Der Letzte

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xrotbartx

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Seit zwanzig Minuten stand Karl Klein im Schatten der Toreinfahrt. Die Straßenlaterne ein paar Meter weiter warf glitzerndes Licht aufs überfrierende Pflaster. Er kannte sich: Auch wenn er noch so sehr zitterte, er würde sich hier verstecken, bis er ganz sicher war, dass ihn niemand sah. Immer wieder starrte er die Straße hinauf und hinunter, blickte zu den dunklen Fenstern im 3. Stock des Hauses gegenüber und lauschte in die Dunkelheit.
Die Fenster gehörten zwar zu seiner Wohnung und mussten dunkel sein, doch auch dort konnten sie auf ihn lauern.
Noch immer zögerte er, die Straße zu überqueren.
In seiner Wohnung hatte er sich immer ziemlich sicher gefühlt, obwohl Alice die Hauswartsfrau wusste, wo er zu finden war. Der Achtzigjährigen vertraute er.
Wieder schaute er zur Hauptstraße hinunter. Eine hell erleuchtete Straßenbahn ratterte vorbei. Kaum hundert Meter entfernt. Zwei Frauen saßen darin! Sein Magen zog sich zusammen. Karl war erschöpft.
Mit zittrigen Fingern zog er sein Kopftuch aus der Trenchcoattasche. Es war nötig. Sorgfältig band er es sich um. Sollte ihn jemand zufällig dabei beobachten, wie er sein Haus betrat – vielleicht erkannte man ihn dann nicht. Er hoffte es.
Als Karl seine Vorbereitungen beendete, war das Straßenbahnrattern längst verstummt. Keine Stimmen, keine Schritte auf dem Pflaster. Totenruhe. Er schaute auf seine Armbanduhr: zwei Uhr morgens. Die letzten Lokale hatten längst geschlossen. Er hoffte, dass die Stadt schlief.
Den Kopf zwischen die Schultern gezogen eilte Karl über die Straße. Eine Katze schrie auf. Gehetzt huschte sein Blick zur Litfasssäule, wo er glaubte, eine Bewegung ausgemacht zu haben. Kurz darauf erreichte er die Haustür und schob sie auf. Eine zweite Katze fauchte wild. Er stemmte sich gegen die schwere Tür, bis sie wieder geschlossen war. Karl lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Sein Herz pochte wild. Ein Wunder, dachte er, dass es überhaupt noch schlug. Ein Jahr ging das nun schon und er war nicht mehr der Jüngste. Würde ihm Alice nicht seine Rente holen und wenigstens hin und wieder die Einkäufe mitbringen, die er brauchte – er hätte es nicht geschafft bis heute zu überleben.
Ein Wunder war es sowieso, dass es ihm bisher gelungen war geheim zu halten, wo er wohnte. Aber ewig würde das auch nicht so weitergehen. Das war ihm gerade jetzt wieder bewusst.
Ohne Licht zu machen, schlich Karl die Treppe hinauf. Die Stablampe in der Tasche schlug bei jeder zweiten Stufe gegen sein Knie. Er hatte sie nicht mitgenommen, um sich den Weg auszuleuchten, sondern für den Notfall. Als Waffe war sie gut zu gebrauchen.
Vor seiner Wohnungstür blieb Karl stehen und lauschte atemlos. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Er fingerte nach dem Schlüsselbund und hielt inne. Doch, die Haustür. Er spürte den leichten Luftzug von unten heraufkommen.
Wer kam da? Warum wurde kein Licht angeschaltet?
Schnell schob er den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum.
Es war nicht abgeschlossen! Hatte er es in der Panik vergessen, als Alice ihn warnte, schnell die Wohnung zu verlassen? Er war hinunter gerannt, über die Straße gehuscht, hinein in die Tordurchfahrt. Auf dem Hof dahinter stand ein Holzschuppen. Dort hatte er sich versteckt, den ganzen Tag.
Nein, er war sich nicht sicher, ob er abgesperrt hatte.
Entschlossen drückte er die Tür auf, trat ein und schloss sie leise wieder.
Als er sich im dunklen Korridor umdrehte, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Ein fremder Geruch.
Doch es war zu spät: Sie hatten ihn gefunden. Er sah einen Schatten in der Küchentür auftauchen. Die Badtür bewegte sich. Und schon waren sie über ihm. Mit einem nervösen Kichern ließ sich Karl zu Boden gleiten.
Sie waren zu zweit, nein, zu dritt: Es klopfte gerade an der Tür. An Armen und Beinen hoben sie ihn auf. Und wieder begann sein Herz bis zum Hals zu pochen.
Sie schleiften ihn ins Schlafzimmer. Er sah noch das ungemachte Bett, dann schloss er die Augen. Als sie ihn auszogen, wehrte er sich nicht. Der wahrscheinlich letzte Mann war tot. Gestorben an einer Herzschwäche. Neben ihm auf dem Nachttisch lag die Monate alte Zeitung, in der er noch gestern gelesen hatte. Die Schlagzeile: Männer unter Hausarrest. Ausnahmen, die die Haltung in überdachten Käfigen gestatten, sind beim Kreisarzt zu beantragen …

©Harald Hillebrand (November 2005)

letzte Änderung: 27.11.05
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Tach Barbarossa.
Hihi, nicht mal hier bist Du vor mir sicher.

Du hattest schon Recht, das Ding in die Werkstatt zu bringen:
Es knirscht nämlich gewaltig im Logikgetriebe:
Der wahrscheinlich letzte Mann war tot.
Hausarrest und Käfighaltung können zwar zu massenhaft tödlicher Langeweile führen, aber doch nicht schneller als in der Zeitung der Fisch verpackt wird.

Überhaupt frage ich mich, was wollen die mit dem alten Sack?
Ein Zäpfchen Viagra forte einführen?
Aber vielleicht haben sie sich vertan, so im Dunkeln.
Sie machten kein Licht.
Kann ja nicht jeder so nachtsichtig sein wie der Alte:
Er sah noch das ungemachte Bett, dann schloss er die Augen.
Ließ ein paar Häkchen da, nimm sie ruhig als Kommata
 

jon

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Teammitglied
Die Spannung ist schon toll aufgebaut – nur das Ende ist unlogisch: Wenn es Männer in Käfighaltung gibt, ist Karl bestenfalls der "letzte freilebende Mann" gewesen (, wobei er wirklich eher freilebend als frei lebend war – so viel zum millionsten Mal zur Neuen Rechtscheibung).
Was mich ebenfalls vollständig unbefriedigt lässt, ist die Nicht-Antwort auf die Frage „Was ist denn da passiert?“. Ein kleiner Hinweis, wie es zu diesem Hausarrest-Erlass kam (und vor allem wie zur Alternative „Käfighaltung“!) wäre m.E. schon wichtig, um dem Gag aus seinen im Moment recht flachen Zustand aufzuhelfen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aber

das hat doch schon jemand anderer geschrieben, dass die frauen irgendwann die sache mit der selbstbefruchtung packen und die widerliche fickerei endlich endet. in jenem roman war es umgekehrt - da wurden plötzlich wieder jungs geboren und wunderten sich sehr, dass sie ein wenig anders waren als die "normalen".
lg
 

xrotbartx

Mitglied
Hi Rumpel,
das hab ich befürchtet, aber diesmal versteh ich wenigstens, was du meinst, und danke dir und Jon für die Hinweise.
Marion, ich fürchte, sie haben Recht: Ich muss überarbeiten. Ich habe es immer zu eilig mit dem Posten. *g*
 



 
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