Der Himmel stinkt

Martha Pfahl

Mitglied
Der Prolog meines aktuellen Buchprojektes:

„Laaaaaaangweilig!“
Michael, saß in der Ecke wie ein schmollendes Kind. Er schubste trotzig Blitze in die Richtung niederer Lebewesen. Also in die Richtung derer, die er für niedere Lebewesen hielt. Daher gewitterte es im tiefsten Winter in Mitteleuropa. Er lauschte dem nächsten Donnergrollen mit bitterböser Genugtuung. Zwar hatte er nichts gegen die Europäer per se, im Gegenteil, er mochte sie für die grausame Konsequenz, die sie in den letzten Jahrtausenden gezeigt hatten. Folter, Inquisition, Hexenverbrennung. All das zeugte von einer beeindruckenden Verachtung für Menschen, die Michael durchaus teilte. Zwar waren sie auf dem komplett falschen Dampfer, was ihre Grundidee von „Gottes Werk“ betraf, aber sie waren konsequent, fleißig und zielstrebig. Er hielt ja von dem neuen Kurs des Neuen Testaments auch nichts. So war es leider, wenn die jüngere Generation das Ruder übernahm. In den letzten paar Jahrhunderten waren auch die Europäer verachtenswert weich geworden. Alle verweichlichten zusehend.
Michael, seines Zeichens ein Erzengel des Herrn und somit eines der mächtigsten und schönsten Wesen, die je erschaffen wurden, saß in einer riesigen weißen Halle, von überirdischer Perfektion und Schönheit. Aber der Anblick erfüllte ihn nicht, wie vor vielen Millennien mal, mit Ehrfurcht und Staunen. Diese weiße, endlos scheinende Halle war das perfekte Sinnbild für das „Leben“ im Himmel. Weiß, endlos, langweilig.
Gabriel blickte zu ihm und seufzte. Es war immer ihm zugefallen, sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern. Seitdem von oberster Etage eine neue Richtung eingeschlagen hatte und die guten Tage des alten Testaments abgelöst waren von Vergebung, Nächstenliebe und Toleranz, hatte sein kleiner Bruder schlechte Laune. Sehr schlechte Laune. Da konnten schon mal schnell Erdbeben und Feuersbrünste „ganz aus Versehen“ entstehen. Gabriel konnte ihn natürlich sehr gut verstehen und machte ihm keine Vorwürfe. Ewigkeit ist eine furchtbar lange Zeit, wenn man nichts tun kann, außer zusehen und manchmal kleinere Schutzengeljobs übernehmen.

Die meisten Engel waren inzwischen der neuen Marschrichtung mit Begeisterung gefolgt. Sie folgten der Chefetage immer mit Begeisterung, wie ein Haufen degenerierter Labradore. Sie genossen es sogar, diese debilen, den Planeten verschmutzenden Affen vor sich selbst zu beschützen.Diese waren mit den Jahren immer arroganter geworden. Hatten Sie sich vor einigen Jahrhunderten noch ehrfürchtig vor den Überresten vermeintlicher Propheten in den Staub geworfen und ähnlich possierliche Dinge getan, hielten Sie sich inzwischen für schrecklich zivilisiert, weil sie flüssige Dinosaurierüberreste und deren verfaulte Umgebung, als Energiequelle nutzen konnten. Einige von ihnen waren ironischerweise überzeugt, während sie in riesigen, dinosaurierflüssigkeitsbetriebenen Fortbewegungsmitteln unterwegs waren, dass es Dinosaurier nie gegeben hätte und Gott die Menschen mit einem Fingerschnipsen *Puff* aus einem humanoid geformten Lehmklumpen zum Leben erweckte.
Gabriel war dabei gewesen, als sein Vater die Evolution losgetreten hatte und er durfte das Wunder der Weiterentwicklung vom ersten Einzeller miterleben. Immer wieder jagte ihm der Gedanke an diese erste, einfache Zeit voller Hoffnung für diese junge Welt Schauer über den Rücken. Auch Gabriel versuchte sich weiter zu entwickeln, wenn er auch mit vielen neuen Anwandlungen der Menschen nicht wirklich einverstanden war. Aber Evolution war etwas, das Engeln nicht vergönnt war. Sie waren die perfekten und willenlosen Diener ihres Vaters. Naja, fast perfekt und fast willenlos.
„Dämliche, degenerierte, armselige, haarlose Affen!“ Michael kickte einen weiteren Blitz in Richtung Erde. Dann drehte er sich mit großer Geste zu seinem Bruder um. Dann holte er tief Lust, was ein totaler Showeffekt war, denn Engel atmen nicht.

