wohl passiert.
Es folgten glückliche Monate und der Bauch von meiner Jenny wuchs. Ich spürte das Klopfen des Kindes, meines Kindes in ihr. Legte meinen Kopf auf diese große, feste Murmel und redete mit dem Ungeborenen. Und da, da bekam ich doch von ihm einen Stups. Ein irres Gefühl rieselte durch meinen Körper.
***
Heute Morgen, gegen 4:00 Uhr weckte sie mich mit ihrer ruhigen Stimme auf: „Peter, aufwachen! Unser Mädchen will nicht länger warten …“, und streichelte mir über den Kopf.
„Ja, ja, mein Schatz, nur keine Panik, ich mach das schon alles!“ hektisch sprang ich aus dem Bett.
Plan B:
1. Florian zur Nachbarin bringen.
2. Wehenabstände messen
3. Tascheninhalt noch einmal kontrollieren
4. Verkehrsfunk abhören
5. Auto holen
6. und ins Krankenhaus fahren
Doch es war anders als bei Florian, ganz anders. Jenny jammerte so entsetzlich, schrie und schrie. Immer wieder schrie sie: „Fahr schneller, hier stimmt etwas nicht, fahr!“
Und ich fuhr, fuhr wie ein Verrückter und übersah an der Kreuzung das schwarze Auto, übersah es einfach. Verdammt! Ich fuhr doch auf der Hauptstraße und ... Und sah dieses besoffene Schwein nicht. Ich sah nicht, dass er das Stoppschild überfuhr. Ich sah ihn zu spät. Ja, zu spät!
Nein, nein – und dann das! Ich stehe auf und schreie: „Nein, nicht!“ und flüstere, „bitte, bitte verzeih mir!“
Wieder spüre ich die Hände, die mich aus dem Auto zerren, spüre die Blicke der Menschen, der Helfer und der Gaffer am Unfallort.
Wie hypnotisiert verfolge ich die hektischen Rufe, Schreie und höre von ganz weit weg: „Es tut mir Leid …“.
Irgendein Polizist mit Schnurrbart fährt mich schweigend nach Hause, liefert mich in der leeren Wohnung ab. Riechst du es auch? Ihren Duft – ihr Duft ist überall. Oh Gott, was, was ist nur passiert, was? Ich renne weg.
Weg, ja ich will weg! Ich gehe zu ihr, jetzt, jetzt gleich. Schwankend laufe aus der Toilette heraus und steige die Treppe zum Aussichtsturm hinauf. Oben angekommen ist die Tür verschlossen. So ein Mist, so ein Mist aber auch. Doch Halt! Da war eine Feuerschutztür, die von Innen zu öffnen geht. Ich stolpere, hangle mich am Geländer wieder hoch und taste mich vorsichtig zurück, finde endlich die Pforte. Ich öffne sie und trete nach draußen. Die kalte stürmische Abendluft empfängt mich und ich lehne mich erschöpft an die Wand.
Krampfhaft halte ich die Flasche, meinen Begleiter, in der Hand und führe sie wieder an meinem Mund. Oh, wie gut es tut, die Benommenheit. Die winzigen Lichter da unten sehen mich so gierig an, als rufen sie nach mir: „Komm, komm zu uns!“ Und ich setze einen Fuß nach vorne.
Meine Schuhe stoßen an die Brüstung. Ich schmeiße die Flasche im hohen Bogen weg, weit weg und es dauert lange, so lange, bis ich den dumpfen Aufschlag höre. Lallend schreie ich dem Himmel entgegen: „Hilf mir, nur dieses Mal hilf mir, bitte!“ und hebe meine Hände hoch.
Plötzlich erschallt der Klingelton meines Handys! Erschrocken zucke ich zusammen und fingere mechanisch das Telefon aus meiner Hosentasche: „Ja, we is da – bütte?“
„Papa? – Papa, bist du es?“ höre ich die zarte Kinderstimme meines Sohnes rufen.
„Ja, wer son - sonst?“ lalle ich in den Hörer und bekomme ganz weiche Knie.
