Der Fall Bodo

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klaragabel

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„Gell du host misch gelle gern“, ertönte es aus dem Badezimmer und selbst das Pochen und Gurgeln der alten Rohre, konnte das nicht dämpfen. Kommissar Maus stöhnte und öffnete das Fenster ganz weit, damit die abgestandene Luft, die sich jetzt auch noch mit dem Geruch von Dingeldeis Schweißfüßen gemischt hatte, entweichen konnte. „Gelle isch disch aach.“ Warum? Warum musste er nur so viel Pech haben? Als seine Assistentin Steffi Anfang der Woche in sein Büro gekommen war, hatte er noch an nichts Böses gedacht. Zu diesem Zeitpunkt war er noch hochzufrieden mit seinem Leben, seiner Arbeit, seinem Sein und freute sich so ganz nebenbei auf seinen Urlaub.
„Herr Maus!“ - Warum lächelte sie so engelsgleich? - „Herr Maus, ich habe eine frohe Botschaft! Sie sind ein Auserwählter!“ Irgendwie klang das bedenklich. Maus kannte Steffi, wusste, wann sie einen Witz machte, wann sie genervt war, wann sie etwas auf dem Herzen hatte, aber noch nie hatte sie ihn als einen Auserwählten gesehen.
„Gell un wonn isch lache tu.“ Verdammt, da half nur eins, er musste die Klospülung betätigen, damit sein reizender Zimmergenosse endlich mit diesen schrecklichen Faschingsliedern aufhörte. Aber dazu hätte er auch ins Bad gehen müssen. Das war eindeutig kein so guter Gedanke. Stattdessen lehnte Maus sich weit aus dem kleinen Fenster und blickte in den Burggraben, der genau seine düstere Stimmung widerspiegelte. Er war also auserwählt worden an einer Tagung für polizeiliche Führungskräfte teilzunehmen. Angeblich hatten sich andere Hauptkommissare des Bezirks Oberbayern die Finger danach geleckt – Maus bezweifelte es – aber es durfte nur einer fahren. „Gell donn lachste aach…“ Ja und jetzt war er hier. Irgendwo in Hessen, untergebracht in einem romantischen Wasserschloss und musste sich das Zimmer mit einem Kollegen aus Frankfurt teilen, der auch noch dazu von der Sitte war. Konnten die nicht wenigstens die Abteilungen zusammenlegen? Maus seufzte. Wenigstens hatte Jörg Dingeldei aufgehört zu singen. Auf dem Bett lag das Programm. Er konnte es schon auswendig, aber es schadete nicht, wenn er noch einmal nachsah, wann es hier Abendbrot gab. Die Badezimmertür wurde aufgerissen und Dingeldei - ein kleines Handtuch, das nur sehr mangelhaft das Nötigste bedeckte, um die Hüften - watschelte herein. Maus konnte gerade noch diskret den Blick auf das Faltblatt in seinen Händen richten. „Abenddiner im alten Rittersaal – 20.00 Uhr – Begrüßung durch den Schlossherrn mit kleinem Umtrunk“ stand da.
„Ei, des wird ein eschter Hammer.“ Dingeldeis Argusaugen waren nicht entgangen, was da von Maus so intensiv studiert wurde. „Isch sag Ihne, der Graf is ein Brüller. Isch war schon amol vor ein paar Jahre hier. Aber mehr will isch jetzt nischt verrate.“
Es machte ihm offenbar nichts aus, vor dem Kollegen das Handtuch zu entfernen und sich damit in aller Ruhe abzutrocknen. Eben darum – schoss es Maus durch den Kopf – eben darum wäre ich lieber mit jemandem von der Mordkommission auf einem Zimmer! Wenigstens zog er sich zügig an.
„Ei, habbe Sie sisch schon für einen der Vorträge erwärme könne?“, nahm Dingeldei den nicht vorhanden Faden ihres Gesprächs wieder auf.
„Hm, gute Frage. Ein Freund hat mir „Forensik und Entomologie – den Tätern auf der Spur“ empfohlen, aber ehrlich gesagt, interessieren mich Insekten nicht besonders. Ich tendiere eher zu dem hier... Moment, wo war der gleich, ah, ja hier „US-Profiling auch in Deutschland?“ von einer…“
„Ingrid Jenzen?“, Dingeldei lachte kurz auf. „Oh je, gehn Se fort. Die Frau is eine absolute Null. Isch kenn die. Hat vor Jahren auch mal bei der Sitte gearbeitet und sisch dann hochgeschlafe, damit man sie in die Staate schickt. Seitdem trägt sie ihr Näs´sche weit obbe, weil sie angeblisch mim FBI zusamme arbeitet.“
„Mei, eigentlich sieht sie doch ganz nett aus auf dem Foto.“
Maus wusste auch nicht, warum seine Antwort wie eine trotzige Verteidigung klang. Ärgerlich auf Dingeldei, aber noch ärgerlicher auf sich selbst, weil er sich in dessen Gegenwart nicht entspannen konnte, faltete er das Programm kurzerhand zusammen, griff nach seiner Jacke und meinte lediglich: „Ich würd sagen, wir sollten den Herrn Graf nicht so lange warten lassen.“ Das laute meckernde Lachen seines Zimmergenossen ließ ihn erstaunt innehalten. Misstrauisch sah er in das Gesicht des anderen, aber hier blitzten ihn nur muntere, blaue Äugelein vergnügt an: „Maus, Sie sind ein Kerl nach meinem Geschmack. Immer das wesentlische im Visier! Der Weinkeller des Gastgebers is wirklisch ein Grund sisch zu beeile.“
*
Greif von Eulenberg zu Waldau war wie sein Name versprach. Japanische Touristen hätten entzückt die Kameras auf ihn gerichtet, Amerikanerinnen ihn geheiratet, um endlich Prinzessin zu werden und Maus war nahe daran einen steifen Diener zu machen, so würdevoll stand der Hausherr vor ihnen.
