Der Fall der 3Pinienkerne

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„Roycroft! Es ist genau, wie ich es mir gedacht habe. Sieh her.“ Damit zeigte mein Freund Will Parker auf 3Pinienkerne, die er bei der Leiche von Mr. McIntosh gefunden hatte. Ich schaute sie mir mit einigem Interesse an, konnte jedoch nichts sonderlich auffälliges entdecken. „Was soll damit sein Parker?“ „Aber Roycroft, beobachte!“ Und so tat ich wie mir geheißen, während er ein Telegramm schrieb und es an Billie weitergab. „Sie sind vertrocknet.“
„Ausgezeichnet mein Lieber, was siehst Du noch?“ Ich roch daran, so wie ich es viele Male bei ihm gesehen hatte. „Sie riechen verbrannt!“ entfuhr es mir. „Aha, und das bedeutet?“ „Dass er in dem Wald vor Mac Maurin´s Anwesen gewesen sein muss, zu dem Zeitpunkt als es brannte, folglich kann er da noch nicht tot gewesen sein.“ „Genau.“ Stimmte mein Freund mir zu, um jedoch gleich hinzuzufügen: “Oder etwas ganz anderes.“ Er nahm seine Pfeife und den Tabak zur Hand, welchen er wie eh und je in dem alten, ausgefransten Pantoffel aufbewahrte, steckte sie sich an und blies unentwegt kleine Wölkchen in den Raum, während er im Sessel zusammengekauert saß und nachdachte. Erfahren genug, wusste ich nun zu schweigen und so las ich mir einige Magazine und die Abendausgabe der Times durch. Es stand jedoch nichts Neues oder Ergiebiges darin und so wagte ich doch das Schweigen zu durchbrechen. „Hast du denn schon einen Verdacht wer es sein könnte?“ „Mein Lieber, wenn es so einfach wäre.“ Er schmunzelte dabei so selbstsicher, dass mir klar wurde, dass er schon lange wusste wer den armen Mr. McIntosh umgebracht hatte. Um den werten Leser nicht zulange im Dunkeln tappen zu lassen, hier eine kleine Aufklärung.

Es war ein schöner Herbsttag gewesen, nur überschattet von dunklen, aufziehenden Wolken. Die Sonne stand kurz vor ihrem Untergang als ein Waldbrand bei Mac Maurin die Aufmerksamkeit der Feuerwehrleute auf das verschlafene Städtchen St. Gregor lenkte. Die Dorfbewohner eilten herbei und versuchten die vom Sommer ausgetrockneten Bäume zu nässen, oder zu löschen. Ein paar begaben sich zum Hause von McIntosh um ihn um Hilfe zu bitten, da es sehr nah gelegen war. Die Dienstmädchen und der Butler eilten hinaus um zu helfen, nur der Herr selber ließ sich entschuldigen, da er noch zu tun habe. Er war ein vornehmer, nicht übermäßig reicher Gutsbesitzer, der als etwas einsiedlerisch galt, also nicht weiter verwunderlich. Als die Sonne schon längst untergegangen war und der Brand mit Hilfe eines dröhnenden Gewitters und platschendem Regen gelöscht, begab sich das Dienstmädchen in die Bibliothek um dem Herrn eine warme Milch mit Honig zu bringen. Er verlangte jeden Abend danach. Sie sah durch den unteren Türspalt, dass Licht im Innern brannte, doch öffnen wollte sich die Tür nicht, auch kein Laut war da. So, ließ sie den Butler kommen, der das Zimmer aufschloss, doch zum allergrößten Entsetzen fanden sie den Herren tot, mit aufgerissenem Munde auf dem Boden liegen. Erdrosselt mit einer Geigenseite. Ziemlich blutig.

Auf diesen Vorfall hin, hatte man Inspektor Perry vom Scotland Yard kommen lassen. Der Inspektor jedoch wusste sich keinen Reim auf ein geschlossenes Zimmer, eine brennende Kerze und eine Geigenseite zu machen also bat er meinen Freund Will Parker um Hilfe. Außerdem musste er sich um wichtigere Dinge kümmern, wie er verlauten ließ. Daraufhin waren Parker und ich gleich am nächsten Morgen nach St. Gregor aufgebrochen, hatten den Schauplatz besichtigt, die Zeugen vernommen und waren danach wieder in die Richmore Street zurückgekehrt, weil mein Freund es für angebracht hielt, hier noch einmal alles zu überdenken. Und nun konnte ich ihn bei seiner Denkarbeit beobachten und bewundern.

