Der Geruch des Todes

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Den Text hatte ich für eine Autorenlesung geschrieben. Er durfte nur 4 Minuten lang sein. Eine Herausforderung für mich. Grins!
Da er ganz gut ankam, stelle ich ihn hier ein.

Der Geruch des Todes

„Nina?“
Ich drehe mich um. „Sandra! Wow, so ein Zufall!“
Wir fallen uns lachend in die Arme. „Wie geht’s dir denn so? Alle Träume in Erfüllung gegangen?“
„Wollte ich auch gerade fragen.“ Ich hake sie unter. „Hast du ein bisschen Zeit? Wir könnten einen Kaffee trinken oder lieber Eis essen?“ Ich deute auf das kleine Eiscafé.
Sandra konnte damals zu Schulzeiten riesige Eisportionen essen, ohne, dass ihr schlecht wurde.
„Selbst ich muss inzwischen ein bisschen aufpassen, was ich in mich hineinstopfe.“ Sie ist genauso schlaksig, wie mit fünfzehn. Nur wenn sie lacht, sieht man einige Falten.
„Du willst nur, dass ich dir jetzt sage, dass du dich überhaupt nicht verändert hast.“ Ich grinse. „Also, was ist?“
Sandra wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann nickt sie. „Um 12 muss ich unseren Sohn vom Kindergarten abholen, aber bis dahin ...“ Sie zuckt mit den Schultern. „Außer mir wird keiner den Haushalt erledigen. Egal, mache ich es morgen.“

Wir wählen einen der Terrassentische.
„Erzähl mal“, fordert sie mich auf, kaum dass wir sitzen und Kaffee bestellt haben, „was hast du so die letzten Jahre gemacht? Bist du Ärztin geworden? Das war doch immer dein großer Traum.“
„Ja, das wollte ich schon als kleines Mädchen und ja, ich habe es geschafft.“
„Gratuliere!“ Sie strahlt mich an. „Ich bin stolz auf dich.“
Nachdenklich kippe ich Zucker in meinen Kaffee und rühre sorgfältig um.
Eine Weile plätschert das Gespräch dahin. Wir berichten einander. Sandra hatte Journalismus in Hamburg studiert und wohnt seit einigen Jahren wieder hier. Obwohl unser letztes Treffen über zehn Jahre zurückliegt, ist es, als wäre es gestern gewesen.
„Ich will dir nicht zu nahe treten ...“ Sandra zögert. „Aber irgendwie wirkst du nicht so, als ob alles in Ordnung wäre.“
Wir schweigen eine Weile.
„Ich kann ihn riechen!“
Verwirrt sieht sie mich an. „Wen?“
„Den Tod. Ich rieche es, wenn ein Mensch sterben wird.“
„Man kann den Tod riechen?“, hakt sie stirnrunzelnd nach.
Ich nicke. „Ich bin Ärztin geworden, weil ich den Menschen helfen will. Ich bringe ihnen Hoffnung. Sollte ich zumindest. Aber wie kann ich das, wenn ich weiß, dass dieser Patient demnächst sterben wird? Ich kann meine Aufgabe nicht erfüllen. Mein Traum ist zerplatzt.“
„Sterben gehört zum Leben dazu“, widerspricht sie. „Wir wollen das meist nicht wahrhaben und verdrängen den Gedanken an den Tod. Du bist doch nicht schuld, wenn jemand stirbt. Ich bin mir sicher, dass du vielen Menschen hilfst, gesund zu werden.“
„Natürlich helfe ich auch, aber du verstehst nicht ...“
„Doch“, unterbricht sie mich, „sogar sehr gut. Wenn jemand unheilbar krank ist, ist jede lebensverlängernde Aktion sinnlos. Du ersparst deinen Patienten nutzlose Maßnahmen. Sie müssen diese Torturen nicht mehr über sich ergehen lassen und noch mehr Leid ertragen. Du hilfst ihnen dabei in Würde zu sterben. Und - du bist für viele vielleicht der einzige Mensch, mit dem sie darüber reden können. Die Angehörigen haben oft Angst davor, denn sie hoffen bis zum Schluss auf ein gutes Ende.“
„Du bist die erste, die es als Tatsache akzeptiert, dass ich den Tod riechen kann. Viele bestehen auf sämtlichen medizinischen Möglichkeiten. Sie verlangen, dass wir nicht aufgeben. Und die meisten Kollegen und Kolleginnen stehen meinem Geruchssinn äußerst skeptisch gegenüber.“
„Aber warum denn?“ Sanft legt sie ihre Hand auf meine, die nervös die Serviette malträtiert. „Es gibt doch auch Tiere, die Krankheiten riechen können. Warum soll es dann nicht auch Menschen mit dieser Fähigkeit geben?“
„Bei dir klingt das so einfach.“ Ich knülle die Serviettenfetzen zusammen und stopfe sie in den Aschenbecher.
„Tut mir leid, Nina, aber ich muss zum Kindergarten.“
Wir winken der Bedienung, zahlen und machen uns auf den Weg. „Diesmal warten wir aber nicht so lange mit einem Treffen“, sagt sie und umarmt mich. Es schnürt mir die Kehle zu.
„Nein, tun wir nicht“, murmle ich und weiß, dass es gelogen ist. Wir werden uns nie mehr wiedersehen. Ich kann es riechen und Tränen verschleiern mir die Sicht.

