Der Frosch und der Kieselstein

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Mistralgitter

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„Auf mich kannst du bauen“, sagte der Kieselstein eines Tages zum Frosch.
„Unsinn! Das heißt nicht ‚auf mich‘, sondern ‚auf mir‘ “, verbesserte der Frosch ihn quakend, „auf mir kannst du bauen.“
„Doch es heißt, ‚auf mich‘“, verteidigte sich der Kieselstein.
„Na hör mal, das ist doch schlechtes Deutsch. Ich baue auf dir, muss es heißen. Ich sag dir ein Beispiel: Wenn ich eine ganze Wagenladung Kieselsteine hätte, würde ich sie in den Garten schütten lassen und eine Terrasse bauen. Ich baue auf dir und all den übrigen Kieseln eine Terrasse. Du bist drunten mit den anderen Steinen natürlich – sozusagen als Bett - und über dir liegen die großen Stein-Platten für den Terrassenboden.“
Der Kieselstein wirkte zerknirscht.
„Natürlich kannst du auf mir bauen“, antwortete er, „wenn du willst. Aber ich bin doch nur ein kleiner einzelner Kieselstein. Ich tauge doch gar nicht für eine Terrasse.“
„Ich will auch gar keine Terrasse bauen“, lachte der Frosch, „also dann lass mich in Ruhe.“
Er wollte weghüpfen. Doch der Kieselstein ließ nicht locker.
„Ich will aber dein Freund sein“, antwortete der Stein kläglich.
„Mein Freund? Weshalb denn das?“, fragte verwundert der Frosch.
„Das ist deswegen: Ich finde dich nämlich so interessant. Du hast so eine glatte Haut und so große wachsame Augen. Und wenn du auf einem Seerosenblatt sitzt, dann sieht es aus, als seiest du ein König. Ganz majestätisch wirkt das auf mich.“
„So, so. Du schmeichelst mir“, meinte lachend der Frosch, „und was haben wir von einander, wenn wir befreundet sind?“
„Ich könnte dir behilflich sein“, meinte der Kieselstein, „und ich hätte jemanden, den ich bewundern könnte.“
„Ich mag das sehr, wenn man mich bewundert“, sagte der Frosch und blies seine Backen auf, „das kannst du ruhig tun. Aber wie willst du mir helfen? Beim Schwimmen? Oder beim Libellenfangen?“
Der Frosch schüttelte sich vor Lachen und wollte wieder weghüpfen.
„So hör mir doch zu“, bat ihn der Kieselstein, „ich könnte etwas Besonderes für dich tun. Ich habe dich tagelang beobachtet. Immer wenn du gerade dabei warst, am Ufer unseres Teiches eine Libelle zu fangen, kamen Menschen und störten dich. Um das zu verhindern, hätte ich eine Idee.“
Der Frosch guckte ihn neugierig an.
„Wie willst du das denn machen? Du bist doch nur ein völlig unscheinbarer, kleiner Kieselstein“, meinte er verächtlich.

In diesem Moment kam Martin. Er trug Jogginghosen und Turnschuhe und wollte um den Teich rennen. Martin macht das jeden Tag. Manchmal trifft er sich auch mit Monika und mehreren anderen Joggern, und dann trainieren sie zusammen. Der Frosch hüpfte geschwind in den Teich, verkroch sich am Ufer im Pflanzengewirr und beobachtete von dort, was nun geschehen würde.
Da sah er, wie der kleine Kieselstein Anlauf nahm und dem Martin in den Schuh sprang.
„Au!“, schrie Martin, blieb stehen und versuchte den Stein mit den Fingern aus dem Schuh zu bringen. Aber es gelang ihm nicht. Er musste sich ins Ufergras setzen, den Schuh aufbinden, ausziehen und ausschütteln. Da fiel der Stein heraus. Martin war froh, zog den Schuh wieder an und lief weiter. Er kam nicht weit, da hatte er wieder einen Stein im Schuh, diesmal in dem anderen. Er musste wieder anhalten, den Schuh ausziehen und so weiter. Noch drei Mal und an drei Tagen hintereinander geschah dasselbe. Da wurde Martin unwillig.
„Dieser alte Kiesweg!“, schimpfte er und rannte über die Wiesen nach Hause und kam nicht wieder.
Der Frosch traute seinen Augen nicht und kam aus seinem Versteck hervor.
„Siehst du“, sagte der Kieselstein, „ich bin zwar nur klein, aber ich bin doch ein guter Freund, nicht wahr? Ich habe diesen Jogger verjagt, damit du Ruhe hast.“
Der Frosch war sprachlos. Er streckte seinen Froschfuß aus und tätschelte den Kieselstein liebevoll und voller Freude und Anerkennung.
„Danke“, sagte er.
„Auf mich kannst du dich verlassen. Du kannst auf mich bauen“, sagte der Kieselstein, „willst du das?“
„Ja, das will ich“, antwortete der Frosch. Und so wurden sie Freunde. Der Kieselstein verjagte alle Menschen vom Teichufer, und der Frosch tätschelte ihn liebevoll, und beide freuten sich ihres ruhigen Lebens.

