Der Besuch

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Bunzel

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„Die Klingel funktioniert nicht.“
„Sie muss doch funktionieren, sieh dir doch einmal das Haus an!“
„Ein schönes Haus.“
„Eben deshalb wäre es doch sehr unwahrscheinlich, wenn die Klingel nicht funktionieren würde.“
„Verstecken sie sich vielleicht vor uns?“
„Wir sind eingeladene Gäste!“
„Vielleicht haben sie nur aus Höflichkeit zugesagt...“
„Es ist doch der lange Georg, ein Freund aus alten Zeiten!“
„Das rechtfertigt noch lange nicht, dass sie uns draußen in der Kälte stehen lassen!“
„Ich sage doch, dass die Klingel nicht funktioniert!“
Ich klopfe an die Tür. Meine Frau klingelt erneut. Durch die getrübten Scheiben kann man nichts im Hausinneren erkennen, außer, dass Licht brennt. Von irgendwo ertönt auch Musik, meine ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie von den Nachbarn kommt, oder aus dem Haus selbst.
„...aber schön ist die Gegend wirklich.“, füge ich der kleinen Auseinandersetzung beiläufig bei, die wir eben hatten. Es ist kein Villenviertel, aber doch eine gehobenere Wohngegend. Alles ist sehr sauber und sehr gepflegt.
„Ja, aber leben möchte ich hier nicht“, antwortet sie, während sie erneut auf den Klingelknopf drückt, der an einer weißen, formschönen Gegensprechanlage angebracht ist, die sich rechts von der Tür befindet. „Diese Leute, die in solchen Gegenden wohnen, sind normalerweise zu sehr bedacht darauf, ihren Garten zu pflegen, um festzustellen, wie gut es ihnen eigentlich geht.“
„Darüber kannst du mit dem langen Georg sicher ein Wörtchen reden. Ich bin gespannt, was er dazu sagt.“
Es gibt schließlich einen Grund dafür, dass ich meine Freunde besuche, meine guten, alten Kameraden aus guten, alten Zeiten. Von damals, vor den wilden Jahren in der Universität, und lange, bevor ich hart zu arbeiten begann. Kontakte verlieren sich und Freundschaften lösen sich. Trotzdem möchte ich sie wieder sehen, die guten alten Gesichter!
Die Tür öffnet sich schließlich. Ein Kind öffnet. Es trägt einen Frack, Anzughose, weiße Handschuhe und eine offensichtlich von kindlichen Händen angefertigte Maske aus Pappe, bunt bemalt.
„Sie wünschen?“, fragt es, mit einstudierter Freundlichkeit.
„Den langen Georg hätte ich gerne gesehen. Wir sind zum Abendessen eingeladen.“
„Den langen Georg, also.“, stellt das Kind mit professioneller Genauigkeit fest.
„Ja, den langen Georg.“, fügt meine Frau hinzu, anscheinend irritiert, ob das Auftreten des Kindes sie verstören oder aber ihr Herz erwärmen sollte.
Das Kind holt einen Notizblock hervor, blättert eine Weile darin, und steckt ihn schließlich wieder in die Innentasche des Fracks.
„Ja, den langen Georg haben wir hier. Bitte treten Sie ein!“
Wir wechseln vielsagende Blicke, während der Junge übertrieben wirkend vor uns einher schreitet, in das Innere des großen Hauses. Moderne Einrichtung, Fußbodenheizung, wenig Schmuck. Vereinzelte, abstrakte Bilder an den Wänden. Es duftet nach gebratenem Fisch.
Wir gelangen in ein großes Zimmer, das gleichzeitig Wohnzimmer, Esszimmer und – durch das Mobiliar leicht abgetrennt – Küche, in der Georg steht, der zwei – Meter – Hüne mit den Muskeln und dem ordentlich gekämmten Haar. Er hat sich kaum verändert, es ist immer noch der Alte, denke ich mir zuerst. Nur wirkt er natürlich erwachsener, er hat einen Bartansatz und seine jugendlichen Züge sind verschwunden. Er wirkt ernster als damals.
