Der Herr Obertreiber

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Der Herr Obertreiber

Nach dem Jagdfrühstück wurden alle Gäste bei strömendem Regen und fiesem, nasskaltem Nordwestwind nach Treibern, Hundeführern, Musikern und Schützen eingeteilt. Wir standen da in Reih und Glied wie aufem Kasernenhof. Et waren so anne fünfzig erwartungsvolle Bekloppte, die sich freiwillig nass regnen ließen.
Jagdtröten spielten die Begrüßungsmelodei.

Kuhlenkamp, der Jagdboss, stand unübersehbar in Front zur gesamten Jagdgesellschaft. Er begrüßte uns noch ma ganz herzlich und bettelte beim Heiligen Hubertus um besseret Wetter. Dann redete er sehr ernst über die Sicherheitsvorschriften vonne landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft.
Mit den Brüdern wollte er auf keinen Fall wat zu tun haben. Von der Bande würde man im Schadenfall, wenn überhaupt, erst nach etlichen Gutachten und vielen Jahren Rechtsstreit Knete kriegen. Lieber würden die dat sehen, wenne vorher den Löffel abgäben täts und der lausige Verein dann nix mehr rausrücken müsste. Er wartete schon sieben Jahre auf ne Leistung für sein beim Schießen ertaubet Ohr. Aus diesem Grund wollte er abends niemanden von uns aufe Strecke liegen sehen.
Wat allet abgeballert werden durfte, hat er auch noch erwähnt und die schießgeilen Jungjäger ermahnt, vorsichtig zu sein und nicht auf Hunde und Treiber zu schießen.

Oh, Mann, musste der Kuhlenkamp dat noch unbedingt erwähnen? Ich hatte doch eben erst alle Ängste von mir abgeschüttelt!
Jagdleiter war en Polizist aus Wattenscheid. Dat war der Mann, der beim Frühstück auf som steirischen Schifferklavier gespielt hatte. Jetz kontrollierte er äußerst pingelig die Jagdscheine der Grünröcke. Bei dieser Überprüfung kam raus, dat zwei Jäger ihre Jagdausweise vergessen hatten. Peinlich, peinlich.
Die kriegten ne rote Bombe, kuckten blöd ausse Wäsche und wollten diskutieren. Nix da! Sie durften wählen: Jagd aus, ab nach Haus, oder ab inne Treiberwehr.

Beide waren angesehene Herren. Sie stießen zähneknirschend zu unserem Treiberhaufen, stellten sich aber bewusst abseits, die Blödmänner. Wir grinsten uns natürlich einen.
Nun wurden die Männer mit speziellen Aufgaben vorgestellt.
Man rief jetz meinen Vorgesetzten, den schweren Herrn Obertreiber Adolf auf. Er trat majestätisch einen Schritt vor.

Obertreiber durfte nur jemand sein, der dat Gelände und alle Schliche bei die Jagd genau kennen tat und die Treiberwehr erfolgreich durch Dick und Dünn führen konnte. Adolf war so ein Kerl, dat glaubte ich ihm blind.
Er war dat auch gewesen, der beim Frühstück mindestens en Kilo Würstchen am Buffet verdrückte und sich noch obendrein die Taschen mit Fressalien vollgestoppt hatte.
Wat für ein Kaliber von Mann! Dicker, runder Kopp mit Halbpläte. Schweißperlen standen auf seiner Birne. Den durchlöcherten Speckhut trugen bestimmt schon seine Vorfahren inne Steinzeit. Sein durchlöchderter „Hut“ musste wohl schon etliche Zielübungen inne Neuzeit überstanden haben.

Adolfs Ranzen war so dick, dat er den mehrfach geflickten Bundeswehrparka nich mehr schließen konnte. Der wurde deshalb von son vergammelten Kälberstrick zusammengehalten.

Ich kam aussem Staunen nich mehr raus. „Wenn dat doch bloß meine Berta sehn könnte, die würde Bauklötze staunen!“
Die Organisation von sonne Jagd musste ja wirklich haarklein durchdacht sein. „Wat fürn Zeit- und Geldaufwand da wohl drin stecken tat! Der Kuhlenkamp musste Millionär sein.
Wieder erklangen die Jagdtröten. Abmarsch!
Er schrie noch allen hinterher: „Waidmannsheil! Ich will heute Abend ne bunte Strecke sehn!“ Ne bunte Strecke? Wat war dat denn schon wieder?