„Herzlichst willkommen auf meinem bescheidenen Schloss. Ich hoffe sehr, dass Sie sich in Ihren Zimmern wohl fühlen, obwohl die Renovierungsarbeiten es bis jetzt nur erlauben…“
Maus ließ seinen Blick durch den großen Saal schweifen. Das war also der Ort, wo sich vor hunderten von Jahren die edlen Ritter zum Gelage getroffen hatten? Durch schmale Fenster fiel blutrot das Licht der untergehenden Sonne und ließ den Staub tanzten. An der gegenüberliegenden Wand standen stoisch düstere Rüstungen. Hinter dem Grafen hingen finster blickend dessen Vorfahren, die einem das Gefühl vermittelten, hier unerwünscht zu sein.
„…leider halten meine Gattin Pflichten als Schirmherrin ihrer karitativen Organisation ab, Sie heute hier ebenfalls begrüßen zu können. Sie wird das jedoch morgen nachholen und bis dahin müssen…“
„Habbe Sie des gehört!“, Maus zuckte schmerzhaft zusammen, denn Dingeldei hatte ihm den Ellbogen in die Rippen gestoßen. „Karitativ, dos isch ned lache! Des Fräuleinsche wird irschendwo shoppe und dann ihren Lover treffe.“
„Lassen Sie das!“, murmelte Maus unwirsch und trat einen Schritt nach hinten, fort aus der Nähe, dieses unerträglichen Menschen mit seiner eindimensionalen Denkweise, und begann nun verzweifelt die anderen Anwesenden zu mustern. Eigentlich war er nicht der Typ, der sich Freunde suchen musste und er hatte auch nur vorgehabt, das Beste aus dem Wochenende zu machen und eventuell ganz zwanglos neue Kollegen zu treffen, aber hier war eindeutig ein Notfall. Er fühlte sich in seine Schulzeit zurückversetzt, als sein bester Freund weggezogen war und er plötzlich ganz alleine dem notorischen Sitzenbleiber und Pausenhofschläger gegenüberstand.
„… deshalb genug der Worte. Ich möchte Ihnen nur kurz die Veranstalter der Tagung vorstellen…“
Irgendwie hatte die Zweibettstrategie bewirkt, dass die anderen auch in Paaren dastanden. Einige schienen sich zu kennen. Neidisch beobachtete Maus fünf Männer, die einträchtig - die Aura einer alten Freundschaft ausstrahlend – eine Gruppe bildeten.
„… Heiner Boll aus Köln, Leiter des Tagungskomitees und ferner…“
Maus drehte nachdenklich an seinem Ehering. Vielleicht sollte er mit einer der Kolleginnen ins Gespräch kommen. Ach nein, das konnte er seiner Frau nicht antun. Außerdem würde das wieder Dingeldeis schmutziger Fantasie Futter geben.
„… Eva Wies, die …“
Ein großer Mann in der hintersten Reihe fing Maus Blick auf und lächelte klein. Das ist bestimmt ein Norddeutscher, schoss es Maus durch den Kopf. Er erinnerte ihn zumindest an einen. Ruhig, zurückhaltend, gelassen, freundlich und endlich ein Mensch, bei dem es sich lohnte, ihn näher kennen zu lernen.
„… aus den USA eingetroffen Frau Ingrid Jenzen…“
Maus Kopf fuhr herum. Aber bevor er einen Blick auf die kleine Dame, die wie alle Vorgestellten in einer langen Reihe neben dem Grafen stand, werfen konnte, schob sich Dingeldeis Kopf in sein Blickfeld.
„Ei, isch find, jetzt sollte der Blaublut mal die Korke knalle lasse. Bei den ganze Name, schwirrt einem der Kopf, oder?“
Maus stöhnte, warf schnell einen Blick über die Schulter und sah mit Enttäuschung, dass sein Freund in spe sich seinem Nachbarn zugewandt hatte. Der Zug war zumindest für den Moment abgefahren und Frau Jenzen konnte er auch nicht mehr sehen, denn der Graf war am Ende seiner Rede angelangt. Tosender Applaus hallte an den alten Mauern wider und alle gingen gutgelaunt zu den festlich, gedeckten Tischen.
*
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Kommissar Maus wälzte sich stöhnend auf die andere Seite, griff nach seinem kleinen Reisewecker, zog ihn zu sich und starrte dumpf auf die Uhrzeit. Es dauerte eine Weile, bis die Informationen in sein Hirn drangen. Dann jedoch zuckte er zusammen, richtete sich ruckartig auf und sprang aus dem Bett. Mit wirren Haaren stand er nun in dem zugigen Zimmer. Der Blick auf das Bett seines schnarchenden Zimmergenossen ließen einzelne Bilder des gestrigen Abends in ihm aufsteigen. Das Bankett: er leider wieder neben Dingeldei am Tisch und eine Flasche Wein nach der anderen, die ihnen gebracht wurde. Maus überlegte. Eigentlich war es doch ein ganz lustiger Abend geworden und der Wein war wirklich gut gewesen. Er würde wahrscheinlich nur eine Kopfschmerztablette brauchen, bevor er schnell unter die Dusche hüpfte, um sich dann nach einer Tasse Kaffee unbemerkt in den Westsalon zu dem Vortrag zu schleichen. Als er dann zehn Minuten später in den Speisesaal kam, war außer einem missmutigen Kellner, der neben dem Büfett gelangweilt aus dem Fenster den grauen Himmel betrachtete, niemand da. Maus steckte ein Brötchen in die Jackentasche, nahm eine Tasse und goss sich zu schnell Kaffee ein, dass die Hälfte überschwappte. Na prima, da passte keine Milch mehr rein! Er hasste schwarzen Kaffee!