©Christa Reusch, August 2016
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Liebe Christa,

für mich funktioniert der Text nicht. Das liegt vor allem an Verständnisschwierigkeiten und am allzu offenen Ende. Das erste Mal gestolpert bin ich bei dieser Textstelle:

„Ich will dir nicht zu nahe treten ...“ Sandra zögert. „Aber irgendwie wirkst du nicht so, als ob alles in Ordnung wäre.“
Ich musste den Kontext merhmals lesen, bis ich ich es, glaube ich, kapiert habe. Ich hab mich bei dieser Textstelle gefragt, wer das sagt. Eigentlich ja Sandra, aber das passte für mich nicht, weil eigentlich, wenn ich es richtig verstehe, Sandra die Todgeweihte ist und somit müsste Nina ja eigentlich zu Sandra sagen, dass irgendwas mit ihr nicht stimmt. Erst beim dritten Lesen hab ich kapiert, dass Sandra auffällt, dass Nina komisch ist, weil sie als Ärztin den Tod riechen kann und ihn, so meine Lesart, bei Sandra riecht.

Vielleicht stolpere auch nur ich bei dieser Stelle.

Bist du Ärztin geworden? Das war doch immer dein großer Traum.“
„Ja, das wollte ich schon als kleines Mädchen und ja, ich habe es geschafft.“
Dieses 'Das wollte ich schon als kleines Mädchen' wirkt eher an den Leser gerichtet als an Sandra und wirkt daher für mich aufgesetzt.

Dass eine Ärztin den Tod riechen kann, das hat für mich auch etwas Okkultes. Ärzte sind für mich zunächst Diagnostiker, die von Wahrschienlichkeiten ausgehen. Dass sie als Ärztin Patienten sagt, dass sie deren Tod riechen kann und deswegen von Therapien abrät und dass Nina dann ein solches Verhalten lobt und meint, Sandra ließe Patienten in Würde sterben, das empfinde ich als fragwürdig. Ein Arzt sollte eine solche Entscheidung nicht treffen, sondern der Patient selbst. Ein Arzt kann sagen: "Ich habe wenig Hoffnung, dass die Therapie anschlägt, bei dem Stadium ihrer Erkrankung hilft eine Therapie nur 15 Prozent der Patienten", das ist nachvollziehbar, aber wenn ich Krebs o.ä. hätte, und der Arzt sagt mir 'Ich kann ihren Tod riechen' würde ich wahrscheinlich eher den Arzt wechseln, aber nicht sagen: "Danke für Ihre ehrlichen Worte und Danke, dass Sie mich in Würde sterben lassen!".

