Der Feuerschein trügt

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Marc Mx

Mitglied
Der Feuerschein trügt


"Alarm!"
Feuerwehrmann Herbert Weiher schreckte hoch, als die Sirenen aufheulten.
"Feuer in der Schanzenstraße 5!"
"Mein Gott," rief er.
"Das ist mein Haus!"


Noch nie war der 50 Jährige so schnell in seinen Anzug gekommen, noch nie hatte er seinen Wagen so schnell gestartet. Das Garagentor war kaum offen, da gab er schon Gas und raste mit dem großen Feuerwehrwagen voraus. Noch vor dem Führungsfahrzeug!

Sein Beifahrer sah ihn verdutzt an. "Mensch Herbert, wir wissen doch noch gar nicht Genaues."
"Doch, ich habe vor einer Stunde mit meiner Frau telefoniert. Es ging ihr nicht gut. Sie wollte eine Schlaftablette nehmen und sich für eine Weile ins Bett legen."

"Au weia!"
"Du sagst es."
Herbert Weiher raste mit Blaulicht über die Hauptstraße. Auch an den roten Ampeln bremste er kaum ab. Mit seinen Gedanken war er ganz bei seiner jungen Frau, die er erst vor einem Jahr geheiratet hatte. Am Sonntag wollte er ihr eine Reise nach Florida schenken. Zum Hochzeitstag. Die Flugtickets lagen bereits zu Hause in seinem Schrank unter den Socken versteckt.

Das Geld hatte sich Herbert Weiher heimlich zusammengespart. Statt die teuren Karten fürs samstägliche Fußballspiel zu kaufen, hatte er in seiner Stammkneipe gesessen und die Spiele im Radio verfolgt...

Als das Führungsauto ihn schließlich doch überholte, gab Herbert Weiher noch mehr Gas. Schneller! Immer schneller! Denn die Angst wuchs. Würden heute all seine Träume in Flammen aufgehen? Und das sollte ihm - ausgerechnet einem Feuerwehrmann - passieren?

Schon von weitem sah er die Flammen, die aus dem Dachstuhl loderten. Direkt darunter lag seine Wohnung!
Vor dem Haus stoppte Herbert Weiher und sprang aus dem Wagen. Er rannte, gegen jede Feuerwehrregel verstoßend, alleine los - mitten hinein in das qualmende Treppenhaus.

Der Feuerwehrhauptmann knallte wütend die Tür seines Wagens zu, als er ihn in dem Qualm verschwinden sah. Und er schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen, als er von einem Polizisten erfuhr, daß sich mit Sicherheit niemand mehr im Haus befand!

Herbert Weiher kämpfte sich bis zu seiner Wohnung vor und trat mit einem kräftigen Tritt die Wohnungstür ein. Während seine Kollegen mit der Feuerbekämpfung begannen und seinem Chef gerade klar wurde, daß der Dachstuhl nicht mehr lange halten würde, stürmte Herbert Weiher durch die Flammenhölle in sein Schlafzimmer. Das Bett war leer! Nur ein kleiner Zettel lag darauf:

"Mein Liebster, danke das Du letzte Woche endlich Deine Lebensversicherung auf mich überschrieben hast. Danke für die Flugtickets nach Florida, das wird meine Trauer über Deinen Tod etwas mildern. Und entschuldige, daß ich für meinen Plan das Haus anzünden mußte. Mach es gut, Deine Liebste."

In diesem Augenblick brach die Welt über Herbert Weiher zusammen. Und das Haus auch.
 

lilly

Mitglied
Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Allerdings hätte ich es beim Schluß "In diesem Moment brach die Welt über Herbert Weiher zusammen" belassen. Das hätte noch zum nachdenken angeregt. Durch den den Satz: "Und das Haus auch.", schließt der Leser geistig mit der Geschichte ab und denkt nicht mehr darüber nach.desweiteren bekommt das ganze dadurch ein komisches Moment, welches wohl nicht beabsichtig war,oder?
 