Nicht lange danach saß der Frosch neben seinem Kieselstein und dachte nach.
„Ich finde es schön, dass wir so gute Freunde sind“, sagte er, „aber ist es nicht irgendwie traurig, dass Martin nicht mehr kommt?“
„Das finde ich aber komisch. Ich denke, du bist froh, wenn er nicht mehr kommt. Dann hast du doch deine Ruhe.“
„Das stimmt. Ich mache mir nur Gedanken, ob Martin und Monika und die anderen nicht manchmal traurig sind, weil sie nicht mehr hier ungestört laufen können.“
„Willst du ihn wieder haben? Ist das dein Ernst?“
Der Kieselstein sah ganz zerknittert aus. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, die Menschen zu verjagen. Und nun sollte das alles umsonst sein?
„Ich mag es nicht, wenn Menschen traurig sind“, sagte der Frosch, „es ist so schön hier. Der Teich, die Wiesen, die Bäume, die Libellen, die Blumen. Es wäre doch schade, wenn das nur uns erfreut und nicht noch andere.“
„Du willst hier wohl Jubel, Trubel und Heiterkeit haben?“
„Nein, das nicht gerade. Aber hin und wieder Menschen, die sich freuen und denen ich was vorquaken kann. Martin ist so ein netter Mann.“
„Seit wann schwärmst du für Menschenmänner?“
„Ich schwärme für Menschen, denen unsere Landschaft etwas bedeutet.“
Der Kieselstein war noch knittriger geworden, so erbärmlich fühlte er sich.
„Dann bin ich dir wohl nicht gut genug.“ Er musste bei diesen Worten fast weinen.
Der Frosch achtete nicht darauf. „Ich werde nachdenken, wie wir das machen können. Dazu brauche ich Ruhe“, sagte er und verschwand im Ufergras.
Der Kieselstein blieb allein zurück und verstand die Welt nicht mehr. Das war ja fast so wie bei den Menschen. Erst beginnt man eine Gemeinsamkeit und dann will der Freund plötzlich nichts mehr von einem wissen. Enttäuscht setzte er sich an den Rand der Wiese und weinte jetzt wirklich ganz jämmerlich. Sein Herz war schwer wie ein Fels, seine Augen so voller Tränen, dass er gar nichts mehr sah: den Teich nicht, die Wiese nicht, den Himmel nicht und auch den Kiesweg mit seinen Kieselstein-Kameraden nicht. Er saß einfach nur da und weinte, bis er vor Kummer einschlief. Seine Kameraden aber, die anderen Kieselsteine scharten sich um ihn. Und weil sie auch traurig waren über das, was mit ihm geschehen war, überlegten sie die ganze Nacht hindurch, wie sie dem Kieselstein helfen könnten.

