Der Ersatzopa

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Maribu

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"Du kannst dich ja neben den Opa setzen", sagte einer der beiden Jungen zu der älteren Frau.
"Erst mal muss man fragen! Und der Herr ist für dich nicht der Opa!" antwortete sie bestimmt und dann leiser zu dem schmunzelnden Mann: "Sie müssen schon entschuldigen! Mein Mann ist letztes Jahr verstorben. Sie vermissen ihn noch immer."
Er rückte von der Bankmitte ans Ende und antwortete: "Bitte, setzen Sie sich doch! Der Junge hat ja recht mit 'Opa'. Von hier aus hat man den besten Überblick auf den Spielplatz."
Der zweite hatte seine Jacke bereits auf die Bank geschleudert und lief auf die Wiese in Richtung Seilbahn, blieb kurz stehen und rief: "Komm Arne!"
Der zog sich sein Sweatshirt über den Kopf, warf es gezielt über die Lehne und rannte seinem Bruder hinterher.
Die Frau legte die Kleidungsstücke über ihre Tasche und stellte sie neben sich und dem Mann. "Bin ich froh, dass ich sitzen kann!" Sie atmete tief durch. "Die können einen ganz schön auf Trab halten. Wir sind schon zwanzig Minuten unterwegs. Immer muss ich aufpassen, dass sie nicht auf die Straße laufen."
Er lachte. "Ja, in diesem Alter sind sie wie Fohlen. Aber hier ist der größte und beste Spielplatz im Alstertal. Dafür lohnt sich ein längerer Fußweg."
"Sind Sie denn öfter hier? Ich habe Sie noch nie gesehen."
"Einmal in der Woche Mittwochs."
"Ach, der Großelterntag! - Haben Sie Ihr Enkelkind denn noch im Blick?"
Der Mann überhörte diese Frage und sie sagte: "Ich bin froh, dass ich sie jeden Tag habe. Meine Tochter ist allein erziehend."
"Wer ist denn der ältere? Sie sind ja fast gleich groß."
"Arne kam zwölf Minuten früher als Lars. Sie sind im August fünf Jahre alt geworden."
"Huhu Omi!" hörte man einen der Jungen. Und der andere winkte und rief: "Hallo Oma, Hallo Opa!" Sie fuhren fast nebeneinander, wurden am Ende abgebremst, der Sitz schwang nach oben, und mit Armen und Beinen hampelnd und viel Geschrei rollten sie in die Gegenrichtung.
Sie winkten beide zurück. "Die 'Zwillingsseilbahn' scheint ja extra für die beiden geschaffen zu sein!" sagte er amüsiert.
"Zwillingsseilbahn?" Sie lachte. "Die Bezeichnung hab ich ja noch nie gehört! - Aber wo ist Ihr Enkelkind? Rutscht oder schaukelt es? Ist es auf dem Klettergerüst oder spielt es im Sand?"
Er antwortete nicht sofort. "Das kleine Mädchen, das gerade den Sitz von Ihrem Enkel übernimmt, ist in ihrem Alter. Anfangs war Laura ängstlich und wollte nur mit mir, auf meinem Schoß, auf die Seilbahn. Zum Schluss war sie ebenso übermütig wie Ihre Jungen."
"Das heißt, sie ist gar nicht da?"
"Nein. Ich hoffe aber, dass sie sich erinnert und eines Tages kommt!"
Die Frau war betroffen und fragte zögernd: "Was ist passiert?"
"Haben Sie schon mal was von Kindesentzug gehört?"
"Nur in Verbindung mit unverheirateten Vätern."
"Mein verheirateter Sohn hat ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin und ist vor zwei Monaten zu ihr gezogen. Angeblich soll meine Frau davon gewusst und es unterstützt haben."
"Ach so, die böse Schwiegermutter!"
"Seitdem haben wir unser Enkelkind nicht mehr gesehen. Unsere Schwiegertochter behauptet, der Umgang täte dem Kind nicht gut."
"Was können Sie dafür?" entrüstete sich seine Banknachbarin.
"Wie lange soll man für seine Kinder verantwortlich sein? Bei aller Demütigung der Schwiegertochter kann ich ihr Verhalten nicht verstehen! Das ist ja Sippenhaft! Und was tut sie ihrem Kind damit an!"
Er schwieg und seine feuchten Augen suchten den Spielplatz ab.
Schließlich fragte sie: "Wie wehren Sie sich dagegen?"
"Gar nicht. Wir hoffen auf Einsicht und Vernunft unserer Schwiegertochter. Wir waren bei der 'Öffentlichen Rechtsauskunft' und erfuhren, dass es ein Umgangsrecht der Großeltern gibt, sofern es dem Kinde dient. Unser Berater ist hauptberuflich Richter und hat uns wenig Mut gemacht."
"Und wer entscheidet darüber?"
"Das Gericht. Aber welches Urteil dient dem Kinde? Egal was entschieden wird, es wird darunter leiden. Es möchte, dass Mama und Papa wieder zusammen sind und vermisst die Großeltern. Der Richter hat uns von einem Fall erzählt, wo das Kind manipuliert wurde vor Gericht zu behaupten, Oma und Opa nicht sehen zu wollen. Daraufhin hat die Großmutter eine Geburtstagskarte gezeigt auf der die Enkelin geschrieben hatte:'Oma, ich hab dich so lieb! Warum darf ich nicht mehr zu euch kommen?' - Wie soll das Gericht..." Er brach den Satz ab. Die Jungen kamen außer Atem angelaufen und stoppten kurz vor der Bank. "Erster!" sagte Arne. "Nein, ich war erster!" widersprach Lars. Und dann wie aus einem Munde: "Oma, wir möchten Eis!"
"Was hab ich heute morgen gesagt, als ich euch die Franzbrötchen gekauft habe?"
"Ach Oma, nur ein Eis!"
Bevor sie sich erweichen ließ, hatte der Mann sein Portemonnaie herausgeholt und drückte jedem zwei Euro in die Hand.
Lars lächelte verlegen und Arne sagte: "Danke, Opa! Kommst du nächste Woche wieder?"
Bevor 'Opa' antworten konnte, waren sie schon davongerannt.
Er stand auf. "Ich muss jetzt gehen! Meine Frau wartet mit dem Kaffeetrinken auf mich. Auf Wiedersehen!"
Sie nickte. "Das war großzügig von Ihnen. Wäre aber nicht nötig gewesen! Ich will sie nicht zu sehr verwöhnen! - Aber Sie haben Arnes Frage nicht beantwortet.
Er lachte. "Selbstverständlich bin ich nächsten Mittwoch wieder hier! - Vielleicht haben die Zwillinge ja Appetit auf Eis?!"
 



 
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