„Georg!“, entfährt es mir noch in dem Moment, in dem ich ihn sehe.
„Da bist du ja, mein Freund!“, freut er sich, legt dem Kochlöffel beiseite, kommt auf mich zu und schließt mich in die Arme, fest, so, wie es sich gehört, zwischen alten Freunden, die sich lange nicht mehr gesehen haben.
„Und darf ich dir meine wunderschöne Frau vorstellen?“, frage ich, nachdem wir uns voneinander gelöst haben, und deute auf meine Begleiterin.
„Wow, kann ich nur sagen, wow!“, sagt Georg, und hält ihr die Hand hin, während sie zu einer Umarmung ansetzt, dann zuckt sie zurück, da sie bemerkt, dass Georg ihr doch nur die Hand geben wollte und möchte ihm die Ihre reichen, allerdings hat Georg seine Hand nun schon längst zurückgezogen und setzt zu einer Umarmung an, in der die beiden nach den Augenblicken der Unsicherheit auch landen, beide von der Peinlichkeit der Situation berührt.
„Ja.“, sagt Georg, um die Lücke zu füllen, die die seltsame Begrüßung mit sich brachte.
„Ja, dann...“, nehme ich den nicht existenten Gesprächsfaden auf, erst Georg, dann meine Frau anlächelnd.
Nach kurzer Stille findet Georg endlich die Sprache wieder: „Setzt euch doch schon einmal, gleich wird aufgetischt!“
Wir setzen uns, gleich wird aufgetischt. Ich bin mir sicher, dass die Klingel nicht funktioniert. Georg hätte uns nicht warten lassen!
„Ein hübsches Kind haben Sie!“, bemerkt meine Frau.
„Du! Bitte, sag du! Georg heiße ich, um das aus dem Weg zu räumen, wir sind doch unter Freunden!“
Er gießt etwas Wein ein. „Und es gibt immer irgendwo ein hübscheres Kind, sage ich euch.“
Ein Stück toter, gebratener Fisch landet auf meinem Teller. „Besonders als dieses.“, knirscht er durch seine Zähne, so dass wir es kaum noch hören können. Vielleicht hat meine Frau es nicht einmal gehört, ich bin mir nicht sicher. Das Kind ist mittlerweile verschwunden, ich weiß nicht wohin. Vielleicht in sein Zimmer, vielleicht muss es ins Bett, schließlich ist morgen Schule. Schade, dass ich es nicht ohne Maske zu sehen bekomme.
„Was hast du denn so gemacht, die ganzen letzten Jahre?“, frage ich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
„Tja, gearbeitet in erster Linie. Leben um zu arbeiten, weißt schon. Wir sind in Deutschland. Frau, das Kind, das Haus... das ist mein Leben.“
„Bist du zufrieden?“
Er lächelt nur und schiebt sich ein Stückchen Fisch in den Mund.
„Erinnerst du dich noch an den Karg?“, fragt er mich, ohne zu antworten.
„Doktor Karg? Schulleiter?“
„Genau, diesen Karg.’So stark seine Strenge, so karg sein Haupthaar' hast du immer gesagt.“
Meine Frau lacht. Ich runzele die Stirn. „Habe ich das?“ - nicht, dass ich mich daran erinnern kann.
„Ja, hast du! Und seine Stellvertreterin hast du nach einem Date gefragt!“
„Nein, das habe ich nicht!“, fährt es mir schneller heraus als beabsichtigt. Meine Frau blickt mich verwundert an.
„Doch doch! Über fünfzig war sie schon! Auch wenn sie sich gut gehalten hat, verstanden hat niemand so richtig, was du damit bezweckt hast!“
„Georg, du musst mich verwechseln!“.
