Der Brunnen

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nemo

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Er saß auf einem alten, von der Witterung gezeichneten Plastikstuhl und spähte durch den trüben Nebel, der sich wie ein Leichentuch über den Hof gelegt hatte.
Auf seinem Schoß lag ein rostiges Jagdgewehr, an dessen Schaft sich seine zitternde Hand festkrallte, wie ein ängstliches Kind am Rocksaum seiner Mutter.
Durch die feuchte Kälte wurden seine arthritischen Gelenke steif und schmerzten bei der kleinsten Bewegung. In seinem zerfurchten Gesicht waren die Augenhöhlen zu dunklen Kratern geworden, aus denen zwei, trotz seines hohen Alters, erstaunlich lebendige Augen auf den Brunnen starrten, dessen Umrisse sich im opaken Dunst abzeichneten.
Der alte Mann wusste, dass sie heute Nacht kommen würden um ihn zu holen, so wie sie in der Nacht zuvor seine Frau geholt hatten. Er war inzwischen so angespannt, dass sogar die Schmerzen in seinen Knochen, zu einem Hintergrundrauschen verblassten. All seine Konzentration galt dem finsteren Schlund des Brunnens, aus dem er sie erwartete. Aber diesmal würden sie ihn nicht überraschen.
Vorsichtig strich seine knochige Hand über den Abzug des Gewehrs. Vielleicht würden sie ihn kriegen, aber er würde sich zu wehren versuchen und so viele von ihnen wie möglich zurück in die Hölle schicken. Ohne dabei den Blick abzuwenden, spie er einen klebrigen Klumpen Kautabak auf den Boden. Ein kühler Wind zog auf und riss die Nebelschwaden wirbelnd auseinander. Plötzlich legte sich eine unnatürliche Stille über dem Gehöft und einzig das kratzige Atmen des alten Mannes war noch zu hören.
Für einige Sekunden schien die Zeit still zu stehen und dann, ganz langsam und behäbig, stieg ein schattenhaftes Wesen aus dem Brunnen. Es war von humanoider Gestalt doch unförmig wie eine unvollendete Tonfigur, dürr und mit einer grünlich schimmernden Haut, auf der sich ihre Knochen klar abzeichneten. Augen, so groß wie Untertassen und so schwarz, wie die Sutane eines Priesters, fixierten den alten Mann. Dieser war inzwischen aus seiner Starre erwacht und riss das Gewehr nach oben. Ein Knall hallte durch die Nacht und das Wesen, dass sich gerade in Bewegung gesetzt hatte, fiel um. Der alte Mann lächelte und lud seine Waffe nach. Doch als er gerade wieder das Gewehr hob, erfror sein Lächeln, als er sah, dass die todgeglaubte Kreatur aufzustehen begann. Er schoss erneut, doch das Wesen zuckte nur kurz zusammen und richtete sich weiter auf. Der alte Mann schluckte schwer und kramte hektisch in seiner Jackentasche nach Munition. Aber auch der nächste Schuss konnte das Geschöpf nicht aufhalten; es wankte und schlürfte weiter in die Richtung des alten Mannes. Er lud erneut nach, doch inzwischen waren weitere Wesen aus dem Brunnen geklettert und es wurden immer mehr.Der alte Mann ließ seine Waffe sinken. Die Schmerzen seiner Arthritis drängten sich zurück in sein Bewusstsein und er fühlte sich auf einmal sehr müde.
Als er sich den Lauf des Gewehrs in den Mund steckte, biss sich der faulige Gestank alten Fischs in seine Nase. Etwas feuchtes und kaltes berührte ihn am Hals.
Doch die Angst des alten Mannes war gewichen, wie der Schnee dem Frühling weicht.
Bald würde er seine Frau wiedersehen und die Schmerzen würden verschwinden, für immer.
 
Hi Nemo,
die Idee, die du vorgezeichnet hast, finde ich recht ansprechend. Geschichten über Menschen, die an einer bestimmten Stelle auf das Unvermeidliche warten, schreibe ich selbst gern. Es ist das Unvermeidliche, was mich daran reizt.
Aber wie gesagt, du hast die Geschichte nur vorgezeichnet. Eigentlich hast du auch nur den Schluss geschrieben. Die Vorgeschichte, die eigentlich erst die Spannung bringt, fehlt sehr schmerzhaft. Der alte Mann scheint mir ein Gemüt zu haben, das ihn schon vorher auf das Unvermeidliche wartend macht.
Den Text, den du geschrieben hast, fängt erst recht angenehm an. Dann kommt da dieser Geist aus dem Brunnen - dann geht plötzlich der Spannungsfaden irgendwie verloren.

Ich meine, alleine dieser Satz ist absolut schrecklich:
"Ein Knall hallte durch die Nacht und das Wesen, dass sich gerade in Bewegung gesetzt hatte, fiel um."

So ein Wesen aus einer anderen Welt, das FÄLLT doch nicht einfach UM.
Nehmen wir mal an, es wäre ein Geist, dann wäre er nur in bestimmtem Maße körperlich. Trüge der alte Mann also eine alte verrostete(mhm, verrostet? Dann müßtest du alles ganz anders schreiben-Frage, ob die Waffe überhaupt noch einen Schuss abgibt) Schrotflinte, dann könnte der Luftzug der Geschosse vielleicht den Körper des Geistest druckwellenmäßen nach hinten taumeln lassen.

Das Nachladen könntest du viel spannender gestalten. Wie der alte Mann zurück geht, wie er immer wieder aufschaut, wie er mal eine Patrone fallen läßt, wie er sich danach bücken will, wie er ängstlich aufschaut, wie er in die Taschen seiner alte Kordjacke greift, wie er verzweifelt versucht eine Patrone zu umklammern.
Wie er im letzten Moment nachläd - BAAAM!
Wieder wird die Kreatur durch den Luftdruck um einige Meter zurückgeworfen!

