Der Ersatzspieler

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MichaelKuss

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Der Ersatzspieler

Tina hatte mich angerufen: Werner, unser dritter Mann, könne an diesem Mittwoch nicht an unserer Skatrunde teilnehmen.
"Schade!" sagte ich und dachte mit Bedauern an unser eingespieltes Trio, das sich seit drei Jahren einmal pro Woche trifft und wobei jeder von uns fast jeden Spielzug, jede Raffinesse und jeden Fehler des anderen kennt.

Doch Tina beruhigte mich sofort. "Unsere Runde muss deshalb nicht ausfallen! Ich kenne da einen Ersatzspieler, der gerne einspringen würde. Es ist ein ruhiger und zurückhaltender Typ!“ erläuterte Tina. „Er spricht kaum! Ist ein bisschen schüchtern und scheu und kommt fast nie unter Leute!“
„Okay!“ sagte ich. „Dann bring ihn mit, deinen geheimnisvollen Ersatzspieler!“

Dann kam der Mittwoch und es kam Thomas, der Ersatzspieler. Begrüßung mit einem festen und herzlichen, jedoch stummen Handschlag und von seiner Seite wortlos und ohne großes Hallo. Aber Thomas war mir trotz oder gerade wegen seiner Wortlosigkeit sympathisch; Schreihälse und Besserwisser gibt es unter Skatbrüdern genug. Thomas hatte lachende Augen, Vertrauen erweckend und freundschaftlich. Nur sein schiefer, heruntergezogener Mundwinkel, der oft nervös zuckte, sowie eine breite Narbe an der Stirn verwischten das ansonsten angenehme Bild und ließen den Gedanken aufkommen, Thomas hätte vielleicht nicht alle Tassen im Schrank.

Im Verlauf des Abends hatte er dann auch kaum den Mund aufbekommen; nuschelnd stieß er beim Reizen nur kurze, kaum verständliche Wortlaute hervor, wie „Achzn“, „Zwanzg“, „Null“ oder „weg“ und „passe“. Von ihm kam kein verbaler Kommentar, kein zusammenhängender Satz, keine Floskel, nichts! Nur ein freudiges, fast kindliches Aufleuchten seiner tiefschwarzen Augen, wenn ihm ein Spielzug besonders gelungen war. Sogar über die seltenen Siege seiner Gegner konnte er sich offensichtlich freuen. Aber meistens gewann er selbst und es war eine Freude, zu sehen, wie dieses raffinierte Schlitzohr seine Gegner trickreich und mit hoher Konzentration ausspielte oder wie klug er auf die Spielzüge seiner Mitspieler einging. Kurz und gut: Thomas hatte vielleicht irgendeine Macke, aber er entpuppte sich als der beste Spieler des Abends. Obwohl er zu einem ernsthaften Konkurrenten geworden war, schloss ich ihn in mein Herz.

Am Ende des Spiels hätte Thomas umständlich mit mehreren Bussen nach Hause fahren müssen. Wegen der regnerischen Kälte bot ich ihm an, ihn mit dem Auto mitzunehmen und nach einem kleinen Umweg vor seiner Haustür abzusetzen.

„Wo wohnst du?“ fragte ich, nachdem er sich auf dem Beifahrersitz angeschnallt hatte. Als ich keine Antwort bekam, sah ich ihn an. Seine Mundwinkel zuckten, seine Stirn wölbte sich gestresst, seine Augen blickten irritiert und ängstlich.

„Wie heißt deine Straße?“ fragte ich noch einmal und kramte das Navi heraus, um die Adresse einzugeben. Jetzt schnappte Thomas nach Luft, sein Gesicht lief rot an; deutlich war zu merken, wie er angestrengt nach Worten suchte. Schließlich würgte er heraus: „Fr-Fr-Fritz-z…!“

„Fritz-Reuter-Straße?“ fragte ich.
„N-N-N-Nein!“ Thomas schüttelte heftig den Kopf. Ratlos fuhr ich an den Straßenrand, hielt ihm das Navi hin und forderte ihn auf: „Tipp's einfach ein!“

Thomas schüttelte energisch und abwehrend wie ein störrisches Kind den Kopf und presste heraus: „G-Geht nicht! K-Kann nicht!“ Betretenes Schweigen trat ein. Ach du Scheiße, ein versteckter Analphabet, dachte ich und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte.

Plötzlich strahlten Thomas Augen erkennend und erhellten das ganze Gesicht; er zog seinen Personalausweis hervor und deutete aufgeregt auf seine Wohnanschrift und dann auf mich. Endlich kapierte ich und tippte die Daten in's Navi, sagte anerkennend „Prima!“ und fuhr los. Thomas sah mich minutenlang schweigend und aufmerksam von der Seite an. Sein Gesicht wirkte jetzt entspannt und ausgeglichen. „Gleich sind wir zu Hause!“ sagte ich, um die Peinlichkeit zu überbrücken.