P

Phantom

Gast
Interessant, mit wenigen Worten hast du beim Leser viel erreicht.
Ich finde das Ende jedoch zu theatralisch. "In diesem Augenblick brach die Welt über Herbert Weiher zusammen" ... jeder weiß, dass das nicht spurlos an einem vorbei geht. Ich würde deinen nüchternen Erzählstil jetzt nicht abreißen lassen. Nimm (wenn du willst) als letzten Satz "In diesem Moment brach der Dachstuhl." und allen ist gedient. Dann könnte Lilly auch ein bisschen länger über die Geschichte nachdenken :) ...
Ein bisschen Logik fehlt da aber auch. Was wäre gewesen, wenn der "Liebsten" ein Waldbrand, oder so ähnlich "dazwischengefunkt" hätte???
Aber ich denke, die "Liebste" hätte dafür sicherlich auch ein Patentrezept gefunden.

Gruss Phantom
 

Sabeth

Mitglied
Hallöchen in die Runde,

da muss ich meinen Vorpostern aber ein wenig widersprechen:
ich finde das Ende richtig gut und witzig - gerade, weil das Geschehen vom Erzählstil so herrlich persifliert wird. Und dass man nach dem Ende nicht über die Geschichte nachdenkt, dass man "geistig abschließt" ... äh ... dieser Einwand erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. *g*

"Und das Haus auch.", hey, gerade das ist doch der Sprachwitz, Leute! Da würde ich aber auch gar nix ändern. Genial! ;-)

Ich finde den Krimi gelungen, weil er sich für mich neben der originellen Idee so liest, dass der Autor mit dem Genre "spielt", und das mit einem leicht untergründigen Humor und einer gewissen "Unernsthaftigkeit". Es gibt doch viel zu viele abgegriffene, "ernste" Krimis, da ist das mal eine wunderbare Abwechslung. Ist doch furchtbar, wenn so halbe Kitsch-Klischees, wie sie in Krimis meistens vorkommen, auch noch ernst gemeint sind ...

Gruß in die Runde von
Sabeth
 
1

100%Risiko

Gast
Ich finde den Krimi und sein Ende auch sehr gelungen - außerdem: Warum sollte man bei so einem Text denn noch nachdenken? ;-))
 

lilly

Mitglied
Selbstverständlich mag ich diese Art von Humor, doch meiner Meinung nach wirkt das Ende zu "plump".
Und zu der Frage warum man nach einem Text nachdenken soll:
Was hätte denn Literatur für einen Sinn, wenn sie nicht zum Nachdeken anregen sollte? Etwa der reinen Unterhaltung dienen? Das wäre doch wohl etwas wenig, oder???
 

Sabeth

Mitglied
*g*
Aber ist doch nur 'n Krimi - und sowas ist vorrangig Unterhaltungsliteratur, andere würden gar "Schund" sagen ... Die meisten Krimis unterhalten doch vor allem und Kurzkrimis wiederum meistens und dieser hier anscheinend sowieso. ;-)
Da würde ich mir gar keinen Kopf drum machen, lilly.

Lieben Gruß von
Sabeth
 
P

Phantom

Gast
Hi Sabeth,
ich würde nicht den Krimi zum "Schund" zählen. Gerade Per Wahlöö/May Sjöwall und Henning Mankell haben wir's zu verdanken, dass jetzt auch Sozialkritik in den meisten (nordischen) Krimis aufgegriffen wird... nicht umsonst kürte der deutsche Buchhandel 1998 einen Krimi zum besten Buch des Jahres !!! Und das vor allen anderen literarischen Gattungen... ich würd' also vorher überlegen, bevor man den Krimi zum "Schund" rechnet :)

Gruß Phantom
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"Was immer ich schreibe, besonders über Grausamkeit, ist in der Realität immer schlimmer" (Henning Mankell)
 

Marc Mx

Mitglied
Hallo Phantom,

dachte ich mir schon, dass Sabeth sich damit Ärger einhandelt ...
Trotzdem habe ich sie so verstanden, dass sie von der Art Krimis spricht, wie ich sie schreibe. Und die haben einzig den Zweck zu unterhalten und dem Autor Geld einzubringen!!!