„Wir können tauschen!“, Maus fuhr herum. Das hatte er nun davon, wenn er einen über den Durst trank. Seine Sinne waren nicht mehr geschärft und er hatte die Person nicht kommen hören. Zum Glück stand hinter ihm der große Norddeutsche von gestern und hielt ihm seinen Kaffee entgegen.
„Oh.“, stammelte Maus und wurde rot wie ein Schulmädchen, nahm aber das Angebot gerne an. „Danke, sehr nett!“
„War mir ein Vergnügen, ich trinke ihn lieber schwarz. Mein Name ist übrigens Otto Fischer, Hauptkommissar bei der Mordkommission Stralsund.“
Maus Strahlen ersetzte die fehlende Sonne des Tages und sofort begannen die beiden Männer angeregt plaudernd und ohne Absprache Richtung Westsalon zu gehen. So in ihr Gespräch vertieft merkten sie dort angekommen erst gar nicht, dass die große Flügeltür immer noch weit offen stand, obwohl der Vortrag eigentlich schon seit einer halben Stunde angefangen haben sollte. Einige Tagungsteilnehmer standen in der Galerie, unterhielten sich und schienen offensichtlich zu warten. Eine Dame hatte ein Fenster geöffnet und lehnte sich rauchend hinaus. Als sie Maus und Fischer erblickte nickte sie freundlich – Maus überlegte fieberhaft, ob er sie gestern kennen gelernt hatte.
„Was ist denn los?“, fragte Otto Fischer und trat zu ihr.
„Oh, das wüssten wir auch gerne, Otto. Eigentlich sollten wir schon längst inmitten interessanter Dinge und gestörter Psychen stecken, aber ohne Referentin? Ich glaube fast, die kommt nicht mehr.“, antwortete sie und drückte die Zigarette auf dem Fensterbrett aus. Maus war erleichtert, dass es eine Bekannte von Fischer war, und stellte den Suchvorgang seines Gehirns bezüglich einer Verbindung mit ihr sofort wieder ein.
„Merkwürdig. Ob sie verschlafen hat? Hat denn schon jemand nachgesehen?“
Die Dame zuckte die Schultern und steckte das Feuerzeug in die Handtasche.
„Ich nehm mal an. Aber in diesem Irrenhaus, weiß man ja nie so genau, was passiert. Vielleicht hat sich die Jenzen auch verlaufen, is´ in eine Fallgrube gestürzt, in der Folterkammer gelandet oder gar in dem geheimen Labor von unserem Grafen Frankenstein. Alles möglich, oder?“
Maus und Fischer sahen sich kurz an. Mehr brauchte es nicht. Die Zimmernummer war schnell erfahren und einige Minuten später pfiff Fischer anerkennend durch die Zähne.
„Donnerwetter, die Veranstalter sind ja nobel untergebracht. Nichts im Vergleich zu der Kemenate, die ich mir mit dem Kollegen aus Ulm teilen muss.“
Maus nickte grinsend. „Wie wahr. Aber seien Sie ruhig ein bisschen dankbarer, denn wenigstens haben Sie ein Zimmer, während ich gefühlsmäßig in der Sattelkammer mit dem Stallknecht einquartiert worden bin. Sehen Sie mal, es gibt einen fantastischen Rundumblick. Hier kann man auf den Schlossgraben sehen, hier auf die Brücke und hier auf den Hof.“
Fischer war neben ihn getreten und andächtig genossen beide die Aussicht.
„Wo sie wohl stecken könnte?“, fragte Maus.
„Hm, ich weiß nicht. Das Zimmer sieht zumindest so aus, als ob sie nicht abgereist wäre. Alles noch da. Koffer, Kleider, Schminkzeug – hier auf dem Tisch steht ihr Notebook…“ Fischer lief nun durch den Raum und fuhr mit seiner mündlichen Bestandsaufnahme fort. „Das Bett scheint benutzt, im Badezimmer tropft der Wasserhahn, da liegt ein Handtuch, hier die Zahnbürste…“
Maus schüttelte nachdenklich den Kopf und ging zum Bett. Fischer hatte Recht, es war zerwühlt, ein Nachthemd lag zerknüllt auf dem Kissen. Sein Blick schweifte durch den Raum. Hier war alles so…
„… arrangiert!“, hörte er sich plötzlich laut sagen.