„Er muss...“ so riss er mich aus meinen eigenen Gedanken. „...also nach dem Tee in die Bibliothek gegangen sein und hat sie seitdem nicht mehr verlassen, doch der Raum liegt im ersten Stock und die Fenster waren von innen, aufgrund der dunklen Wolkenfront, verriegelt.“ Er machte eine schauspielerisch, sehr eindrucksvolle Pause und fuhr fort „Wie gelangt er also hinein?“
„Wenn er einen Schlüssel hat.“ warf ich ein. „Danke, was würde ich ohne deine fundamentalen Beobachtungen tun.“ Er war in seinem Element und übertrieb wiedereinmal, doch ich biss mir auf die Lippen und verkniff mir eine Bemerkung. „Wer hat einen Schlüssel?“ „Der Hausherr.“ überlegte ich kurz "...und, mhh, ...der Butler, wie wir gesehen haben. Sind das alle?“ Er runzelte die Stirn. „Jawohl, mein treuer Freund, dass sind alle.“
„Und dann wäre da noch die Geigenseite, warum gerade diese? Ich habe mindestens ein Dutzend Schießwaffen gesehen, die ebenso effektiv gewesen wären!“ lenkte ich ein. „Daran hab ich auch schon gedacht. Reich mir doch mal bitte das Jahrbuch von 1879.“ Ich kramte hinter mir im Regal nach den selbst zusammengesetzten Büchern von Parker, seine Verbrechensdatenbank. Eilig gab ich sie weiter, denn er wartete schon ungeduldig. „Ja Danke.“ Er stöberte, brummte, bis er einen Laut der Freude ausstieß. „Ah, ich hatte Recht. Sieh selbst.“ Ich las laut vor.

„Juwelier Brixton wurde in den frühen Morgenstunden ausgeraubt. Die Täter brachen mit einem Stemmeisen und der Kraft eines ganzen Pferdes die Tür zum Tresor auf. Sie nahmen sich den dichten Nebel zu Hilfe um unerkannt zu entkommen.“ Und einen Zeitungsausschnitt darunter las ich.

„Einer der Täter konnte identifiziert werden. Die Fahndung läuft auf Hochtouren. Der junge Simon Mitchell, ist 1,80m groß , dunkelbraune Haare, sehr sportlich. Für die Ergreifung sind 1000Pfund ausgesetzt.“ „Es geht noch weiter, blättere mal um.“

„Ein Jahr ist der Überfall auf Brixton Juwelier her und noch keine Ergreifung der Täter in Sicht. Die Suche nach Simon Mitchell wird nun offiziell eingestellt."

"Bedauerlich, aber was hat das mit unserem Fall zu tun? McIntosh ist rothaarig und erst recht nicht 1,80m.“ Er zwinkerte mir zu. „Bravo Roycroft, du wirst besser: Aber ist dir nicht das Bild aufgefallen, was an der Wand der Bibliothek hing?“ Ich wusste nicht worauf er anspielte, und verneinte. „McIntosh spielte früher Geige im St. Georg Orchester. Und mit ihm spielte ein Junge namens Simon Mitchell. Sie waren früher die besten Freunde.“ „Du meinst....“ begann ich zu stottern. „Sicher. Man hat den Komplizen nie gefunden, weil McIntosh zu schlau war. Aber Mitchell, war eine Spielernatur und hat seinen Anteil gleich zu Geld machen wollen. Wobei man ihm auf die Schliche kam. Er ist ausgewandert und dieser Tage wiedergekehrt, nach beinahe zehn Jahren. Wir dürfen annehmen daß er das Haus schon einige Tage beobachtet hat und um die Gewohnheiten wußte. Er hat den Brand absichtlich gelegt um die Leute aus dem Haus zu locken, sich den Zimmerschlüssel vom Brett unten zu besorgen und ungesehen in das Zimmer von Mr. McIntosh zu gelangen. Wahrscheinlich um Geld von ihm zu erpressen. Doch dieser ließ sich nicht einschüchtern und so griff Mitchell zu dem einzigen Mittel was er als richtig ansah. Mit der Geigenseite hat er uns einen Tip hinterlassen, eine theatralische Geste, wie mir scheint. Etwas um seinen Unmut und Zorn kundzutun. Die 3Pinienkerne haben den berechtigten Zweifel von Zufall ausgeräumt. Das war sein entscheidender Fehler!“

Ich war verblüfft. Wie immer, wenn Parker seine logischen Theorien, aufgebaut auf einwandfreie Fakten, darbot.

Will Parker hatte in allem Recht behalten. Noch im Laufe des Abends war Mitchell von Perry beim Begehen des ersten Schiffes dass nach Amerika segelte, gefasst worden.
Er gestand alles, nachdem man Parker für nur fünf Minuten in seine Zelle gelassen hatte. Wobei er ihm alles so haarklein berichtete wie ich Ihnen. Es blieb ihm nur ein Geständnis. Und der Galgen.
 



 
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