Der Kuhpfuscher.

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pleistoneun

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Wartezimmer, zu viert, keiner konnte die anderen drei riechen, weil alle verschnupft reagierten auf die immens lange Wartezeit und weil die Wartehalle 200 Quadratmeter maß. Dafür mochte der Arzt doch etwas unterbesucht wirken. Manche hätte das skeptisch gestimmt, nicht aber die vier Wartenden. Alle vom gleichen Gemeinmediziner über Wiesen und Wälder zu diesem Kuhpfuscher geschickt. Und das wegen schnöder Verkühlungen.

Alle wollten noch nicht mal zum Arzt. Die Gesundenuntersuchung, besser Krankenuntersuchung, denn man fand bei allen etwas Kränkliches, führte zum Schluss, dass alle an einer minder schweren Erkältung litten, was sofortigen Behandlungsbedarf darstellt, wie Kuhpfuscher oder gemeinhin Tierärzte immer fest stellen, wenn man es zu locker nimmt mit seiner Gesundheit.

Dass Veterinäre bei der Krankenuntersuchung eingesetzt werden, mag wohl an der aktuellen Schwemme derer liegen, seit es das 2-monatige Kurzstudium gibt.

Also im Wartezimmer zu dritt, weil einer gerade dran gekommen ist. Keiner der drei konnte sich riechen, aber das hatten wir schon ender Weise eingangs erwähnt. Komisch, jeder hält eine Nummer in der Hand und alle Zettel sind verschieden gefärbt und die Nummern sind die gleichen. Man konnte sich somit damit beschäftigen, welche Farbe nach grün kommt.

Diese war nämlich gerade aufgerufen worden. Etwas nasal näselte die eher hässlichere Sprechstundenhilfe „GÜÜÜÜÜÜN“ ins Mikro und die Lautsprecher pfiffen.

Das Gleiche, nämlich schätzen welche Farbe als nächstes kommt, könnte man auch beim Betrachten des Ausschlages des Mannes, der in der rechten unteren Ecke, gemessen an der Sandsack und Stacheldraht gezierten Front der Sprechstundenhilfen, kauerte. Momentan war er eher grünlich braun?

Also doch wieder vier im Warteraum. Das war doch der Mann, der zuletzt beim Ill Dotore war und ill ist hier bei Gott kein italienischer Artikel. Der gut gekleidete Geschäftsmann, der in würdiger Haltung die Arztpraxis - oder war es nur die Theorie? - betrat, um nur ein Rezept für seine Mutter zu holen.

Dorothee wurde ungeduldig, drei Stunden waren vergangen und noch zwei Mitgefangene vor ihr, wie man es den Wartezettelfarben entnehmen konnte. Sie pochte etwas lauter mit der Halsschlagader und wurde jäh durch einen Schrei der Sprechstundenhilfe mit den gut gepflegten Fingernägeln, gefolgt von einem Schrei des gerade eingetretenen Patienten und dem des Arztes unterbrochen.

Der Sprechstundenhilfe war ein Nagel eingerissen, was dem Patienten passiert ist, kann heute trotz Obduktion noch nicht genau festgestellt werden und der Doktor hat wohl auf das, was dem Patienten passiert ist, reagiert.

Ein freundliches aber bestimmtes „Nachschub“ ertönte über den Lautsprecher der Sprechstundenhilfe. Diese, nämlich die hysterische mit den Fingernägeln, plärrte höflich zurück “Alk, Medikamente oder Patienten?“

„……genau in der Reihenfolge“, quoll es aus dem Empfängerteil heraus.

Die Dame minderer Schönheit hinter der Front rührte eine Tablette in ein frisch eingegössernes Glas, servierte widerwillig, setzte auf dem Weg zum Arztzimmer einen der Patienten - graublauer Zettel, richtig geraten - auf das Tablett und balancierte das verdutzt schauende Getränk Richtung Ill Kapazunder.

Banges Warten, ……., erwies sich als unnotwendig, weil die eben gelieferte, scheinbare Patientin nur des Arztes Flittchen war und sogleich mit einem ungezielten Gesäßklapps verabschiedet wurde. Der Herr mit dem gelblichen Zettel - hatte er sich aus dem Wartezettelchen tatsächlich eine Zigarette gebastelt, oder war das kein Wartezettelchen und nur der Filter seiner Angerauchten? - war wohl verblichen, weil er die Farbe der Wand annahm, also höllenrot, oder hatte er sich nur zu lange daran ungeduldig gerieben und ist daran gestorben? So schnell konnte man gar nicht fertig denken, wie der Leichnam von den hurtigen Sprechstundenhilfen im Zimmer verscharrt war.