„Genau das habe ich mir auch gedacht. Sieht aus wie ein Tatort bei einer dieser dämlichen US-Serien, nur noch einen Tick plumper. Selbst in der Grundausbildung geben die sich mehr Mühe. Da will wohl jemand unsere Intelligenz beleidigen!“
„Recht so, Fischer, recht so! Fehler, wohin man auch schaut lieblose Fehler. Was ist Ihr persönlicher Favorit? Ich schwanke noch zwischen den fehlenden Schuhen und dem ungeöffneten Beauty-Case hier mitten im Zimmer. Einfach lächerlich!“
„Ach ich kann mich noch nicht entscheiden. Mich stört vor allem die vorgetäuschte Hast und die Praline – ich hatte übrigens keine – liegt neben dem Kopfkissen. Die wurde wohl beim Derangieren des Bettes glatt übersehen.“
„Tja, und jetzt? Sollen wir das Spiel mitspielen, oder es den anderen Kollegen überlassen, hier ihre kriminalistischen Fähigkeiten zu entfalten?“
Bevor aber Fischer antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen und mehrere Personen betraten den Raum. Maus war nicht sehr erstaunt unter ihnen Dingeldei zu sehen. Ferner erkannte er den Grafen, der lediglich eine Augenbraue hochzog, ansonsten aber recht gleichgültig blickte. Einer der Veranstalter – erkennbar durch ein wichtiges Plastikschild, das um seinen Hals baumelte – schubste nun Dingeldei unhöflich zur Seite. Jetzt fiel Maus auch eine luxuriös gekleidete Dame auf, die sich gelangweilt im Hintergrund hielt. Wer war das?
„Ei, wos habbe wir denn do?“ Dingeldei und der Veranstalter benahmen sich jetzt wie die Kinder in einem Spielzeugladen beim Schlussverkauf.
„Bei der Spurensicherung wären die beiden glatt durchgefallen!“, raunte Fischer Maus ins Ohr, während er angewidert beobachtete, wie die Herren jetzt anfingen, den Koffer zu durchwühlen. Immer mehr Menschen drängten ins Zimmer. Wie eine ausgehungerte Schar Geier stürzten sie sich mit Tat und fachkundigem Rat auf alles, was Dingeldei und sein Helfer übriggelassen hatten. Das Chaos war vorprogrammiert, keiner wollte mit seiner profunden Erfahrung hinter dem Berg halten. Manchmal konnte es wirklich ein Fluch sein, so viele Profis auf einem Haufen zu haben. Maus wurde es zu eng. Er musste raus hier, stieg mit einem großen Schritt über einen Kollegen, der auf dem Boden kniete und eine hübsche Brünette auf einen Punkt des Teppichs aufmerksam machte.
„Das hier ist doch eindeutig Blut! Sehen Sie nur diesen Spritzer.“
„Denken Sie wirklich? Für mich sieht das aus wie ein gewöhnlicher Fleck!“, war ihre nicht uninteressierte aber doch durch jahrelange Erfahrung als alleinerziehende Mutter skeptische Antwort.
„Tja, für das bloße Auge… Aber warten Sie. Ich habe zufällig meine Ausrüstung dabei. Wir machen mal schnell den Kastle-Meyer-Test. Wenn Sie so freundlich wären und mir assistieren?“
Auf dem Gang vor dem Zimmer stieß Maus auf den Grafen, den man respektlos dorthin gedrängt hatte und der offensichtlich noch nicht wusste, wie er das finden sollte. Die unzufriedene, elegante Dame neben ihm, schien keine große Hilfe.
„Mein Gott!“, maulte sie. „Muss isch jetzt die ganze Zeit auch hier bleiben? Isch bin hundemüd, Schnucki. Und isch muss aus diese Klamotte raus.“
Der Graf nickte nur geistesabwesend, sah Maus und erkannte in ihm den Mann, der Licht in diesen merkwürdigen Vormittag bringen könnte.
„Sagen Sie guter Mann, was ist da eigentlich los? Wo ist diese Frau, nach der alles sucht? Muss man sich Sorgen machen?“
Bevor Maus jedoch den Mund öffnen konnte, streckte Dingeldei den Kopf aus der Tür und rief mit Begeisterung: „Herr Graf, Sie würde uns helfe, wenn Sie die örtlische Polizei anrufe würde. Isch denk, hier is ebbes passiert. Und zwar eine Entführung!“
Das war zu viel! Maus, der eigentlich auf Fischer hatte warten wollen, nahm gleich zwei Stufen der Wendeltreppe des Turms auf einmal, gelangte in die Empfangshalle, öffnete die schwere Eingangstür, trat in den Hof und stand im Nieselregen. Tief atmete er ein. Das tat gut! Trotz des Regens war das Wetter drückend schwül. Das hier schien das tropischste Fleckchen Deutschlands zu sein. Maus ging über die Brücke, warf einen Blick zu dem Turmzimmer, sah dort einige Leute Fingerabdrücke am Fensterrahmen nehmen und musste lachen. Auf der anderen Seite entdeckte er eine kleine Bank. Dort setzte er sich erst einmal hin, ließ seine Gedanken kreisen und betrachtete dabei das Wasserschloss. Es war wirklich hübsch, wie es dort im See lag. Diese märchenhafte Kulisse passte so gar nicht zu den absurden Szenen, die sich momentan in seinem Inneren abspielten. Merkwürdig war alles; angefangen mit der blödsinnigen Tagung, über seinen schrecklichen Zimmergenossen bis hin zu dieser angeblich verschwunden Frau. Wo mochte sie wohl sein? Gestern hatte er sie doch noch gesehen. Naja, zumindest für ein paar Sekunden, denn beim Abendessen saß er ja am Katzentisch und hatte nur das Bedürfnis, seinen Geist zu betäuben. Maus schwitzte. Diese hohe Luftfeuchtigkeit war eigentlich nichts für ihn. Man konnte nicht klar denken. Leise plätscherten die Wellen ans Ufer. Die zwei hohen Türme ragten hoch in den diesigen Himmel.