Wir marschierten alle zu den befohlenen Leiterwagen, und ab ging die Post. Wir rumpelten durch schmale Feld- und Waldwege zu den Schützenständen und der Treibersammelstelle.
Wir fünfzehn Treiberlinge wurden von dem schwergewichtigen Herrn Über-, äh ... , ich meine Obertreiber, noch ma richtig eingenordet.
Adolf war gebürtig aus der tiefsten Eifel und wohnte seit vielen Jahren im Ruhrpott. Trotzdem sprach er nur sein Eifeldialekt:
„Passe mol good uff, Leut“, sachte er, „ihr habt eben jut jefreßt und jesofft, macht mie heut kaan Schand! Ihr müsst Richtung hale, die Abständ von vierzig Meteren unbedingt inhale, ab und an zum Nebenmann peile und mit die Knüppelen anne Bäum kloppe. Uffe Felderen wird geschreit! Leeid een geschosster Hos uff’m Weg – mithole!“
Wir bogen uns vor Lachen. Ich dachte:
„Allein den Kerl sprechen zu hörn, war ja schon dein ganzer Aufwand wert!“
Unseren Herrn Adolf hab ich sofort als Vorgesetzten akzeptiert, ja, ich hab ihn sogar schon son bissken in mein Herz geschlossen. Obertreiber Adolf stand breitbeinig vor uns, zog ganz langsam ne Pulle Schnaps aussem Parka und ließe kreisen. Er meinte todernst:
„Dat iss wat gegen alle Krankheide vonne Welt, und bei dem Wutzewedder iss dat mien best Medizin. Ihr dürft jetz „Ad“ zu mir sagen.“
Der Schnaps war son selbstgebrannter Fusel, der dich mit 62 Umdrehungen fast ausse Stiefel haute. Nach der überaus klaren und herzlichen Treibereinweisung meines Vorgesetzten, wurde et auf einmal sehr spannend.
In Abständen von vierzig Metern standen wir Treiber vor einem riesigen Waldstück.
Dunkle Fichtendickungen, dichte Buchenanpflanzungen und eklige, stachelige Brombeerhecken sollten wir durchkämmen.
Dat Wild musste von uns Treibern erschreckt und aufgescheucht werden, damit et den Schützen direkt vor die Püster laufen sollte.

Auf sechshundert Metern bildeten wir Treiber eine Linie. Die roten Sicherheitswesten hoben sich gut von Wald und Feld ab. Mann, war dat en eindrucksvollen Aufmarsch!
Zwischen uns standen alle hundert Meter ein Schütze, teils mit Hund, teils mit Jagdhorn.
Also, dat waren auch Treiber, eben nur mit Flinten, statt mit Knüppeln, die zogen ebenfalls mit uns durch den Wald.
Oh, diese Kulisse hätte meine Berta jetz unbedingt für die Nachwelt filmen müssen!
Jagdhörner erklangen rund um dat Waldstück. Et war Punkt zehn und St. Hubertus stellte endlich den Regen ab.
Vom Hörnerklang rannte et mir kalt den Rücken runter. Richtig romantisch war dat allet. So ungefähr wie inne romantischen Märchen-Gesangs-Operette vom freien Schütz.

Mein erster Treibereinsatz begann! Gut, ich war sehr aufgeregt, aber hoch motivisiert, also richtig scharf auf fette Beute!
Ich kloppte anne "Bäum", wie dat mein Vorgesetzter, der Ad, befohlen hatte, und, wat meinen Se, da sprang schon nach hundertzwanzig Metern mein erster Hase aussem Nest und wetzte schnurstracks zum Feldrand.
Dat war en schweren Fehler. „Bautz“ machte et, und der Hase überschlug sich.
Ich war sehr stolz, denn dat war einzig und allein mein Verdienst, dat der Hase da aus seinem Erdnest wetzte. Andererseits hatte dat arme Häsken durch mich sein Leben lassen müssen. Ich war für seinen Tod mitverantwortlich. Ich erschrak.
Mein Handeln war ja Beihilfe zum Mord!
„Mensch, Willi, wat iss den plötzlich mit dir los, du hass ja Mitleid mit die Tiere“, dachte ich. Dann überdachte ich ma kurz meinen Anflug von Schuldgefühl.
„Kokolores, Willi, du biss hier aufe Jagd. Et gibt da keine Beute ohne den Tod. Du isst doch auch nen Kotelett und weiß genau, dat an dem Kotelett auch ma son lebendiget Schwein dran hing! Damit schob ich meine schweren Bedenken beiseite.
„Also, Willi, dat hasse schon ma prima gemacht. Dat haben hoffentlich mein Vorgesetzter, die Schützen und die anderen Treiber genau beobachtet.“

Überall im Wald krachten Flinten und Büchsen. Mir wurde angst und bange.
Ich verkroch mich hinter ner dicken Buche, bis dat gefährliche Dauerfeuer endlich verstummte.
Meine Angst hatte wohl son bissken zu lange angehalten. Ich sah überhaupt keine Treiber mehr! Die waren längst über alle Berge.
„Oh, nee, wenn dat der Obertreiber erfährt, dann hasse bei dem aber verschissen bis inne Steinzeit.“ Ich lief einfach in Richtung vonne letzten Schüsse und drückte mich respektvoll vor den fiesen Hecken und Dickungen. Ich musste schnell wieder Anschluss anne Treiberkameraden kriegen.
Dat gelang mir auch. Total verschwitzt und ausse Puste kam ich zum Sammelplatz gestiefelt. Man hatte mich zum Glück noch nich vermisst.
Hörnerklang! Dat erste Treiben war beendet.
 



 
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