Der Dunkle

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Der Dunkle





„O ihr Herrscher des unterirdischen Reiches, gönnet mir, Wahres zu reden…“
Gustav Schwab






Irgendwo hinter der Bühne hatten sie seinen Kopf.
Tommi standen Schweißperlen auf der Stirn. Er war seit Stunden auf den Zehenspitzen und versuchte durch das Gewirr von langen, schweißnassen Metallerhaaren einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Dann ein Ton, eine Fanfare vielleicht, und Zehntausende bewegten sich wie ein Heer einen Schritt nach vorn.
Nur einen Schritt! Aber im selben Moment begannen sie vorne zu schreien, und die Security warf sich auf Holzbalken, die die Absperrung zwischen Bühne und Fanraum abstützen sollten. Die Pfähle gruben sich tief in den Stadionboden, und die Betonfüße, in welche die Absperrung eingelassen war, bewegte sich Millimeter für Millimeter auf das Stahlgerüst zu, das sich über die Bühne wie ein im Bau befindliches Hochhaus erhob. Als wollten sie eine gewaltige Kavallerie aufhallten, stachen die Stahlrohre in den Himmel.
An den Enden der hoch aufragenden Stangen flatterten schwarze Fahnen, von denen sich das leuchtend weiße Bild eines Schildkrötenpanzers abhob. Ohne Kopf, ohne Beine, nur das ovale Rund, über das sich feine, weiße Linien zogen, wie Notenlinien etwa oder Gitarrenseiten. Darüber ein Name, der Name, einer, den man nie vergessen würde, wenn man sie einmal gehört hatte.
„Orpheus…
…Orpheus!“

Tommi rang nach Atem. Der sternenklare Himmel war in undurchdringliches Schwarz getaucht. Kein einziger Stern, nichts. Es konnte einen verrückt machen, wenn man zu lange hinsah, auch wenn man wusste, dass oben auf dem Dach des Stadions die Spotlights gen Nachthimmel gerichtet waren und das Sternenlicht förmlich auffraßen, bevor es sie hier unten überhaupt erreichen konnte. Tommi wurde gestoßen und geriet in die Schraubzwinge einer Gruppe von Back-Sabbaths, die ihn mit genieteten Lederjacken aufs Korn nahmen. Er duckte sich weg und kam irgendwo hoch, den Mund weit offen und keuchend.
Luft! Endlich!
Dann kam das Kreischen. Junge Frauen wühlten sich an den Leibern von Unbekannten empor und bestiegen sie wie lebendige Felsen. Ein starker Geruch stieg auf, der den markanten Gestank von alkoholisiertem Atem überdeckte. Die jungen Frauen wurden irre und pressten ihre Schöße in die Nacken von Männern, wegen derer sie sonst die Straßen gewechselt hätten. Sie ließen sich Schnapsflaschen hinaufreichen und begossen mit dem Inhalt ihre Brüste. Verrückt, dachte Tommi, als irgendwo ganz in der Nähe eine riesige Stichflamme hochging und ins Nachtschwarz verpuffte. Und das war genau in dem Augenblick als Judd Randall die Seiten seiner schwarzen E-Gitarre anschlug und die Rückkopplung ganz vorn eine Massenpanik auslöste.
Niemand kommt da raus, dachte Tommi und kämpfte gegen die Macht der Menge an.
Jetzt nicht mehr, dachte er.
Jetzt nicht mehr!

Es hatte viele Rockbands in den letzten Jahren gegeben. Gute und Schlechte. Sie kamen und gingen. Das war wie das Einmaleins des Rock`n´Roll. Wer blieb, wurde entweder irre oder das Heroin mistete den ganzen Laden aus, bis nur noch die Bassisten auf der Bühne standen und schwankende Schlagzeuger, die nach jedem Song nach hinten zu kippen drohten. Der Alkohol ging durch die Reihen wie ein Schnitter. Gute Gitarristen suchte man gewöhnlich in der Entzugsklinik oder in der Irrenanstalt. Hepp Dean, der Songwriter und Frontmann von Under Down hatte angeblich epileptische Anfälle bekommen, wenn er nur eine Gitarre zu Gesicht bekommen hatte. Aber das war nie jemandem aufgefallen, jedenfalls nicht, solange er auf der Bühne stand. Im Sanatorium hatten sie ihm dann Elektroschocks verpasst, bis sein Gehirn nur noch ein großes Schwarzes Loch war, in dem alles auf Nimmerwiedersehen verschwand. Man konnte dieses Schwarze Loch in seinen Augen sehen, hieß es. Und was aus Billy Pikes geworden war, der nach einem Besuch bei ihm nie wieder gesehen wurde, konnte sich jeder, der von der Sache wusste, selbst zusammen reimen.
Er war ein seinen Augen verschwunden. Billy Pikes war durch die Augen von Hepp Dean in das Schwarze Loch in seinem Schädel gezogen worden.

