Der Hundeeingang

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In den letzten Jahren ist es mir zur lieben Gewohnheit geworden, nach Anbruch der warmen Jahreszeit die eine oder andere Woche in einem gemütlichen Thermenhotel im südlichen Burgenland zu verbringen. Sanfte Hügel rundum, "grüne" Gastronomie und familiäre Atmosphäre ... selbst die Hotelbar ist seit kurzem rauchfreie Zone. Und nicht zuletzt: Als Stammkunde ist man ja auch mit der Örtlichkeit schon bestens vertraut. Ob Rezeption oder Restaurant, Sauna oder Bar – man kennt alle Türen, Gänge, Wege.
Wirklich alle? Eines schönen Sommerabends langen meine Begleiterin und ich wieder einmal von einer kleinen Spritztour in die nähere Umgebung am hoteleigenen Parkplatz ein. Der fahrbare Untersatz wird ordnungsgemäß eingeparkt, dann geht's ein paar Schritte weiter zu Fuß – wie üblich in Richtung Haupteingang, wo der Gast mit automatischer Schleuse, künstlichem Wasserfall und einem freundlichen Wort von der Rezeption empfangen wird und dann überdies nur noch einen sehr kurzen Weg zum Restaurant zurückzulegen hat. Doch halt ... Heute ist zuvor noch eine kleine Erkundung angesagt. Etwa auf halbem Weg zum Hauptportal gibt's noch eine kleine, unauffällige Tür, deren Funktion uns noch nicht ganz klar ist. Für einen Lieferanteneingang ist der Zugangsweg eindeutig zu schmal – hier kann man keine Güter transportieren. Ein Eingang für autofahrende Gäste, die vom Parkplatz auch bei Schlechtwetter trockenen Fußes ins Haus gelangen wollen? Nein, dafür ist an anderer Stelle ohnehin ein überdachter Gang mit eigener Tür eingerichtet. Es hilft nichts – die fragliche Tür muss einem genaueren Augenschein unterzogen werden. Heute ist ein guter Zeitpunkt dafür. Das Wetter ist trocken, die Abendsonne wärmend und hell, der Hunger hält sich noch in Grenzen. Also frischen Mutes herangepirscht .... Gleich neben der Tür ist ein Hinweisschild angebracht. Darauf, wie man jetzt sieht, zu lesen: "Hunde-Eingang". Das also ist des Pudels Kern! Nobel, ein eigener Eingang für unsere vierbeinigen Freunde. Wohl auch zweckmäßig, da können sie sich vor dem abendlichen Fressnapf noch brav die Pfoten baden. Gut so. Ein Hotelier, für den das Attribut "hundefreundlich" nicht bloß ein Wort ist, sondern der auch wirklich auf die speziellen Bedürfnisse von Bello, Struppi & Co Bedacht nimmt. Und ja, der Eingang ist sichtlich auch noch zusätzlich für humanoide Zweibeiner ausgelegt – auch Herrchen und Frauchen dürfen, so scheint es, hier rein. Normaler Türknauf, daneben erkennbar der hier hausübliche Funksensor – man zieht den elektronischen Zimmerschlüssel in kurzem Abstand vorbei, und schon lässt sich die Tür aufdrücken ...
... oder besser gesagt, sollte sich aufdrücken lassen. Mit der Routine des hausbrauchsvertrauten Gastes entblöße ich mein rechtes Handgelenk, worum das armbanduhrförmige Sendegerät geschnallt ist, ziehe es am Sensor vorbei und drücke auf den Knauf. Nichts. Der Riegel verweilt beharrlich im Schloss, die Tür bleibt versperrt. OK, Technik eben ... zweiter Versuch. Jetzt wollen wir's genau wissen. Das Gleiche nochmal - leider auch das gleiche Ergebnis. Abermals bleibt uns die Tür verschlossen. "Naja", meint meine mit geradezu Sherlock Holmes'scher Kombinationsgabe gesegnete Begleiterin. "Es ist ja schließlich der Hundeeingang. Vielleicht kommst du hier nur rein, wenn du bellst." Sie selber, dem Wesen nach viel eher einer geschmeidigen Katze vergleichbar denn einem rüden Dackel oder Dobermann, bietet immerhin an, mir im rechten Moment mit einem vernehmlichen Miauen zur Seite zu springen. Gesagt getan ... Schlüssel an den Sensor ... "Mi-auuuu" ... Druck auf den Knauf. Nichts rührt sich. Na gut ... Hund und Katz sind ja auch zweierlei Getier. Wär ja noch schöner, könnte jede Katze so mir nix, dir nix den Hundeeingang stürmen. Also letzter Versuch ... diesmal mit artgerechtem Laut. Ich ziehe den Sender am Sensor vorbei. Dabei entfährt meiner fremdsprachenkundigen Kehle zunächst ein tiefes, gurgelndes "Rrrrrrr ... Roarrrr", unmittelbar gefolgt von einem dröhnenden Bellen, das schließlich in ein helles, hektisches Kläffen übergeht. Das ganze Repertoire eben. Keine halben Sachen. Wenn auch das nichts nützt, bin ich bereit zu resignieren. Was sollte man denn sonst noch tun, um von so einem stupiden Mechanismus als Hund identifiziert zu werden? Revier markieren?? Das Areal ist zwar nicht sonderlich frequentiert im Moment, aber gegebenenfalls wäre der Erklärungsnotstand beträchtlich. Diese Option kommt definitiv nicht in die engere Wahl. Entweder es geht JETZT – oder nie. Ich drücke gegen den Knauf.
Die Tür springt auf. Ein paar schnelle Schritte, und wir sind drinnen.
"Das glaubt mir kein Mensch", bringe ich gerade noch heraus. Meine Begleiterin krümmt sich vor Lachen, und auch ich selber muss mich in Acht nehmen, nicht unversehens im bodennahen Pfoten-Waschtrog zu landen.