Abgesehn davon, mag ich Texte, die Vorgaben erfüllen müssen, nicht so gerne. Mit so wenig Text (4 Minuten) tief ins Herz eines Lesers vorzudringen, ist sehr, sehr schwierig.

LG,

CPMAn
 

Vagant

Mitglied
Hallo, ich habe weniger als 4 Minuten gebraucht und bin an keiner Stelle nicht im Bilde gewesen. Die Reduktion auf das Wesentliche hat natürlich am Ende auch einfach nur viel mit dem Handwerk zu tun. Wahrscheinlich hat Du hier mehr Zeit mit dem Rotstift hantiert, als Du für die Niederschrift gebraucht hast.
Ich habe das Resultat gern gelesen. Manchmal wünscht ich mir, ich würde genau so schreiben; ohne langes Pipapo hinein in die Szene, kein langes Palaver bei den Dialogen, keine ellenlangen Erklärungen zu Sachverhalten, die nicht von Belang sind – ja, genau so soll Shortstory sein.
Den Dreh mit dem Okkulten fand ich gut. Wenn sich ein Autor hinsetzt dann möchte er auch einfach mal ein bisschen was zusammenspinnen, ohne dabei das realistische Setting aus dem Auge zu verlieren. Für mich als Leser allemal besser, als ein trög-realistischer Plot in einer blumig-romantischen Sprache. Und mitten ins Herz müssen am Ende nur Herzchirurgen, und das auch eher selten.
LG Vagant.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Christa,

Auch ich habe Deine Geschichte in einem Rutsch gelesen.
Probleme mit wer was sagt, hatte ich keine. Es ist auch nicht Nina (die Ärztin), die sagt, sie würde den Patienten von Therapien abraten. Es ist Sandra (die Freundin) die sagt: Wenn jemand unheilbar krank ist, ist jede lebensverlängernde Aktion sinnlos. Während die Ärztin viel mehr ihre innere Bedenken zum Ausdruck bringt; jedoch auch noch sagt: Natürlich helfe ich….
Was mir an Deiner Geschichte am besten gefallen hat, ist das Ende, da ich damit nicht gerechnet hatte. Das hast Du gekonnt hingekriegt.:D
Einzig, wie CPMan erwähnte, fand auch ich den Satz:
„Ja, das wollte ich schon als kleines Mädchen und ja, ich habe es geschafft.“
zu unpersönlich (als sei es eine Info für den Leser) Vielleicht evtl. Besser: “ Ja, wie du weisst, wollte ich das schon immer…” oder “Ja, erinnerst du? Das war immer mein Ziel”…etc…
Mit Gruss,
Ji
 
Hallo Ji,

vielen Dank für die Rückmeldung.

Freut mich, dass der Text an sich verständlich ist. Ich werde mir diese eine Stelle nochmals ansehen und überarbeiten.

LG
Christa
 
Hallo Molly und Vagant,

freut mich, dass der Text bei euch gut ankommt.

Vagant, du siehst das ganz richtig. Ich habe zum Kürzen länger gebraucht, als für den eigentlichen Text.
Habe es auch vorher, sozusagen als Generalprobe, meinem Chor vorgelesen. Und dann nochmals gekürzt.

LG
Christa
 
Hallo CPMan,

schade, dass der Text für dich nicht funktioniert. Danke aber für das Feedback.

Die Tatsache, dass jemand den Tod riechen kann, habe ich übrigens nicht erfunden. Ich durfte vor vielen Jahren eine Ärztin kennenlernen, die genau dieses Problem hatte. Und nein, sie hat es natürlich ihren Patienten nicht gesagt. Ich habe keine Ahnung, ob sie Ärztin geblieben ist, oder nicht, aber als ich auf der Suche nach einem Thema für einen kurzen Text war, fiel mir das wieder ein und ich habe eine Geschichte daraus gebastelt.

LG
Christa
 



 
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