Der Herr der Ringe - die Trennung.

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

pleistoneun

Mitglied
Düstere Wolken schwärzten den Himmel, als Horst Dingens, der gelernte Stahlrohrgießer aus Tullwitz, seinem alten Peugeot entstieg. Umweht vom kalten Hauch des Windes betrat er das Amt für Scheidungen und Trennungen aller Art. Horst Dingens, der bullige Stahlrohrgießer, griff sich auf für diesen Zweck des Auftritts übliche Art in die Brusttasche seines Sakkos. Seine wulstigen Finger spürten das Kühl des edlen Metalls, das er bei sich trug. Für stahl- und eisenverarbeitende Menschen, wie er es war, keine ungewöhnliche Empfindung.

Horst Dingens, der unmittelbar vor seiner 18. Scheidung stand, durchschritt in entschlossener Manier die mächtigen, ehrfürchtig anmutenden Hallen des Amtes. Abermals kontrollierte er mit einer kurzen, zielgerichteten Handbewegung das Vorhandensein des Eheringes in seiner Brusttasche. Seine schmalen Augen, verhärmt, aggressiv und stark gerötet, zeugten von den vielen, schweren Auseinandersetzungen mit seinen Ehefrauen. Stahlrohrgießer, zwar ein ehrenwerter Berufsstand, jedoch bei der Handhabung der Lösung sublimer, ehelicher Probleme mit dem Hang zur durchschlagenden Grobmotorik eher unzarte Persönlichkeitstypen, entledigen sich schlicht der Frauen und somit aller weltlichen Probleme, indem sie das symbolische Band der Ehe wie einen Expander vor Wut in der Luft zerreißen.

Hinter der weiß lackierten Holztüre saß wieder dieser gewitzte Scheidungsanwalt an seinem Holzschreibtisch, der nichts Besseres zu tun hatte, als dicke Gesetzesbücher durchzuackern, um irgendwelche Schwachstellen aufzuspüren. Dingens klopfte und trat zugleich ein. Es folgte eine beiderseitige, unhöfliche Begrüßung. "So, schön, sie mal wieder zu sehen!", versuchte der Anwalt vorwitzig zu sein. Mehr als ein Grummeln war dem Stahlrohrbullen nicht zu entlocken. "Wir warten noch auf Ihre Frau", spielte der Anwalt den Vergnügten und wollte zeigen, dass Anwälte sich niemals scheiden lassen, weil sie ja Anwälte sind und ihnen das niemals passieren könnte. Anwälte haben Niveau, wissen was sie tun, haben alles im Griff. "Entschuldigen Sie: Ihre Ex-Frau, wenn Sie mir den Vorgriff gestatten!". Horst grummelte erneut. Danach erfüllte minutenlanges, peinliches Schweigen den Raum.

Von Weitem schon hörte man hinter verschlossener Tür am Gang die herannahenden Stöckelschuhe seiner Frau. Horst griff zur Brusttasche, ein Reflex. 'Stöckelschuhe - Frau - Scheidung - Ring - Eisenrohre': das waren die Gedankengänge des Mannes. 'Make-Up - Nerzmantel - gute Frisur - Eindruck beim Anwalt machen - Scheidung - Anruf beim neuen Freund': das war die Gedankenwelt der Frau. Die Frau wurde herein gebeten. Blicke aller Emotionsrichtungen wurden wechselweise ausgetauscht. Sie nahm Platz. Der Anwalt witzelte: "Schön, dass Sie selbst kommen konnten..." und fuhr mit trockenem Anwaltsgeschwafel fort. Dies war der lähmendste Teil der Ehetrennung und man ließ ihn stumm als Akt der Strafe gewähren. "Jetzt her damit!", forderte Horst den Ring an und seine Frau auf und machte dabei eindeutige Fingerbewegungen. Sie knallte ihn mit herber Vehemenz auf den Holztisch des Anwalts, unterschrieb mehrmals und ging wortlos. Sie würde das Scheidungsgebäude noch nicht verlassen haben, wenn sie sich bei ihrem neuen Freund am Handy furchtbar über die ungerechte und frauenfeindlche Behandlung in Scheidungssituationen aufregte. Dieser wird ihr nur mit einem Ohr zuhören können, weil der Umgebungslärm auf dem Veschubbahnhof, in welchem er die Kupplungen der Waggons zu schmieren hätte, zu laut wäre.

"Also dann...", verabschiedete sich Dingens von dem Anwalt, der ihm nach vollzogener Scheidung immer etwas sympathischer erschien. "Also dann, bis bald mal!". Horst Dingens steckte den Ring seiner Ex-Frau in die Brusttasche zu dem Seinigen. Das metallische Klimpern löste seine Anspannungen. Zuhause, ja zuhause, da würde er die beiden Ringe zu den anderen legen. Er würde sie genüsslich in die Schale, in der sie glitzernd lagen, einwerfen, um sich am ehernen Klang zu erfreuen. Im Besitz von 36 getragenen Eheringen zu sein, hinterließ bei Horst das Gefühl von Macht. Machthaber und Herr über jene Lebensereignisse zu sein, die ihm diese Genugtuung bescherten. 36 Ringe. Und es sollten noch mehr werden.

Und noch am selben Abend wird Horst Dingens, der grobschlächtige Stahlrohrgießer aus Tullwitz, Lokalitäten aufsuchen, in denen potenzielle Kandidatinnen sich vom Gesäusel des Frischgeschiedenen aussichtsreich einwickeln lassen würden und völlig hingerissen von der einfallsreichen Art seiner Liebesbezeigungen wären. Und Horst würde das Spiel zu Ende spielen und nach erfolgreicher Verführung in der Nacht seiner neuen Gefährtin mit leisem Grummeln ins Ohr flüstern: "Gute Nacht... mein Schaaaaaatzzzzzzz!!!!"
 
F

filechecker

Gast
Scheidung bis zum Abwinken

Hallo,

eine sehr gelungene und witzige Geschichte.

Nur dieser Absatz scheint etwas "aus dem Ruder gelaufen" zu sein:

[Stahlrohrgießer, zwar ein ehrenwerter Berufsstand, jedoch bei der Handhabung der Lösung sublimer, ehelicher Probleme mit dem Hang zur durchschlagenden Grobmotorik eher unzarte Persönlichkeitstypen, entledigen sich schlicht der Frauen und somit aller weltlichen Probleme, indem sie das symbolische Band der Ehe wie einen Expander vor Wut in der Luft zerreißen.]

Aber sonst sehr gut!

Gruß
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
prust,

kicher, lach!
eine geschichte, die nahezu von zeile zu zeile besser wird. ich habe mich köstlich amüsiert.
lg
 

majissa

Mitglied
Meine Lieblingsstelle: "Gute Nacht... mein Schaaaaaatzzzzzzz!!!!"

Herrlich, Pleisto, ich habe mich mal wieder vor Lachen unter dem Tisch gekugelt. Bis auf den schon von filechecker erwähnten, etwas umständlich formulierten, Absatz, finde ich nichts, was es zu optimieren gäbe.

"Horst Dingens, Stahlrohrgießer aus Tullwitz." Da komm' erst mal einer drauf! ;)

Lieben Gruß
Majissa
 



 
Oben Unten