„D-Du prima!“ stotterte Thomas. “I-Ich Pro-Problem!“
„Du hast kein Problem!“ sagte ich. „Alles ist okay! Du bist ein prima Kumpel!“
„I-Ich Sch-Sch-Schlaganfall!“ presste Thomas jetzt hervor. „Jetzt Sp-Sp-Sprach- und Sch-Sch-Schreibstörung! Mo-Mo-Motorik im A-Arsch!“

Ich ging nicht darauf ein, sondern sagte: „Weißt du was, Thomas, ich würde mich freuen, wenn du ab jetzt regelmäßig bei uns mitspielst. Eine Skat-Runde kann auch auf Vier erweitert werden…!“

Thomas nickte erfreut, als sei Heiligabend und Bescherung.
In diesem Moment sagte das Navi: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“
 

steyrer

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Zu glatt

Hallo!

Meiner Meinung nach fehlt dieser Geschichte der zentrale Konflikt. So läuft alles ein bisschen zu glatt.

Schöne Grüße
steyrer
 

Ji Rina

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Hallo Michael:
Der Schwerpunkt ist wohl das Rätsel, was mit diesem Thomas nun los ist. Eine liebvolle kurze Story, der Erzähler, ein geduldiger Mitfühlender Mensch. Diese Wärme strahlt über die Geschichte. Das Einzige was mich gewundert hat, war Tina, denn Thomas hat ja wirklich grosse Schwierigkeiten. Und Tina kannte ihn. Wusste sie nichts von seinem Schlaganfall?
 

MichaelKuss

Mitglied
Hallo Jo rina

Als Tina mich über Thomas als neuen Spielpartner informierte, wusste sie noch nichts von seinem Schlaganfall, sondern nur von seinen Sprachschwierigkeiten generell. Sie kannte weder ihn noch seine Hintergründe näher (war mit ihm auch nur anlässlich eines anderen Skatspiels einmal zusammengetroffen). Außerdem - so vermute ich - wollte sie bei mir keine Ablehnung riskieren und so empfahl sie ihn bei mir nur mit dem Hinweis, er sei "ruhig und zurückhaltend und würde wenig sprechen". Was zwar nicht gelogen war, nur: die ganze Wahrheit stellte sich erst nachher bei mir im Auto heraus. Was ja aufzeigt, dass wir alle während drei Stunden gemeinsamen Skatspiel nicht den Mut oder das Interesse hatten, Thomas Sprachschwierigkeit zu thematisieren. Vielleicht hatten wir auch Angst davor, bei Thomas etwas Unangenehmes zu berühren oder zu wecken, worüber er eventuell lieber schweigen wollte. Aber nachher im Auto auf dem Nachhauseweg hat es sich ja dann zwangsläufig ergeben.
 

Ji Rina

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Jetzt versteh ich Deine Idee. Aber Dein Satz (hier unten) lässt eine gewisse Vertrautheit vermuten: Tina kennt ihn, weiss dass er gern einspringen würde, weiss sogar, dass er nie unter Leute kommt…Kennt ihn scheinbar sogar so gut, dass sie ihn zu jemanden anderen nach Hause schleppen kann. Da ist es nachher ein bisschen seltsam, dass sie noch nie etwas über die Gründe seines seltsamen Verhaltens gehört hat (vielleicht über dritte?). Ich fände es glaubwürdiger, wenn Du diese "Vetrautheit” ein bisschen reduzierst:

Doch Tina beruhigte mich sofort. "Unsere Runde muss deshalb nicht ausfallen! Ich kenne da einen Ersatzspieler, der gerne einspringen würde. Es ist ein ruhiger und zurückhaltender Typ!“ erläuterte Tina. „Er spricht kaum! Ist ein bisschen schüchtern und scheu und kommt fast nie unter Leute!“
„Okay!“ sagte ich. „Dann bring ihn mit, deinen geheimnisvollen Ersatzspieler!“


Doch Tina beruhigte mich sofort. “Unsere Runde muss deshalb nicht ausfallen! Es gibt da einen Ersatzspieler, der eventuell einspringen würde. Ich kenne ihn kaum. Es ist ein zurückhaltender Typ, der nicht viel spricht. Ein bisschen schüchtern und scheu, kommt wohl fast nie unter Leute. Den könnte ich mal fragen.”

Und noch etwas:
Nach dem Spiel stellte sich heraus, dass Thomas mit mehreren Bussen hätte fahren müssen.
Wie stellte sich das heraus? Hat er das mit zwei Worten gesagt: “Muss weit” “viele Busse”? Es wäre nämlich sowieso normal gewesen, wenn man ihn noch vor dem Einsteigen ins Auto, nach seiner Adresse gefragt hätte.

Vielleicht möchtest Du diese Punkte ja berücksichtigen und Erklärungen einbauen.
 



 
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