Am Ende fehlt dir einfach die Vorgeschichte. OK, er erschießt sich. Aber warum hat er das nicht schon vorher getan? Ich meine, er weiß doch von Anfang an, was da aus dem Brunnen kommt.
NEIN, er darf sich zum Schluss nicht erschießen. Aus welchem Grund kommen denn die Kreaturen aus dem Brunnen?
Geister erfüllen meistens eine Rachefunktion. Und der alte Mann hat irgendetwas damit zu tun.
Was?

Nemo, mir fehlt an der Geschichte noch einiges. Eine Geschichte, die so kurz ist, ist gefährlich, weil man an ihr meistens viel länger arbeiten muß, als an einer längeren.

Hoffe, meine Kritik geht dir nicht an die Galle.
Gruss Marcus
 

Renee Hawk

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Hallo Nemo,

"Er war inzwischen so angespannt, dass sogar die Schmerzen in seinen Knochen, zu einem tinitusartigen Hintergrundrauschen verblassten."
Dieser Vergleich ist etwas verschroben. Ich weiß was du sagen willst, das der Schmerz in den Gelenken durch die Anstrengung des Alten beinahe verblast sind und/oder temporär eine Symbiose mit dem Körper des Alten einging und er so diesen unsagbaren stechenden Schmerz nicht spürte.
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, kann ich dir sagen, dass das Dauerpiepen im Ohr mit dem Schmerz der Arthrose nicht zuvergleichen ist. Wobei aber der Dauerton durch Konstentration soweit gedämmt werden kann, das man ihn kaum noch registriert. Aber der Tinitus ist ein pyschischer Schmerz der 24H am Tag gegenwärtig ist, und der Arthroseschmerz kann durch Medikamente gelindert werden, und/oder tritt nur temporär auf - man ist zeitweise komplett schmerzfrei.

"... biss sich der faulige [strike]Gestalt[/strike] [red]Geruch oder Gestank[/red] alten Fischs in..."

"Doch die Angst des alten Mannes war gewichen, wie der Schnee dem Frühling weicht."
Ostern ist im Frühling und da gibt es oftmals noch Schneefall. Was hältst du von der Sonne oder dem Sommer?

Ich mag die kleine Geschichte, habe sie gern gelesen und dachte beim Titel an "The Ring" und vermute da deine Inspiration.

liebe Grüße
Reneè
 

nemo

Mitglied
@ Marcus

Ich bin dankbar für jeden Verbesserungsvorschlag und keinesfalls Böse, wenn die Kritik
nicht allzu Positiv entfällt.

Ich wollte eigentlich nicht zuviel über die Herkunft der Wesen oder den Geschehnissen der Vornacht verraten, damit der Leser sich selber ein Bild machen kann.
Ich verstehe allerdings deinen Vorwand nicht, was das Umfallen des Wesens angeht.
Ich wollte damit nur einen kleinen Hoffnungsschimmer einbauen, der kurz darauf erlischt.
Es handelt sich bei dem Wesen ja nicht um ein Geist, sondern um ein Materielles Geschöpf.

@ Renee

Ich hatte selber schon mal das unangenehme Erlebnis, eines Hörsturzes mit anschließendem Tinitus. Tagsüber nahm ich dieses Pfeifen aber nicht wahr, weil die „normale“ Geräuschkulisse lauter war, und so stelle ich mir diesen arthritischen Schmerz vor.
Ich werde es aber trotzdem entfernen, da der Vergleich etwas an den Haaren herbeigezogen scheint.

Danke nochmals

Nemo
 
Nemo,
ich hatte das mit dem Geist wahrscheinlich aus seinem "schattenhaften" Wesen geschlussfolgert.
Mit mir ist mal wieder die Phantasie durchgegangen. In dem Punkt hast du also eine produktive Geschichte geschrieben.
Trotzdem komm ich mit dem - und fiel um - nicht klar(nehms mal als Aufmacher für diverse andere Textstellen). Das liegt wahrscheinlich nur an meinem eigenen Geschmack. Aber ich finde, dieser "eigenen Geschmack" ist immer ein wertvoller Indikator für eine Bewertung. Man sollte sich dann drauf verlassen, daß er einen nicht in die Irre führt.

Auf weiteres, geschmacklich Bewertbares von dir.
Gruss
Marcus

PS: ,daß du mit dem Umfallen einen Hoffnungsschimmer aufbauen wolltest, war schon klar. Ich hätte mir halt nur ein wenig mehr "Bild" gewünscht. Du weißt schon, wo man bei zuschauen kann.
 
Hi Nemo,
hab mich ein wenig über deine Geschichte unterhalten und dabei ein wenig über die Wenn´s nachgedacht.
Ohne näher auf eine etwaige Vorgeschichte einzugehen - wie wäre es zb. wenn der alte Mann zwei, drei mal auf das Wesen feuert, es kurz vor seinen Füssen zusammenbricht, den Arm wie bittend erhebt und sagt - "Vater"
Ich meine, die Idee ist ziemlich platt. Aber es würde ganz gut passen, daß der alte Mann sich danach selbst erschießt.
Ob er es nun vorher wußte, kann man offen lassen oder beschreiben. Jedenfalls kann ich mir die beiden alten Leute ganz gut vorstellen, wie sie abends teilnahmslos am Abendbrotstisch sitzen und immer zwei Leberwurstschnittchen mehr schmieren und keiner weiß genau, warum.

Ok, bis dann
Marcus
 



 
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