Der Besuch

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Der Besuch

Die Uniform war tadellos. Das war mir als erstes aufgefallen. Das Gesicht des Mannes war wie seine Uniform. Sauber, streng, scharf geschnitten, ausdruckslos. Die anderen trugen Tarnanzüge. Sie waren voll feinem, weißen Kalkstaub. Es waren junge Soldaten. Ich saß auf meinem Stuhl in meinem Haus. Meine Frau blickte in einen Gewehrlauf. Lächelnd winkte der Soldat mit dem Gewehr. Zwei hielten mich fest.
Die Stimme war sanft. Fast freundlich. „Sie wollen doch ordentlich aussehen, wenn sie kommen?“ Ich wusste, dass es keine Frage war, als ich das Rasiermesser sah. Zwei hielten mich fest. Der dritte lächelte und setzte das Messer an. Ich dachte daran, wie sanft meine Frau rasierte. Lächelnd winkte der Soldat mit dem Gewehr.
Die Augen waren scharf. Gefährlich scharf. Ich starrte nur auf den Soldat mit dem Gewehr. „Vergessen Sie Ihren Sohn. Sie sind ein Freund der Regierung.“ Der Mann blickte aus dem Fenster. Er stand mit dem Rücken zu mir. Das Messer war verschwunden. Zwei hielten mich fest. Wärme lief über meinen Hals. „Nicht wahr?“ Eine Faust traf mein Gesicht. „Sie sind doch ein Freund der Regierung.“ Ich schlug die Augen nieder. Meine Frau starrte gebannt auf die Gewehrmündung.
Die Worte waren einfach. „Auch für Völker gibt es ein Alter, in dem sie mündig werden: Dieses hat dieses Alter noch nicht erreicht.“ Er stand noch immer am Fenster. „Also sind Sie ein Freund der Regierung, Herr Bonzo. Das ist die Antwort auf alle Fragen.“ Zwei zerrten mich vom Stuhl hoch. „Alle sollen erfahren, wie gut Sie über diese Regierung denken.“ Irgendetwas fuhr mir scharf, schnell und schneidend in den Rücken. Ich schrie.
Seinen Blick werde ich nicht vergessen. „Darf ich Ihnen etwas zeigen?“ Zwei zerrten mich zum Fenster. Draußen standen Soldaten. Zwei hielten einen Mann, der gefesselt zwischen ihnen hing. Blutige Spuren auf seinem Kopf. Ein brutales Rasiermesser. „Dummer Junge.“ Der Mann in der Uniform klopfte ans Fenster. „Dumm, faul, taugt zu nichts. Vergessen Sie nie, Herr Bonzo, Sie haben keinen Sohn.“ Ein Schlag traf mich. Ich stürzte und schlug auf eine Kante. Schmerz raste durch meinen Kiefer.
Der Mann war kalt. „Sie sind ein Freund der Regierung. Sie wollen doch ordentlich aussehen, wenn sie kommen? Sie kleiden sich tadellos.“ Das war sein einziger Befehl. Danach ging er. Ein Soldat drückte meiner Frau ein Bündel in den Arm. Meine Finger tasteten über den Boden. Da war etwas kleines, hartes, das noch ein wenig feucht war. Der Soldat mit dem Gewehr lächelte und winkte.
In meiner Hand lag ein abgesplitterter Zahn.

Eine Woche später bekamen wir Besuch. Es waren Menschen aus anderen Ländern. Sie sprachen mit uns und fotografierten. Ich war tadellos gekleidet. Ich erzählte ihnen, dass ich keinen Sohn habe und dass ich ein Freund der Regierung bin.
Als niemand es sah, schenkte ich einem von ihnen den Zahn.
 

axel

Mitglied
Hallo Ann-Kathrin.
Ich bin echt beeindruckt.
Du hast mit relativ wenigen Sätzen trotzdem sehr viel erzählt. Ich hatte die Szenerie sehr lebendig vor Augen, obwohl du über eine mir (zum Glück) sehr fremde Situation geschrieben hast.
Schöne Grüße,
axel
 



 
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