Der Garten

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Odilo Plank

Mitglied
Mein Vater war Dorflehrer. Wir lebten in einer Dienstwohnung der alten Schule.
Vor meinen Augen der Speicher mit vielen Balken, mit kleinen Fensterchen. Ihr Glas war vielfach zerbrochen und schloss unzähligen Spatzenkindern die Welt auf.
Die Treppen scheuerten wir mit Stahlwolle, pflegten sie mit Bohnerwachs. Das Haus roch.
Hinter dem Haus stand ein Zwetschgenbaum, dessen Früchte meine Hand ausfüllten.
Da war noch die alte Schülertoilette. Nur die schwarz gestrichene Pinkelwand wahrte die Bestimmung. Nun roch sie nach Heu, das wir den Sommer lang für unsere drei Ziegen einbrachten.
Dahinter traten wir ein in den Garten. Er war groß. Die Pfade bildeten ein Kreuz, im Schnittpunkt ein Rondell, eine Laube aus Stahlbögen und wildem Wein. Sie waren gesäumt von Johannisbeerbüschen, die Ende Juni rote, weiße und schwarze Früchte trugen.
Mein Vater brachte mir bei, dass es nichts zu ernten gibt, außer man sät es oder pflanzt die Stecklinge. Die Hauptfrucht des Gartens war Weißkohl, stets bedroht von den Raupen des Kohlweißlings. Sie verpuppten sich zu Tausenden an der Südwand des Hauses. Aus den Krautköpfen wurde im Fass Sauerkraut. Damals aß ich es noch roh.
Der hintere Teil des Gartens war eine wunderbare Wildnis aus Blumen, Stauden und Sträuchern, die sich selbst aussäten. Ich kroch in sie hinein wie in eine Traumhöhle. Ich liebte ihren kühlen Schauer an heißen Sommertagen. Ich hatte meine Kriechgänge in diesen Schoß des Glücks.

Dann war ich zehn und besuchte das Internat. Das beste an ihm war das Heimweh.
Am ersten Tag der Sommerferien zog mich der Garten an.
Ich kniete vor meiner Pforte und spürte zum ersten Mal den Schmerz.
Es gab kein Hindernis. Sie stand offen, aber nicht mehr für mich.

Gewiss, ich säe, ich pflanze Stecklinge. Ach.
 

MarenS

Mitglied
Oh, so ein Garten! Ich mag deinen Text, schon weil ich schöne Gärten liebe. Nicht die gezierten, künstlichen sondern die, in denen Gemüse und Obst wächst, Gärten zum Durchnaschen. Gänge unter Obstbäumen, am Füß Walderdbeeren. Lauschige Lauben, in denen man sich alleine wähnt. Hmpf...ich gerate ins Schwärmen.

Ich danke dir, Odilo, für den Einblick in diesen "Kinder"Garten!

Grüße von Maren
 

Odilo Plank

Mitglied
Mein Vater war Dorflehrer. Wir lebten in der Dienstwohnung der alten Schule.
Vor meinen Augen der Speicher mit vielen Balken, mit kleinen Fensterchen. Ihr Glas war vielfach zerbrochen und schloss unzähligen Spatzenkindern die Welt auf.
Die Treppen scheuerten wir mit Stahlwolle, pflegten sie mit Bohnerwachs. Das Haus roch.
Hinter dem Haus stand ein Zwetschgenbaum, dessen Früchte meine Hand ausfüllten.
Da war noch die alte Schülertoilette. Nur die schwarz gestrichene Pinkelwand wahrte die Bestimmung. Nun roch sie nach Heu, das wir den Sommer lang für unsere drei Ziegen einbrachten.
Dahinter traten wir ein in den Garten. Er war groß. Die Pfade bildeten ein Kreuz, im Schnittpunkt ein Rondell, eine Laube aus Stahlbögen und wildem Wein. Sie waren gesäumt von Johannisbeerbüschen, die Ende Juni rote, weiße und schwarze Früchte trugen.
Mein Vater brachte mir bei, dass es nichts zu ernten gibt, außer man sät es oder pflanzt die Stecklinge. Die Hauptfrucht des Gartens war Weißkohl, stets bedroht von den Raupen des Kohlweißlings. Sie verpuppten sich zu Tausenden an der Südwand des Hauses. Aus den Krautköpfen wurde im Fass Sauerkraut. Damals aß ich es noch roh.
Der hintere Teil des Gartens war eine wunderbare Wildnis aus Blumen, Stauden und Sträuchern, die sich selbst aussäten. Ich kroch in sie hinein wie in eine Traumhöhle. Ich liebte ihren kühlen Schauer an heißen Sommertagen. Ich hatte meine Kriechgänge in diesen Schoß des Glücks.