Gruß
 

Sabeth

Mitglied
Hihi, war mir klar, dass Mankell und Co. herbeizitiert werden. Bitte dann auch mal die deutschsprachigen niveauvollen wie Noll anführen. ;-)

Zudem sagte ich, dass manche "Schund" sagen würden. Mir ist vor allem wichtig: die meisten Kurzkrimis sind nunmal Unterhaltung pur. Guckt euch doch in den Illustrierten um: Unterhaltung. Und auch in vielen Krimi-Anthos: Unterhaltung. Mehr Platz ist da kaum. Mehr Raffinesse auch nicht. Und sobald es da vorrangig um Spannung geht, um das Muster Mord-Aufklärung, ist das doch klar und auch nicht schlimm. Nur eben Fakt. Das, was in gegenwartsliterarischen Kurzgeschichten an Nachdenklichem ausgebreitet werden kann, dafür ist in einem Kurzkrimi naturgemäß nicht der Platz, denn dieser wird durch den Plot anders belegt.

So ist das nunmal: Krimis zählen für mich im allgemeinen zu Bellestristik - um zur hohen Literatur gezählt zu werden, sorry, müssen da noch andere Dinge, viel mehr Subebenen, viel mehr Relevanz existieren. Das schaffen nur wenige Autoren des Genre (und nur diese werden wahrscheinlich richtig berühmt und nicht nur in Krimischreiberkreisen).

Außerdem: was ist denn bloß dagegen einzuwenden, vorrangig als Unterhaltung eingestuft zu werden? Ich glaube, das ist ein deutsches Problem, dazu nicht stehen zu können. Unterhaltung ist für viele Menschen total wichtig, um aus dem besch... Alltag, aus den Sorgen etc. mal für eine gewisse Zeit fliehen zu können. So what? *fragendlächel*

Viele Grüße von
Sabeth :)
 
Hallo Marc Mx,

weil hier das Krimi-Forum ist: Ich gestehe!

Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich nach den ERSTEN Zeilen die Geschichte ein wenig öde fand. Ein Feuerwehreinsatz soll ein Krimi sein? Das war nicht gegen Dein Stil gerichtet, sondern nur auf die Thematik bezogen.

Doch dann kam der Knall. Super!

Ein herrliches Wortspiel "...erst brach die Welt zusammen, dann das Haus".

Spannung und Schmunzeln, eine gelungene Komposition.

Grüße aus dem schönen Münster
Hannes
 

Zefira

Mitglied
Tolle Geschichte. Ich war von Anfang an gefesselt, auch durch den flüssigen Stil. Da holpert und stolpert nichts, da sitzt jedes Wort an der richtigen Stelle.

Einziger Einwand: die Frau muß ganz schön viel Selbstvertrauen haben, wenn sie ihren ganzen Plan darauf aufbaut, daß ihr Mann in den Flammen umkommen wird. Klar wird er aufgeregt sein, wenn es um sein Haus geht, aber wie konnte sie so sicher wissen, daß er gegen jede Vernunft geradewegs unter den brennenden Dachstuhl rennt?

Der Schluß ist völlig in Ordnung! Er bringt ein letztes Augenzwinkern in das schon fast übermäßig tragische Geschehen. Der arme, arme Mann, der sich die Fußballkarten verkneift, statt dessen in der Stammkneipe Radio hört und sich auf diese Weise eine Floridareise zusammenspart... wie lange hat er denn dafür gebraucht?? Schließlich ist Kneipensitzen auch nicht umsonst... :(

Herzlichstes Beileid,
Zefira
 



 
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