Unsicher sehe ich mich um und die Nebelwand in meinen Kopf zerreißt, zeigt mir die Wirklichkeit!
„Papa, will nach Hause, Papa!“ ruft mein kleiner Sohn mit Tränen erstickter Stimme in das Telefon.
„Papa, Papa!“ Florian schnäuzt laut und brüllt: „Papa, wo bist du?“
„Hier, hier bin ich!“ flüstere ich, „ich hole dich morgen, morgen bin ich bei dir, ja ganz bestimmt!“ und sinke bebend auf den kalten Boden. Nicht mehr fähig weiter zu sprechen, fällt meine Hand aufs Bein und ein erlösendes Schluchzen erfasst mich. Ich hebe mein verheultes Gesicht dem Firmament entgegen und schreie herzergreifend: „Danke!“
Und bitte, liebe Lupeleser, nicht nur gucken, still bewerten oder auch nicht, sondern schreibt mir eure Meinung und Kritik.
Schon mal Danke und bis bald
Ev
Ich hocke zusammen gekauert auf dem Männerklo des Aussichtsturmes und horche angespannt. Ist da noch ein Laut, ein Zeichen von umherlaufenden Leuten zu hören? Nein! Alles ruhig, so ruhig wie, ja wie auf einem Friedhof oder wie in einem Grab. Langsam stelle ich ein Bein nach dem anderen auf den gefliesten Boden und öffne vorsichtig die Toilettentür, spähe durch den Spalt in den Raum. Leere, kein Geräusch ist zu hören. Aus meiner Brust entrinn ein tiefer Seufzer und ich gehe in den Vorraum. Dort setze mich an die Wand gelehnt auf den Boden und öffne meinen Rucksack. In diesem sind meine Begleiter verborgen, eine Flasche Schnaps - BOLS Alter Weinbrand – und mein Tagebuch.
Beides stiere ich an und frage mich: „Warum ich, warum hat es mich erwischt?“ und wieder überkommt mich dieses flaue Gefühl. Ich nehme kaum die Tränen wahr, die einfach über die Wangen rollen und sich in den Bartstoppeln fangen. Da liegt es, mein Tagebuch, ihm vertraute ich mein Leben an. Ich greife mit eiskalten, zitternden Händen nach dem abgegriffen grauen Buch und schlage es auf.
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21.03.00
Gegen 7:00 Uhr krümmt sich Jenny und schreit: „Peter, Peter, es geht los, meine Fruchtblase ist geplatzt!“ Jetzt nur nicht die Nerven verlieren und ruhig bleiben, sagte ich mir und gehe zu Plan A über.
1. Wehenabstände messen
2. Tascheninhalt noch einmal kontrollieren
3. Verkehrsfunk abhören
4. Auto holen
5. und ins Krankenhaus fahren
Alles läuft perfekt.
9:00 Uhr Ankunft im Krankenhaus
9:30 Uhr im Kreißsaal
Dann das gequälte Gesicht von Jenny, ihre lauten jammervollen Schreie und ich so hilflos neben ihr. Streichle sie und leide mit ihr.
14:08 Uhr wird unser Sohn Florian geboren, schiebt sein Köpfchen in die neue große Welt und schreit sich die Lunge fast aus dem Hals. Bin ich glücklich, so glücklich. Mir laufen unaufhörlich Tränen des Glücks übers Gesicht, ohne das ich es merke. Mein Herz zerspringt fast und als mir die Hebamme dieses kleine Menschlein, so blutverschmiert und schreiend in die Arme legt, da falle ich großer Kerl beinahe um. Ich setze mich und betrachte ihn voller Bewunderung.
Leider muss ich dann weg, muss Jenny und meinen Sohn allein lassen, sie brauchen Ruhe.
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Während ich diese Zeilen lese zerreißt es mir fast das Herz und eine Träne nach der anderen tropft unaufhörlich auf das Stück Papier. Ich blättere mit zitternden Fingern weiter.