Dann war ich zehn und besuchte das Internat. Das beste an ihm war das Heimweh.
Am ersten Tag der Sommerferien zog mich der Garten an.
Ich kniete vor meiner Pforte und spürte zum ersten Mal den Schmerz.
Es gab kein Hindernis. Sie stand offen, aber nicht mehr für mich.

Gewiss, ich säe, ich pflanze Stecklinge. Ach.
 

Odilo Plank

Mitglied
Vielen Dank für die schnelle Rückmeldung. Deine Zustimmung bezieht sich auf den vorgestellten Garten. Die Bitterkeit hast Du ausgeblendet. Das verändert auch meine Einstellung zum Sujet. Du hast Recht:
Am farbigen Abglanz haben wir des Leben. Faust II 4727
Ich habe Dir zu danken! Odilo
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Odilo,

bis zu:
"Am ersten Tag der Sommerferien zog mich der Garten an."
gefällt mir die kleine Geschichte sehr gut, aber ....

Ich denke dein Protagonist sollte nicht knien, er sollte vor seinem Schloss, oder vor seiner Traumhöhle, oder vor seinem Glück stehen und zum ersten Mal den Schmerz spüren. Und evt. als letzten Satz nur noch: Der Blick war offen, aber für mich nicht. (oder eben so in der Art).

Aber, ist wie immer nur mein Blick auf die Dinge, aber vielleicht kannst du dich ja ein wenig mit meiner Idee anfreunden.

LG Franka
 

Odilo Plank

Mitglied
Hallo Franka,
ganz einfach: Das ist halt biographisch und aus der Mode.
Da ist ein zehnjähriger Junge, der in seine Höhlengänge kriechen will. Wer kriechen will, muss knien.
Ich bin seither nie wieder gekrochen. Damals war es mein Glück.
Liebe Grüße! Odilo
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Odilo,

für mich war die Höhle weg, so habe ich deinen Text gelesen.
Dann muss ich ihn mir wohl noch einmal genauer anschauen.

LG Franka
 

MarenS

Mitglied
Hmpf, nein, die Höhle ist noch da aber es passt nicht mehr.
Ich sah einen Jungen vorm Höhleneingang knien, den Wunsch in den Augen hineinzukriechen aber es geht nicht, es ist vorbei. Manche Dinge kann man einfach nicht zurückholen. Doch dazu haben wir die Erinnerung, warm, weich, geschönt und ein kleines bißchen schmerzhaft.

Grüße von Maren
 

Odilo Plank

Mitglied
Der Verlust der unbeschwerten Kindheit, danke MarenS, das wars.
Vor wenigen Wochen besuchte ich unser "Pflichtjahrmädchen" von damals. Die Dame wird bald achtzig. Sie hat hat ein umwerfendes Gedächtnis. Ich fuhr sie zum Garten. Haus und Garten sind verwahrlost. Kein Garten, eine Wildnis - keine schöne.
Erinnerungen sind so billig nicht zu beschwören. In unseren langen Gesprächen werden sie lebendig. Und im gemeinsamen Handeln.
Liebe Grüße! Odilo
 

MarenS

Mitglied
Meist ist es besser Erinnerungen zu konservieren und sie nicht aufzufrischen. Als Kind schien mein Schulweg unendlich weit zu sein. Ganze Länder ließ ich hinter mir. Die Böschung der Straße war berghoch.
Ich hatte, wie ich heute weiß, nur ca 2,5 km zu laufen und die Berge sind nur 2 Meter hoch. Desillusionierend!

In deiner Geschichte findet das erste unfreiwillige "Abstand bekommen" schon im Kindesalter statt. Die Zeit im Internat hat schneller als gewöhnlich wachsen lassen die Entwöhnung war nachhaltiger als das Kind ahnte. Es muss sehr verwirrt gewesen sein...denke ich.

Grüße von Maren
 

Joh

Mitglied
Hallo Otto,

ich mag den beinah kargen Ton (in Abschnitten) und dann wieder Wendungen wie: . . . und schloss unzähligen Spatzenkindern die Welt auf. - dadurch bekommt die Erinnerung nichts kitschig sentimentales, sondern eine Stimmung die mich mitten hineinführt in diesen Zaubergarten, und den sehnsüchtigen Abschied des Jungen. Eine wunderbare Geschichte.

Vielleicht liegt mir diese Geschichte auch so, weil ich bis zum vierten Lebensjahr mit Eltern und Geschwistern auf dem Bauernhof meiner Großeltern mit Garten, Blumen Gemüse und Obstbäumen lebte. Danach gingen wir Kinder (auch Cousinen und Cousins mehrmals die Woche zu Ihnen. Als ich 10 war, mußte der Hof verkauft werden, weil sich kein Nachfolger fand.


LG Johanna
 



 
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