Der Lokalreporter

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Reuter hatte schlechte Laune. Missmutig schaute er aus seinen kleinen wieselflinken Schweinsäuglein in den Spiegel. Sein Blick traf auf ein rundes Gesicht mit dicken Hamsterbacken, eine etwas zu fleischige Nase, wulstige Lippen und dunkle Bartstoppeln, die von grauen Flecken durchsetzt waren.

Die Haare hingen dort, wo sie noch vorhanden waren, in fettigen Strähnen seitlich über die Ohren herab.

Reuter roch auch. Aus dem Mund, unter den Achseln, eigentlich überall.

Auch wenn man jede Selbstkritik missen ließ, wirkte das, was er dort im Spiegel sah, nur ungepflegt, ja fast schmierig.

Das störte ihn aber wenig. Im Laufe der Jahre war in Reuter die Überzeugung gewachsen, dass sein Erscheinungsbild eher als herb maskulin zu bezeichnen wäre.

So etwas mochten die Frauen – meinte er. Sein behaarter Körper hatte rundherum Fett angesetzt und gab ihm eher die Figur eines kleinen Mastschweinchens als die eines bodybuilding gestählten Musterathleten.

Er hatte Kopfschmerzen. Das kam vom übermäßigen Alkoholgenuss und den zahlreichen filterlosen Zigaretten, die er sich im Laufe des gestrigen Abends zugeführt hatte.

Schuld daran waren nur die Weiber. Eigentlich war er nach Feierabend losgezogen, um eine der nach seiner Meinung herumstreuenden Katzen anzugraben, aber irgendwie war es ihm nicht gelungen. Trotz seiner nach eigener Anschauung überzeugenden männlichen und direkten Art hatte er keine Frau überzeugen können, dass er ihr nur etwas Gutes tun wollte, sich dazu herabgelassen hätte, ihre geheimen Wünsche zu erfüllen.

So war sein Streifzug durch das nächtliche Schwabing kontinuierlich im Alkohol ertränkt worden.

Er verfluchte die Frauen, die sich nächtens in Kneipen produzierten, dann aber jedem seiner Abschleppversuche wiederstanden, sah noch einmal in den Spiegel und schloss den mannhaften Kompromiss, auf Dusche und Rasur zu verzichten. Ein wenig Wasser in die Achselhöhlen, etwas Spray über den affenartig behaarten Oberkörper verteilt und eine handvoll Wasser durch das Gesicht gezogen. Die Zähne – dabei zog er die Lippen auseinander und besah sich kritisch die gelben Zahnreihen – konnten durch intensives Putzen farblich nicht mehr verändert werden. Also sparte er sich diese Mühe.

Er zog aus dem ungeordneten Wäschestapel in seinem Einraumappartement ein Hemd heraus, von dem er vermutete, dass er es bisher nur einmal getragen hatte, stülpte die Socken über, zog Hose und Jeansjacke an und schlüpfte in die ausgetretenen Joggingschuhe.

Als er durch die Haustür auf die Strasse trat, kniff er die Augenbrauen zusammen. Jeder andere hätte sich über den herrlichen Frühsommertag gefreut, der ihn auf der lebhaften Strasse im Herzen Schwabings empfing, in der er seit siebzehn Jahren wohnte. Reuter fluchte stattdessen. Das grelle Licht tat seinen Augen weh.

In Berlin war er groß geworden, hatte sich in den Hinterhöfen des Weddings herumgeprügelt, gelernt , sich durchzusetzen. Zäh und mit eiserner Energie hatte er die Schule überstanden, das Abitur erreicht.

Dann hatte er studiert, Germanistik. War das ein Leben. Sie alle, die Clique, in der er verkehrte, haben nächtelang über die Zukunft der Gesellschaft die Köpfe heiß diskutiert, und wenn sie nicht irgendwann vom Alkohol oder dem Drogenkonsum, der einfach dazugehörte, umgefallen wären, hätten die unterschiedlichen Auffassungen sicher oft zu handfesten Auseinandersetzungen geführt.

So hatte er Jahr um Jahr mit dem Studium zugebracht, bis er eines Tages feststellte, dass alle seine Kommilitonen nach und nach erfolgreich die Universität verlassen hatten und sich einem überaus bürgerlich geprägten Leben zuwandten.

Es war niemand mehr da, der mit ihm revolutionäre Ideen diskutierte, neue Ideale konzipierte, der die studentische Streitkultur seiner frühen Jahre beherrschte.