Aber das war nichts gegen Orpheus. Nein, scheiße! Nichts konnte dagegen an. Das Schwarze Loch von Hepp Dean war nichts weiter als eine gekräuselte Rosette im Gegensatz zu dem, was man sich über Orpheus erzählte. Und dabei hatte Sol Stark nie Drogen genommen, nie getrunken oder mit Frauen rumgemacht. Sol Stark hatte mit dem Rücken zum Publikum gespielt, sich nie umgedreht. Er hatte nie Zugaben gegeben, war einfach abgegangen, wenn das Set gespielt war. Die meisten hatten ihn gehasst; so sehr hatten sie ihn geliebt. Und die großen Tourenveranstalter hätten sich lieber den Strick genommen, als diese Band mit diesem Frontmann zu verpflichten. In London hatten vierundzwanzigtausend Fans nach dem Konzert 94 die Bühne gestürmt und die Aufbauten bis auf die Grundfesten niedergerissen. Das Equipment war im Feuer aufgegangen und der Veranstalter hatte sich noch in derselben Nacht mit einem Derringer in den Kopf geschossen. Danach schrieb Sol Stark den Song bullitt in your head, und es hielt sich sechs Wochen auf Platz eins der US-Charts.
Aber nur ein halbes Jahr später war es vorbei. Alles war vorbei. In Birmingham schnitten sie Sol Stark den Kopf ab. Angeblich waren es betrunkene Frauen, einige Hundert, die die Bühne stürmten und sich mit Cuttern und Taschenmessern über den Mann hermachten.
Er soll bis zum Schluss gesungen haben. Auch als der Kopf schon vom Rumpf getrennt worden war.
Natürlich war das unmöglich, jedenfalls sagten das die Ärzte.
Aber einige glaubten es.

Aus den Lautsprechern dröhnte Judd Randalls Gitarrensolo zu thin´ abou´. Tommi konnte ihn nicht sehen, aber er wusste dass er irgendwo im hinteren Teil der Bühne auf dem Boden lag und auf dem Rücken über das Holz schlitterte. In der Mitte stand Dan Dan am Schlagzeug, das sich um ihn herum wie ein Turm erhob, wie ein Gefängnis, und es sah aus, als versuchte er daraus zu entkommen, indem er mit seinen Stöcken auf die aufgetürmten Drums einschlug. Dan Dan trug Ketten an Händen und Füssen, was das Bild noch verstärkte. Ein irres Bild. So als würde Dan Dan davonfliegen, wenn er könnte. Herman Wall stand einfach nur da und spielte den Bass. Als ob nichts wäre, als ob er ganz allein wäre. Er trug noch immer ein schwarzes Trauerband am Oberarm, obwohl die Sache mit Stark nun schon über zehn Jahre zurück lag. Wenn er dann doch einmal aufschaute, dann konnte man das Glitzern in seinen Augen noch auf hundert Meter sehen. Er hatte sich zwei silberne Tränen in die Haut unter den Augen implantieren lassen. Bei Schwarzlicht schimmerten sie durch die Haut, als wären es Sterne.
Und dann der Kasten, dieses schwarze Ding, das ganz vorne am Bühnenrand stand, auf einem Klapptisch, irgendeinem wackligen Ding. Jedes mal wurde das Publikum auf einen Schlag still, wenn Judd Randall diesen Kasten auf die Bühne trug und ihn hochhielt, sekundenlang.
Da drin war Sol Starks Kopf, hieß es. Der Dunkle, wie sie ihn nannten. Nur dieser Kopf.
Und jedes Mal, wenn die Menge aus den Lautsprechern Sol Starks Stimme vernahm, wenn er sein thin´ abou´ in ihre Ohren brüllte, so als wäre er noch lebendig, dann redeten sie sich ein, dass seine Stimme vom Band kam, dass es ein Fake war, dass es nicht wahr sein konnte.
Aber Tommi stützte sich auf die Schulter seines Vordermannes auf und hörte genau hin. Er kannte sämtliche Aufnahmen. Das kam nicht vom Band.
Er hatte keine Zweifel und ließ sich zurücksinken.

Es war der Dunkle.
 
Ja, aber es ist nur als Einstieg gedacht. Schließlich muss Orpheus in die Unterwelt und Euridike retten - oder es zumindest versuchen. Trotzdem ist der Text einigermaßen abgeschlossen, was mich freut.

Für eine lange Version brauche ich natürlich Zeit. Eine Unterwelt muss hinein, ein düsteres Labyrith, in das ein durchgeknallter Bienenzüchter(oder etwas ähnliches - Bienen müssen auf jeden Fall hinein) ein junges Mädchen entführt. Aber ich bin mir noch nicht sicher - rocken muss es auf jeden Fall!

Bis dahin muss dieser Text für sich stehen.

Und ich hoffe, das tut er.

Grüsse, Marcus
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
gut.

aber bau noch mit ein, dass eine gitarre nicht nur Seiten, sondern auch Saiten hat - das sind die, die die töne abgeben, weißte.
lg
 

Markus Saxer

Mitglied
bin jedenfalls schon jetzt auf die full-version gespannt, marcus. noch ein kleiner schreibfehler: ... eine gewaltige kavallerie aufhallten (statt aufhalten).
the rock: markus
 
Naja, wie immer - den Text nicht vernuenftig ueberarbeitet. Hat mir wahrscheinlich zu viel Spass gemacht, ihn zu schreiben.

Dank Euch fuer die Augenoeffner.

