Der Kaiser

Vadeviesco

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Es war ein großer Tag. Die Garde würde heute den Kaiser in einem Triumphzug durch die Stadt geleiten. Der Kaiser selbst war es, der die Mitglieder seiner Garde auswählte. Und sie waren es, die sein Leben zu beschützen hatten. Einmal im Jahr hatte die Garde ihren größten und schwierigsten Tag; sie mußte den Kaiser auf seinem Triumphzug durch die Hauptstadt geleiten. Das war Tradition, obwohl dieser Kaiser schon lange nichts mehr für das Volk erreicht hatte, worüber er hätte triumphieren können. Dennoch, die Tradition wurde aufrechterhalten. Vielleicht glaubte man, wenn es schon keinen Triumph mehr zu feiern gab, dann wenigstens die Erinnerung daran. Der Kaiser war alt. Er hatte wenig bewegt in seinem Amt, denn er verstand es nicht, die Staatsgeschäfte zu leiten. Und der Kaiser war grausam, denn er liebte es, Menschen zu verletzen. Er ließ sein Volk nicht wirklich erbarmungslos leiden, dennoch: er mochte es auch nicht und das Volk respektierte zwar den Kaiser, dennoch lieben, lieben tat es seinen Kaiser nicht.
Der Bauer hatte bereits zwei Söhne an den Kaiser verloren. Der Kaiser hatte Krieg im Norden geführt. Die Armee des Kaisers war in eine aussichtslose Situation geraten, doch der Kaiser wollte, daß die Männer weiter kämpfen sollten. Und alle mußten sterben. So auch die Söhne des Bauern. Ein weiterer Sohn, der Jüngste, war im letzten Winter gestorben. Er war schwer krank gewesen und der Bauer hatte ihm keine Medikamente kaufen können; die Steuern des Kaisers waren zu hoch. Fast könnte man sagen, der Bauer habe sogar drei Söhne an den Kaiser verloren, so wie viele andere Väter auch.
Ein vierter Sohn des Bauern war in der kaiserlichen Garde. Und so besuchten der Bauer und seine Frau an diesem Tag den Triumphzug in der Hauptstadt um ihren Sohn zu sehen, wie er den Kaiser beschützte, wie er näher an dem Menschen sein würde, der die Geschicke und Schicksale dieses Landes bestimmte, als jeder andere Mensch.
Der Bauer und seine Frau standen in der Menge, welche die Straße säumte und auf den Wagen des Kaisers wartete. Es schien Stunden zu dauern, bis all die Waffenträger, Akrobaten und Darsteller vorbeigezogen waren, welche die baldige Ankunft des Kaisers mit seinem Streitwagen ankündigten. Dann war es soweit: der Kaiser und seine Garde zogen am Bauern und seiner Frau vorbei und er konnte seinen Sohn sehen, wie er stolz und prächtig in der Uniform der Garde neben dem Wagen des Kaisers schritt. Und auf dem Wagen saß der Kaiser in goldenen Gewändern mit einem goldenen Szepter in der Hand. Er winkte seinen Untertanen, doch seine Augen waren leer. Mochte er noch am Leben sein, seine Seele hatte bereits keinen Funken des Feuers mehr in sich, das die Tatkraft eines Menschen ausmacht.
Eine kleine Gruppe Männer näherte sich schnell dem Wagen des Kaisers. Sie zogen ihre Waffen so schnell, wie sie aufgetaucht waren und versuchten die Garde zu überwinden, um den Kaiser zu töten. Der Bauer und seine Frau erfaßte das Entsetzen. Wieder würde einer ihrer Söhne für den Kaiser kämpfen müssen. Direkt vor ihren Augen. Die Menschen stoben auseinander.
Übrig blieb in der Mitte der Straße ein Klüngel aus Gardesoldaten und Angreifern. Ein Angreifer schrie, der Kaiser solle, Nein!, er müsse sterben, um den Menschen die Freiheit zu geben. Es dauerte lange, bis die Garde fast alle Angreifer geschlagen hatte. Lediglich einem war es gelungen, sich dem Kaiser zu nähern. Der Angreifer holte mit dem Schwert aus, um den Kaiser zu töten. Dieser war wehrlos; er hatte keine Waffen. Der Kaiser selbst schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Er senkte den Kopf, um den Hieb nicht sehen zu müssen. Doch der Sohn des Bauern warf sich zwischen Kaiser und Angreifer. Und anstatt den Kaiser zu töten, hieb der Angreifer sein Schwert mitten in den Körper des Gardesoldaten. Der Sohn des Bauern fiel zu Boden. Nichts würde sein Leben mehr retten können. Schnell brachte man den Kaiser in Sicherheit. Der Angreifer wurde an Ort und Stelle getötet. Auf der Straße begann ein wildes Durcheinander. Der Bauer lief zu seinem Sohn. Seine Frau folgte ihm. Über dem Jungen brachen beide weinend zusammen. Sie wußten wohl, was sein Schicksal war.
„Warum hast du das getan?“ fragte die Mutter des Jungen. „Er ist ein schlechter Mensch, ein kraftloser Kaiser. Er wird ohnehin bald sterben.“
Mühsam begann der Sohn zu sprechen: „Ich habe dem Kaiser mein Wort gegeben. Ich muß ihn beschützen. Es ist völlig egal, ob er ein guter oder schlechter Mensch ist. Er ist der Kaiser. Und der Kaiser, das sind wir alle. Lassen wir ihn fallen, geben wir uns und unser Land auf. Der Kaiser muß beschützt werden. Verzeiht mir, verzeiht mir, bitte!“
Der Junge umarmte seine Eltern und wenig später starb er auf dem Schoß seiner Mutter. Der Kaiser würde den Bauern und seine Frau reich beschenken, denn ihr Sohn war ein Held geworden. Er hatte den Kaiser gerettet. Er hatte das Land beschützt, die Ehre gewahrt.
Der Bauer und seine Frau waren nun gemachte Leute und sie wurden überall geachtet, sogar geehrt. Dennoch, das konnte sie nicht trösten; dazu war der Preis zu hoch.
Der Kaiser lebte kein halbes Jahr mehr. Sein Sohn, der nach ihm Kaiser wurde, führte ebenfalls viele Kriege. Er war seinem Vater ähnlich. Und er konnte tun, was er wollte, denn seine Garde schützte ihn. Schließlich war er der Kaiser.
 



 
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