Nach seinem Abschluss musste er dann feststellen, dass er für einen erfolgreichen Start in eine berufliche Zukunft die falsche Universität besucht hatte, zu lange studierte, das falsche Fach gewählt und sich mit der verkehrten Clique geschmückt hat. Niemand wollte ihn haben.

So hatte er Berlin den Rücken gekehrt, alle Zelte hinter sich abgebrochen und war nach München gezogen. Hier arbeitete er jetzt als Journalist. Seit siebzehn Jahren.

Reuter lachte säuerlich in sich hinein.

Journalist.

Zweitklassiker Reporter für den Lokalteil eines berüchtigten Boulevardblattes war er.

Er rülpste kräftig vor sich hin und streckte einer älteren Frau, die ihm entgegenkam und ihm ob seines Verhaltens einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, die Zunge aus.

Ohne dem Verkehr besondere Beachtung zu schenken, querte er die Strasse und schlängelte sich durch die träge vorwärts kriechende Fahrzeugkolonne hindurch auf die andere Straßenseite.

Auf seinem Weg in die Redaktion wollte er sich noch schnell eine Wurstsemmel besorgen, die ihm Frühstück und Mittag zugleich ersetzen sollte. Ihm wurde bewusst, dass er auf dem besten Wege dazu war, zu degenerieren. Er nutzte jetzt auch schon die einheimischen Ausdrücke. Wurstsemmel statt Schrippe oder Brötchen. Der revolutionäre Drang studentischer Tage, in dem er gegen alles und jeden protestierte, war schon lange verflogen.

Die Strasse strahlte eine besondere Urbanität aus. Zahlreiche kleine Geschäfte, dicht an dicht, lockten mit einem vielfältigen Angebot. Gleichzeitig waren sie von einer ausgeprägten Individualität beseelt, die sie wohltuend von der Uniformität der Geschäftsstrassen in den Stadtzentren unterschied. Mittendrin präsentierte sich in einer hausbackenen Aufmachung die Metzgerei Hölzl, seit mehr als einhundert Jahren im Familienbesitz, wie stolz ein Plakat im Schaufenster verriet.

Das alles interessierte Reuter aber herzlich wenig. Griesgrämig strebte er dem Eingang zu und übersah dabei den kleinen grauen Mischlingshund mit dem ausgefransten Fell, der auf den Hinterbeinen vor der Eingangstür saß und sehnsüchtig, sich die Schnauze leckend, in das Ladeninnere hineinblickte,

Jaulend sprang das Tier auf und sprang in einem hohen Bogen zur Seite.

„Blöde Töle;“ entfuhr es Reuter, während er ungerührt die Tür zum Metzgerladen öffnete.

„Können Sie denn nicht aufpassen? Das arme Tier!“ Eine hohe Fistelstimme giftete ihn an. Sie gehörte einer alten Frau, die mit einem eigenartigen Monstrum von Hut vor ihm auftauchte.

„Was sitzt der blöde Köter auch direkt vor der Tür,“ geiferte Reuter zurück und versuchte sich an ihr vorbei in Richtung des etwas antiquiert wirkenden hohen Glastresens mit den nach oben gebogenen Glasscheiben zu schieben, hinter denen Meister Hölzl seine Produkte präsentierte.

„Unverschämt,“ keifte die Alte zurück. „Erst tritt dieser unverschämte Mensch meinen Hund, dann will er sich auch noch vordrängeln. Zu meiner Zeit besaßen die Leute noch Anstand. Die wussten noch, was sich gehört. Das scheint heute anders zu sein.“ Dabei warf sie Reuter einen wütenden Blick zu.

„Es wäre für die Menschheit nicht schade, wenn wir auf solche Leute wie Sie verzichten könnten.“

Reuter ließ eine Art Grunzlaut hören, um dann zu ergänzen: „Gottlob ist die Aussicht, dass Sie vor mir von diesem Erdenrund verschwinden, ja größer als umgekehrt. Darin lege ich meine ganze Hoffnung.“

Die alte Dame schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Sie....Sie....“ hechelte sie.

„Nun hört schon auf damit an einem solchen herrlichen Sommertag,“ mischte sich Metzgermeister Hölzl ein, der groß und rotgesichtig hinter seinem Verkaufstresen thronte. Der kräftig gebaute vierschrötige Mann wandte sich an die Frau.

„Was darf es denn heute sein?“

Sie griff noch einmal kampfeslustig an ihren Hut, warf Reuter einen todbringenden Blick zu, und drehte sich abrupt zum Geschäftsinhaber um.

„Haben Sie zufällig etwas von Ihrem Hundefutter in Dosen? Mein Teddy liebt es über alles. Er ist ganz gierig danach. Leider bekomme ich es immer nur sehr selten bei Ihnen.“

Hölzl griff in ein Regal hinter seinem Rücken.