Gruss, Marcus
 
Der Dunkle





„O ihr Herrscher des unterirdischen Reiches, gönnet mir, Wahres zu reden…“
Gustav Schwab






Irgendwo hinter der Bühne hatten sie seinen Kopf.
Tommi standen Schweißperlen auf der Stirn. Er war seit Stunden auf den Zehenspitzen und versuchte durch das Gewirr von langen, schweißnassen Metallerhaaren einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Dann ein Ton, eine Fanfare vielleicht, und Zehntausende bewegten sich wie ein Heer einen Schritt nach vorn.
Nur einen Schritt! Aber im selben Moment begannen sie vorne zu schreien, und die Security warf sich auf Holzbalken, die die Absperrung zwischen Bühne und Fanraum abstützen sollten. Die Pfähle gruben sich tief in den Stadionboden, und die Betonfüße, in welche die Absperrung eingelassen war, bewegte sich Millimeter für Millimeter auf das Stahlgerüst zu, das sich über die Bühne wie ein im Bau befindliches Hochhaus erhob. Als wollten sie eine gewaltige Kavallerie aufhalten, stachen die Stahlrohre in den Himmel.
An den Enden der hoch aufragenden Stangen flatterten schwarze Fahnen, von denen sich das leuchtend weiße Bild eines Schildkrötenpanzers abhob. Ohne Kopf, ohne Beine, nur das ovale Rund, über das sich feine, weiße Linien zogen, wie Notenlinien etwa oder Gitarrensaiten. Darüber ein Name, der Name, einer, den man nie vergessen würde, wenn man sie einmal gehört hatte.
„Orpheus…
…Orpheus!“

Tommi rang nach Atem. Der sternenklare Himmel war in undurchdringliches Schwarz getaucht. Kein einziger Stern, nichts. Es konnte einen verrückt machen, wenn man zu lange hinsah, auch wenn man wusste, dass oben auf dem Dach des Stadions die Spotlights gen Nachthimmel gerichtet waren und das Sternenlicht förmlich auffraßen, bevor es sie hier unten überhaupt erreichen konnte. Tommi wurde gestoßen und geriet in die Schraubzwinge einer Gruppe von Back-Sabbaths, die ihn mit genieteten Lederjacken aufs Korn nahmen. Er duckte sich weg und kam irgendwo hoch, den Mund weit offen und keuchend.
Luft! Endlich!
Dann kam das Kreischen. Junge Frauen wühlten sich an den Leibern von Unbekannten empor und bestiegen sie wie lebendige Felsen. Ein starker Geruch stieg auf, der den markanten Gestank von alkoholisiertem Atem überdeckte. Die jungen Frauen wurden irre und pressten ihre Schöße in die Nacken von Männern, wegen derer sie sonst die Straßen gewechselt hätten. Sie ließen sich Schnapsflaschen hinaufreichen und begossen mit dem Inhalt ihre Brüste. Verrückt, dachte Tommi, als irgendwo ganz in der Nähe eine riesige Stichflamme hochging und ins Nachtschwarz verpuffte. Und das war genau in dem Augenblick als Judd Randall die Saiten seiner schwarzen E-Gitarre anschlug und die Rückkopplung ganz vorn eine Massenpanik auslöste.
Niemand kommt da raus, dachte Tommi und kämpfte gegen die Macht der Menge an.
Jetzt nicht mehr, dachte er.
Jetzt nicht mehr!

Es hatte viele Rockbands in den letzten Jahren gegeben. Gute und Schlechte. Sie kamen und gingen. Das war wie das Einmaleins des Rock`n´Roll. Wer blieb, wurde entweder irre oder das Heroin mistete den ganzen Laden aus, bis nur noch die Bassisten auf der Bühne standen und schwankende Schlagzeuger, die nach jedem Song nach hinten zu kippen drohten. Der Alkohol ging durch die Reihen wie ein Schnitter. Gute Gitarristen suchte man gewöhnlich in der Entzugsklinik oder in der Irrenanstalt. Hepp Dean, der Songwriter und Frontmann von Under Down hatte angeblich epileptische Anfälle bekommen, wenn er nur eine Gitarre zu Gesicht bekommen hatte. Aber das war nie jemandem aufgefallen, jedenfalls nicht, solange er auf der Bühne stand. Im Sanatorium hatten sie ihm dann Elektroschocks verpasst, bis sein Gehirn nur noch ein großes Schwarzes Loch war, in dem alles auf Nimmerwiedersehen verschwand. Man konnte dieses Schwarze Loch in seinen Augen sehen, hieß es. Und was aus Billy Pikes geworden war, der nach einem Besuch bei ihm nie wieder gesehen wurde, konnte sich jeder, der von der Sache wusste, selbst zusammen reimen.
Er war ein seinen Augen verschwunden. Billy Pikes war durch die Augen von Hepp Dean in das Schwarze Loch in seinem Schädel gezogen worden.

