Der Geigenkasten

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Berliner Aufgabe im Nov. 2002 lautete, irgendetwas zum Thema „Geigenkasten“ zu schreiben.

Geigenkasten

Das Orchester gab in einer anderen Stadt ein Konzert. Die Instrumente wurden in einen Eisenbahnwagon geladen, die Musiker setzten sich in ihre bequemen Abteile. Manche spielten Karten, manche lasen, andere schliefen.
Die Instrumente kannten das schon von anderen Reisen und begannen sogleich ihre liebgewordenen Scherzreden. Nur die Geige beteiligte sich wie immer nicht daran. Deshalb teilten die anderen auch immer wieder Seitenhiebe gegen sie aus. Die Pauke begann das Spiel mit:
Ein Chorleiter wird gefragt: „Warum nennen Sie den Chor einen gemischten Chor? Sie haben doch nur Männer!“ Die Antwort: „Ja, aber die einen können singen und die anderen nicht.“
Die Trommel fügte hinzu: „Die Geige hat ein g. Wer aber hat zwei g? Jeder Baum hat Zweige.“
Alles brüllte vor Lachen. Dann ging es etwas gemäßigter weiter. Die Klarinette sagte:
„Was fummeln Sie denn ständig in ihrem Bart herum?“ – „Ich spiele die Pikkoloflöte.“
Und die Oboe ließ verlauten: „War bei den alten Griechen Musik mitunter ein Heilmittel, so kann man sagen, dass heutige Schlager mitunter ein Heulmittel sind.“
Die Bratsche meldete sich zu Wort:
Das Orchester tanzt während des Spielens. Einer der Musiker entschuldigt: „Sie müssen verstehen, Herr Kapellmeister, im Publikum sitzt Andre Heller.“
Die Posaune meinte dazu: „Übrigens ist Taktgefühl kein Privileg der Dirigenten.“
Das Horn entgegnete: „Unbedarftheit hat den Vorzug, dass man sie eher anerkennt als Begabung.“
Das Cello gab zum Besten:
Ein Reporter fragt einen Gitarristen: „Was meinen Sie zu der Frage, dass Rockmusik taub macht?“ Der Gitarrist antwortet nicht, er hat den Reporter nicht verstanden, denn er war Rockmusiker.
Das Fagott tirilierte:
Sagt der Dirigent zu einem Geiger: „Ihre Geige hat aber einen schönen Ton.“ Geschmeichelt sagt der Geiger: „So?“ – „Ja“, erwidert der Dirigent, „aber leider wirklich nur einen.“
Aus der Richtung des Geigenkastens kamen leise die Worte: „Wie war denn gestern das Blaskonzert?“ – „ Eine Vorspiegelung falscher Tatsachen.“
Einen Moment war Ruhe im Wagon, denn zum erstenmal hatte sich die Geige zu Wort gemeldet. Aber ihre Art und Weise wollte sich das Flügelhorn nicht bieten lassen. Darum sagte es: „Manch schlummerndes Talent sollte man in unser aller Interesse weiterschlummern lassen.“
Es erntete schallendes Gelächter. Wieder kam aus Richtung Geigenkasten leises Geflüster: „Wer dem Publikum dient, ist ein armes Tier, du quälst dich ab, niemand dankt es dir.“
Nun griff das Cello ein: „Wenn sich der Geiger mal den rechten Arm bricht, ist das überhaupt kein Problem. Er muss dann die Geige nur so halten, dass mein Bogen sie erreicht.“
Kichernd mischte sich das Saxophon ein:
Ein Geiger und ein Cellist lasen die Anzeige: „Streicher gesucht.“ Natürlich gingen die beiden, die gerade wegen Alkoholismus aus ihrem Orchester geflogen waren, sofort zu der angegebenen Adresse. Leider war es ein Malereibetrieb . . .
Auch die Pikkoloflöte gab ihren Senf dazu: „Es gibt Pianisten, die treiben mit ihrem Spiel jeden Holzwurm aus dem Instrument.“
Und die Triangel erzählte auch einen Witz:
Weil der Musikrezensent erkrankt war, schickte die Redaktion den Sportreporter in s Konzert. Er schrieb: „Das Orchester spielte Werke von Brahms. Brahms verlor.“

Endlich kam die Bassgeige zum Zuge mit: Ein Cellist begleitete vor dem Fernseher ein Violin-Konzert. Als ein unreiner Ton erklang, klopfte er mit dem Bogen auf die Flimmerkiste und sagte: „Bitte, meine Herren, etwas mehr Konzentration!“
So hatten sich die Instrumente auf die Musiker eingeschossen. Sie meinten, die Geige würde dazu schweigen und sie nicht mehr in ihrer munteren Unterhaltung stören. Die Posaune und das Flügelhorn verlegten sich aufs Dichten und gaben zu Gehör:

Ein Pianist, der ungezügelt
Auf einem Bechstein-Flügel flügelt,
ist ganz versunken. Er vernimmt
erst aus dem Beifalls-Minimum:
Der Flügel und das Publikum
sind sehr verstimmt.

Ein Pianist benutzt
Den Flügel derart, dass der Saal
profunder Kenner stutzt.
Der Künstler sagt und lächelt schmal:
„Kein Wunder, dass ich jedes Mal
die gleich Resonanz erziele,
wenn ich auf dem Stutzflügel spiele.“

Zwei Pianisten mit vierhändigen Stücken
Wollten Forscher in der Arktis entzücken.
Per Eisbrecher und Hubschrauber hergepackt
standen zwei Flügel, weißgelackt,
in der Baracke. Die Herren, befrackt,
heben die Hände zum ersten Takt.
Da plötzlich brach aus und tobte für Stunden
ein gewaltiger Schneesturm, drin sind sie verschwunden.
Sehr kompliziert ist die Suche nach ihnen
zwischen Tausenden von Pinguinen.

Aber lange war das nicht durchzuhalten. Also kam der Bass mit dem Scherzchen:
Sagt ein Trompeter zu seiner Frau, die gerade das Kinderzimmer betritt: „Jetzt spiele ich dem Bengel schon drei Stunden lang Schlaflieder vor, und denkst du vielleicht, der schläft ein?“
Das Cello setzte eins drauf mit der Preisfrage: „Warum blasen die Trompeter in Mitteldeutschland niemals auf Brücken? Weil sie auf Trompeten blasen.“
Der Bass konterte: „Wie blasen die Trompeter der Wiener Philharmoniker? Vom Blatt.“

Mit einem kaum hörbaren Zischeln kam aus der Richtung des Geigenkastens:
Der Bass stand an der Basis einer Basilika und tönte brav. Da hielt der Basilisk inne beim Anbau seines Basilikums und lauschte. Ein Obelisk observierte die beiden, während ein Oboist in das Spiel des Basses einfiel. Herr Ober, einen Unter, mir wird s über.

Da wurde die Tür aufgeschoben, der Zug war am Zielort angelangt. Doch als der Violinist im Konzertsaal seine Geige auspacken wollte, fand er den Kasten leer vor. Die Geige hatte Reißaus genommen, als der Kasten sich an den Scherzen der anderen Instrumente beteiligte.
 
L

laetitia

Gast
Hallo oldicke,

da sieht man die lustigen Instrumente ja direkt vor sich, wie sie miteinander um die Wette scherzen.
Einen schönen Tag wünscht dir
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein schöner und lesenswerter Text, der mir fast durch die Lappen gegangen wäre. Auch die Pointe sitzt gut, Flamma.

Viele Grüße von Hutschi
 



 
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