Der Literat

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TaugeniX

Mitglied
Der Literat

Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und elektrischem Licht – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.

Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.

Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“

Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“

„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.

„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Wohnzimmer und wir werden über alles reden. Bitte!“

Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:

Der Literat
 

Wipfel

Mitglied
Eine unerhörte Begebenheit also. Gut geschrieben. Mir gefällt das Stück - und wer hätte das nicht so oder so ähnlich schon erlebt?

Respekt.

Grüße von wipfel
 

TaugeniX

Mitglied
Ich hoffe, dass es nicht unumgänglich ist für einen Schreibenden. Aber Ansätze für diese Lebenshaltung spüre ich sogar bei mir selbst, obwohl für mich das Scheiben nur eine in engen Zeitrahmen gepresste Freizeitbeschäftigung ist.
 

Maribu

Mitglied
Hallo TaugeniX,

interessanter Text!
Die Einsicht des Mannes, wie ein Parasit das Seelenleben der eigenen Frau schriftstellerisch verarbeitet zu haben.

Sie tat ihm aber nicht wirklich leid; er hat auch noch ein
schauspielerisches Talent! Es waren keine Tränen, das preisgegeben zu haben, es waren Freudentränen, weil damit die Novelle im Kopf fertig war!

L.G. Maribu
 

TaugeniX

Mitglied
Selbstmitleid hat er echt gespürt. Aber auch Selbstmitleid ist für ihn nur ein Rohmaterial für seine Texte. Er behandelt eigene Gefühle nicht anders als die der Anderen. Das "Sammeln und Niederschreiben" ist die Maxime seines Lebens.
 
S

steky

Gast
Bevor ich kommentiere, @TaugeniX:

In welcher Zeit/Epoche ist Deine Geschichte angesiedelt?

Das interessierte mich.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
@ Steky, vor den beiden Weltkriegen, denke ich, aber eigentlich je zeitloser umso besser. Ich denke meine Geschichten nur bei unumgänglicher Notwendigkeit in eine bestimmte Zeit.
 

TaugeniX

Mitglied
Der Literat

Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und elektrischem Licht – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.

Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.

Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“

Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“

„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.

„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Salon und wir werden über alles reden. Bitte!“

Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:

Der Literat
 
S

steky

Gast
Na dann ist ja gut - ich befürchtete schon, der Text wäre einfach nur "altbacken" und unzeitgemäß ... Für mich als Leser ist es nichtsdestotrotz wichtig, zu wissen, in welcher Epoche ich mich befinde - auch bei Kurzgeschichten. Das hätte man leicht arrangieren können, indem man mal hier einen Diwan platziert, mal dort ne alte Vase (blödes Beispiel) ... Du verstehst?

Den Plot an sich finde ich nicht uninteressant: Was darf ein Autor, und was darf er nicht? ... Doch wer will das schon überprüfen? ... Grundsätzlich erschaffen Autoren fiktionale Welten, die nicht autobiografisch sind ... Ein Schelm, wer Fiktion für Realität hält! ...

Ich hätte mir einen zeitgemäßen Text gewünscht.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
@ Steky, ich habe mich deswegen in die Schreiberei verkrochen, weil ich die "heutige Zeit" nicht aushalte. Deswegen wird auch kein Schriftsteller aus mir, weil ich nur Selbsttherapie betreibe. Aber da ist nichts zu machen, ich müßte mich zu sehr verbiegen um "modern" zu schreiben.

Trotzdem darf ich zu meiner Verteidigung aus dem großen Meister Thomas Mann zitieren:

"...Das wäre kein Nachteil für eine Geschichte, sondern eher ein Vorteil; denn Geschichten müssen vergangen sein, und je vergangener, könnte man sagen, desto besser für sie in ihrer Eigenschaft als Geschichten und für den Erzähler, den raunenden Beschwörer des Imperfekts..."

Paul Verlaine hat irgendwo geschrieben (sorry, ich finde das Zitat nicht, deswegen nur aus Gedächtnis), die Welt habe seinen Zweck nur darin, in Worte gefasst zu werden. Das war der Anstoss für mich diese kleine Geschichte zu schreiben.
 

TaugeniX

Mitglied
Sorry, Steky, ich habe mich für die Hinweise nicht bedankt, die für mich nützlich sind! Tut mir leid. Danke!

Ich werde ein paar kleine "Zeitortungen" einarbeiten. Es ist alles meine Betriebsblindheit, weil ich grundsätzlich nicht über 1914 hinaussehe.
 

TaugeniX

Mitglied
Der Literat

Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und neumodischer Glühlampe, die er dem Gaslicht vorzog, – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.

Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.

Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“

Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“

„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.

„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Salon und wir werden über alles reden. Bitte!“

Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:

Der Literat
 

TaugeniX

Mitglied
Der Literat

Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und neumodischer Glühlampe, die er dem Gaslicht vorzog, – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.

Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.

Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“

Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“

„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.

„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Salon und wir werden über alles reden. Bitte!“

Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:

Der Literat
 
S

steky

Gast
Hallo, TaugeniX!

Wenn Du wirklich einen zeitgemäßen Text schreiben willst, streich erstmal Wörter wie "Literat", "Salon", Kabinett". Die "neumodische Lampe" ist zu ostentativ und unpräzise.

Du kannst Deine Veränderung zuerst als Kommentar posten, denn sonst hast Du unter Deinem Text zehn verschiedene Versionen.

Mach Dir Gedanken darüber, in welchem Umfeld Dein Protagonist lebt. Ist er reich und befriedigt seine dekadenten Gelüste mit Banalitäten? Oder ist er arm und säuft sich jeden Abend die Birne weg? Puschkin oder Dostojewski? Das ist insofern wichtig, weil es zwei verschiedene Gesellschaftskreise sind. Du kannst auch einen fürsorglichen Vater nehmen, der jeden Abend seiner Tochter einen Gutenachtkuss gibt. Kurzum: Überlege, wer Dein Autor überhaupt ist; gib ihm ein Gesicht.

Ich hoffe, ich konnte Dir vorerst helfen.

Morgen mehr, wenn Du magst.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
Meinst Du, ich soll aus seinem Kabinett ein Büro machen und aus dem Salon ein Wohnzimmer? Aber dann taucht der Text doch erst recht aus dem XIX. Jh. auf die Zeitoberfläche auf.

Soll "zeitgemäß" in einer Geschichte nicht auf die Zeit bezogen sein, in der die Handlung geortet ist? Es ist mir klar, dass ich die Sprache des XIX. Jahrhunderts 1:1 nicht wiederherstellen kann und erst recht nicht die Sprachweisen noch früherer Zeiten. Aber eine Zeitfarbe muss die Sprache doch bekommen.

Schau, wenn man z.B. "Josef und seine Brüder", "Der Erwählte", "Zauberberg" und "Dr. Faustus" liest, hat die Sprache immer eine Zeitprägung. (Gott bewahre, ich vergleiche mich nicht mit dem Grand Meister, ich bin nur ganz demütig verliebt. :) )

Aber vielleicht fällt es unter "quod licet Iovi..." :( Das kann natürlich sein.

Das mit dem Umfeld und sozialer "Ortung" nehme ich zu Herzen und werde daran arbeiten.
 
S

steky

Gast
Meinst Du, ich soll aus seinem Kabinett ein Büro machen und aus dem Salon ein Wohnzimmer? Aber dann taucht der Text doch erst recht aus dem XIX. Jh. auf die Zeitoberfläche auf.
Wolltest Du nicht einen zeitgemäßen Text schreiben? Oder möchtest Du nur die Sprache anpassen, sodass sie für damalige Verhältnisse adäquater ist? Ich verstehe Dich leider nicht. Wollen wir nicht, dass der Text aus der Zeitoberfläche auftaucht? Die Location ergibt sich, sobald Du weißt, wer Dein Autor ist. Das wäre der erste Schritt.

Vielleicht machst Du Dir mal in Ruhe ein paar Gedanken bzw. Notizen und schreibst dann einfach einen neuen Text. Damit will ich nicht sagen, dass dieser Text schlecht ist. Reine Geschmackssache. Ich mag´s gern zeitgemäß.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
Eigentlich will ich nicht "zeitgemäß" schreiben. Ehrlich gesagt lese ich auch keine modernen Bücher. Aber Du bringst mich auf den Gedanken, dass ich es vielleicht doch lernen muss und mich zumindest zu Übungszwecken dazu überwinden.

Im Moment ist die Sprachart dieser Geschichte meine Komfortzone. Aber ich muss lernen, sie zu verlassen.

Ich nehme Time-Out.
 
S

steky

Gast
Dann habe ich Dich missverstanden, tut mir leid.

Was hat es dann mit der neu-modischen Lampe auf sich?

Ich versteh die Welt nicht mehr ...

Wir drehen uns im Kreis. Time-Out klingt gut.
 
S

steky

Gast
Nachtrag:

Habe Deine Intention jetzt verstanden. Es war ein Missverständnis. So ist es besser, wenn du "alt" schreiben möchtest. Guter Ansatz. Da könntest Du weitermachen. Als nächstes dann den Prot feiner herausarbeiten.

Tut mir leid für meine Unachtsamkeit. Es ist der Stress.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
Ich habe von diesem kleinen Mißverständnis profitiert: Du hast an meiner Komfortzone, in der "alt" gleich "gut" bedeutet, gerüttet. Das Wort "altbacken" als Pejorativum hat bei mir kognitive Dissonanz ausgelöst. :)
 



 
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