Als in der frühen Morgendämmerung der erste Vogel leise sang, war ihr Plan fertig. Sie hatten eine gute Idee und machten sich sofort leise an die Arbeit. Sie hatten drei Tage lang zu tun. Der Kieselstein aber schlief drei Tage und drei Nächte lang tief und fest vor lauter Erschöpfung. Erst als die Sonne am vierten Tag wie jeden Tag vorsichtig hinter den Büschen hervorkam und ihn wärmte, wachte er auf und rieb sich verwundert die Augen. Er lag nicht mehr an seinem Platz, wo er sich zum Schlafen hingelegt hatte, sondern mitten in der Wiese, und um ihn herum lagen alle seine Kameraden. Sie redeten, sie kicherten und lachten aufgeregt durcheinander, als sie sahen, dass er endlich wach war. Der Kieselstein jedoch verstand überhaupt nichts und fragte sich, was mit ihnen allen geschehen war.
„Weshalb höre ich das Plätschern des Teiches nicht mehr? Weshalb wachsen die Gräser der Wiese nun auf beiden Seiten des Weges?“, fragte er und rieb sich die Augen.
„Wir haben ein wenig umgebaut!“, rief fröhlich ein junges Steinchen.
„Wir sind tagelang umhergerollt. Das war lustig“, rief ein anderes Steinchen.
„Ganz einfach. Wir haben den Weg verlegt, weg vom Ufer des Teiches, mehr in die Wiese hinein“, erklärte der älteste Stein, „das fanden wir besser so.“
Das verwirrte den Kieselstein.
„Aber warum denn das? Was ist nun besser geworden? Wir liegen ja nun so weit vom Teich entfernt.“
Der Kieselstein wollte gerade wieder traurig werden, weil er an seinen Freund, den Frosch dachte. Nun lag ein großes Stück Wiese zwischen ihnen und sie konnten sich vielleicht nie mehr sehen. Doch da hatte er sich getäuscht. Denn er wurde plötzlich ein wenig nass, obwohl die Sonne schien, und ehe er die Wassertropfen abschütteln konnte, saß sein Frosch neben ihm. Er war aus seinem Teich gehüpft, um seinen Freund zu sehen.

Groß ist er geworden, dachte der Kieselstein bei sich, und noch schöner als vor drei Tagen. Ja, er glänzt sogar auf ganz besondere Weise.
„Ich habe eine Überraschung für dich“, kündigte der Frosch an und zwinkerte ihm mit seinem rechten Auge zu.
Der Kieselstein musste fast lachen und betrachtete den Frosch nun genauer. Da entdeckte er auf dem Kopf des Frosches eine goldene Krone. Das also war der Glanz, der von ihm ausging.
„Du bist ja der Froschkönig geworden!“, rief er voller Freude, „herzlichen Glückwunsch!“, und hüpfte um seinen Freund herum, um ihn von allen Seiten zu bestaunen.
„Bleib einmal ganz still liegen. Mir wird ja sonst ganz schwindelig“, bat der Frosch.
Der Kieselstein gehorchte und legte sich erwartungsvoll vor ihm nieder.
„Und welche Überraschung hast du für mich?“, fragte er.
Da nahm der Frosch seine Krone ab und legte sie vor dem Kieselstein nieder.
„Deine Kameraden und ich haben überlegt, dass du ein Edelstein in meiner Krone werden sollst.“
Nun wurde dem Kieselstein schwindelig. Er wurde ganz blass und musste die Augen schließen. Die anderen Kieselsteine rollten sich besorgt um ihn. Der älteste Stein aber kam mit einem Sauerampferblatt und legte es ihm auf die Stirn, ein anderer brachte schnell ein paar Blütenblätter vom Löwenzahn als Stärkung und ein dritter hatte Morgentau mit Blütennektar vermischt und in eine leere Nussschale gefüllt. Die stellte er nun vor den Kieselstein hin.
„Jetzt iss und trink erst einmal. Du hast ja seit Tagen nichts zu dir genommen und bist ganz verhungert und verdurstet.“
Dem Kieselstein wurde warm ums Herz. So viel Freundlichkeit war ihm lange nicht begegnet. Er aß und trank und fühlte sich danach wirklich sehr viel besser.