Aber das war nichts gegen Orpheus. Nein, scheiße! Nichts konnte dagegen an. Das Schwarze Loch von Hepp Dean war nichts weiter als eine gekräuselte Rosette im Gegensatz zu dem, was man sich über Orpheus erzählte. Und dabei hatte Sol Stark nie Drogen genommen, nie getrunken oder mit Frauen rumgemacht. Sol Stark hatte mit dem Rücken zum Publikum gespielt, sich nie umgedreht. Er hatte nie Zugaben gegeben, war einfach abgegangen, wenn das Set gespielt war. Die meisten hatten ihn gehasst; so sehr hatten sie ihn geliebt. Und die großen Tourenveranstalter hätten sich lieber den Strick genommen, als diese Band mit diesem Frontmann zu verpflichten. In London hatten vierundzwanzigtausend Fans nach dem Konzert 94 die Bühne gestürmt und die Aufbauten bis auf die Grundfesten niedergerissen. Das Equipment war im Feuer aufgegangen und der Veranstalter hatte sich noch in derselben Nacht mit einem Derringer in den Kopf geschossen. Danach schrieb Sol Stark den Song bullitt in your head, und es hielt sich sechs Wochen auf Platz eins der US-Charts.
Aber nur ein halbes Jahr später war es vorbei. Alles war vorbei. In Birmingham schnitten sie Sol Stark den Kopf ab. Angeblich waren es betrunkene Frauen, einige Hundert, die die Bühne stürmten und sich mit Cuttern und Taschenmessern über den Mann hermachten.
Er soll bis zum Schluss gesungen haben. Auch als der Kopf schon vom Rumpf getrennt worden war.
Natürlich war das unmöglich, jedenfalls sagten das die Ärzte.
Aber einige glaubten es.

Aus den Lautsprechern dröhnte Judd Randalls Gitarrensolo zu thin´ abou´. Tommi konnte ihn nicht sehen, aber er wusste dass er irgendwo im hinteren Teil der Bühne auf dem Boden lag und auf dem Rücken über das Holz schlitterte. In der Mitte stand Dan Dan am Schlagzeug, das sich um ihn herum wie ein Turm erhob, wie ein Gefängnis, und es sah aus, als versuchte er daraus zu entkommen, indem er mit seinen Stöcken auf die aufgetürmten Drums einschlug. Dan Dan trug Ketten an Händen und Füssen, was das Bild noch verstärkte. Ein irres Bild. So als würde Dan Dan davonfliegen, wenn er könnte. Herman Wall stand einfach nur da und spielte den Bass. Als ob nichts wäre, als ob er ganz allein wäre. Er trug noch immer ein schwarzes Trauerband am Oberarm, obwohl die Sache mit Stark nun schon über zehn Jahre zurück lag. Wenn er dann doch einmal aufschaute, dann konnte man das Glitzern in seinen Augen noch auf hundert Meter sehen. Er hatte sich zwei silberne Tränen in die Haut unter den Augen implantieren lassen. Bei Schwarzlicht schimmerten sie durch die Haut, als wären es Sterne.
Und dann der Kasten, dieses schwarze Ding, das ganz vorne am Bühnenrand stand, auf einem Klapptisch, irgendeinem wackligen Ding. Jedes mal wurde das Publikum auf einen Schlag still, wenn Judd Randall diesen Kasten auf die Bühne trug und ihn hochhielt, sekundenlang.
Da drin war Sol Starks Kopf, hieß es. Der Dunkle, wie sie ihn nannten. Nur dieser Kopf.
Und jedes Mal, wenn die Menge aus den Lautsprechern Sol Starks Stimme vernahm, wenn er sein thin´ abou´ in ihre Ohren brüllte, so als wäre er noch lebendig, dann redeten sie sich ein, dass seine Stimme vom Band kam, dass es ein Fake war, dass es nicht wahr sein konnte.
Aber Tommi stützte sich auf die Schulter seines Vordermannes auf und hörte genau hin. Er kannte sämtliche Aufnahmen. Das kam nicht vom Band.
Er hatte keine Zweifel und ließ sich zurücksinken.

Es war der Dunkle.





Vermerk:

Nachdem Orpheus seine Euridike nicht aus der Unterwelt befreien konnte, und sie dort zurueck liess, verfiel er in grosse Schwermut und verfasste die schoensten und traurigsten Liebeslieder der Antike. Es heisst, Maenner haetten ob der Schoenheit seines Gesangs ihre Frauen verlassen und sich dem Orpheus angeschlossen. Von den Frauen geliebt und gehasst, wurde Orpheus von einer wilde Horde, dem Rausch verfallener Frauen, den Maeanden, der Kopf abgeschnitten und auf seine Lyra(eine Gitarre aus dem Panzer einer Schildkroete) gebunden und in einen Fluss geworfen.
Der Kopf aber sang weiter von seiner Liebe zu Euridike, bis ihm Hermes(??) schliesslich zu schweigen gebot.
 
Der Dunkle





„O ihr Herrscher des unterirdischen Reiches, gönnet mir, Wahres zu reden…“
Gustav Schwab






Irgendwo hinter der Bühne hatten sie seinen Kopf.
Kikki standen Schweißperlen auf der Stirn. Sie war eingeklemmt. Sie stand auf den Zehenspitzen und keuchte, als sich ein kräftiger Körper an ihr vorbei schob. Für einen Augenblick presste sich ihr ein steifes Glied gegen den Rücken, und zwei Hände nahmen ihre Schultern und zogen sie an sich. Dann ein Ton, eine Fanfare vielleicht, und der Druck und die Hände verschwanden, und Zehntausende bewegten sich wie ein Heer einen Schritt nach vorn.
Nur einen Schritt! Aber im selben Moment begannen sie in den vorderen Reihen zu schreien, und die Security warf sich auf Holzbalken, die die Absperrung zwischen Bühne und Fanraum abstützen sollten. Die Pfähle gruben sich tief in den Stadionboden, und die Betonfüße, in welche die Absperrung eingelassen war, bewegte sich Millimeter für Millimeter auf das Stahlgerüst zu, das sich über die Bühne wie eine gespreizte Hand erhob. Als wollten sie eine gewaltige Kavallerie aufhalten, stachen die Stahlfinger in den Himmel.
An den Enden der hoch aufragenden Stangen flatterten schwarze Fahnen, von denen sich das leuchtend weiße Bild eines Schildkrötenpanzers abhob. Ohne Kopf, ohne Beine, nur das ovale Rund, über das sich feine, weiße Linien zogen, wie Notenlinien etwa oder Gitarrensaiten. Darüber ein Name, der Name - einer, den man nie vergessen würde, wenn man ihn einmal gehört hatte. Kikki hielt den Atem an.
„Orpheus…
…Orpheus!“

