Der Flug des Adlers

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Isildur

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Der Flug des Adlers

Nebel liegt in der Talsenke. Herbstliche Morgenfeuchte fängt sich in dem Flechtenvorhang, den die steinalte Fichte seit Jahrzehnten trägt.
Es ist still, der Sonne Glut noch nicht über den Kamm der Berghöhen gestiegen.
Hoch oben, oben im Wipfel, sitzt der Adler, die Flügel eng an sich gepresst.
Seine Krallen tief in einen Arm des hölzernen Methusalems geschlagen, harrt er aus, überblickt sein Reich.
Er ist der König. Er weiß es, tut dies kund mit einem kataklysmischen Weckruf, einem Schrei, der die kleinen Säugetiere, die in ihren Erdlöchern eben noch so friedlich schliefen, je in die kalte, wache Realität zwingt.
Wasser kondensiert auf des Adlers kastanienbraunem Gefieder. Er schüttelt sich und mit seiner wuchtigen Bewegung weint der Flechtenbewuchs den eingefangen Morgentau in einem glitzernden Schauer dem Erdboden entgegen.

Endlich, die durch die hohen Wolken abgeschwächte Sonne erklimmt den vergletscherten Horizont und wärmt das Tal mit den wenigen Strahlen, die sie durch das Gewölk zu senden vermag. Der Nebel, der da unten so wohlfeil in seinem Talbett liegt weigert, windet sich, aber er wird weichen.
Der Adler weiß es.
Die Zeit des Jagens bricht an, und noch einmal verleiht er durch einen markanten Schrei seiner Mächtigkeit Ausdruck.
Sein Nackengefieder richtet sich auf.
Riesig erscheint sein Schatten, weit unten am Boden, als er zwei-, dreimal mit seinem Fluggefieder schlägt.
Es ist soweit.

Sein Herz pocht schneller, als er sich vom verharzten Ast seines Thrones löst. Seine kräftigen Schwingen tragen den Adler hinfort in sein Element. Die Luftwirbel packen ihn und er gleitet, gleitet durch die morgendliche Kühle.
Kreis um Kreis zieht er in der weiten Unendlichkeit des Himmels.

Da!
Eine Bewegung in weiter Ferne.
Ein Schneehase, unvorsichtig, ungetarnt, eine leichte Beute.
Kaum merklich verändert der Adler den Muskeltonus seiner Schwingen und korrigiert seine Flugrichtung.

Ein Gewitter!
Ein Blitz fährt dem König der Lüfte durch den rechten Flügel.
Er versteht nicht. Keine schwarzen Wolken, kein grelles Licht.
Und Schmerz, den er so noch nicht gekannt hat. Und erst jetzt hört er den Donner. Einen scharfen, peitschenden Knall, während er unaufhaltsam der Erde entgegenrast.

Der Adler liegt am Boden, die Flügel gebrochen, blutet aus klaffenden Wunden.
Zwei Wesen, deren Art er noch nie gesehen, stehen über ihm, sein Herz schlägt ruhig und langsam.
Laute die er noch nie vernommen, geben sie von sich, die Seltsamen.
Er ist betäubt vom Schmerz, will seinen Schnabel öffnen und seine Macht demonstrieren, aber sein Körper versagt ihm den Dienst.
Eines der Wesen richtet ein rundes, schwarzes Etwas auf ihn.

Es war ein guter Tag für eine Jagd denkt sich der Adler.
 
Lieber Isildur,

deine Geschichte ist spannend, das Ende gekonnt ironisch.
Allerdings ist mir der Adler zu menschlich-reflektieren beschrieben. Das ginge m.E. nur, wenn der Text eine Fabel sein soll. Dafür ist er mir aber nicht "fabelhaft" genug.
Mit ein paar Kürzungen und mehr tierischen "Überlegungen" könnte die Geschichte noch glaubwürdiger werden.
Herzliche Grüße
Karl
 