Der Frosch hatte so lange still gewartet, bis der Kieselstein mit seinem Frühstück fertig war.
„Ich fände es schön, wenn du alle Zeit bei mir wärest, weil du mein Freund bist. Wir könnten gemeinsam den Teich und den Weg regieren. Was meinst du dazu?“
Verlegen schaute der Kieselstein sich um.
„Ja! Ja! Mach das!“, riefen die übrigen Kieselsteine, „sag ja dazu und werde ein Edelstein in der Krone des Froschkönigs.“
„Aber wie soll das gehen? Ich bin doch nur ein einfacher grauer schmuckloser Kieselstein.“
„Das besorgen wir schon! Wir haben uns da etwas ausgedacht. Mal sehen, wie dir das gefällt“, sagte der älteste Kieselstein.
Auf seinen Wink hin kamen einige Steine, große und kleine, und brachten allerlei Pflanzen mit. Die einen bürsteten den Stein mit Distelblättern, die anderen schrubbten ihn mit Ligusterblättern und die dritten massierten ihn mit Grasbüscheln. Die Frösche aber kamen aus dem Teich und prusteten ihn mit kühlem Teichwasser nass, damit es ihm vor lauter Schrubben, Bürsten und Massieren nicht zu heiß wurde. So wurde der Kieselstein in kurzer Zeit ein strahlender Edelstein. Der Frosch aber klebte ihn mit Wiesenspucke fest in seine Krone und setzte sie sich auf den Kopf. Da thronte nun also der Kieselstein so hoch oben, wie er nie zuvor in seinem Leben gewesen war, und alle jubelten ihm und dem Frosch zu: die kleinen Steinchen mit ihren glockenhellen Stimmchen, die großen Steine mit ihrem erdentiefen Brummeln, und die Frösche quakten im Bass dazu.

„Das ist ja eine Überraschung“, rief plötzlich eine Männerstimme. Der Kieselstein erkannte ihn sofort. Das war Martin. „Schau mal Monika, unser Weg ist ja jetzt nicht mehr so staubig wie früher. Er ist ein richtig ordentlicher, breiter Kiesweg geworden. Wer hat sich denn die Mühe gemacht? Der Weg sieht aus, als hätte ihn jemand geharkt.“
Die Frösche waren so überrumpelt, dass sie gar nicht schnell genug in ein Versteck hüpfen konnten. Starr und stumm saßen sie da und warteten angstvoll, was geschehen würde. Der Frosch setzte schnell seine Krone zurecht, damit man sehen konnte, wer er war. Die Kieselsteine aber schauten verlegen zu Boden.
„Guck dir einmal die lustigen Frösche an. Komm, wir sind ganz still. Vielleicht beginnen sie zu quaken.“
Die Frösche brauchten eine kleine Weile um Mut zu schöpfen. Aber dann begann der Froschkönig sein Quaklied und alle anderen quakten schließlich mutig mit.
Monika und Martin setzten sich in die Wiese und hörten lächelnd zu.
Die Sonne wanderte ein bisschen über den Himmel. Ein schwarzer Käfer krabbelte von links nach rechts über den Weg und wunderte sich ein bisschen. Eine Biene flog von Löwenzahn zu Löwenzahn und trank ein bisschen Nektar. Und eine Grille übte schon ein bisschen das Zirpen für den Abend.
„Nun müssen wir aber weiter“, sagte Martin, zog Monika hoch und rannte los.
Monika jedoch beugte sich noch schnell zu den Fröschen hinunter. „Danke“, flüsterte sie ihnen zu und rannte hinter Martin her.

„Kommt, wir müssen unbedingt in den Teich!“, rief der Froschkönig.
„Mir ist auch schon ganz heiß“, jammerte ein kleiner Frosch und hüpfte davon. Die anderen Frösche waren froh, dass jemand den Anfang machte und folgten ihm.
„Danke!“, rief der Kieselstein , der ja jetzt ein Edelstein geworden war, von hoch oben herunter. Und noch einmal rief er: „Danke!“ Er konnte gar nicht mehr aufhören, „Danke“ zu rufen, so froh war er über alles.
Ja, alle waren froh: Die Frösche, weil der Weg jetzt weiter vom Teich entfernt verlief. So hatten sie Ruhe vor den Menschen. Die Menschen, weil sie jetzt einen ordentlichen Kiesweg hatten und der Kieselstein, weil er ein Edelstein geworden war und der Freund eines Königs bleiben durfte sein Leben lang.
 

