Der Hinterhalt und der Hauptmann

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Blackwood

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Der Hinterhalt und der Hauptmann
Das Kettenhemd fühlte sich noch schwer an, wobei der junge Stahl nicht das meiste an Gewicht hatte; die Verantwortung, die er mit sich brachte wog um ein vielfaches schwerer. Erst einen Monat zuvor war er zum Hauptmann befördert worden. Eine Ehre, die ihm, seiner Meinung nach, unberechtigter Weise zu Teil wurde. Wider der Meinung der Obersten sah er sich nicht als Held an, sondern als viel mehr als Feigling, der zur rechten Zeit erkannt hatte, wann es galt, die Beine in die Hand zu nehmen.

Die ersten Befehle, die er der Hundertschaft erteilen musste, brachten seine Eingeweide zum Beben: Ein Kloster sei von einer Horde Nordmännern geplündert worden und nun liege es an ihnen, diese davon abzuhalten, sich mit ihrer Beute zur Küste zurückzuziehen. Er versuchte, sich einzubilden, dass seine Männer das Zittern seiner Stimme nicht wahrgenommen hatten.
Aus einem offenen Kampf gegen diese blutrünstigen Barbaren konnten die Soldaten nicht als Sieger hervorgehen, das lehrte ihn seine Erfahrung. Während des Ritts hatte er lange darüber nachgedacht, wie die Soldaten und er dem ruchlosen Feind entgegentreten konnten, ohne dabei wie Vieh niedergemetzelt zu werden. Er musste versuchen, die Nordmänner in die Falle zu locken.

Vom Pferderücken aus starrte er Richtung des nahen Flusses: ein schneller Strom, dem die Nordmänner in Richtung Meer folgen mussten. An einer Stelle, wo der Strom engen Bogen beschrieb, kam die Hundertschaft und der Hauptmanns an einer alten steinernen Kirche vorbei. Im Moment, als er die Ruine sah befahl er lautstark, schneller als er darüber hätte nachdenken können, woher dieser Entschluss kam, seinen Männern zu halten.

Während er ihnen seinen Einfall erklärte, die Feinde durch einen Angriff aus der Deckung der Wälder und Hügeln von allen drei Richtungen in eben diese Ruine zu treiben, um sie dann dort durch den Einsatz von Belagerungsgerät auszuhungern und dadurch zur Aufgabe zu zwingen, blickte er in sich vor Erleichterung aufhellende Gesichter. Zum ersten Mal fühlte er sich seiner Rolle als Führer gewachsen.

Nachdem die Stellen, von denen der Hinterhalt ausgehen sollte, festgelegt und die Truppe zugewiesen und ein Kundschafter ausgesandt war, lies es sich der Hauptmann nicht nehmen, sein neu erlangtes Selbstbewusstsein durch eine Schlachtrede zum Ausdruck zu bringen: „Seid wacker! Weicht nicht zurück! Wir lassen die Ehre und das Recht Frankens nicht von einer Horde raubender, mordender Heiden beschmutzt!“

Von der eigenen Ernsthaftigkeit überrascht spürte er, dass die einhundert Mann ihn nun voll und ganz als ihren Hauptmann ansahen.

Als der Kundschafter im Lager eintraf und berichtete, dass der Feind in wenigen Stunden an der ausgesuchten Stelle vorbeikommen würde, und dass es sich um etwa einhundertfünfzig Mann handelte, hatte der Hauptmann Bilder vergangener Tage vor dem inneren Auge: große in Fell und Leder gekleidete Hünen, die im Blutrausch, frei von jeglicher Todesfurcht mit ihren Klingen um sich schlugen. Es war ihm, als ob sein Kettenhemd enger und zugleich schwerer wurde. Mit dem Rest an Luft, den ihm das Hemd lies, beorderte er die Soldaten in die Stellungen.

Die Stunden schlichen wortlos, atemlos dahin.