Ich bemerke, wie ich rot werde. Das kann nicht sein. Warum würde er mir nach all den Jahren so eine Geschichte vorhalten, die gar nicht stimmt, und das auch noch vor den Augen meiner Frau?
„Nein nein, dich könnte ich nicht unter Tausenden verwechseln!“.
Meine Frau muss niesen. Sie hat wohl etwas Pfeffer in die Nase bekommen, oder ihre Hausstauballergie hat wieder zugeschlagen. In dem Moment, in dem sie sich abwendet, zwinkert Georg mir schelmisch zu.
Was will er denn? Ich kann nur mit einem fragenden Blick antworten. Er hebt zweimal kurz die rechte Augenbraue, dann wünscht er meiner Frau Gesundheit, gerade, als sie sich wieder dem Esstisch zuwendet.
„Vielen Dank, ich hoffe es hilft.“, bedankt sie sich mit einem Lächeln. „Was macht deine Frau? Warum ist sie denn nicht hier?“
„Sie hat heute Abend einige Angelegenheiten zu erledigen, sie bittet um Entschuldigung.“, antwortet er knapp. „Schmeckt das Essen denn?“, fährt er gleich fort, wohl um erneut von dem angesprochenen Thema abzulenken.
Warum tut er das? Während meine Frau ihm bestätigt, wie toll seine Kochkünste seien, blicke ich angeekelt auf meinen Teller. Ich habe den Appetit verloren. Was ist denn los mit dem langen Georg? Ich dachte, wir könnten normal und ungezwungen über alte Zeiten reden, doch wir scheinen nicht über seltsames Geschwafel hinwegzukommen! Und was sollte dieses Zwinkern? Und diese ausgedachten Geschichten? War das ein Spiel? Wenn ich die Stellvertreterin des Schulleiters wirklich um ein Date gefragt hätte, wäre das doch lustig gewesen, aber das habe ich doch nicht, wozu bringt er ich also in Verlegenheit?
Nach dem Weinglas greifend, beginne ich wieder dem Gespräch zu folgen, das sich wohl immer noch um das Kochen dreht. Meine Frau kocht lieber mit Reis, der lange Georg am liebsten mit Hirse. Interessant.
„Ich koche auch gerne!“, schalte ich mich spontan in das Gespräch ein.
Beide wenden mir überrascht den Kopf zu.
„Schön!“, sagt Georg in einer so abschließenden Art und Weise, dass sich gleich darauf Stille über den Esstisch legt. Während der Pause beginnt er weiter zu essen, während meine Frau mir verwundert den Kopf zuwendet. 'Warum unterbrichst du uns?', will sie wohl sagen, nach so langer Zeit verstehe ich das schon, nonverbale Kommunikation und so. 'Ich wollte mitreden!', antworte ich durch subtile Bewegung ausgewählter Gesichtsmuskeln. Als sie sich wieder ihrem Teller zuwendet, deute ich das, als ob sie mich verstanden hätte. Sicher bin ich mir da aber nicht.
„Was gab es denn noch für Storys, in den guten alten Zeiten...“, versuche ich das Gespräch wieder in Gang zu bringen, während Georg meiner Frau Wein nach schenkt, schon das zweite Mal.
„Ach noch ein paar Geschichten soll ich auspacken?“, fragt Georg belustigt. Wir haben doch so viel getrieben, meine Freunde und ich, aber gerade jetzt, wo ich mit dem langem Georg am Esstisch sitze, fallen sie mir nicht mehr ein. Also doch, einige, die Sache mit dem Klingelton, die verschwundene Lehrertasche, der festgeklebte Stuhl und der oxidierende Apfel, aber bei keiner von diesen war Georg beteiligt, geschweige denn anwesend, und das beginnt mich zu verwirren.
„Der Bananenhandschuh!“, fährt er nun ungebändigt fort.