Mistralgitter

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„Auf mich kannst du bauen“, sagte der Kieselstein eines Tages zum Frosch.
„Unsinn! Das heißt nicht ‚auf mich‘, sondern ‚auf mir‘ “, verbesserte der Frosch ihn quakend, „auf mir kannst du bauen.“
„Doch es heißt, ‚auf mich‘“, verteidigte sich der Kieselstein.
„Na hör mal, das ist doch schlechtes Deutsch. Ich baue auf dir, muss es heißen. Ich sag dir ein Beispiel: Wenn ich eine ganze Wagenladung Kieselsteine hätte, würde ich sie in den Garten schütten lassen und eine Terrasse bauen. Ich baue auf dir und all den übrigen Kieseln eine Terrasse. Du bist drunten mit den anderen Steinen natürlich – sozusagen als Bett - und über dir liegen die großen Stein-Platten für den Terrassenboden.“
Der Kieselstein wirkte zerknirscht.
„Natürlich kannst du auf mir bauen“, antwortete er, „wenn du willst. Aber ich bin doch nur ein kleiner einzelner Kieselstein. Ich tauge doch gar nicht für eine Terrasse.“
„Ich will auch gar keine Terrasse bauen“, lachte der Frosch, „also dann lass mich in Ruhe.“
Er wollte weghüpfen. Doch der Kieselstein ließ nicht locker.
„Ich will aber dein Freund sein“, antwortete der Stein kläglich.
„Mein Freund? Weshalb denn das?“, fragte verwundert der Frosch.
„Das ist deswegen: Ich finde dich nämlich so interessant. Du hast so eine glatte Haut und so große wachsame Augen. Und wenn du auf einem Seerosenblatt sitzt, dann sieht es aus, als seiest du ein König. Ganz majestätisch wirkt das auf mich.“
„So, so. Du schmeichelst mir“, meinte lachend der Frosch, „und was haben wir von einander, wenn wir befreundet sind?“
„Ich könnte dir behilflich sein. Und ich hätte jemanden, den ich bewundern könnte.“
„Ich mag das sehr, wenn man mich bewundert“, sagte der Frosch und blies seine Backen auf, „das kannst du ruhig tun. Aber wie willst du mir helfen? Beim Schwimmen? Oder beim Libellenfangen?“
Der Frosch schüttelte sich vor Lachen und wollte wieder weghüpfen.
„So hör mir doch zu“, bat ihn der Kieselstein, „ich könnte etwas Besonderes für dich tun. Ich habe dich tagelang beobachtet. Immer wenn du gerade dabei warst, am Ufer unseres Teiches eine Libelle zu fangen, kamen Menschen und störten dich. Um das zu verhindern, hätte ich eine Idee.“
Der Frosch guckte ihn neugierig an.
„Wie willst du das denn machen? Du bist doch nur ein völlig unscheinbarer, kleiner Kieselstein“, sagte er verächtlich.

In diesem Moment kam Martin. Er trug Jogginghosen und Turnschuhe und wollte um den Teich rennen. Martin macht das jeden Tag. Manchmal trifft er sich auch mit Monika und mehreren anderen Joggern, und dann trainieren sie zusammen. Der Frosch hüpfte geschwind in den Teich, verkroch sich am Ufer im Pflanzengewirr und beobachtete von dort, was nun geschehen würde.
Da sah er, wie der kleine Kieselstein Anlauf nahm und dem Martin in den Schuh sprang.
„Au!“, schrie Martin, blieb stehen und versuchte den Stein mit den Fingern aus dem Schuh zu bringen. Aber es gelang ihm nicht. Er musste sich ins Ufergras setzen, den Schuh aufbinden, ausziehen und ausschütteln. Da fiel der Stein heraus. Martin war froh, zog den Schuh wieder an und lief weiter. Er kam nicht weit, da hatte er wieder einen Stein im Schuh, diesmal in dem anderen. Er musste wieder anhalten, den Schuh ausziehen und so weiter. Noch drei Mal und an drei Tagen hintereinander geschah dasselbe. Da wurde Martin unwillig.
„Dieser alte Kiesweg!“, schimpfte er und rannte über die Wiesen nach Hause und kam nicht wieder.
Der Frosch traute seinen Augen nicht und kam aus seinem Versteck hervor.
„Siehst du“, sagte der Kieselstein, „ich bin zwar nur klein, aber ich bin doch ein guter Freund, nicht wahr? Ich habe diesen Jogger verjagt, damit du Ruhe hast.“
Der Frosch war sprachlos. Er streckte seinen Froschfuß aus und tätschelte den Kieselstein liebevoll und voller Freude und Anerkennung.
„Danke“, sagte er.
„Auf mich kannst du dich verlassen. Du kannst auf mich bauen“, sagte der Kieselstein, „willst du das?“
„Ja, das will ich“, antwortete der Frosch. Und so wurden sie Freunde. Der Kieselstein verjagte alle Menschen vom Teichufer, und der Frosch tätschelte ihn liebevoll, und beide freuten sich ihres ruhigen Lebens.