Der Hauptmann befand sich im zweiten Trupp, der in einigem Abstand zur Kirche im Waldessaum darauf warten sollte, dass die Nordmänner genau zwischen ihnen und der Ruine waren. In diesem Augenblick sollte das Signal erklingen, das die beiden anderen Trupps aus ihren Verstecken lösen sollte. Eingekesselt von drei Seiten blieb den Nordleuten nur die Möglichkeit, sich ihren Angreifern zu stellen, oder, und das war es, worauf der Hauptmann hoffte, sich überrumpelt in die einzig verbliebene Richtung, die der Kirche, zurückzuziehen. Einmal in der Ruine, sollten sie umstellt und durch Belagerung zermürbt werden

Der Augenblick, in dem der Hauptmann den Feind erblickte, lies ihn erstarren. Der Tross aus mehreren offenbar erbeuteten Wagen bewegte sich soeben auf die Stelle zu. Gelähmt lies er den Zeitpunkt verstreichen. Er kam zu sich, als der er die dringliche Bewegung seines Nebenmannes spürte. Bei halbem Bewusstsein lies er zum Angriff blasen; seine Männer lösten sich aus dem Versteck und stürmten schnurstracks in Richtung des Zuges.

Die Nordmänner erkannten ihre Lage nur langsam, wandten sich jedoch sobald die ersten Pfeile auf sie niederregneten in Richtung der Ruine um dort Deckung zu suchen.

Die Einheit des Hauptmanns bildete sogleich einen Ring um die Ruine und begannen mit dem Aufbau der Belagerungsanlagen. Der Hauptmann selbst stand eine Zeit lang regungslos da; er konnte nicht fassen, dass sein Plan tatsächlich erfolgreich war. Er zog sein Kettenhemd aus, tat drei Schritte nach vorne, drehte sich zu seinen Männern um und begann mit starker Stimme: „Ein Hoch auf uns! Wir haben die Barbaren in die Enge getrieben!“ Außer seiner Stimme war kein Geräusch zu hören. „Der Sieg ist unser! Haha! Für den König!“ Seine Männer jubelten und feierten.

Doch plötzlich war es still. Eine blutige Speerspitze ragte aus dem Torso des Hauptmanns. Das letzte was er sah, war der Schrecken in den Augen der Männer. Das letzte was er hörte, war das bösartige Kriegsgeschrei der Nordmänner.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Blackwood,

herzlich willkommen auf dem Leselupenforum. Ich wünsche dir viel Spaß, Küsse von der Muse - und ein gegenseitiges Nehmen und Geben.

Gruß, kageb
 

Blackwood

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Der Hinterhalt und der Hauptmann
Das Kettenhemd fühlte sich noch schwer an, wobei der junge Stahl nicht das meiste an Gewicht hatte; die Verantwortung, die es mit sich brachte wog um ein vielfaches schwerer. Erst einen Monat zuvor war er zum Hauptmann befördert worden. Eine Ehre, die ihm, seiner Meinung nach, unberechtigter Weise zu Teil wurde. Wider der Meinung der Obersten sah er sich nicht als Held an, sondern als viel mehr als Feigling, der zur rechten Zeit erkannt hatte, wann es galt, die Beine in die Hand zu nehmen.

Die ersten Befehle, die er der Hundertschaft erteilen musste, brachten seine Eingeweide zum Beben: Ein Kloster sei von einer Horde Nordmännern geplündert worden und nun liege es an ihnen, diese davon abzuhalten, sich mit ihrer Beute zur Küste zurückzuziehen. Er versuchte, sich einzubilden, dass seine Männer das Zittern seiner Stimme nicht wahrgenommen hatten.
Aus einem offenen Kampf gegen diese blutrünstigen Barbaren konnten die Soldaten nicht als Sieger hervorgehen, das lehrte ihn seine Erfahrung. Während des Ritts hatte er lange darüber nachgedacht, wie die Soldaten und er dem ruchlosen Feind entgegentreten konnten, ohne dabei wie Vieh niedergemetzelt zu werden. Er musste versuchen, die Nordmänner in die Falle zu locken.

Vom Pferderücken aus starrte er Richtung des nahen Flusses: ein schneller Strom, dem die Nordmänner in Richtung Meer folgen mussten. An einer Stelle, wo der Strom engen Bogen beschrieb, kam die Hundertschaft und der Hauptmanns an einer alten steinernen Kirche vorbei. Im Moment, als er die Ruine sah befahl er lautstark, schneller als er darüber hätte nachdenken können, woher dieser Entschluss kam, seinen Männern zu halten.

