Der Beschluss ist unanfechtbar!

Aneirin

Mitglied
Das Gartentor stand sperrangelweit offen und die Haustür einen Spalt, als Ines von ihrem Spaziergang zurückkam. Vor dem Haus parkte ein Auto japanischer Bauart, das sie noch nie in der Straße gesehen hatte.
Ines schaute durch die Fenster rechts und links von der Tür in Küche und Arbeitszimmer. Kein Fremder hielt sich darin auf und alles stand an seinem Platz. Durch die Haustür drang kein Geräusch. Wenn sie doch einen Hund hätte, um sie zu bechützen. Auf Zehenspitzen schlich sie ins Haus. Aus dem Wohnzimmer drang leises Stimmengemurmel und der Geruch nach Zigarettenrauch.
Was erlaubten sich diese Eindringlinge? Ines vergaß ihre Furcht, riss die Tür zum Wohnzimmer auf und stürmte hinein.
»In diesem Haus wird nicht ge ...«, das Wort blieb ihr im Hals stecken.
Zwei fremde Männer schauten ihr entgegen. Der Rauchende saß zurückgelehnt in einem Sessel, gerade so als wäre er zu Hause. Der andere stand in der Mitte des Raumes und wippte auf den Fußballen vor und zurück. Er hielt eine Aktentasche in der Hand. Beide trugen sie Blousons in undefinierbaren Schattierungen von graugrün und Hosen mit akkuraten Bügelfalten, an denen man sich schneiden konnte.
»Guten Tag.« Der Raucher drückte seine Zigarette aus und erhob sich. »Sie sind Ines Lewand?«
»Ja, und wer zum Teufel sind sie?«
»Ich heiße Stern und das ist mein Kollege Auerbach. Wir sind von der BSV.« Beide zückten ein Kärtchen aus der Innentasche ihrer Blousons und hielten sie ihr hin.
Dienstausweise der Bundesbehörde für Sklavenverwaltung, Außenstelle Osterzgebirge. Der letzte Rest von Wut über das Rauchen sackte in Ines wie ein Häufchen Asche zusammen.
»Ich halte keine Sklaven in meinem Haushalt«, sagte sie und bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Ton, um nichts von der Furcht in ihrem Herzen zu verraten. Die Mitarbeiter der BSV waren nicht als Überbringer guter Nahrichten bekannt, und Ines schien es, als hätten beide bei ihrer Antwort zynisch gelächelt und sich einen beredten Blick zugeworfen.
Auerbach öffnete den Aktenkoffer, nahm aus einem Ordner einige Blätter, die das Siegel der BSV trugen und reichte sie Stern. Bevor Ines auch nur etwas sagen oder denken konnte, stand Auerbach zwischen ihr und der Wohnzimmertür. Der Weg über die Terrasse war von Stern versperrt.
Der räusperte sich. »Frau Ines Lewand, mit Beschluss der BSV vom vierten Juni zweitausendzweiundfünfzig ist für sie der Status einer Schuldsklavin festgestellt. Der Beschluss tritt mit der Verkündung – also in diesem Augenblick – in Kraft und ist unanfechtbar. Antragstellerin war die All Kreditbank AG aufgrund einer Verpfändungserklärung von Jürgen Lewand in Höhe von einer Million achthunderttausend Euro. Die Lebensarbeitskraft von Jürgen Lewand wurde auf vierhunderttausend Euro geschätzt, ihre eigene auf neunhunderttausend Euro ...«
Ines wurde schwarz vor Augen.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Sofa und Stern fächelte ihr mit dem Sklavenbeschluss Luft zu.
»Aber, aber Schätzchen. Was soll das? Es hat alles seine Richtigkeit. Sage nicht, du hast nicht gewusst, was dein Herr Papa gemacht hat.«
Stumm schüttelte Ines den Kopf. Ihr Vater war Erfinder, aber alle seine Erfindungen wollte entweder niemand haben, oder andere Leute hatten sie schon vor ihm gemacht. Er steckte ständig in Geldnöten. Als Ines vor Monaten das letzte Mal mit ihm telefonierte, hatte er ihr begeistert von seiner neuesten Erfindung erzählt, die ihn mit einem Schlag reich machen würde, er müsse nur noch das Startkapital auftreiben, um den Prototypen zu bauen. Das Geld hatte ihm offenbar die All Kreditbank AG gegeben und sich dafür Arbeitskraft verpfänden lassen.
»Aber er kann doch nicht meine ... und meine Mutter, was ist mit ihr?«
»Er kann. Paragraph vier, Absatz zwei Schuldsklaverei und Verpfändungsgesetz erlaubt die Verpfändung der Arbeitskraft von Familienmitgliedern, sofern sie dem selben Stamm angehören oder es sich um den Ehepartner handelt und die Ehe im Zeitpunkt der Verpfändung mindestens fünf Jahre besteht«, leierte Auerbach herunter und befestigte mit geschickten Bewegungen ein Funkarmband an ihrem linken Handgelenk.
»Noch ist nicht alles verloren, Kindchen. Du hast fünf Tage Zeit, den geschuldeten Betrag aufzutreiben. Dann bist du wieder frei und deine Eltern auch.« Stern ließ den Beschluss auf dem Couchtisch zurück, als sie sich verabschiedeten.