Nicht lange danach saß der Frosch neben seinem Kieselstein und dachte nach.
„Ich finde es schön, dass wir so gute Freunde sind“, sagte er, „aber ist es nicht irgendwie traurig, dass Martin nicht mehr kommt?“
„Das finde ich aber komisch. Ich denke, du bist froh, wenn er nicht mehr kommt. Dann hast du doch deine Ruhe.“
„Das stimmt. Ich mache mir nur Gedanken, ob Martin und Monika und die anderen nicht manchmal traurig sind, weil sie nicht mehr hier ungestört laufen können.“
„Willst du ihn wieder haben? Ist das dein Ernst?“
Der Kieselstein sah ganz zerknittert aus. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, die Menschen zu verjagen. Und nun sollte das alles umsonst sein?
„Ich mag es nicht, wenn Menschen traurig sind“, sagte der Frosch, „es ist so schön hier. Der Teich, die Wiesen, die Bäume, die Libellen, die Blumen. Es wäre doch schade, wenn das nur uns erfreut und nicht noch andere.“
„Du willst hier wohl Jubel, Trubel und Heiterkeit haben?“
„Nein, das nicht gerade. Aber hin und wieder Menschen, die sich freuen und denen ich was vorquaken kann. Martin ist so ein netter Mann.“
„Seit wann schwärmst du für Menschenmänner?“
„Ich schwärme für Menschen, denen unsere Landschaft etwas bedeutet.“
Der Kieselstein war noch knittriger geworden, so erbärmlich fühlte er sich.
„Dann bin ich dir wohl nicht gut genug.“ Er musste bei diesen Worten fast weinen.
Der Frosch achtete nicht darauf. „Ich werde nachdenken, wie wir das machen können. Dazu brauche ich Ruhe“, sagte er und verschwand im Ufergras.
Der Kieselstein blieb allein zurück und verstand die Welt nicht mehr. Das war ja fast so wie bei den Menschen. Erst beginnt man eine Gemeinsamkeit und dann will der Freund plötzlich nichts mehr von einem wissen. Enttäuscht setzte er sich an den Rand der Wiese und weinte jetzt wirklich ganz jämmerlich. Sein Herz war schwer wie ein Fels, seine Augen so voller Tränen, dass er gar nichts mehr sah: den Teich nicht, die Wiese nicht, den Himmel nicht und auch den Kiesweg mit seinen Kieselstein-Kameraden nicht. Er saß einfach nur da und weinte, bis er vor Kummer einschlief. Seine Kameraden aber, die anderen Kieselsteine scharten sich um ihn. Und weil sie auch traurig waren über das, was mit ihm geschehen war, überlegten sie die ganze Nacht hindurch, wie sie dem Kieselstein helfen könnten.

Als in der frühen Morgendämmerung der erste Vogel leise sang, war ihr Plan fertig. Sie hatten eine gute Idee und machten sich sofort leise an die Arbeit. Sie hatten drei Tage lang zu tun. Der Kieselstein aber schlief drei Tage und drei Nächte lang tief und fest vor lauter Erschöpfung. Erst als die Sonne am vierten Tag wie jeden Tag vorsichtig hinter den Büschen hervorkam und ihn wärmte, wachte er auf und rieb sich verwundert die Augen. Er lag nicht mehr an seinem Platz, wo er sich zum Schlafen hingelegt hatte, sondern mitten in der Wiese, und um ihn herum lagen alle seine Kameraden. Sie redeten, sie kicherten und lachten aufgeregt durcheinander, als sie sahen, dass er endlich wach war. Der Kieselstein jedoch verstand überhaupt nichts und fragte sich, was mit ihnen allen geschehen war.
„Weshalb höre ich das Plätschern des Teiches nicht mehr? Weshalb wachsen die Gräser der Wiese nun auf beiden Seiten des Weges?“, fragte er und rieb sich die Augen.
„Wir haben ein wenig umgebaut!“, rief fröhlich ein junges Steinchen.
„Wir sind tagelang umhergerollt. Das war lustig“, rief ein anderes Steinchen.
„Ganz einfach. Wir haben den Weg verlegt, weg vom Ufer des Teiches, mehr in die Wiese hinein“, erklärte der älteste Stein, „das fanden wir besser so.“
Das verwirrte den Kieselstein.
„Aber warum denn das? Was ist nun besser geworden? Wir liegen ja nun so weit vom Teich entfernt.“
Der Kieselstein wollte gerade wieder traurig werden, weil er an seinen Freund, den Frosch dachte. Nun lag ein großes Stück Wiese zwischen ihnen und sie konnten sich vielleicht nie mehr sehen. Doch da hatte er sich getäuscht. Denn er wurde plötzlich ein wenig nass, obwohl die Sonne schien, und ehe er die Wassertropfen abschütteln konnte, saß sein Frosch neben ihm. Er war aus seinem Teich gehüpft, um seinen Freund zu sehen.