Meine Frau prustet neben mir los. So ist sie normalerweise nicht, sie hat nur zu viel getrunken, so viel verträgt sie nicht. „Wer oder was ist ein Bananenhandschuh?“, fragt sie lachend und leert das Glas.
Ich setze den ahnungslosesten Blick auf, den ich beherrsche. „Ja, Georg, was ist dieser Bananenhandschuh? Wieder eine Geschichte, an die ich mich nicht erinnere?“
Kurz schweigt Georg und blickt mir in die Augen.
Meine Frau kichert noch einmal kurz, dann schweigt auch sie.
„Du erinnerst dich nicht an den Bananenhandschuh?“, fragt er nun todernst, kritisch drein blickend, während er vereinzelte Reiskörner auf seinem Teller zusammenkratzt. „Warum erinnerst du dich nicht? Was soll das, erinnerst du dich überhaupt an irgendetwas?“, nahezu ärgerlich wirkt er nun. Er nimmt seine Serviette, wischt sich kurz über den Mund, knüllt sie dann zusammen und wirft sie ärgerlich auf seinen Teller.
„Komm schon, der verdammte Bananenhandschuh! Wie kann das sein, dass du hier her kommst und dich nicht an die besten Geschichten unserer Kindheit erinnerst? Was hast du bitte die ganzen letzten Jahre gemacht? Daran gearbeitet deine eigenen Erinnerungen zu löschen? Geradezu ankotzen tut mich so was. Scheißdreck!“
Er schlägt mit der Faust auf den Tisch, vielleicht ein bisschen stärker als beabsichtigt, aber es wirkt bedrohlich.
Was geschieht hier? Wer ist dieser Mann vor mir, warum ist er so seltsam, so ernst, und dem guten alten langen Georg so unähnlich? Meine Frau greift unter dem Tisch nach meiner Hand, auch ihr trunkenes Hirn hat den Stimmungswechsel registriert.
Georg blickt mir nach wie vor intensiv in die Augen, und ich kann seinem Blick nicht mehr lange standhalten. Als ich den Augenkontakt schließlich beende verschränkt er die Arme vor der Brust und blickt voller Wut auf den gedeckten Esstisch.
„Was...“, wage ich die erneut unangenehm aufkommende Stille zu unterbrechen, doch spricht meine Stimme nicht recht an, weswegen ich den Satz erneut beginnen muss, „Was ist denn dieser... Bananenhandschuh?“
Er schließt kurz die Augen, schürzt die Lippen, streicht sich durch das Haar und stemmt dann die Hände in die Seiten.
„Der Bananenhandschuh...“, möchte er mit zitternder Stimme beginnen, scheitert aber, den Satz zu beenden, da er sich einem Lachanfall ungekannten Ausmaßes hingibt. Er keucht, kann kaum noch Atmen, hält sich den Bauch, so muss er lachen. Er jauchzt, grunzt, fällt fast vom Stuhl, was so grotesk aussieht, dass selbst meine Frau beginnt zu lachen.
„Der Bananenhandschuh...“, gelingt es mir nun endlich wieder zwischen den andauernden Lachern zu vernehmen, „Es gibt keinen verdammten Bananenhandschuh.“
Wie, das war alles nur ein Scherz?
Meine Frau scheint das durchaus lustig zu finden, sie lässt meine Hand los und muss sich ebenfalls den Bauch halten, beide stecken sich mit ihrem Lachen gegenseitig an. Meine Frau klingt immer ein wenig wie eine keuchende Seerobbe, Menschen, die das nicht gewohnt sind, finden das zumeist erheiternd.
Ich lache nicht. Was bezweckt Georg denn damit, frage ich mich. Und je mehr das Lachen der anderen beiden nachlässt, desto mehr gerate ich in Rage. Warum dieses Spiel? Bekommen wir an diesem Abend denn kein bisschen normale Kommunikation zu Stande? Was soll dieses Benehmen? Als Georg und meine Frau endlich zur Ruhe gekommen sind, meine Frau wieder auf ihr Glas deutet und ihr sogleich nachgeschenkt wird, verliere ich dir Geduld und schlage nun meinerseits auf den Tisch.