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21.04.01
Der Kleine ist ein Jahr alt. Mit noch unsicheren Schritten läuft er mir entgegen. Ich nehme meinen Sohn auf den Arm, werfe ihn hoch und fange ihn wieder auf und er lacht hell und laut auf. Greift mit seinen Patschhänden in mein Gesicht und zerrt mich unermüdlich an den Haaren. Ich habe ihm eine Eisenbahn geschenkt. Ja, ja es ist vielleicht noch zu früh, aber er kreischt vor Freude auf, wenn der Zug seine monotonen Runden dreht.
Als Gäste sind die Großeltern gekommen und ich bin bei meinem Kind und meiner Frau abgeschrieben, darf alle bewirten und verwöhnen. Ich bin ein wenig eifersüchtig auf sie. Aber sie gehen ja wieder.
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Ein leises Lächeln huscht mir über das Gesicht, als ich sie alle im Wohnzimmer sitzen sehe und mir einfällt, wie ich umher gerannt bin.
Und da ist er wieder! Der unaufhaltsame Druck kriecht in mir hinauf, umklammert mein Herz und wird es augenblicklich zerdrücken. Aber halt, da ist ja die Flasche. Ich greife nach ihr und nehme einen kräftigen Schluck daraus. Spüre, wie die beißende Flüssigkeit durch meine Kehle in die Speiseröhre rinnt und im Magen ankommt. Noch ein Schluck und noch einer, ja das wird mir helfen.
Ich blättere weiter.
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15.08.01:
Urlaub Ostsee: Jenny und Florian am Strand. Er hat einen so winzigen Strohhut auf und läuft nackig umher. Kennt keine Angst vor dem Wasser und wir müssen höllisch auf ihn aufpassen. Laut kreischt er vor Begeisterung und schreit: „Papa, Papa!“
Jenny hat ihre alte Figur wieder und sieht umwerfend in ihrem neuen pinkfarbenen Bikini aus. Ihre Brust hat sich durch den Kleinen verändert und gefällt mir sehr.
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Oh Gott, ich lass das Tagebuch sinken, bin nicht mehr fähig weiter zu lesen. Wozu auch! Mir ist es, als wäre es gestern. Es war unser schönster Urlaub überhaupt und dann?
Wieder fließt ein Schluck aus der Flasche durch meinen Rachen und verwundert stelle ich fest, es brennt nicht mehr. Ich setze die Falsche noch einmal an und schlucke, schlucke.
Ich greife abermals nach dem Tagebuch. Doch was ist das? Ich fasse ins Leere! Nach dem zweiten Versuch gebe ich es auf und lehne mich bleiern zurück. In meinen Gedanken verfolge ich die Seiten des Buches weiter.
***
Ja, dann kam doch der 27.10.01! Meine Jenny erwartete mich zu Hause mit einem so liebevoll gedeckten Tisch, Blumen standen darauf und ein Ultraschallfoto lag da. Sie leuchtet wahrlich vor Freude und erklärte stolz, dass wir ein zweites Baby bekommen werden. Im August, während des Urlaubs haben wir doch öfters das Kondom vergessen und da, ja da ist es wohl passiert.
Es folgten glückliche Monate und der Bauch von meiner Jenny wuchs. Ich spürte das Klopfen des Kindes, meines Kindes in ihr. Legte meinen Kopf auf diese große, feste Murmel und redete mit dem Ungeborenen. Und da, da bekam ich doch von ihm einen Stups. Ein irres Gefühl rieselte durch meinen Körper.
***
Heute Morgen, gegen 4:00 Uhr weckte sie mich mit ihrer ruhigen Stimme auf: „Peter, aufwachen! Unser Mädchen will nicht länger warten …“, und streichelte mir über den Kopf.
„Ja, ja, mein Schatz, nur keine Panik, ich mach das schon alles!“ hektisch sprang ich aus dem Bett.