„Gabrieeeeeeeel", quengelte er wie ein Kleinkind.
„Was ist denn?", fragte Gabriel genervt.
„Mir ist laaangweilig!!!", quietschte Michael, "ich, will nicht mehr hier festsitzen! Wie lange ist es her, dass ich eine Stadt verwüsten durfte, oder Feuer regnen lassen? Ich will hier nicht mehr rum sitzen und nichts tun!“ Gabriel rollte mit den Augen.
„Michael", sagte er tadelnd, "Wir sind Diener Gottes. Uns ist nicht langweilig und wir sitzen nicht herum und meckern. Wir sind weise, würdevoll und tun, was unser Vater uns sagt! Ohne meckern und ohne motzen.“ Er machte eine kurze, dramatische Pause „Du weißt was passiert, wenn einer von uns anfängt, mit diesen … Sachen!“ Er genoss es zu sehen, dass Michael kurz zusammen zuckte. Verweise auf ihren gefallenen Bruder Luzifer halfen immer Michael in seine Schranken zu weisen. So herrschte wieder Ruhe. Nach einer Weile, die sowohl Jahre als auch nur Minuten gedauert haben konnte, sagte Michael mit bedeutungsschwerer Stimme:
„Weißt Du Gabriel … ich habe langsam… Ach egal“
„Ach egal…Was?“ Gabriel stand sofort vor seinem kleinen Bruder und beugte sich soweit zu dem sitzenden Michael hinab, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Würden Engel atmen, was sie nicht tun, hätte Gabriel ihm verachtungsvoll ins Gesicht geschnaubt. Michael drehte sich langsam weg und schwieg kurz. „Ich will nicht mehr hier eingesperrt sein, Gabriel!“, sagte er ganz leise. Seine Stimme vibrierte vor unterdrückter Wut, Trauer und zurückgehaltenen Worten. „Wir hängen hier fest, haben Hausarrest, nur weil ich EIN blödes Memo nicht gelesen habe…“
„Ein BLÖDES Memo? Du zwei komplette Städte ausgelöscht, Tausende Menschen verbrannt und das Meer überkochen lassen. Obwohl in dem Memo stand, dass wir ab sofort einen neuen Kurs einschlagen, wenn du …“
„Ich habe das Memo auf meinem Schreibtisch nicht gesehen. Es lag unter dem Feuerschwerterkatalog!“
Michael unterbrach Gabriel mit lauter Stimme. Als Gabriel sich zu seinem Bruder umdrehte, konnte er dessen schmerzverzerrtes Gesicht sehen. Seine Wut verrauchte augenblicklich und er fühlte sich schlecht, dass er seinen Bruder so angefahren hatte. Gabriel legte Michael beruhigend die Hand auf die Schulter. „Ist schon gut.“
„Nein. Nein, Gabriel. Gar nichts ist gut. Vater ist weg, keiner weiß, wo er ist, wir sitzen hier fest, ohne echte Aufgabe… ich dreh noch durch!“
Gabriel fiel nichts ein was er als Trost hätte sagen können. Er konnte seinen Bruder viel zu gut verstehen. „Ich wünschte auch, ich wüsste, wo er ist! Das wünschte ich wirklich.“ Michael lehnte seinen Kopf an die Brust seines Bruders, der ihm sanft über den Rücken strich.
„Dann lass ihn uns suchen!“, sagte Gabriel leise.
„Wir könnten Hilfe gebrauchen.“
„Ja, aber nicht die Art von Hilfe, die unsere Brüder und Schwestern uns bieten können.“
 



 
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