Fischer konnte Maus nirgendwo entdecken, als es auch ihm endlich gelang, aus dem Zimmer zu kommen. Der Graf hatte ein Handy am Ohr und gab laut Instruktionen. Die elegante Dame wühlte in ihrer lächerlich kleinen Handtasche. Fischer entging nicht, dass sie sehr nervös war. Ob es wohl an dem aufdringlichen Blicken des kahlköpfigen Mannes lag, der unhöflich nahe bei ihr stand und ihr etwas zuflüsterte? Das war doch dieser Idiot, der alles im Zimmer durchwühlt hatte. Fischers Ritterlichkeit verlangte der Frau zu helfen.
„Verzeihung. Aber wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Fischer und ich finde, dass so eine hübsche Dame nicht im zugigen Gang stehen sollte.“
Erstaunt hob die Angesprochene das Gesicht, schaute Fischer etwas misstrauisch an, erkannte aber gleich, dass er es tatsächlich so freundlich meinte, wie es klang, warf dem Grafen einen kurzen, giftigen Blick zu, entsann sich wieder an die Regeln der Höflichkeit und lächelte huldvoll.
„Ei, endlisch ein Mann, der den Überblick hat. Sehr angenehm, Sie kennen zu lernen Herr Fischer. Isch bin die Gräfin Jaqueline von Eulenberg zu Waldau.“
„Enchantée Madame. So sind Sie also doch noch gekommen. Wir haben es sehr bedauert Sie…“
Ein hässliches, meckerndes Kichern unterbrach Fischers Galanterie. Leicht genervt blickte er auf den Glatzkopf.
„Französisch! Ei, des wird ja immer besser!“
„Wenn Sie misch jetzt bitte entschuldigen würden, meine Herren!“, sprach die Dame leise, drehte auf dem Absatz um und stöckelte davon. Fischer blickte ihr bedauernd nach, entschloss sich spontan auf den Turm zu steigen und ließ den unerträglichen Schwätzer mit dem Grafen allein. Zum Glück war die Tür am Ende der Treppe nicht abgesperrt. Fischer trat auf die Plattform, wurde vom Nieselregen eingefangen und ging an die baufällige Mauer, um auf den See zu schauen. Ein bisschen renovierungsbedürftig aber hübsch und ganz schön tief, überlegte er. Am Ufer entdeckte er Maus und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Fischer überlegte, ob er auf sich aufmerksam machen sollte, aber Maus war damit beschäftigt, eine Gruppe Schwäne zu füttern. Irgendwie wirkte die Szene sehr rührend. Er sah wie die Tiere bettelnd ihre langen Hälse streckten, hörte das Fiepen der Jungtiere. Alles war so friedlich. Plötzlich bemerkte Fischer, dass Maus stutzte. Etwas trieb offenbar ans Ufer, aber Fischer konnte nicht erkennen, was. Er beugte sich weiter über die Zinnen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der See zum Teil eingezäunt war. Warum denn das? Hatte der Graf hinter dem stabilen Maschendraht etwa seine Nessi eingesperrt? Ein großer Baumstamm lag reglos im Wasser. Komisch! Maus hatte mittlerweile die Schuhe und Socken ausgezogen und versuchte in den See zu waten. Offenbar war der Untergrund schlüpfrig, denn er ruderte mit den Armen, als müsse er das Gleichgewicht halten. Fischer versuchte von der Höhe zu erkennen, was der Kollege aus dem Wasser holen wollte. Es sah aus wie ein weißer, dünner Ast. Plötzlich zuckte er zusammen, konnte es nicht fassen, sah nochmals hin. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Einige Sekunden war er wie gelähmt vor Entsetzen. Er merkte gar nicht, dass sich seine Finger in die poröse Mauer der Zinne gruben. Mörtel bröckelte und dann begann Fischer zu brüllen.
