Der Hypnotiseur

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Gorgonski

Mitglied
Als Tashunka Meier, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Sachsen- Auge“, die Bühne betrat, fühlte ich mich zugleich unwohl und gespannt. Und da erging es mir wohl wie so wie vielen im Saal, die hübsch zurechtgemacht waren, mit Ausgehgarderobe in Kleid-, Smoking- oder Anzugform.

Tashunka Meier, das doppelte Monokel in die Seele, war ein international renommierter Hypnosekünstler. Bevor er sich den Künsten der Magie und der Selbstfindung (was ja häufig dasselbe ist) verschrieben hatte, war er Augenarzt gewesen. In seinen Glanzzeiten als Angestellter einer bedeutenden Klinik operierte er graue Stare und Irisirritationen. Nachdem er eine Pfuschklage verloren hatte (aus Versehen hatte er einer Millionärsgattin mit gutem Anwalt die erschlafften und zu straffenden Schlupflider über dem Jochbein angenäht), kam er seiner Kündigung zuvor und gründete eine Ich- AG als Performer und Illusionist.
Nach verschiedenen Versuchen vor Publikum

(erst im Familienkreis, auf Kindergeburtstagen, Testamentsvollstreckungen und Kindstaufen, später auf Einweihungsfeiern von Bäckereifilialen, Schlachtfesten, Hexenfeuern und Faschingsveranstaltungen)

Löffel zu verbiegen, Büstenhalter mit Kettensägen zu öffnen, aus Stringtangas Krawatten zu zaubern; schälte sich die Kunst der Hypnose als seine Berufung heraus. Im regionalen Fernsehen konnte er einen Kurzauftritt verbuchen, der sich dann arg ausweitete, weil die Moderatorin vor der feststehenden Kamera für längere Zeit außer Betrieb war und er alle Hände voll zu tun hatte das Weibsbild wieder ins Heute zu rufen.

Nun an jenem bedeutungsschwangeren Tag kam der Meister, von mystischen Klängen begleitet, auf die Bühne, das Licht erlosch und ein, im Bühnenboden eingelassener, Scheinwerfer als imaginäre Sonne strahlte ihn von unten an den Hintern und umgab seine kruzifixierende Geste mit einem wahren Heiligenschein.
Niemand im Saal wagte zu husten, oder andere Gäste um einen Bonbon zu bitten. Handtäschchen wurden unter nervösen Händen zerknautscht und Anzughosen saugten das Schwitzwasser hunderter Handflächen auf und während der Maestro mit drängender Stimme ins Mikrofon sprach, fluchten innerlich Männer, dass sie gezwungen worden waren mit ihrer Liebsten auszugehen.
Und sie hofften mit mir, der ich ganz und gar nicht ungezwungen im Klappsessel hockte, doch nicht als Versuchsobjekt auf die Bühne gebeten zu werden. Vielmehr wurden sehnsüchtige Blicke in Richtung der grünen Lämpchen geworfen, unter denen sich die Ausgänge zu den Aborten wie stuckverzierte Kathedralentore ausmachten.
Aber Tashunka Meier hielt das Publikum gefangen und referierte über den Sinn und Unsinn der Hypnose und irgendwann lagen Besucher aus der ersten Reihe in kataleptischen Brücken auf und zwischen Stühle gestapelt, während Frauen mit gerafften Röcken auf allen Vieren unter den Brücken durchkrochen und bellten.
Der Versicherungsfachangestellte einer Krankenkasse, der eben noch vor mir gesessen hatte und sich abfällige Bemerkungen zum Treiben des „Sachsen- Auges“ geleistet hatte (wofür ihn seine Frau übrigens hörbar zurechtwies), zog sich plötzlich auf der Bühne aus und mimte einen Schwan, der um eine Artgenossin buhlte, welche wiederum unfreiwillig von der Boutiquenbesitzerin Heidrun F. dargestellt wurde, die sich ihrer hochhackigen Schuhe und, infolge unvermittelter Lustgelüste, auch etlicher Blusenknöpfe entledigt hatte.
Nun war es an mir, als einer der wenigen im Saal noch Unverwandelten, seine Frau zu trösten, die mittlerweile fest davon überzeugt war, dass sich hier das Unterbewusstsein ihres Mannes auf eine höchst unangenehme Weise nach außen kehrte. Immerhin hatte Herr Meier auch nichts anderes in seinem Einführungsseminar behauptet.
Ganz im Gegenteil.
Aber da der Magier mittlerweile die Bühnentreppe heruntergekommen war und nun, zwischen den Sitzreihen agierend, die letzten zweifelnden Kritiker zu Nashörnern, Lamas, Schimpansen, oder im Falle eines Universitätsprofessors zu einem bewegungsgestörten Hilfsschüler pendelte, der den um sich befindlichen Streichelzoo mit zerrupften Tempotaschentüchern fütterte; war auch sie bald erlöst und sah als Kleinkind in ihrem Schminktäschchen einen Plastikkipper, den sie, vor sich herschiebend, Richtung Bühne bewegte.
Im Umgang mit dem ganzen Chaos zeigte sich der Hypnotiseur weit weniger geschickt und so kam es zu Beißübergriffen und heftigen Stupsereien zwischen Chirurgen des städtischen Krankenhauses und amorphen Gestalten, die sich im wahren Leben als Kosmetikerin oder Metzger verdingen.
Für mich die letzte Chance in die Porzellankathedrale zu entkommen. Durch die Tür vernahm ich die Reorganisation der Meute in Menschengestalten und ein Assistent ließ über Lautsprecher eine Schlange bilden, an deren Ende ein Tisch stand, auf dem vorformulierte Schecks lagen, die die Benommenen dazu nötigte vielstellige Summen zugunsten Meiers einzutragen, da sie wider den eigenen Willen zu der Ansicht gelangt waren, sich hoch verschulden zu müssen, um in ihr gewohntes Leben zurückkehren zu können.
„Danke, zurück in den Ausgangszustand.“
„Wuff, wuff!“
„Danke, zurück in den Ausgangszustand.“
„Miau, miau!“
„Danke, zurück in den Ausgangszustand.“
„Grrrrrrrrrrrr....!“

Am darauffolgenden Tag traf ich auf dem Arbeitsamt 424 geduldige Besucher, die sich auf Geheiß eines Tashunka Meier (was sie natürlich nicht ausplauderten) arbeitslos meldeten. Nicht nur die Menge des Menschenschwalls überraschte die Beamten, auch ihre außergewöhnlich vornehme Ausgehkostümierung.

Tashunka Meier buchte mit freundlicher Billigung der Stadthalle aufgrund des überragenden Erfolges der Veranstaltung weitere 60 Events bis zum Jahresende.

Zwei Monate später wurden die ersten Umschulungen und Fortbildungen zum (kurzfristig neu erschaffenen) Beruf des „staatlich anerkannten Heilhypnotiseurs mit Zusatzmodul‚ transzendente Börsenspekulationen“ genehmigt.
Bildungsträger war die „Tashunka Meier Hypno GmbH“.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Lieber Gorgonski,

ein herrlich skurriler Text, gerade so abgedreht, dass man sich fragt, ob sich die Geschichte nicht vielleicht genau so zugetragen haben könnte. Darüber hinaus überzeugt mich dein flüssiger Stil.

Mehr davon.
Gruß
GG
 

Gorgonski

Mitglied
Danke

Danke für Dein Lob, Gerd. Ich hoffe bald meine Schreibblockade überwunden zu haben und noch mehr ähnliche Texte online stellen zu können.

Gruss; Rocco
 



 
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