Groß ist er geworden, dachte der Kieselstein bei sich, und noch schöner als vor drei Tagen. Ja, er glänzt sogar auf ganz besondere Weise.
„Ich habe eine Überraschung für dich“, kündigte der Frosch an und zwinkerte ihm mit seinem rechten Auge zu.
Der Kieselstein musste fast lachen und betrachtete den Frosch nun genauer. Da entdeckte er auf dem Kopf des Frosches eine goldene Krone. Das also war der Glanz, der von ihm ausging.
„Du bist ja der Froschkönig geworden!“, rief er voller Freude, „herzlichen Glückwunsch!“, und hüpfte um seinen Freund herum, um ihn von allen Seiten zu bestaunen.
„Bleib einmal ganz still liegen. Mir wird ja sonst ganz schwindelig“, bat der Frosch.
Der Kieselstein gehorchte und legte sich erwartungsvoll vor ihm nieder.
„Und welche Überraschung hast du für mich?“, fragte er.
Da nahm der Frosch seine Krone ab und legte sie vor dem Kieselstein nieder.
„Deine Kameraden und ich haben überlegt, dass du ein Edelstein in meiner Krone werden sollst.“
Nun wurde dem Kieselstein schwindelig. Er wurde ganz blass und musste die Augen schließen. Die anderen Kieselsteine rollten sich besorgt um ihn. Der älteste Stein aber kam mit einem Sauerampferblatt und legte es ihm auf die Stirn, ein anderer brachte schnell ein paar Blütenblätter vom Löwenzahn als Stärkung und ein dritter hatte Morgentau mit Blütennektar vermischt und in eine leere Nussschale gefüllt. Die stellte er nun vor den Kieselstein hin.
„Jetzt iss und trink erst einmal. Du hast ja seit Tagen nichts zu dir genommen und bist ganz verhungert und verdurstet.“
Dem Kieselstein wurde warm ums Herz. So viel Freundlichkeit war ihm lange nicht begegnet. Er aß und trank und fühlte sich danach wirklich sehr viel besser.

Der Frosch hatte so lange still gewartet, bis der Kieselstein mit seinem Frühstück fertig war.
„Ich fände es schön, wenn du alle Zeit bei mir wärest, weil du mein Freund bist. Wir könnten gemeinsam den Teich und den Weg regieren. Was meinst du dazu?“
Verlegen schaute der Kieselstein sich um.
„Ja! Ja! Mach das!“, riefen die übrigen Kieselsteine, „sag ja dazu und werde ein Edelstein in der Krone des Froschkönigs.“
„Aber wie soll das gehen? Ich bin doch nur ein einfacher grauer schmuckloser Kieselstein.“
„Das besorgen wir schon! Wir haben uns da etwas ausgedacht. Mal sehen, wie dir das gefällt“, sagte der älteste Kieselstein.
Auf seinen Wink hin kamen einige Steine, große und kleine, und brachten allerlei Pflanzen mit. Die einen bürsteten den Stein mit Distelblättern, die anderen schrubbten ihn mit Ligusterblättern und die dritten massierten ihn mit Grasbüscheln. Die Frösche aber kamen aus dem Teich und prusteten ihn mit kühlem Teichwasser nass, damit es ihm vor lauter Schrubben, Bürsten und Massieren nicht zu heiß wurde. So wurde der Kieselstein in kurzer Zeit ein strahlender Edelstein. Der Frosch aber klebte ihn mit Wiesenspucke fest in seine Krone und setzte sie sich auf den Kopf. Da thronte nun also der Kieselstein so hoch oben, wie er nie zuvor in seinem Leben gewesen war, und alle jubelten ihm und dem Frosch zu: die kleinen Steinchen mit ihren glockenhellen Stimmchen, die großen Steine mit ihrem erdentiefen Brummeln, und die Frösche quakten im Bass dazu.