Georg verschüttet etwas Wein, meine Frau zuckt zusammen, beide wenden sich mir verwundert zu.
„Was sollen die Psychospielchen, Georg? Bist du hängengeblieben, im Kopf? Können wir nicht einfach über alte Zeiten reden, oder musst du hier so ein seltsames Benehmen an den Tag legen, nur um dich irgendwie selbst darzustellen? So warst du doch früher nicht!“
Die Stille, die auf meinen Ausbruch folgt, legt sich wie ein schweres Tuch über den Raum. Meine Frau scheint nicht recht zu wissen, was sie von der Situation halten soll, Georg blickt erst verlegen auf den Boden, dann blickt er mir erneut in die Augen, bis er schließlich kurz mit den Zeigefingern auf den Tisch trommelt und geschäftig beginnt, unsere Teller zusammenzustellen.
„Jemand Kaffee?“, fragt er, eiskalt, ohne weiteren Bezug auf meinen Ausbruch zu nehmen.
Frechheit, nicht einmal eine klare Reaktion kann er zeigen! Genauso eiskalt, wie er mich ignoriert, greife ich nach dem edlen Weinglas, das leer neben meinem Teller steht und werfe es gegen die Wand, wo es klirrend in seine Einzelteile zerbirst.
„Nein Danke, aber gegen ein weiteres Schlückchen Wein hätte ich nichts...“, beginnt meine Frau einerseits mit einer gewissen Bestürzung, die ihrer Stimme einen Unterton beimischt, den wohl nur ich ausmachen kann, andererseits aber mit der schwerfälligen Sprache einer angetrunkenen Frau mittleren Alters, die sich um die diplomatische Entschärfung einer heiklen Situation bemüht. Zu lösen gibt es hier aber meines Erachtens nichts, gar nichts!
Als Georg ihr ernsthaft erneut nachschenken möchte, landet auch ihr Glas an der Wand.
Beide blicken mich entnervt an.
„Möchtest du uns nicht bitten zu gehen, Georg?“
„Es steht euch grundsätzlich frei zu gehen. Ich habe allerdings auch Betten bereitet, für den Fall, dass ihr hier schlafen möchtet.“
„Aha! Schlafen also! Um uns im Schlaf zu erdolchen, oder uns Bananenhandschuhe überzustülpen, ohne, dass wir es bemerken!“
„Was zur Hölle ist ein Bananenhandschuh?“, fragt Georg nun mit ironischer Verwunderung. Meine Frau beginnt prustend zu lachen, und als sie versucht, es sich zu verkneifen, klingt sie wieder wie eine keuchende Seerobbe. „Eben, was ist ein Bananenhandschuh eigentlich?“, quält sie sich zwischen ihren Lachern heraus, mich zur Weißglut treibend.
Georgs Weinglas landet ebenfalls an der Wand, die ordentlich aufeinandergestapelten Keramikteller auf dem gepflegten Parkettboden. Dann geleite ich meine immer noch kichernde Frau am Arm mit einer gewissen Bestimmtheit zur Tür, die ich aufreiße und drei Mal hintereinander kräftig auf die Klingel drücke. Und die Klingel funktioniert doch. Er hat uns draußen warten lassen, der Mistkerl!
„Danke für den Besuch, meine Freunde!“, höre ich Georg hinter mir her rufen, während ich meine Frau zum Auto ziehe. Als ich mich umdrehe, um ihm den Mittelfinger zu zeigen, sehe ich, wie das unheimliche Kind mit der Maske und dem Frack neben ihm steht und uns ebenfalls hinterherwinkt.
Bald sind wir auf der Autobahn und meine Frau schläft ein. Es ist eine gute Stunde bis nach Hause.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Bunzel,