Das hieß wohl freie Bahn für Dorothee. Und so war das auch. Der Arzt sah ihr beim Eintreten der Tür - und diese war sehr fest verschlossen - nicht einmal in die Augen, sondern eher etwas an ihr vorbei, so zwei bis drei Meter, an die Wand und sie konnte ihm ihrerseits nicht in die Augen sehn, weil er keine hatte. Das Eine, nicht Vorhandene kaschierte er gekonnt mit seinem Stethoskop, das Andere glänzte etwas weißmilchigglasig im matten Licht des Theaterspots an der Decke. Um zu erklären, wie er sein Augenlicht verlor, müsste man so weit ausholen, wie das Kleinkind, welches sein Skalpell zu greifen bekommen hat, bevor es damit zustach. Galant wies er ihr dort den Stuhl, wo sich keiner befand und tastete sich zu seiner Patientin vor.

„So da wollen wir mal Blut abnehmen“, beruhigte der Kuhpfuscher die zitternde Patientin. Er nahm vor jedwedem Gespräch mit seinem Gegenüber allen Blut ab, was vor allem die Sprechstundenhilfen etwas ausgemergelt erscheinen ließ. Er wühlte zu diesem Zweck in der Schatulle mit den Spritzen, Fiebermessern und Zigarren herum, bis er endlich das geeignete Instrument gefunden hatte. Schnell war der Fiebermesser angespitzt und das Ende abgebissen und auf den Boden zu den anderen Zigarrenenden gespuckt.

Das Finden der richtigen Vene stellte sich doch als Schwachstelle des sonst so vertrauenserweckenden Arztes heraus. So perforierte er erstmals Dorothees Unterarm obgleich ihre Vene schon prominent hervorquoll, weil der Oberarm bis auf den Knochen mit brachialer Gewalt niedergebunden wurde. Dann, nach ständigem ungeschickten Jonglieren von Dorothees Arm, dem Desinfektionswattebausch und dem spitz geschliffenen Thermometer, doch ein Treffer, lautes Jubeln seitens des Arztes und verhaltenes Klatschen der Mitarbeiterinnen und der Wartenden in der vorgelagerten Halle.

Der Doktor kippte das vermeintlich abgenommene Blut aus dem Messer in die Zentrifuge, nachdem er der Katze den Mullverband abnahm, mit dem diese während der Untersuchung aufgeweckt auf dem verdreckten mit Blut und Eiter verschmierten Boden gespielt hatte, versorgte damit die Wunden und las das in Blindenschrift ausgedruckte Etikett ab. „Dacht ich's mir doch, Hydrogeniumvergiftung“ folgerte der Kapazunder, wie so oft seit seiner Erblindung und dem beginnenden Demenz-Alkoholismus, ließ noch eilends den 5er links oben - und damit meinte er die kleine Zehe der Sprechstundenhilfe - röntgen, verschrieb noch geschwinde eine Packung Fiebermesser zum drei mal täglichen Einnehmen. „Systematische Desensibilisierung“, murmelte der Kuhpfuscher.

Die Sprechstundenhilfen setzten nach Absprache über die neuesten Modetipps die Dosis souverän auf zwei Stück pro Woche herunter und zerrissen die Überweisung in die Vergiftungszentrale zu dem weitaus schlimmeren Kollegen der Uniklinik. Er war früher Mechaniker und fiel immer ungut auf, wenn er die Lungen seiner Patienten als Einsaugstutzen bezeichnete, aber das ist eine andere Geschichte.

Fest steht, dass Dorothee wenige Minuten nach dem Arztbesuch verstarb. Die Dosierung war wohl doch immer noch zu hoch und der Schnaps, in dem der Fiebermesser aufgelöst werden sollte war wohl doch auch nicht das richtige Desinfektionsmittel für die Einstiche am Unterarm. Unterarmentzündung, Schulterentzündung, Gehirnhautentzündung und das Flammemeer erreichte, trotz des Einsatzes kanadischer Firefighter, schließlich die Lunge und das Rippenfell und zuallerletzt die künstlich eingebaute Prostata Dorothees. Exitus am 28.11.03 18.37 Uhr.

Wir sollten doch Botaniker und nicht Kuhpfuscher zur Krankenuntersuchung einsetzen.
 



 
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