„Sie haben Glück. Wir haben gerade eine neue Charge fertiggemacht. Wie viel darf es denn sein?“

„Zwei Dosen bitte.“

Der Metzgermeister entnahm dem Stapel aus dem Regal zwei runde goldfarbene Blechdosen ohne Aufschrift oder Etikett. Lediglich auf dem Dosendeckel, der eine weiße Beschichtung aufwies, stand mit schwarzem Stift geschrieben: Hölzl´s Hundedelikatesse.

„Das machen wir selbst,“ erklärte der Meister voller Stolz. „Leider haben wir nicht immer die Zeit dazu, obwohl es bei unseren Stammkunden für ihre vierbeinigen Lieblinge sehr begehrt ist.“

„Wie ich schon sagte, mein kleiner Teddy ist ganz versessen darauf. Da können die in der Fernsehwerbung hoch gepriesenen Produkte nicht mithalten.“

„Soll das Vieh doch daran verrecken,“ knurrte Reuter dazwischen.

„“Was meinen Sie?“ keifte die alte Dame zurück. Gottlob hatte sie die Anmerkung nicht verstanden.

Reuter winkte ab, ohne einen weiteren Ton zu sagen.

Endlich hatte die Frau ihren Einkauf abgeschlossen. Umständlich kramte sie in ihrer altmodischen Handtasche nach dem Portemonnaie, suchte geduldig das Kleingeld heraus und raffte schließlich ihren Einkauf zusammen. Mit einem letzten giftigen Blick auf Reuter verließ sie den Laden.

„Solche alten Weiber mit ihren blöden Kötern sollte man verbieten,“ maulte Reuter und orderte schließlich zwei Semmel mit Hackepeter und vielen Zwiebeln.

Meister Hölzl versuchte ihn zu beschwichtigen: „Die ist doch harmlos. Da finde ich andere Dinge viel skandalöser. Haben Sie heute schon in die Zeitung gesehen?“

Reuter winkte ab: „Glauben Sie ja nicht an das, was dort steht. Das ist alles erstunken und erlogen.“

Hölzl holte tief Luft: „Da stehen Sie aber alleine mit Ihrer Meinung. Ich glaube schon, dass die Zeitungsmenschen sauber recherchieren. Die können es sich gar nicht leisten, Unwahrheiten in die Welt zu setzen. Was glauben Sie, was passiert, wenn die einen Artikel wie die heutige Schlagzeile veröffentlichen, ohne dass es wahr wäre?“

Reuter zog geräuschvoll die Nase hoch.

„So? Was steht denn dort?“

Der Metzgermeister griff hinter sich und las vor: „Autokönig auf der Flucht. Er hinterlässt Millionen Steuerschulden.“

Er legte die Zeitung wieder fort.

„Und uns Kleine jagen die vom Finanzamt bis zum Gehtnichtmehr. Das ist reine Schikane. Nehmen Sie mich zum Beispiel, ein kleiner Handwerksmeister, der sich nur mit Mühe gegen die Konkurrenz der Supermärkte und großen Ketten halten kann.

Letztes Jahr hatte ich hier eine Betriebsprüfung. Ein ekelhafter Kerl vom Finanzamt. Eine ganze Woche hat der in meinen Büchern herumgeschnüffelt. Dann hat er mir unterstellt, ich hätte eine wesentlich höhere Gewinnspanne als ich deklariert habe. Pure Schikane.“

Hölzl hatte sich jetzt in Rage gebracht.

„Der hat einfach unterstellt, ich hätte zuwenig Einkünfte deklariert und mir mit einer willkürlichen Schätzung eines wesentlich höheren Gewinnes gedroht. So einfach geht das. Da kommt ein Bürokrat daher, der als Beamter auf Lebenszeit sich nicht dem täglichen Wettbewerb aussetzen muss, der nicht die Ungewissheit kennt, ob der Betrieb nicht nächsten Jahr von einem Großen gefressen wird. Oder ob ich die Ladenmiete nicht mehr zahlen kann, weil eine Boutique dem Hausbesitzer ein attraktiveres Angebot unterbreitet hat.“

Dem Metzgermeister waren die Zornesadern angeschwollen.