Der sternenklare Himmel war in undurchdringliches Schwarz getaucht. Kein einziger Stern, nichts. Es konnte einen verrückt machen, wenn man zu lange hinsah, auch wenn man wusste, dass oben auf dem Dach des Stadions die Spotlights gen Nachthimmel gerichtet waren und das Sternenlicht förmlich auffraßen, bevor es sie hier unten erreichen konnte. Kikki wurde gestoßen und geriet in die Schraubzwinge einer Gruppe von Back-Sabbaths, die sie mit genieteten Lederjacken aufs Korn nahmen. Sie duckte sich weg und kam irgendwo hoch, den Mund weit offen und keuchend.
Luft!
Dann kam das Kreischen. Junge Frauen wühlten sich an den Leibern von Unbekannten empor und bestiegen sie wie lebendige Felsen. Ein starker Geruch stieg auf, der den markanten Gestank von alkoholisiertem Atem überdeckte. Die jungen Frauen wurden irre und pressten ihre Schöße in die Nacken von Männern, wegen derer sie sonst die Straßen gewechselt hätten. Sie ließen sich Schnapsflaschen hinaufreichen und begossen mit dem Inhalt ihre Brüste. Kikki wurde empor gehoben und spürte einen heißen Atem an ihrem Becken, als irgendwo ganz in der Nähe eine riesige Stichflamme hochging und ins Nachtschwarz verpuffte. Und das war genau in dem Augenblick als Judd Randall die Saiten seiner schwarzen E-Gitarre anschlug und die Rückkopplung ganz vorn eine Massenpanik auslöste.
Niemand kommt da raus, dachte Kikki und rutschte über einen heißen, kahl rasierten Schädel auf breite, muskulöse Schultern.
Niemand, dachte sie.
Jetzt nicht mehr!

Es hatte viele Rockbands in den letzten Jahren gegeben. Gute und Schlechte. Das war wie das Einmaleins des Rock`n´Roll. Wer blieb, wurde entweder irre oder das Heroin mistete den ganzen Laden aus, bis nur noch die Bassisten auf der Bühne standen und schwankende Schlagzeuger, die nach jedem Song nach hinten zu kippen drohten. Der Alkohol holte sie alle. Gute Gitarristen suchte man gewöhnlich in der Entzugsklinik oder in der Irrenanstalt. Hepp Dean, der Songwriter und Frontmann von Under Down hatte angeblich epileptische Anfälle bekommen, wenn er nur eine Gitarre zu Gesicht bekommen hatte. Aber das war nie jemandem aufgefallen, jedenfalls nicht solange er auf der Bühne stand. Im Sanatorium hatten sie ihm dann Elektroschocks verpasst, bis sein Gehirn nur noch ein großes Schwarzes Loch war, in dem alles auf Nimmerwiedersehen verschwand. Man konnte dieses Schwarze Loch in seinen Augen sehen, hieß es. Und was aus Billy Pikes geworden war, der nach einem Besuch bei ihm nie wieder gesehen wurde, konnte sich jeder, der von der Sache wusste, selbst zusammen reimen.
Er war ein seinen Augen verschwunden, sagten sie. Billy Pikes war durch die Augen von Hepp Dean in das Schwarze Loch in seinem Schädel gezogen worden.

Aber das war nichts gegen Orpheus. Nein, scheiße! Nichts konnte dagegen an. Das Schwarze Loch von Hepp Dean war nichts weiter als eine gekräuselte Rosette im Gegensatz zu dem, was man sich über Orpheus erzählte. Und dabei hatte Sol Stark nie Drogen genommen, nie getrunken oder mit Frauen rumgemacht. Sol Stark hatte mit dem Rücken zum Publikum gespielt, sich nie umgedreht. Er hatte nie Zugaben gegeben, war einfach abgegangen, wenn das Set gespielt war. Die meisten hatten ihn gehasst; so sehr hatten sie ihn geliebt. Und die großen Tourenveranstalter hätten sich lieber den Strick genommen, als diese Band mit diesem Frontmann zu verpflichten. In London hatten vierundzwanzigtausend Fans nach dem Konzert 94 die Bühne gestürmt und die Aufbauten bis auf die Grundfesten niedergerissen. Das Equipment war im Feuer aufgegangen, und der Veranstalter hatte sich noch in derselben Nacht mit einem Derringer in den Kopf geschossen. Danach schrieb Sol Stark den Song bullitt in your head, und es hielt sich sechs Wochen auf Platz eins der US-Charts.
Aber nur ein halbes Jahr später war es vorbei. Alles war vorbei. In Birmingham schnitten sie Sol Stark den Kopf ab. Angeblich waren es betrunkene Frauen, einige Hundert, die die Bühne stürmten und sich mit Cuttern und Taschenmessern über den Mann hermachten.
Er soll bis zum Schluss gesungen haben. Auch als der Kopf schon vom Rumpf getrennt worden war.
Natürlich war das unmöglich, jedenfalls sagten das die Ärzte.
Aber einige glaubten es.