„Maaaaaaaaaauuuuuuuuuuuuuuus! Achtung! Passen Sie auf! Maauus…“
Maus stand bis zu den Knien im modrigen Wasser, wollte nicht darüber nachdenken, was für eine Art Schlamm zwischen seinen Zehen quatschte, unterdrückte den Ekel und versuchte mit Hilfe eines dünnen Astes an den Gegenstand zu kommen, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Eine kleine Welle kam ihm dabei zu Hilfe. Noch ein paar Millimeter. Er beugte sich vor, verlor fast das Gleichgewicht, pendelte in letzter Sekunde aus. Jetzt konnte er zugreifen, aber im gleichen Moment als er das Ding hochhob, hätte er es am liebsten mit einem entsetzten Schrei, wieder in den See geschleudert. Doch Maus war eben das, was er war: eine Zierde seiner Zunft! Niemals würde er mit Beweismaterial – auch wenn es noch so abstoßend, ekelhaft und entsetzlich war – unpfleglich umgehen und das, was er nun in den Händen hielt, war mehr als widerwärtig. Ein Arm! Ein abgetrennter – nein – ein abgerissener, menschlicher Arm! Wie war das möglich? Maus starrte auf rot lackierte Fingernägel, musste blinzeln, sah einen hübschen Ring, der seiner Frau auch gefallen hätte, dachte nach, hörte irgendwo aus der Ferne einen aufmunternden Ruf, bemerkte etwas, das sich um den Daumen verfangen hatte, versuchte es zu entfernen, hörte wieder seinen Namen und verstand plötzlich, dass – abgesehen von seinem merkwürdigen Fund – hier gar nichts stimmte. Er hob den Kopf, sah zum Turm, erkannte einen Mann – Fischer!? – der verzweifelt auf und ab hüpfte und auf den See deutete. Maus kniff die Augen zusammen. Was meinte sein Freund? Er konnte nichts erkennen. Dafür sah er aber, dass hinter Fischer eine weitere Person aufgetaucht war. Kahlköpfig, drahtig, kleinwüchsig und bestimmt nervig stand jetzt auch noch Dingeldei an der Mauer, zupfte Fischer, der offenbar nicht mehr zu beruhigen war am Ärmel und begann dann auch zu brüllen. Was hatten die beiden denn nur? Die Antwort – auf die Maus im Nachhinein gerne verzichtet hätte – kam zwei Sekunden später. Explosionsartig schoss etwas vor ihm aus dem Wasser: Zähne, mächtige Kiefer, ein gigantisches Maul, ein mindestens sieben Meter langer Körper. Maus öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, konnte sich nicht bewegen vor Schreck und sah wie in Zeitlupe, wie ihm von dem riesigen Ungeheuer der Arm aus der Hand gerissen wurde. Mit einer Schnelligkeit und unerwarteten Eleganz warf das Tier den Kopf herum, drehte sich und platschte zurück ins Wasser, so dass Maus einige Millisekunden hoffen konnte, das alles nur geträumt zu haben. Eine Drehung, der mächtige, muskulöse Schwanz des Tieres peitschte hervor, traf den Kommissar und riss ihn von den Beinen. Er landete relativ sanft, schluckte Wasser, spuckte, hustete, sah zum Turm – dort war niemand mehr – wunderte sich, warum er sich mit solchen Nebensächlichkeiten aufhielt und spürte endlich die Panik, die ihm das nötige Adrenalin in die Adern pumpte. Seine Hände suchten Halt im schlammigen Untergrund, die Finger wühlten, gruben sich ein, aber er konnte sich nicht aufrichten, rutschte wieder, seine Füße glitschten aus. Er zog sich weiter Richtung Ufer, streckte blind die rechte Hand aus, um dort auf Glück etwas zu finden, an dem er sich hochziehen konnte, während er die Stelle, an der das schreckliche Urzeitwesen untergetaucht war, nicht aus den Augen ließ. Der morastige Grund schien ihn jetzt einzusaugen. Verzweifelt stütze er sich mit dem linken Arm ab, ein hässliches Schmatzen gab sein Hinterteil frei, der Schwung war zu groß, er drohte nach rechts zu kippen, wieder einzutauchen in das aufgewühlte Wasser um unnötig Zeit zu verlieren. Aber bevor Maus sich mit dem Schicksal eines seiner Beine zu verlieren abfinden konnte, wurde er von hinten unter den Achseln gepackt und aus dem Wasser gezerrt. Gleichzeitig schnellte der Kopf des Tieres hervor, warf ihn in den Nacken, ließ den Arm im Ganzen in den Schlund rutschen, drehte sich blitzartig um und schnappte an die Stelle wo wenige Sekunde zuvor noch Maus linker Fuß gewesen war. Mit schreckensgeweiteten Augen starrte der Kommissar auf den Angreifer, während er hastig und ohne sein Dazutun, von den beiden Polizeibeamten weiter an Land gezogen wurde.
„Ei, wir müsse uns beeile!“, schnaufte einer. „Die Bestien sind auch sehr flott an Land! Hej, Meister, wie wär´s, wenn Sie mal mithelfe würde?“
Mechanisch führte Maus den Befehl aus, kam wackelig auf die Beine und stolperte mit seinen Rettern auf die Brücke, wo sie mit klopfenden Herzen das Ungeheuer beobachteten. Dieses schien einen Augenblick nachzudenken, ob es sich lohne, die Beute zu verfolgen. Doch offenbar war der Weg zu weit und zu steil. Langsam versank der große Schädel im Wasser. Man konnte noch sehen, wie der riesige Körper eine Drehung machte und dann war das Tier in die dunkelgrüne Tiefe des Sees abgetaucht. Für ein paar Sekunden schien die ganze Welt die Luft anzuhalten. Dann hörte man das Fiepen der Jungschwäne am Ufer. Fischer und Dingeldei kamen gleichzeitig angerannt, hinter ihnen trabte der Graf.