„Und Sie sind als kleiner Bürger machtlos dagegen. Sicher, Sie können gegen die Entscheidung des Finanzamtes klagen. Aber bis Ihr Prozess durch ist, sind Sie lange pleite. Aus. Vorbei Ende. Da steht dann auf Ihrem Grabstein: Hier ruht im Recht. Und der Mensch vom Finanzamt kann diese Willkür ohne jedes persönliche Risiko betreiben. Aber Ihre Existenz ist unwiederbringlich verloren.“

Reuter war neugierig geworden: „Und, wie ist die Sache ausgegangen?“

Der große Mann hinter dem Tresen wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Das ist merkwürdig,“ antwortete er schließlich. „Ich muss wohl einen Schutzengel gehabt haben. Plötzlich habe ich nie wieder etwas vom Finanzamt gehört. Nichts. Funkstille. Bis zur letzten Woche. Da ist ein anderer gekommen und hat mir erklärt, dass die ganze Geschichte von vorne beginnt. Die wollen noch einmal mit der Prüfung meiner Bücher beginnen.“

„Und weshalb das?“

Hölzl zuckte die Schultern: „Keine Ahnung,“

Inzwischen hatten weitere Kunden den Laden betreten, so dass sie ihr Gespräch abbrechen mussten.

Reuter war dann in die Redaktion seiner Zeitung gefahren. Der Lokalredakteur war mit einem wütenden Wortschwall über ihn hergefallen, hatte ihn beschimpft, einen desorganisierten Chaoten genannt, seinen verbalen Überfall kurz unterbrochen und die Nase schnuppernd in die Luft gehalten, und dann geflucht:
„Reuter, Du stinkst wie ein tibetanischer Lastenesel.“

Der reagierte, in dem er dem kleinen kahlgeschorenen Mann den ausgestreckten Mittelfinger zeigte, sich wortlos umdrehte und zu seinem Schreibtisch marschierte.

Der Platz sah aus wie eine Müllhalde. Papierberge, angebrochene Zigarettenschachteln, leere Pappbecher lagen wild durcheinander, verziert von losem Bonbonpapier.

Reuter verschaffte sich ein wenig freien Raum, indem er mit dem Ärmel die Ansammlung kurzerhand zur Seite schob.

Tastend klopfte er über den Papierhaufen, zog ein mit einem Kaffeefleck verunziertes Blatt hervor, warf einen kurzen Blick darauf, drehte es um und machte sich einige Notizen auf der Rückseite.

Die Sache mit dem Finanzamt interessierte ihn.

Ein kurzes Telefonat mit dem Kollegen, der den Wirtschaftsteil betreute, darunter mit dem besonderes Schwerpunkt der lokalen Wirtschaft, brachte keine neuen Erkenntnisse. Auf gut Glück rief er das zuständige Finanzamt direkt an, wurde dort aber ziemlich rüde abgewiesen.

So kam er nicht weiter. Er blickte noch einmal auf seine Notizen. Ein Artikel, der die Ohnmacht der kleinen Leute gegen die Allmacht des Staates und seines abscheulichsten Vertreters, der Finanzverwaltung, zum Inhalt hatte, kam immer gut an.

Vielleicht konnte Beppo weiterhelfen. Das kleine verhutzelte Männchen mit der altertümlichen Hornbrille und dem grauen Haarkranz war schon so lange dabei, dass niemand zu sagen wagte, ob er nicht bereits vor Gründung des Blattes dort tätig gewesen war. Beppo ersetzte in kritischen Situationen die gesamte Computeranlage und das Zentralarchiv gleichzeitig.

Wie gewohnt zog der kleine Mann die Nase kraus und klärte Reuter genussvoll auf, dass die jungen Leute – und damit meinte er den atemlos schnaufenden Reporter – einfach am Leben vorbeigehen und überhaupt nichts mehr von ihrer Umgebung mitbekommen. Dann, auch dieses entsprach seiner Gewohnheit, ließ er hören, dass heutzutage keiner mehr in der Lage war, vernunftbegabt eine Zeitung zu machen. Schließlich ließ er sich aber doch dazu herab, Reuter eine Erklärung zu geben:

„Da war einmal ein merkwürdiges Ding. Zu wenig, um eine Story daraus zu stricken. Aber über Nacht war ein Finanzbeamter verschwunden. Einfach weg. Wie vom Erdboden. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Die Kameraden vom Finanzamt halten ja dicht wie die Eunuchen, die gemeinsam des Sultans Lieblingsfrau vergewaltigt haben. Trotzdem ist da nie etwas durchgedrungen von Unregelmäßigkeiten. Einfach unerklärlich. Auch die Vermisstenanzeige hat nichts gebracht. Der Typ hat sich in Luft aufgelöst.“.

„Hast Du eine Idee, was dahinter stecken könnte?“ wollte Reuter wissen.