Aus den Lautsprechern dröhnte Judd Randalls Gitarrensolo zu thin´ abou´. Kikki sah die scharf geschnittene Gestalt hinter den Vorhängen verschwinden, um nur Augenblicke darauf auf einer Empore zu erscheinen, die sich in schwindelerregender Höhe über der Bühne erhob. Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, als der Kahlkopf unter ihr ihre Kniekehlen presste und den muskelbepackten Nacken in ihrem Schoss wand. Sie riss die Hände in die Höhe. Sie kreischte, als das Gitarrensolo endete und Dan Dan in der Mitte der Bühne auf das Schlagzeug einhämmerte, das sich um ihn herum wie ein Turm erhob. Dan Dan trug Ketten an Händen und Füssen. Ein irres Bild. So als würde Dan Dan davonfliegen, wenn er könnte. Herman Wall stand links und spielte den Bass mit einer eisernen Spore. Er trug noch immer ein schwarzes Trauerband am Oberarm, obwohl die Sache mit Stark nun schon über zehn Jahre zurück lag. Wenn er aufschaute, konnte man das Glitzern in seinen Augen noch auf hundert Meter sehen. Er hatte sich zwei silberne Tränen in die Haut unter den Augen implantieren lassen. Bei Schwarzlicht schimmerten sie durch die Haut, als wären es Sterne.

Und dann der Kasten, dieses schwarze Ding, das ganz vorne am Bühnenrand stand, auf einem Klapptisch, irgendeinem wackligen Ding. Jedes mal wurde das Publikum auf einen Schlag still, wenn Judd Randall diesen Kasten auf die Bühne trug und ihn hochhielt, sekundenlang.
Da drin war Sol Starks Kopf, hieß es. Der Dunkle, wie sie ihn nannten. Nur sein Kopf.
Und jedes Mal, wenn die Menge aus den Lautsprechern Sol Starks Stimme vernahm, wenn er sein thin´ abou´ in ihre Ohren brüllte, so als wäre er noch lebendig, dann redeten sie sich ein, dass seine Stimme vom Band kam, dass es ein Fake war, dass es nicht wahr sein konnte.
Aber Kikki konnten sie nicht täuschen. Sie spürte es in ihrem Schoss, in ihren Schenkeln, die sie wie Fangeisen um den Nacken des Kahlkopfes geschlungen hatte. Sie wusste, dass der Geruch ihn wahnsinnig machte. Sie spürte, wie er sich wand, wie die Musik und die Hitze ihm zu Kopf stiegen.
Sie sah auf die Bühne und krallte sich in den schwitzenden Schädel.
Dieser Gesang kam nicht vom Band.
Jede Faser ihres Körpers wollte es hinausschreien.

Es war der Dunkle…





Vermerk:

Nachdem Orpheus seine Euridike nicht aus der Unterwelt befreien konnte, und sie dort zurueck liess, verfiel er in grosse Schwermut und verfasste die schoensten und traurigsten Liebeslieder der Antike. Es heisst, Maenner haetten ob der Schoenheit seines Gesangs ihre Frauen verlassen und sich dem Orpheus angeschlossen. Von den Frauen geliebt und gehasst, wurde Orpheus von einer wilde Horde, dem Rausch verfallener Frauen, den Maeanden, der Kopf abgeschnitten und auf seine Lyra(eine Gitarre aus dem Panzer einer Schildkroete) gebunden und in einen Fluss geworfen.
Der Kopf aber sang weiter von seiner Liebe zu Euridike, bis ihm Hermes(??) schliesslich zu schweigen gebot.
 
Der Dunkle





„O ihr Herrscher des unterirdischen Reiches, gönnet mir, Wahres zu reden…“
Gustav Schwab






Irgendwo hinter der Bühne hatten sie seinen Kopf.
Kikki standen Schweißperlen auf der Stirn. Sie war eingeklemmt. Sie stand auf den Zehenspitzen und keuchte, als sich ein kräftiger Körper an ihr vorbei schob. Für einen Augenblick presste sich ihr ein steifes Glied gegen den Rücken, und zwei Hände nahmen ihre Schultern und zogen sie an sich. Dann ein Ton, eine Fanfare vielleicht, und der Druck und die Hände verschwanden, und Zehntausende bewegten sich wie ein Heer einen Schritt nach vorn.
Nur einen Schritt! Aber im selben Moment begannen sie in den vorderen Reihen zu schreien, und die Security warf sich auf Holzbalken, die die Absperrung zwischen Bühne und Fanraum abstützen sollten. Die Pfähle gruben sich tief in den Stadionboden, und die Betonfüße, in welche die Absperrung eingelassen war, bewegte sich Millimeter für Millimeter auf das Stahlgerüst zu, das sich über die Bühne wie eine gespreizte Hand erhob. Als wollten sie eine gewaltige Kavallerie aufhalten, stachen die Stahlfinger in den Himmel.
An den Enden der hoch aufragenden Stangen flatterten schwarze Fahnen, von denen sich das leuchtend weiße Bild eines Schildkrötenpanzers abhob. Ohne Kopf, ohne Beine, nur das ovale Rund, über das sich feine, weiße Linien zogen, wie Notenlinien etwa oder Gitarrensaiten. Darüber ein Name, der Name - einer, den man nie vergessen würde, wenn man ihn einmal gehört hatte. Kikki hielt den Atem an.
„Orpheus…
…Orpheus!“

