Der Bullerlux 10

DREI

In den nächsten Tagen besuchte der Nachtling die Kinder nicht. Gerda und Bruno lauschten überall nach seinem Klingeln, warteten jeden Abend bis spät, doch er ließ sich nicht blicken.
Und dann kamen Oma und Opa schon am Freitagvormittag an – viel früher, als gedacht. Oma hatte zu Hause noch einen Kürbisauflauf vorbereitet. Während er im Ofen buk, ließen die beiden sich durch das Haus führen und Papa erklärte, wo die Kinderzimmer entstehen sollten.
„Wenn ich für Astrid den Dachboden ausbauen kann, wäre hier sogar noch Platz für ein Gästezimmer. Dann müssen wir nicht ins Wohnzimmer umziehen, wenn ihr ein paar Tage bleibt.“
„Nimm dir nur nicht zu viel vor, Junge“, mahnte Oma. „Außerdem können wir auch auf dem Sofa schlafen, dann habt ihr weniger Aufwand.“
„Ach, für euch machen wir das doch gerne.“
„Das möchte auch sein“, erwiderte Oma keck und zwinkerte den Kindern zu. „Nun zeigt mir mal euer Zimmer. Vertragt ihr euch denn auch?“
„Es geht schon oder?“, sagte Bruno und sah zu seinen Schwestern hinüber. Astrid zuckte mit den Schultern, grinste aber schief und nickte. Gerda sprudelte wie immer wild drauflos: „Ich finde es toll mit uns allen! Außerdem darf ich im Stockbett oben schlafen, guck!“
„Oh“, staunte Opa und sah sich in dem Zimmer um. „Und Bruno schläft in der Höhle? Sehr gemütlich.“ Besonders staunte er über die Regalbretter, die Astrid selbst angebracht hatte.
„Ich vergesse manchmal, wie groß du schon bist, meine Liebe.“
Neben ihnen plapperte Gerda weiter auf Oma ein: „Schau, jeden Abend klettere ich dann mit Frieda hier hoch, sooooo. Und dann steht dort mein Nachtlicht, das kann ich sogar mit auf Toilette nehmen.“ Die Kleine war die Leiter halb in ihr Bett hinaufgeklettert, kam jetzt aber wieder herunter. Plötzlich streckte sie den Arm aus und deutete hinüber zur Fußleiste.
„Und da wohnt der Nachtling!“, rutschte es ihr heraus. Bruno legte eindringlich den Finger an den Mund.
„So?“ sagte Oma und beugte sich neugierig hinab, um die Fußleiste zu begutachten.
„Stellt euch gut mit ihm, damit er euch auch keine frechen Streiche spielt. Er soll euch lieber ein paar unglaubliche Geschichten erzählen.“
„Kennst du den Nachtling etwa, Oma?“, fragten Gerda und Bruno wie aus einem Munde.
Opa musste lachen: „Eure Oma kennt wohl alle möglichen Geister und Koboldnasen. Sie kann euch so einiges erzählen. Nun aber auf zum Mittag, ich habe schon mächtig Appetit auf Omas Kürbisauflauf.“ Und der war wirklich lecker!

Nach dem Essen wollten die Erwachsenen einen Spaziergang machen, weil das Wetter an diesem Tag besonders schön und der Himmel heiter war. Bruno und Gerda mussten mitgehen, Astrid durfte allein zu Haus bleiben, damit sie ihre Schulsachen in Ruhe vorbereiten konnte. Doch das hatte sie im Nu erledigt.
Nachdenklich saß sie an ihrem Schreibtisch und sah aus dem Fenster. Dann fiel ihr etwas ein und sie ging hinaus in den Flur, um sich die Decke anzuschauen. Hier irgendwo musste doch die Luke zum Dachboden sein. Da! Mit einem Haken an einer langen Stange zog sie kräftig an der Luke und nach einigen Versuchen entfaltete sich eine Treppe. Astrid stieg die Stufen empor; vorsichtig, weil sie unter ihr ziemlich knarzten und sie nicht sicher war, ob sie nicht einfach unter ihren Füßen einbrechen würden.
Endlich konnte sie den Kopf durch die offene Luke hinaus auf den Dachboden stecken. Staubig war es dort und dunkel. Astrid schob sich weiter hinauf und stand einen Moment später mitten auf dem Boden im Dunkeln. Ein Vorhang wehte leise in einem Windstoß und ließ etwas vom goldenen Herbstlicht herein. Langsam ging Astrid hinüber und riss den Vorhang bei Seite. Das Fenster dahinter war geschlossen, doch wie war dann der Windstoß hereingekommen? Misstrauisch drehte Astrid sich wieder um und konnte den Raum nun richtig sehen. Es stand noch einiges an Krempel herum, darunter eine alte Kommode und ein großer Spiegel. Es gab noch weitere Fenster und als Astrid alle Vorhänge beiseite gezogen hatte, strahlte der Dachboden hell im Sonnenlicht. Wenn man sich den Staub und das Gerümpel wegdachte, konnte es hier so richtig gemütlich werden!
Plötzlich knackte es laut in einer Ecke. Erschrocken fuhr Astrid zusammen, blickte sich um und erspähte einen hölzernen Kopf ohne Gesicht. Sie trat näher und erkannte eine Schneiderpuppe, der man ein Laken umgeworfen hatte. Neugierig schmulte Astrid darunter.
Die Puppe trug ein wunderbar dunkelgrünes (Astrid soll rote Haare haben, deshalb bin ich mir mit der Farbe noch nicht sicher) Kleid! Eigentlich machte sich Astrid nicht viel aus Kleidern, obgleich ihr dieses hier ausgesprochen gut gefiel. Nur von der Schulter hing ein gelbes Büschel herab, das so gar nicht dazu passen wollte, doch als sie danach greifen wollte, wuschelte es wie von selbst um den Hals der Puppe herum, den Rücken hinunter und verschwand. Huch?
Dann ertönte ein schnarrendes Geräusch und das Kleid rutschte jäh von der Puppe herunter. Astrid konnte es gerade noch auffangen, bevor es auf den staubigen Boden fiel. Ungläubig starrte sie das Kleid an, bis sie sich wieder gesammelt hatte, die Stufen hinunter stieg und die Luke über sich schloss.
 



 
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