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Das sechsgängige Abendmenü mundet uns heute besonders gut. Irgendwie hat man ja das Gefühl, sich das Essen jetzt wahrlich verdient zu haben. Dennoch, die Sache drängt nach Aufklärung ... eine Hoteltür mit Akustik-Sensor und Spracherkennungs-Software, die auf Hundesprache programmiert ist?? OK ... Das flaumig-leichte Dessert ist praktisch wie von selbst runtergegangen, und zur würzigen Käseplatte haben wir noch ein Gläschen vollmundigen Roten gehoben. Danach geht's zur Rezeption. Eine freundliche Dame erkundigt sich nach unserem Anliegen. Ich referiere ihr in knappen Worten unser Erlebnis an der Hunde-Tür und stelle die drängenden Fragen.
Einen Moment lang sieht sie mich an, als würde ihr ein kleines grünes Männchen mit zwei zwei langen, direkt aus dem Kopf herauswachsenden Antennen gegenüberstehen. Einen weiteren Moment lang scheint sie zu überlegen, ob die Situation eskalieren könnte und man besser beizeiten eine Notrufnummer wählen sollte. Doch dann reagiert sie mit professioneller Gelassenheit. "Nein, so etwas haben wir ganz bestimmt nicht", erklärt sie mit samtweicher Stimme – immer noch ein wenig auf der Lauer, aber im Wesentlichen schon wieder gefasst. "Dieser Eingang führt Sie direkt zu unserem Hunde-Verwöhn-Areal. Hier können unsere vierbeinigen Gäste nach Belieben gebadet, geschrubbt und gebürstet werden. Die Tür lässt sich mit jedem Zimmerschlüssel öffnen."
Na gut. Klar, das ist die offizielle Version ... Doch seit heute bin ich mir sicher, mein Lieblingshotel im südlichen Lande der Burgen in zumindest einem Punkt besser zu kennen als das ansonsten durchaus gut informierte Personal der Hauses.
Ich werde das Geheimnis für mich behalten, und ebenso wird es meine messerscharf kombinierende Begleiterin tun. Es würde uns ja doch kein Mensch glauben.
 



 
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