Der Journalist

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kio

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Tom ist nun Journalist. Stolz hält er das Abschlussdiplom der Journalistenschule in seinen Händen. Das Tor zur Welt. Nicht das Diplom. Nein. Er ist nun das Tor zur Welt. Er wird die Bevölkerung informieren. Fakten liefern. Berichten. Die Fingerknöchel werden weíß, als er das Blatt Papier mit seinen Händen umschließt. Politik. Das wird er berichten. Endlich das Volk aufklären. Aufzeigen, was Fakten sind und aufräumen mit dem Vorurteil, dass die Medien die 4. Macht im Staat sind. Tom will informieren. Niemals manipulieren. Das Ethos seines Berufsstandes inhalierend sieht er sich in einem Schaufenster seitlich widerspiegelnd. Der Gang ist aufrecht. Er ist endlich Mann. Der Mann. Er wird niemals, das was er in der Journalistenschule kritisch betrachtet hat, an andere weiterverkaufen. Sein Ethos, sein Pathos, seine Passion ist die reine Objektivität.
3 Monate später. Tom ist ein Glückspilz. Er hat in Deutschland eine Arbeit als Journalist gefunden. Er ist nicht freischaffend. Er ist festangestellt. Und er darf berichten. Im Fernsehen. Tom's Oma ist stolz. Bei jedem Treffen erzählt sie ihren Freundinnen, dass Tom jetzt beim Fernsehen arbeitet und so fleißig ist.
Ja. Fleißig ist er geworden; der Tom. Er geht jetzt jeden Tag zum Trainieren. Ins Fitnessstudio. Und dann geht er ins Solarium. Und am Abend sehen ihn Millionen Deutsche, wie er die Nachrichten verliest. Er darf sich sogar die Krawatte aussuchen. Doch das passiert alles am Abend. Am Morgen erbricht sich Tom. Erst dachte er, dass es ihm mal übel war. Doch er erbricht sich nun täglich. Warum das so ist, weiß er nach 3 Monaten nicht mehr so genau. Wahrscheinlich der nervöse Magen. Seine Berichte erreichen Millionen von Bundesbürgern: Der Aufsichtsratsvorsitzende, der gerade mit dem Gewerkschaftsboss um die 50 Stunden-Woche ringt. Schön ist der Bericht. Und Tom durfte auch aus der Lobby des Hiltons in Berlin live berichten. Schönes Ambiente und die Oma freut sich bestimmt auch, wenn sie Tom so im Fernsehen sieht. Dass der Aufsichtsratsvorsitzende gerade mal 300 Millionen durch Missmanagement versenkt hat, seine Frau das Highlight der aktuellen "Bunten" war, weil ihr Fingernagelstudio nun den letzten Schrei aus U.S.A. genau ihr kostenlos angeboten hat UND dass ein paar so arbeitsunwillige Deutsche nun mal wieder nicht das globale Soll erfüllen - darüber hat Tom schon mal kurz nachgedacht. Aber was soll's. Glückspilz Tom. Bin ich doch, oder? Dass der Gewerkschaftsboss nun auch nicht gerade seinen job riskieren will, weil ihm geht's ja nicht schlecht. Ein bisschen kämpfen. Das gehört dazu. Schließlich hat man soziale Verantwortung, lebt vom prozentualen Anteil der Mitglieder, die einen gewählt haben. Tom hat auch darüber mal kurz nachgedacht. Nein. Eigentlich haben sie doch RECHT. Tom betrachtet sich nach der Maske vor der nächsten Sendung im Spiegel. Bringt doch was. Das Schwitzen im klimatisierten Studio und dann in der Bräunungsoase. Das macht einen zum Mann. Und dann darf er wieder die Nachrichten verlesen. Ganz lässig und locker berichtet Tom über die Kinder- und Elternarmut in Deutschland. "Das sind doch Assoziale - geschafft haben die es jedenfalls nicht", denkt sich Tom heimlich. Er betrachtet sich am Ende des Tages einer erfolgreichen Berichterstattung im Spiegel. Aufrecht. Sein Redakteur kommt noch vorbei. Ein Gläschen Prosecco. "Tom, Sie sind der beste". Na geht doch. Objektiv. Nur die hungrigen Neger, die in dem Bericht von dieser übersozialen Möchte-gern-Schnecke kommentiert wurden, haben Tom an diesem Tag etwas gestört. "Nun ja, diese Sozialpädagogen sind ja "Gott sei Dank" am Aussterben. Lange wird die hier nicht mehr berichten. Tom hat Recht. Und am nächsten Tag muß er zwar kotzen. Doch es ist ja nur der nervöse Magen. Auch sein Arzt bestätigt ihm das. Da zahlt er gerne die 10 Euro und denkt sich, warum die da draußen sich alle so aufregen.
 



 
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