Plan B:
1. Florian zur Nachbarin bringen.
2. Wehenabstände messen
3. Tascheninhalt noch einmal kontrollieren
4. Verkehrsfunk abhören
5. Auto holen
6. und ins Krankenhaus fahren
Doch es war anders als bei Florian, ganz anders. Jenny jammerte so entsetzlich, schrie und schrie. Immer wieder schrie sie: „Fahr schneller, hier stimmt etwas nicht, fahr!“
Und ich fuhr, fuhr wie ein Verrückter und übersah an der Kreuzung das schwarze Auto, übersah es einfach. Verdammt! Ich fuhr doch auf der Hauptstraße und ... Und sah dieses besoffene Schwein nicht. Ich sah nicht, dass er das Stoppschild überfuhr. Ich sah ihn zu spät. Ja, zu spät!
Nein, nein – und dann das! Ich stehe auf und schreie: „Nein, nicht!“ und flüstere, „bitte, bitte verzeih mir!“
Wieder spüre ich die Hände, die mich aus dem Auto zerren, spüre die Blicke der Menschen, der Helfer und der Gaffer am Unfallort.
Wie hypnotisiert verfolge ich die hektischen Rufe, Schreie und höre von ganz weit weg: „Es tut mir Leid …“.
Irgendein Polizist mit Schnurrbart fährt mich schweigend nach Hause, liefert mich in der leeren Wohnung ab. Riechst du es auch? Ihren Duft – ihr Duft ist überall. Oh Gott, was, was ist nur passiert, was? Ich renne weg.
Weg, ja ich will weg! Ich gehe zu ihr, jetzt, jetzt gleich. Schwankend laufe aus der Toilette heraus und steige die Treppe zum Aussichtsturm hinauf. Oben angekommen ist die Tür verschlossen. So ein Mist, so ein Mist aber auch. Doch Halt! Da war eine Feuerschutztür, die von Innen zu öffnen geht. Ich stolpere, hangle mich am Geländer wieder hoch und taste mich vorsichtig zurück, finde endlich die Pforte. Ich öffne sie und trete nach draußen. Die kalte stürmische Abendluft empfängt mich und ich lehne mich erschöpft an die Wand.
Krampfhaft halte ich die Flasche, meinen Begleiter, in der Hand und führe sie wieder an meinem Mund. Oh, wie gut es tut, die Benommenheit. Die winzigen Lichter da unten sehen mich so gierig an, als rufen sie nach mir: „Komm, komm zu uns!“ Und ich setze einen Fuß nach vorne.
Meine Schuhe stoßen an die Brüstung. Ich schmeiße die Flasche im hohen Bogen weg, weit weg und es dauert lange, so lange, bis ich den dumpfen Aufschlag höre. Lallend schreie ich dem Himmel entgegen: „Hilf mir, nur dieses Mal hilf mir, bitte!“ und hebe meine Hände hoch.
Plötzlich erschallt der Klingelton meines Handys! Erschrocken zucke ich zusammen und fingere mechanisch das Telefon aus meiner Hosentasche: „Ja, we is da – bütte?“
„Papa? – Papa, bist du es?“ höre ich die zarte Kinderstimme meines Sohnes rufen.
„Ja, wer son - sonst?“ lalle ich in den Hörer und bekomme ganz weiche Knie.
Unsicher sehe ich mich um und die Nebelwand in meinen Kopf zerreißt, zeigt mir die Wirklichkeit!
„Papa, will nach Hause, Papa!“ ruft mein kleiner Sohn mit Tränen erstickter Stimme in das Telefon.
„Papa, Papa!“ Florian schnäuzt laut und brüllt: „Papa, wo bist du?“
„Hier, hier bin ich!“ flüstere ich, „ich hole dich morgen, morgen bin ich bei dir, ja ganz bestimmt!“ und sinke bebend auf den kalten Boden. Nicht mehr fähig weiter zu sprechen, fällt meine Hand aufs Bein und ein erlösendes Schluchzen erfasst mich. Ich hebe mein verheultes Gesicht dem Firmament entgegen und schreie herzergreifend: „Danke!“
Und bitte, liebe Lupeleser, nicht nur gucken, still bewerten oder auch nicht, sondern schreibt mir eure Meinung und Kritik.
Schon mal Danke und bis bald
Ev