„Das ist ja eine Überraschung“, rief plötzlich eine Männerstimme. Der Kieselstein erkannte ihn sofort. Das war Martin. „Schau mal Monika, unser Weg ist ja jetzt nicht mehr so staubig wie früher. Er ist ein richtig ordentlicher, breiter Kiesweg geworden. Wer hat sich denn die Mühe gemacht? Der Weg sieht aus, als hätte ihn jemand geharkt.“
Die Frösche waren so überrumpelt, dass sie gar nicht schnell genug in ein Versteck hüpfen konnten. Starr und stumm saßen sie da und warteten angstvoll, was geschehen würde. Der Frosch setzte schnell seine Krone zurecht, damit man sehen konnte, wer er war. Die Kieselsteine aber schauten verlegen zu Boden.
„Guck dir einmal die lustigen Frösche an. Komm, wir sind ganz still. Vielleicht beginnen sie zu quaken.“
Die Frösche brauchten eine kleine Weile um Mut zu schöpfen. Aber dann begann der Froschkönig sein Quaklied und alle anderen quakten schließlich mutig mit.
Monika und Martin setzten sich in die Wiese und hörten lächelnd zu.
Die Sonne wanderte ein bisschen über den Himmel. Ein schwarzer Käfer krabbelte von links nach rechts über den Weg und wunderte sich ein bisschen. Eine Biene flog von Löwenzahn zu Löwenzahn und trank ein bisschen Nektar. Und eine Grille übte schon ein bisschen das Zirpen für den Abend.
„Nun müssen wir aber weiter“, sagte Martin, zog Monika hoch und rannte los.
Monika jedoch beugte sich noch schnell zu den Fröschen hinunter. „Danke“, flüsterte sie ihnen zu und rannte hinter Martin her.

„Kommt, wir müssen unbedingt in den Teich!“, rief der Froschkönig.
„Mir ist auch schon ganz heiß“, jammerte ein kleiner Frosch und hüpfte davon. Die anderen Frösche waren froh, dass jemand den Anfang machte und folgten ihm.
„Danke!“, rief der Kieselstein , der ja jetzt ein Edelstein geworden war, von hoch oben herunter. Und noch einmal rief er: „Danke!“ Er konnte gar nicht mehr aufhören, „Danke“ zu rufen, so froh war er über alles.
Ja, alle waren froh: Die Frösche, weil der Weg jetzt weiter vom Teich entfernt verlief. So hatten sie Ruhe vor den Menschen. Die Menschen, weil sie jetzt einen ordentlichen Kiesweg hatten und der Kieselstein, weil er ein Edelstein geworden war und der Freund eines Königs bleiben durfte sein Leben lang.
 

Kayl

Mitglied
Die Geschichte beginnt mit einer Sprachkorrektur und man glaubt, sie würde mit Korrekturen oder Wortspielereien fortgesetzt und mit einer solchen Pointe enden.
Nein, der Rote Faden wird verlassen und es folgt eine chaotische Fülle wirrer Details, am Schluss mit Elementen aus Grimms „Der Froschkönig“.
Warum schläft der Stein drei Tage „vor Erschöpfung“? Er hat nicht gearbeitet, die anderen Steine haben den Weg verlegt. Warum wird der Weg um den Teich, Muster eines idyllischen Bilds, in die Wiese verlegt? Warum verlassen die Frösche ihr Element und hüpfen zum Weg? Man möchte diesen Text keinem Leser zumuten und hat den Verdacht, dass die Leselupen-Redakteure dieses Werk als Negativbeispiel ausgewählt haben.
 



 
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