„Mein Gott, was haben Sie mit Bodo gemacht?“
„Bodo?“, Maus konnte nicht glauben, dass er ihm möglich war, überhaupt noch zu sprechen, aber diese vorwurfsvolle Frage des Grafen hatte ihn aus seiner Starre gerissen. „Bodo? Sie geben diesem Vieh auch noch einen Namen? Sie…“
„Na hören Sie mal, das ist kein Vieh. Das ist ein Prachtexemplar von einem Leistenkrokodil, der Stolz meiner Zucht, mein Augenstern und das Wappentier meiner Familie!“
„Ei, Herr Graf, entschuldigen Sie, wenn isch misch da jetzt einmisch, aber der Herr hier hat vollkommen rescht. Heut is des ein bisschen zu weit gegange mit Ihrem kleinen Hobby.“, ergriff einer der Uniformierten für Maus Partei. „Wie is denn des möglisch, das des Ungeheuer aus dem Käfisch rausgekomme is?“
„Schulz, das frag ich mich auch. Sie wissen so gut wie ich, dass ich immer größte Sorgfalt walten lasse, wenn ich meine Lieblinge im Sommer im See schwimmen. Wie Sie vermutlich sehen können, befinden sich meine Alligatoren alle noch im abgezäumten Bereich. Ich kann mir die ganze Sache nur so erklären, dass jemand Bodo die Pforte von seinem Kerkerraum geöffnet hat!“
„Sie Wahnsinniger!“, mischte sich Fischer jetzt in das Gespräch ein. „Sie können doch nicht Krokodile züchten und gleichzeitig Ihr Hotel mit Gästen vollladen. Sie haben Glück, dass die Sache noch halbwegs glimpflich ausgegangen ist!“
Maus, zu dessen Füßen sich bereits eine große Pfütze gebildet hatte, begann zu zittern und schlug den Kragen seiner durchweichten Jacke hoch, was auch nicht besonders viel brachte, aber irgendwas musste er jetzt tun, sonst wäre er dem Grafen an die Gurgel gegangen. Als er gerade den obersten Knopf schließen wollte, ertasteten seine Finger etwas. Das war keine Alge oder Schlingpflanze. Vorsichtig nestelte er den Gegenstand, der sich dort verfangen hatte, ab, um ihn näher betrachten zu können.
„Sie hätte wenigstens die Warnschilder festmache könne, Herr Graf!“
„Aber die sind hässlich und verschandeln den ganzen Blick auf das Schloss!“
„Wer hatte Zugang zu den Kellergewölben?“
„Da kann jeder hin!“
„Soll das heißen, dass…“
Es war eine heftige Diskussion entbrannt. Alle sprachen durcheinander, aber Maus hörte nicht mehr zu. Er starrte eine Weile auf den Gegenstand in seiner Hand, hob den Kopf, begegnete Fischers Blick. Beide nickten stumm und einvernehmlich.
„Wir müssen es erschießen!“, sagte Maus dann laut. Der Graf fuhr mit hochrotem Kopf herum. „Was?“
„Na, das Krokodil. Es muss erschossen werden, denn in seinem Magen befinden sich wichtige Beweise. Es hat vor meinen Augen einen Arm verschlungen. Den Arm von Ingrid Jenzen und ich verwette meine Dienstmarke, dass der Rest der werten Dame sich dort ebenfalls befindet!“
*
Als Maus am darauffolgenden Montag sein Büro betrat, wurde er mit Applaus begrüßt. Bescheidend lächelnd ließ er sich in seinen bequemen Sessel fallen und setzte einen fragenden Blick auf. Steffi reagierte sofort und stellte ihm eine Tasse Kaffee neben die Zeitung, auf der groß die Schlagzeile: „Bayer entlarvt Krokodilmörder“ stand. Er war sich sicher, dass ein ähnlicher Text vielleicht „Sohn der Stadt schnappt Krokodilkiller“ jetzt in Stralsund zu lesen war. Nachdem er einen wohlverdienten Schluck genommen hatte, gab es kein Halten mehr. Aus allen Richtungen stürmten die Fragen auf ihn ein. Der Kommissar grinste breit und erhob dann die Stimme:
„Meine Herrschaften, hallo, doch nicht alle auf einmal! Der Reihe nach, bitte!“
„Wie kamen Sie auf den Mörder?“
„Zufall, denn der Plan war im Ansatz eigentlich clever durchdacht. Das Timing gut, das Alibi wasserdicht. Aber wie das so oft ist, wenn man Tiere als Mittel einsetzt, gibt es Stolperstricke. Das Opfer war nicht so leicht zu beseitigen, wie erhofft, denn der Arm, den Bodo sich offenbar zum Frühstück aufgehoben hatte, schwamm noch im See, wo ich ihn ja fast sicherstellen konnte.“
„Oh, wie gruselig.“, stöhnte Steffi auf. „Aber, wie ging es dann weiter? Wie kamen Sie auf diesen… diesen…“
„Dingeldei.“, half Maus ihr. „Jörg Dingeldei, jetzt ehemaliger Polizeihauptkommissar von der Sitte Frankfurt am Main. Nun, es gab allen Grund, die Dame umzubringen, da sie ihn fest in der Hand hatte. Durch ihre gemeinsame Tätigkeit vor Jahren, wusste sie, dass er im Milieu auch als Luden-Jogi bestens bekannt war. Er lebte von dicken Schmiergeldern und wie sich jetzt herausstellte, war er auch aktiv bei einem bulgarischen Mädchenhändlerring beteiligt. Ingrid Jenzen hatte alle nötigen Beweise zusammen und Dingeldei keine andere Wahl. Sie war sauber, ließ sich nicht bestechen, war aber bereit, sich mit ihm zu treffen. Da sie sowieso auf einer Vortragsreihe unterwegs war, fiel die Wahl auf das Wasserschloss. Beide kamen früher und nur die Gräfin wusste davon. Ihr Mann bekam sowieso nie mit, wer da ein- und ausging. Ihm war es egal, ob Touristen, Einheimische oder Wochenendseminarler sein Schloss bevölkerten, solange nur das Geld in seiner Kasse klingelte, damit er seinen zahlreichen Hobbys frönen konnte. Die Krokozucht ist nur eines davon.“
„Dann war also die Gräfin eine Helfershelferin!“, kombinierte Polizeiobermeister Hammer und Maus nickte.