Während er ihnen seinen Einfall erklärte, die Feinde durch einen Angriff aus der Deckung der Wälder und Hügeln von allen drei Richtungen in eben diese Ruine zu treiben, um sie dann dort durch den Einsatz von Belagerungsgerät auszuhungern und dadurch zur Aufgabe zu zwingen, blickte er in sich vor Erleichterung aufhellende Gesichter. Zum ersten Mal fühlte er sich seiner Rolle als Führer gewachsen.

Nachdem die Stellen, von denen der Hinterhalt ausgehen sollte, festgelegt und die Truppe zugewiesen und ein Kundschafter ausgesandt war, lies es sich der Hauptmann nicht nehmen, sein neu erlangtes Selbstbewusstsein durch eine Schlachtrede zum Ausdruck zu bringen: „Seid wacker! Weicht nicht zurück! Wir lassen die Ehre und das Recht Frankens nicht von einer Horde raubender, mordender Heiden beschmutzt!“

Von der eigenen Ernsthaftigkeit überrascht spürte er, dass die einhundert Mann ihn nun voll und ganz als ihren Hauptmann ansahen.

Als der Kundschafter im Lager eintraf und berichtete, dass der Feind in wenigen Stunden an der ausgesuchten Stelle vorbeikommen würde, und dass es sich um etwa einhundertfünfzig Mann handelte, hatte der Hauptmann Bilder vergangener Tage vor dem inneren Auge: große in Fell und Leder gekleidete Hünen, die im Blutrausch, frei von jeglicher Todesfurcht mit ihren Klingen um sich schlugen. Es war ihm, als ob sein Kettenhemd enger und zugleich schwerer wurde. Mit dem Rest an Luft, den ihm das Hemd lies, beorderte er die Soldaten in die Stellungen.

Die Stunden schlichen wortlos, atemlos dahin.

Der Hauptmann befand sich im zweiten Trupp, der in einigem Abstand zur Kirche im Waldessaum darauf warten sollte, dass die Nordmänner genau zwischen ihnen und der Ruine waren. In diesem Augenblick sollte das Signal erklingen, das die beiden anderen Trupps aus ihren Verstecken lösen sollte. Eingekesselt von drei Seiten blieb den Nordleuten nur die Möglichkeit, sich ihren Angreifern zu stellen, oder, und das war es, worauf der Hauptmann hoffte, sich überrumpelt in die einzig verbliebene Richtung, die der Kirche, zurückzuziehen. Einmal in der Ruine, sollten sie umstellt und durch Belagerung zermürbt werden

Der Augenblick, in dem der Hauptmann den Feind erblickte, lies ihn erstarren. Der Tross aus mehreren offenbar erbeuteten Wagen bewegte sich soeben auf die Stelle zu. Gelähmt lies er den Zeitpunkt verstreichen. Er kam zu sich, als der er die dringliche Bewegung seines Nebenmannes spürte. Bei halbem Bewusstsein lies er zum Angriff blasen; seine Männer lösten sich aus dem Versteck und stürmten schnurstracks in Richtung des Zuges.

Die Nordmänner erkannten ihre Lage nur langsam, wandten sich jedoch sobald die ersten Pfeile auf sie niederregneten in Richtung der Ruine um dort Deckung zu suchen.

Die Einheit des Hauptmanns bildete sogleich einen Ring um die Ruine und begannen mit dem Aufbau der Belagerungsanlagen. Der Hauptmann selbst stand eine Zeit lang regungslos da; er konnte nicht fassen, dass sein Plan tatsächlich erfolgreich war. Er zog sein Kettenhemd aus, tat drei Schritte nach vorne, drehte sich zu seinen Männern um und begann mit starker Stimme: „Ein Hoch auf uns! Wir haben die Barbaren in die Enge getrieben!“ Außer seiner Stimme war kein Geräusch zu hören. „Der Sieg ist unser! Haha! Für den König!“ Seine Männer jubelten und feierten.

Doch plötzlich war es still. Eine blutige Speerspitze ragte aus dem Torso des Hauptmanns. Das letzte was er sah, war der Schrecken in den Augen der Männer. Das letzte was er hörte, war das bösartige Kriegsgeschrei der Nordmänner.
 



 
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