Isildur

Mitglied
Hallo Karl

Danke für deinen Kommentar!
Spannung und Ironie sind drinnen, das ist schon mal gut.
Es war mir klar, als ich die Geschichte schrieb, das die Gefahr der vermenschlichung besteht, eben darum hab ich so wenig tierische Überlegungen wie möglich hineingepackt. Es ist halt sehr verführerisch einem Tier menschliche Attribute anzudichten, besonders wenn man es denken lässt.
Eine Fabel sollte es eh nicht sein :)
Wo würdest du kürzen?

mfg
Isildur
 
Liebe Isildur,
alle Aussagen über das körperliche Innenleben und die "Gefühle" würde ich kürzen. Aussagen über das Blut, das Herz, über seine Angst etc.
Viele Grüße
Karl
 
B

Burana

Gast
Hallo Isildur,
ich kenne die ursprüngliche Fassung nicht, aber die hier ist absolut Spitze. Gefällt mir sehr gut. Der Adler ist sehr treffend beschrieben, nicht vermenschlicht, am Schluss stellten sich mir die Federn auf. Ich bin beeindruckt.
Liebe Grüße, Burana
 

Isildur

Mitglied
Hallo Burana!
Danke schön, du machst mir diesen Regentag zu einem Sonnentag!
Wenn die Fassung wirklich so gut ist, dann mach dir keine Gedanken über die Alte. Mir beweist das, dass konstruktive Kritik immer noch die Beste ist.
Der Stellung deiner Federn nach, erziehlt der Schluss die Wirkung, die er erzielen soll. Hurra.

In diesem Sinne, danke fürs Lob und mfg
Isildur
 
C

casy01

Gast
Es war ein guter Tag für eine Jagd denkt sich der Adler.


und gejagt wurde


mir am frühen Morgen zu grausige Vorstellung

evtl. kürzbar ? da recht langatmig zu lesen

wenn am Ende dann die Freiheit und des Adlers Flügel so schmerzhaft jäh enden.
 

Isildur

Mitglied
Hallo casy

Bei dir früh am morgen, bei mir am abend, so kanns gehn :)
Hach ich hab doch schon gekürzt, ich glaub mir gefällts so.
Oder was würdest du rausnehmen?
Und freiheit am ende keinesfalls, wo bleibt denn sonst die ironie? auf der strecke denke ich mal...

grüsse isi
 
C

casy01

Gast
Nimm nichts raus.. nur weil es mir zu langatmig war



ich werde es am Abend nochmal lesen und erneut auf mich wirken lassen...
 

Zaunkönig

Mitglied
Hallo Isildur

Dein Text ist schon beeindruckend. Vielleicht hast Du etwas zu dick aufgetragen, zu pastos formuliert. An einigen Stellen erinnerte mich der vorliegende Text etwas an den Schwulst D'Annunzios. Ansonsten gefällt mir Deine Sprachbehandlung außerordentlich gut. Und an Spannung fehlt es auch nicht. Der letzte Satz kommt noch einmal schön pointiert, quasi mit einer zynischen Spitze. Sehr gut.
 

Isildur

Mitglied
Servus Zaunkönig

Dankeschön, das freut mich, wenns gefällt.
Pastos kenn ich nicht, evtl. Pathos? Weil da hast du recht das ist schon drinnen. Ich schreib gerne pathetisch und, schwülstig (obwohl mir das Wort nicht so zusagt, und den Herrn D'Annunzios kenn ich leider auch nicht muss ich zu meiner Schande gestehen)weil diese Sprache im krassen Gegensatz zu meiner Alltagssprache steht. Das ist dann was besonderes (für mich).

Alsdann. Danke fürs lesen und schönen Abend!
Isi
 

Zaunkönig

Mitglied
Flug des Adlers

Servus Isildur

Nur zur Info: pastos hat in etwa die Bedeutung von 'in dicken Farben aufgetragen', ist hauptsächlich in der Kunst- und Musikkritik, aber auch in der Literatur gebräuchlich. Der Herr d'Annunzio ist ein italienischer Dichter und Romanautor.

Einen lieben Gruß
Werner (Zaunkönig)
 



 
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