Der sternenklare Himmel war in undurchdringliches Schwarz getaucht. Kein einziger Stern, nichts. Es konnte einen verrückt machen, wenn man zu lange hinsah, auch wenn man wusste, dass oben auf dem Dach des Stadions die Spotlights gen Nachthimmel gerichtet waren und das Sternenlicht förmlich auffraßen, bevor es sie hier unten erreichen konnte. Kikki wurde gestoßen und geriet in die Schraubzwinge einer Gruppe von Back-Sabbaths, die sie mit genieteten Lederjacken aufs Korn nahmen. Sie duckte sich weg und kam irgendwo hoch, den Mund weit offen und keuchend.
Luft!
Dann kam das Kreischen. Junge Frauen wühlten sich an den Leibern von Unbekannten empor und bestiegen sie wie lebendige Felsen. Ein starker Geruch stieg auf, der den markanten Gestank von alkoholisiertem Atem überdeckte. Die jungen Frauen wurden irre und pressten ihre Schöße in die Nacken von Männern, wegen derer sie sonst die Straßen gewechselt hätten. Sie ließen sich Schnapsflaschen hinaufreichen und begossen mit dem Inhalt ihre Brüste. Kikki wurde empor gehoben und spürte einen heißen Atem an ihrem Becken, als irgendwo ganz in der Nähe eine riesige Stichflamme hochging und ins Nachtschwarz verpuffte. Und das war genau in dem Augenblick als Judd Randall die Saiten seiner schwarzen E-Gitarre anschlug und die Rückkopplung ganz vorn eine Massenpanik auslöste.
Niemand kommt da raus, dachte Kikki und rutschte über einen heißen, kahl rasierten Schädel auf breite, muskulöse Schultern.
Niemand, dachte sie.
Jetzt nicht mehr!

Es hatte viele Rockbands in den letzten Jahren gegeben. Gute und Schlechte. Das war wie das Einmaleins des Rock`n´Roll. Wer blieb, wurde entweder irre oder das Heroin mistete den ganzen Laden aus, bis nur noch die Bassisten auf der Bühne standen und schwankende Schlagzeuger, die nach jedem Song nach hinten zu kippen drohten. Der Alkohol holte sie alle. Gute Gitarristen suchte man gewöhnlich in der Entzugsklinik oder in der Irrenanstalt. Hepp Dean, der Songwriter und Frontmann von Under Down hatte angeblich epileptische Anfälle bekommen, wenn er nur eine Gitarre zu Gesicht bekommen hatte. Aber das war nie jemandem aufgefallen, jedenfalls nicht solange er auf der Bühne stand. Im Sanatorium hatten sie ihm dann Elektroschocks verpasst, bis sein Gehirn nur noch ein großes Schwarzes Loch war, in dem alles auf Nimmerwiedersehen verschwand. Man konnte dieses Schwarze Loch in seinen Augen sehen, hieß es. Und was aus Billy Pikes geworden war, der nach einem Besuch bei ihm nie wieder gesehen wurde, konnte sich jeder, der von der Sache wusste, selbst zusammen reimen.
Er war ein seinen Augen verschwunden, sagten sie. Billy Pikes war durch die Augen von Hepp Dean in das Schwarze Loch in seinem Schädel gezogen worden.

Aber das war nichts gegen Orpheus. Nein, scheiße! Nichts konnte dagegen an. Das Schwarze Loch von Hepp Dean war nichts weiter als eine gekräuselte Rosette im Gegensatz zu dem, was man sich über Orpheus erzählte. Und dabei hatte Sol Stark nie Drogen genommen, nie getrunken oder mit Frauen rumgemacht. Sol Stark hatte mit dem Rücken zum Publikum gespielt, sich nie umgedreht. Er hatte nie Zugaben gegeben, war einfach abgegangen, wenn das Set gespielt war. Die meisten hatten ihn gehasst; so sehr hatten sie ihn geliebt. Und die großen Tourenveranstalter hätten sich lieber den Strick genommen, als diese Band mit diesem Frontmann zu verpflichten. In London hatten vierundzwanzigtausend Fans nach dem Konzert 94 die Bühne gestürmt und die Aufbauten bis auf die Grundfesten niedergerissen. Das Equipment war im Feuer aufgegangen, und der Veranstalter hatte sich noch in derselben Nacht mit einem Derringer in den Kopf geschossen. Danach schrieb Sol Stark den Song bullitt in your head, und es hielt sich sechs Wochen auf Platz eins der US-Charts.
Aber nur ein halbes Jahr später war es vorbei. Alles war vorbei. In Birmingham schnitten sie Sol Stark den Kopf ab. Angeblich waren es betrunkene Frauen, einige Hundert, die die Bühne stürmten und sich mit Cuttern und Taschenmessern über den Mann hermachten.
Er soll bis zum Schluss gesungen haben. Auch als der Kopf schon vom Rumpf getrennt worden war.
Natürlich war das unmöglich, jedenfalls sagten das die Ärzte.
Aber einige glaubten es.

