Christa Reuch
Mitglied
Den Text hatte ich für eine Autorenlesung geschrieben. Er durfte nur 4 Minuten lang sein. Eine Herausforderung für mich. Grins!
Da er ganz gut ankam, stelle ich ihn hier ein.
Der Geruch des Todes
„Nina?“
Ich drehe mich um. „Sandra! Wow, so ein Zufall!“
Wir fallen uns lachend in die Arme. „Wie geht’s dir denn so? Alle Träume in Erfüllung gegangen?“
„Wollte ich auch gerade fragen.“ Ich hake sie unter. „Hast du ein bisschen Zeit? Wir könnten einen Kaffee trinken oder lieber Eis essen?“ Ich deute auf das kleine Eiscafé.
Sandra konnte damals zu Schulzeiten riesige Eisportionen essen, ohne, dass ihr schlecht wurde.
„Selbst ich muss inzwischen ein bisschen aufpassen, was ich in mich hineinstopfe.“ Sie ist genauso schlaksig, wie mit fünfzehn. Nur wenn sie lacht, sieht man einige Falten.
„Du willst nur, dass ich dir jetzt sage, dass du dich überhaupt nicht verändert hast.“ Ich grinse. „Also, was ist?“
Sandra wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann nickt sie. „Um 12 muss ich unseren Sohn vom Kindergarten abholen, aber bis dahin ...“ Sie zuckt mit den Schultern. „Außer mir wird keiner den Haushalt erledigen. Egal, mache ich es morgen.“
Wir wählen einen der Terrassentische.
„Erzähl mal“, fordert sie mich auf, kaum dass wir sitzen und Kaffee bestellt haben, „was hast du so die letzten Jahre gemacht? Bist du Ärztin geworden? Das war doch immer dein großer Traum.“
„Ja, das wollte ich schon als kleines Mädchen und ja, ich habe es geschafft.“
„Gratuliere!“ Sie strahlt mich an. „Ich bin stolz auf dich.“
Nachdenklich kippe ich Zucker in meinen Kaffee und rühre sorgfältig um.
Eine Weile plätschert das Gespräch dahin. Wir berichten einander. Sandra hatte Journalismus in Hamburg studiert und wohnt seit einigen Jahren wieder hier. Obwohl unser letztes Treffen über zehn Jahre zurückliegt, ist es, als wäre es gestern gewesen.
„Ich will dir nicht zu nahe treten ...“ Sandra zögert. „Aber irgendwie wirkst du nicht so, als ob alles in Ordnung wäre.“
Wir schweigen eine Weile.
„Ich kann ihn riechen!“
Verwirrt sieht sie mich an. „Wen?“
„Den Tod. Ich rieche es, wenn ein Mensch sterben wird.“
„Man kann den Tod riechen?“, hakt sie stirnrunzelnd nach.
Ich nicke. „Ich bin Ärztin geworden, weil ich den Menschen helfen will. Ich bringe ihnen Hoffnung. Sollte ich zumindest. Aber wie kann ich das, wenn ich weiß, dass dieser Patient demnächst sterben wird? Ich kann meine Aufgabe nicht erfüllen. Mein Traum ist zerplatzt.“
„Sterben gehört zum Leben dazu“, widerspricht sie. „Wir wollen das meist nicht wahrhaben und verdrängen den Gedanken an den Tod. Du bist doch nicht schuld, wenn jemand stirbt. Ich bin mir sicher, dass du vielen Menschen hilfst, gesund zu werden.“
„Natürlich helfe ich auch, aber du verstehst nicht ...“
„Doch“, unterbricht sie mich, „sogar sehr gut. Wenn jemand unheilbar krank ist, ist jede lebensverlängernde Aktion sinnlos. Du ersparst deinen Patienten nutzlose Maßnahmen. Sie müssen diese Torturen nicht mehr über sich ergehen lassen und noch mehr Leid ertragen. Du hilfst ihnen dabei in Würde zu sterben. Und - du bist für viele vielleicht der einzige Mensch, mit dem sie darüber reden können. Die Angehörigen haben oft Angst davor, denn sie hoffen bis zum Schluss auf ein gutes Ende.“
„Du bist die erste, die es als Tatsache akzeptiert, dass ich den Tod riechen kann. Viele bestehen auf sämtlichen medizinischen Möglichkeiten. Sie verlangen, dass wir nicht aufgeben. Und die meisten Kollegen und Kolleginnen stehen meinem Geruchssinn äußerst skeptisch gegenüber.“
„Aber warum denn?“ Sanft legt sie ihre Hand auf meine, die nervös die Serviette malträtiert. „Es gibt doch auch Tiere, die Krankheiten riechen können. Warum soll es dann nicht auch Menschen mit dieser Fähigkeit geben?“
„Bei dir klingt das so einfach.“ Ich knülle die Serviettenfetzen zusammen und stopfe sie in den Aschenbecher.
„Tut mir leid, Nina, aber ich muss zum Kindergarten.“
Wir winken der Bedienung, zahlen und machen uns auf den Weg. „Diesmal warten wir aber nicht so lange mit einem Treffen“, sagt sie und umarmt mich. Es schnürt mir die Kehle zu.
„Nein, tun wir nicht“, murmle ich und weiß, dass es gelogen ist. Wir werden uns nie mehr wiedersehen. Ich kann es riechen und Tränen verschleiern mir die Sicht.