gut gefällt mir, dass die Geschichte direkt vor der Tür losgeht. Man ist direkt im Geschehen. Dass Du viel wörtliche Rede einsetzt und sogar der Ich-Erzähler auch noch einer der Prots ist, schafft zusätzlich eine Nähe vom Geschehen zum Leser.

Es schwächelt aber bei den Dialogen. Stell Dir vor, Du bist eingeladen, und man lässt Dich vor der Tür stehen. Würdest Du so eloquent und ausschweifend mit Deinem Partner rekapitulieren?

Beispiel:

„Darüber kannst du mit dem langen Georg sicher ein Wörtchen reden. Ich bin gespannt, was er dazu sagt.“
Es gibt schließlich einen Grund dafür, dass ich meine Freunde besuche, meine guten, alten Kameraden aus guten, alten Zeiten. Von damals, vor den wilden Jahren in der Universität, und lange, bevor ich hart zu arbeiten begann. Kontakte verlieren sich und Freundschaften lösen sich. Trotzdem möchte ich sie wieder sehen, die guten alten Gesichter!
Klar, Du willst hier nötigen Hintergrund einpflegen, um dem Leser ein besseres Bild zu geben. Aber durch diese Rückblenden wirken manche Dialoge ziemlich gestelzt und aufgesetzt.

Mein Tipp:
Lass den Ich-Erzähler diese Rückblenden still denken, statt sie laut auszusprechen. Das machst Du später im Text ja auch.

Viel besser:

„Georg!“, entfährt es mir noch in dem Moment, in dem ich ihn sehe.
„Da bist du ja, mein Freund!“, freut er sich, legt dem Kochlöffel beiseite, kommt auf mich zu und schließt mich in die Arme, fest, so, wie es sich gehört, zwischen alten Freunden, die sich lange nicht mehr gesehen haben.
„Und darf ich dir meine wunderschöne Frau vorstellen?“, frage ich, nachdem wir uns voneinander gelöst haben, und deute auf meine Begleiterin.
„Wow, kann ich nur sagen, wow!“, sagt Georg, und hält ihr die Hand hin,
Hier sind Deine Figuren bei der Sache, die wörtliche Rede dient nur der Beschreibung der gegenwärtigen Handlung. Nur dafür setzte ich sie hier ein. ;)

Siehst Du den Unterscheid?

Ein Stück toter, gebratener Fisch landet auf meinem Teller.
Hm, hast Du schonmal gebratenen Fisch gegessen, der noch lebte? Sicher, man kann sie lebend in die Pfanne werfen, den Deckel draufsetzen, damit sie nicht raushüpfen, aber die Hitze bekommt ihnen eher nicht so gut. :D

Während meine Frau ihm bestätigt, wie toll seine Kochkünste seien, blicke ich angeekelt auf meinen Teller.
Der Abend mag ihm auf den Magen geschlagen sein, aber Ekel ist hier ein unpassende Beschreibung seines Innenlebens. Er ekelt sich nicht, das ist viel zu krass.

Zum Plot:

Das Ende lässt mich ein wenig in der Luft hängen. Ich meine nicht, dass ich eine Auflösung bräuchte ala Krimi, aber ich verstehe Georgs Verhalten nicht im Ansatz. Das wirkt unbefriedigend. Ich wünschte mir einen kleinen Hinweis.

Falls es Dir nur darum ging, das Entfremden ehemals bester Freunde zu zeigen, so wäre mir hier zuviel Distanz zwischen Deinem Ich-Prot und Georg. Das seltsame Verhalten müsste auch hier nachvollziehbarer gestaltet sein.

Ich dachte erst, unter der Maske des Kindes käme das Gesicht des Georgs zum Vorschein, als er Kind war. Das wäre ein Finale! ... ;)

Kein schlecher Text, gute Beobachtungen des Zwischenmenschlichen. Hie und da etwas zu gestelzte Sprache. Durch das offene Ende eher Kurzgeschichte, denn Erzählung, aber das nur am Rande.

lg
 



 
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