Ines riss und zerrte an dem Funkarmband. Ihre Gedanken überschlugen sich. Woher sollte sie so viel Geld nehmen? Selbst wenn sie alles einschließlich des Hauses verkaufte, würde der Betrag nicht reichen. Sie verdiente als Übersetzerin genug, um angenehm zu leben, aber nicht genug, um ein Vermögen anzuhäufen. Wie hatte ihr Vater das sich und seiner Familie nur antun können? Das Armband saß fest. Der Verschluss bewegte sich nicht einen Millimeter.
Sie rief ihre Eltern an. Der Anschluss war tot. Sie waren schon abgeholt von der BSV.
Was konnte sie nur tun, um den verdammten Sender an ihrem Handgelenk unschädlich zu machen, mit dem die Sklavenbehörde jeden ihrer Schritte überwachte? Welches Material konnten Funkwellen nicht durchdringen? Hätte sie nur in der Schule in Physik besser aufgepasst. Metall, das war es doch. Metall und Magneten blockierten Funkwellen oder lenkten sie zumindest ab.
Ines sprang von der Couch auf, suchte fieberhaft nach einem Magneten. Als Kind hatte sie ein Spiel gehabt, bei dem Fische aus einem Teich geangelt werden mussten. Das war magnetisch gewesen und musste noch irgendwo sein. Sie warf nie etwas weg. Im Keller fand Ines das Spiel. Sie riss den kleinen Magneten von der Angel und presste ihn auf das Kästchen, in dem der Sender verborgen war. Er blieb am Gehäuse haften. Sie atmete auf. Der erste Schritt war getan.
In der Küche riss sie Alufolie aus dem Schrank, umwickelte Magnet und Sender damit. Zur Sicherheit wickelte sie noch ihre ganze Hand ein. Darüber kam ein Verband, damit niemand sah, was sie gemacht hatte.

In den nächsten fünf Tagen löste Ines ihr Konto bei der Bank auf, verkaufte ihre Wertpapiere und auch alles andere, was sich schnell zu Geld machen ließ. In einem Reisebüro buchte sie einen Flug auf ihren Namen nach Kopenhagen und in einem anderen einen auf den Namen Marianne Nilson nach New York. In der Riesenstadt New York würde sie sich eine Weile verstecken können, jemanden finden, der das Armband entfernte und ihr falsche Papiere besorgte. Und dann auf die Bahamas oder in einen anderen Staat, der nicht auslieferte.

Am Flughafen Berlin Tegel gab Ines ihr Gepäck nach New York auf. Sie wählte einen Platz am Fenster. Niemand wollte ihren Ausweis sehen. Seit die Industriestaaten eine Allianz eingegangen waren, war das Reisen so viel leichter geworden. Ines wiegte sich in Sicherheit.
Stern und Auerbach traten aus der Menschenmenge auf sie zu.
»Der Funksender ist durch nichts zu überlisten. Wir wussten die ganze Zeit, wo sie waren«, sagte Stern.
Beinahe kameradschaftlich ergriffen sie ihre Oberarme.

© Aneirin, 2003
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

himmel, ist das gruselig! aber unterhaltsam. n paar kleine tippfehler: die ihm reich machen sollten, da muss es ihn heißen, einen Stadt, der nicht ausliefert, da muss es Staat heißen und dann fehlt irgendwo das v bei von.
ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

mir haben mehrere leute, die es wissen müssen, gesagt, dass man in geschichten die zahlen als worte schreibt.
ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

mir haben mehrere leute, die es wissen müssen, gesagt, dass man in geschichten die zahlen als worte schreibt.
sie riß den haken on der Angel . . .
ganz lieb grüßt
 



 
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