„Genau so war es. Uschi Stein war früher Prostituierte im Frankfurter Bahnhofsviertel, bevor sie dank Dingeldeis Hilfe den Grafen kennen lernte und heiratete. Heute heißt sie Jaqueline von Eulenberg zu Waldau und lebt in Angst, dass man in ihrer Vergangenheit herumwühlen könnte. Dem Grafen ist es egal, aber ihr nicht, so dass sie mitspielen musste. Frau Jenzen kommt also am frühen Freitagmorgen auf den Turm, trifft Dingeldei. Dieser nutzt die Baufälligkeit des Gebäudes, schlägt sie k.o. und stößt sie kaltblütig in den See. Frau Gräfin hat derweil den Schlüssel ihres Gatten gemopst, Bodo freigelassen und der hat sich gefreut, was zu essen zu bekommen. Die beiden hatten wirklich Glück, dass nicht irgendwelche Vogelstimmenwanderer oder sonstigen Frühaufsteher Zeugen des Geschehens waren. Dingeldei ist dann zurückgefahren und erst am Nachmittag mit den anderen Teilnehmern eingetrudelt. Leider hatte er das Pech, mit mir ein Zimmer teilen zu müssen und mich dummerweise als sein Alibi benutzen zu wollten. Hm, der Ansatz des Zeitfaktors war auch ganz klug durchdacht, denn Gräfin Uschi Stein hatte sich als Ingrid Jenzen verkleidet, was von Größe und Statur auch ging, und erweckte so den Eindruck, dass, wenn man das Verschwinden der Dame feststellte, sie am Abend noch gelebt haben musste. Und auch hier hatten sie wieder Glück, denn Frau Jenzen war zu lange in den USA, um eventuell noch erkannt zu werden. Vom Graf ging auch keine Gefahr aus, denn in seiner Arroganz beachtet er sowieso niemanden. Enge Freunde hatte sie nicht, denn sie war vom Charakter her eine ehrgeizige Bissgurke. Wir konnten mittlerweile die Perücke und das Abendkleid sicherstellen.“
„Wie wollten die beiden das Verschwinden des Opfers erklären?“, fragte Kommissarin Claudia Hubschmied mit gerunzelter Stirn.
„Sie setzten alles auf Verwirrung, Chaos und die Tatsache, dass das Interesse an dem Fall schnell schwindet, wenn keine Resultate folgen. Die vielen Kollegen vor Ort waren perfekt, alles durcheinander zu bringen. Der Spruch mit den Köchen und den Brei ist wirklich treffend. Dingeldei selbst hat den Animateur abgegeben und alle haben mitgemacht. Dann hat er das Gerücht der Entführung gestreut. Der nächste Schritt wäre wahrscheinlich eine Lösegeldforderung gewesen, die niemand hätte bezahlen wollen. Weder wir und schon gar nicht das FBI, das übrigens ein ganz mieser Knauserverein ist. Naja, Dingeldei hätte dann wahrscheinlich noch ein verwackeltes Foto geschickt, auf dem die Gräfin alias Ingrid Jenzen weidwund in die Kamera guckt und doch jeder erkennt, dass sie mittlerweile irgendwo in den Osten vorzugsweise nach Bulgarien verschleppt wurde und das war´s dann auch schon.“
„Das ist ja wirklich allerhand!“, bemerkte Hammer. „Aber jetzt zum letzten Puzzleteilchen, Herr Kommissar!“
„Das letzte Teilchen? Hm, für mich war das ganz klar das Goldkettchen mit dem Anhänger der Heiligen Jungfrau, das Frau Jenzen ihrem Mörder bei dem verzweifelten Kampf vom Hals gerissen haben muss. Dort standen sein Geburtsdatum, sein Name und sein Geburtsort „Groß-Umstadt“. Fischer und ich haben dann nur noch eins und eins zusammengezählt, ein paar Anrufe gemacht und schon hatten wir die beiden.“
„Er ist katholisch?“, fragte Kommissarin Hubschmied erstaunt. Spitzbübisch lächelnd stand Maus auf, nahm seine Jacke, ging zur Tür, drehte sich noch einmal zu den Kollegen um und entgegnete: „Seine Mutter war waschechte Rosenheimerin! Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, denn ich muss mit meiner Frau noch zum Reisebüro und meinen Urlaub buchen.“
„Wo soll´s denn hingehen?“, fragte Steffi neugierig.
„Hm, weiß noch nicht so genau. Ich für meinen Teil hätte Lust auf Florida. In den Everglades soll es eine Menge interessanter Alligatoren geben. Mal sehen!“
 

jon

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Das hat mir stilistisch sehr zugesagt und bis auf den zu langen Absatz (der, der im See spielt) empfand ich das Lesen als recht kurzweilig.

Am Anfang wäre es es hilfreich gewesen, sofort zu erfahren, dass Dingeldei singt, ich dachte im Ernst, er macht Maus "Liebeserklärungen". Detail-Stolperstellchen gibt es auch, aber nur sehr wenige.

Dass mir die Geschichte nicht wirklich gefällt, liegt aber an der Struktur: Nahezu alles, was einen Krimi spannend macht, ist ausgespart und in das "Aufsagen der Lösung" hineingepackt worden. Der Leser hat an keiner, wirklich keiner Stelle die Chance, mitzuraten. Dass Dingeldei und die Gräfin den gleichen Tonfall drauf haben - ok, sowas soll vorkommen. Und dass es es keine Entführung war, wird auch bretterbreit mitgeteilt. Aber sonst …
 



 
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