Aus den Lautsprechern dröhnte Judd Randalls Gitarrensolo zu thin´ abou´. Kikki sah die scharf geschnittene Gestalt hinter den Vorhängen verschwinden, um nur Augenblicke darauf auf einer Empore zu erscheinen, die sich in schwindelerregender Höhe über der Bühne erhob. Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, als der Kahlkopf unter ihr ihre Kniekehlen presste und den muskelbepackten Nacken in ihrem Schoss wand. Sie riss die Hände in die Höhe. Sie kreischte, als das Gitarrensolo endete und Dan Dan in der Mitte der Bühne auf das Schlagzeug einhämmerte, das sich um ihn herum wie ein Turm erhob. Dan Dan trug Ketten an Händen und Füssen. Ein irres Bild. So als würde Dan Dan davonfliegen, wenn er könnte. Herman Wall stand links und spielte den Bass mit einer eisernen Spore. Er trug noch immer ein schwarzes Trauerband am Oberarm, obwohl die Sache mit Stark nun schon über zehn Jahre zurück lag. Wenn er aufschaute, konnte man das Glitzern in seinen Augen noch auf hundert Meter sehen. Er hatte sich zwei silberne Tränen in die Haut unter den Augen implantieren lassen. Bei Schwarzlicht schimmerten sie durch die Haut, als wären es Sterne.

Und dann der Kasten, dieses schwarze Ding, das ganz vorne am Bühnenrand stand, auf einem Klapptisch, irgendeinem wackligen Ding. Jedes mal wurde das Publikum auf einen Schlag still, wenn Judd Randall diesen Kasten auf die Bühne trug und ihn hochhielt, sekundenlang.
Da drin war Sol Starks Kopf, hieß es. Der Dunkle, wie sie ihn nannten. Nur sein Kopf.
Und jedes Mal, wenn die Menge aus den Lautsprechern Sol Starks Stimme vernahm, wenn er sein thin´ abou´ in ihre Ohren brüllte, so als wäre er noch lebendig, dann redeten sie sich ein, dass seine Stimme vom Band kam, dass es ein Fake war, dass es nicht wahr sein konnte.
Aber Kikki konnten sie nicht täuschen. Sie spürte es in ihrem Schoss, in ihren Schenkeln, die sie wie Fangeisen um den Nacken des Kahlkopfes geschlungen hatte. Sie wusste, dass der Geruch ihn wahnsinnig machte. Sie spürte, wie er sich wand, wie die Musik und die Hitze ihm zu Kopf stiegen.
Sie sah auf die Bühne und krallte sich in den schwitzenden Schädel.
Dieser Gesang kam nicht vom Band.
Jede Faser ihres Körpers wollte es hinausschreien.

Es war der Dunkle…





Vermerk:

Nachdem Orpheus seine Euridike nicht aus der Unterwelt befreien konnte, und sie dort zurueck liess, verfiel er in grosse Schwermut und verfasste die schoensten und traurigsten Liebeslieder der Antike. Es heisst, Maenner haetten ob der Schoenheit seines Gesangs ihre Frauen verlassen und sich dem Orpheus angeschlossen. Von den Frauen geliebt und gehasst, wurde Orpheus von einer wilde Horde, dem Rausch verfallener Frauen, den Maeanden, der Kopf abgeschnitten und auf seine Lyra(eine Gitarre aus dem Panzer einer Schildkroete) gebunden und in einen Fluss geworfen.
Der Kopf aber sang weiter von seiner Liebe zu Euridike, bis ihm Hermes(??) schliesslich zu schweigen gebot.
 

nachts

Mitglied
Ich les eigentlich nicht wirklich viel aus diesem Forum
Die Idee ist klasse, der Text steht für sich -
Vielleicht zwei (überkritische) Anmerkungen
"Die Frauen wurden irre - fänd ich n anderes Wort besser und statt E - Gitarre vielleicht n Markenname.
absolut lesenswert
Gruß Nachts
 
Mhm, "die Frauen wurden irre" fand ich eigentlich ziemlich gut - gerade weil es so selten gesagt wird. Irre sein ist ein Begriff, der sowas bedeutet wie, keine Orientierung zu haben, absolut den Verstand verloren haben - und das haut absolut hin!
Bei der E-Gitarre hast du ein bisschen Recht. Der Leser wünscht sich immer Details. Aber ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung von E-Gitarren. Selbst eine oberflächliche Recherche könnte darüber nicht hinwegtäuschen, bei jemandem, der "Ahnung" davon hat.

Irgendwer hat mal gesagt, wenn man keine Ahnung hat, dann soll man die Schnauze halten - so geht es mir mit der E-Gitarre.

Ich glaube, man kann da ruhig oberflächlich bleiben. Jedenfalls bei dieser Overture. Allerdings werde ich darüber nachdenken, ob ich bei der Ausarbeitung nicht auf so ein wichtiges Detail eingehen sollte. Allerdings, wenn man keine Ahnung hat...

Danke für den Gedanken,
Gruss Marcus
 



 
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