©Christa Reusch, August 2016
Da er ganz gut ankam, stelle ich ihn hier ein.
Der Geruch des Todes
„Nina?“
Ich drehe mich um. „Sandra! Wow, so ein Zufall!“
Wir fallen uns lachend in die Arme. „Wie geht’s dir denn so? Alle Träume in Erfüllung gegangen?“
„Wollte ich auch gerade fragen.“ Ich hake sie unter. „Hast du ein bisschen Zeit? Wir könnten einen Kaffee trinken oder lieber Eis essen?“ Ich deute auf das kleine Eiscafé.
Sandra konnte damals zu Schulzeiten riesige Eisportionen essen, ohne, dass ihr schlecht wurde.
„Selbst ich muss inzwischen ein bisschen aufpassen, was ich in mich hineinstopfe.“ Sie ist genauso schlaksig, wie mit fünfzehn. Nur wenn sie lacht, sieht man einige Falten.
„Du willst nur, dass ich dir jetzt sage, dass du dich überhaupt nicht verändert hast.“ Ich grinse. „Also, was ist?“
Sandra wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann nickt sie. „Um 12 muss ich unseren Sohn vom Kindergarten abholen, aber bis dahin ...“ Sie zuckt mit den Schultern. „Außer mir wird keiner den Haushalt erledigen. Egal, mache ich es morgen.“
Wir wählen einen der Terrassentische.
„Erzähl mal“, fordert sie mich auf, kaum dass wir sitzen und Kaffee bestellt haben, „was hast du so die letzten Jahre gemacht? Bist du Ärztin geworden? Das war doch immer dein großer Traum.“
„Ja, das wollte ich schon als kleines Mädchen und ja, ich habe es geschafft.“
„Gratuliere!“ Sie strahlt mich an. „Ich bin stolz auf dich.“
Nachdenklich kippe ich Zucker in meinen Kaffee und rühre sorgfältig um.
Eine Weile plätschert das Gespräch dahin. Wir berichten einander. Sandra hatte Journalismus in Hamburg studiert und wohnt seit einigen Jahren wieder hier. Obwohl unser letztes Treffen über zehn Jahre zurückliegt, ist es, als wäre es gestern gewesen.
„Ich will dir nicht zu nahe treten ...“ Sandra zögert. „Aber irgendwie wirkst du nicht so, als ob alles in Ordnung wäre.“
Wir schweigen eine Weile.
„Ich kann ihn riechen!“
Verwirrt sieht sie mich an. „Wen?“
„Den Tod. Ich rieche es, wenn ein Mensch sterben wird.“
„Man kann den Tod riechen?“, hakt sie stirnrunzelnd nach.
Ich nicke. „Ich bin Ärztin geworden, weil ich den Menschen helfen will. Ich bringe ihnen Hoffnung. Sollte ich zumindest. Aber wie kann ich das, wenn ich weiß, dass dieser Patient demnächst sterben wird? Ich kann meine Aufgabe nicht erfüllen. Mein Traum ist zerplatzt.“
„Sterben gehört zum Leben dazu“, widerspricht sie. „Wir wollen das meist nicht wahrhaben und verdrängen den Gedanken an den Tod. Du bist doch nicht schuld, wenn jemand stirbt. Ich bin mir sicher, dass du vielen Menschen hilfst, gesund zu werden.“
„Natürlich helfe ich auch, aber du verstehst nicht ...“
„Doch“, unterbricht sie mich, „sogar sehr gut. Wenn jemand unheilbar krank ist, ist jede lebensverlängernde Aktion sinnlos. Du ersparst deinen Patienten nutzlose Maßnahmen. Sie müssen diese Torturen nicht mehr über sich ergehen lassen und noch mehr Leid ertragen. Du hilfst ihnen dabei in Würde zu sterben. Und - du bist für viele vielleicht der einzige Mensch, mit dem sie darüber reden können. Die Angehörigen haben oft Angst davor, denn sie hoffen bis zum Schluss auf ein gutes Ende.“
„Du bist die erste, die es als Tatsache akzeptiert, dass ich den Tod riechen kann. Viele bestehen auf sämtlichen medizinischen Möglichkeiten. Sie verlangen, dass wir nicht aufgeben. Und die meisten Kollegen und Kolleginnen stehen meinem Geruchssinn äußerst skeptisch gegenüber.“
„Aber warum denn?“ Sanft legt sie ihre Hand auf meine, die nervös die Serviette malträtiert. „Es gibt doch auch Tiere, die Krankheiten riechen können. Warum soll es dann nicht auch Menschen mit dieser Fähigkeit geben?“
„Bei dir klingt das so einfach.“ Ich knülle die Serviettenfetzen zusammen und stopfe sie in den Aschenbecher.
„Tut mir leid, Nina, aber ich muss zum Kindergarten.“
Wir winken der Bedienung, zahlen und machen uns auf den Weg. „Diesmal warten wir aber nicht so lange mit einem Treffen“, sagt sie und umarmt mich. Es schnürt mir die Kehle zu.
„Nein, tun wir nicht“, murmle ich und weiß, dass es gelogen ist. Wir werden uns nie mehr wiedersehen. Ich kann es riechen und Tränen verschleiern mir die Sicht.
©Christa Reusch, August 2016