Beppo ließ die schmalen Greisenschultern vibrieren. Das sollte eine Verneinung bedeuten.

„Ob der Kerl von irgendjemanden geschmiert worden ist? Der hat eine ordentliche Stange Geld in die Hand bekommen, damit er etwas übersieht, und dann – ab in die Sonne. Das könnte mir auch besser gefallen, irgendwo in der Karibik oder der Südsee hocken, die Weiber tanzen lassen. Das ist doch etwas anderes als hier in München Fleischermeister prüfen.“.

Beppo nahm seine Hornbrille ab, blies kurz den nicht vorhandenen Staub von den Gläsern, setzte das schwere Gestell wieder auf die spitze Nase und meinte trocken zu seinem Gegenüber:

„Weißt Du, Reuter, so wie Du heute stinkst, da lässt Dich noch nicht einmal eine Ziege ran, geschweige denn ein weibliches Wesen.“

Reuter machte eine wegwerfende Handbewegung. Im Umdrehen begriffen, warf er dem alten Mann über die Schulter zu: „Beppo, Du kannst mich mal...“

„Ne,“ gab dieser trocken zurück, „dafür bist Du mir zu dreckig.“

Jeder Reporter hat seine eigenen Quellen, über die er nicht gerne spricht. Auf Umwegen und mit einiger Mühe gelang es Reuter schließlich, die Adresse des Finanzbeamten ausfindig zu machen.

Er hatte seinen Führerschein schon vor langer Zeit abgeben müssen. Das störte aber nur wenig, denn in einer Stadt wie München, in der aus einem unerklärlichen Grund die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit und allen Plätzen nur in Massen auftreten, kann man sich ohnehin nur mit dem Taxi oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorwärts bewegen.

Reuter hatte keine Parkplatzsorgen, er konnte ungehindert Alkohol trinken, wann immer er es für richtig hielt, ohne an eine mögliche Heimfahrt hinter dem Steuer denken zu müssen, und preiswerter war es auch noch.

So hatte er den entgültigen Verlust seines Führerscheines auch nie als Belastung empfunden.

Mit der U-Bahn fuhr er in den Süden der Stadt und durchquerte nach dem Aussteigen rasch das kleine Einkaufszentrum in Neuperlach. Nach wenigen Metern durch den dahinterliegenden Grüngürtel steuerte er eines der uniformen Hochhäuser an, die das Gesicht dieses Stadtteil prägten.

Nachdem er sein Kommen an der Gegensprechanlage angekündigt hatte, empfing ihn eine Frau mittleren Alters im sechsten Obergeschoss.

Sie mag wohl etwa Ende Dreißig gewesen sein, war schlicht, aber sauber gekleidet und wirkte wie eine graue Maus, eines jener weiblichen Wesen, denen man begegnet und sofort wieder vergessen hat, wie sie aussehen.

Als Reuter den Fahrstuhl verließ, verschwand sie bei seinem Anblick fast vollständig hinter ihrer Haustür, ließ diese nur einen winzigen Spalt geöffnet und fragte mit leiser Stimme: „Ja, bitte?“.

Reuter erinnerte daran, dass sie miteinander telefoniert hatten. Er hielt ihren seinen abgegriffenen Presseausweis vor den schmalen Türspalt. Nur zögernd gab sie die Türöffnung frei und bat ihn herein.

Sie führte ihn in ein freundliches, aufgeräumtes Wohnzimmer. Die Wohnung, zumindest was Reuter davon mitbekommen hatte, war skandinavisch eingerichtet, alle Möbel schienen aus einem beliebten Großmarkt aus Europas Norden zu stammen.

Unaufgefordert ließ sich Reuter in einen Sessel fallen. Die Frau sah aus, als würde sie viel lieber mit einem Desinfektionsmittel hinter dem ihr offensichtlich unsympathischen Besucher hinterher jagen, notgedrungen nahm sie aber auf der am weitesten entfernten Sitzgelegenheit Platz.

Der Reporter kramte eine Zigarettenpackung hervor, doch bevor er umständlich eine der filterlosen Glimmstengel herausklopfen konnte, bat sie ihn mit ihrer dünnen Stimme: „Bitte nicht rauchen!“.

Die zerknüllte gelbe Packung verschwand mit einem begleitenden Brummlaut wieder in der Hosentasche.

Ohne lange Vorrede kam Reuter auf sein Anliegen zu sprechen. Er schob vor, eine Artikelserie über verschwundene Menschen schreiben zu wollen und interessiere sich besonders für die Gefühle und das Leben der Angehörigen.

Die graue Maus schluckte schwer. Sie hatte sich offensichtlich immer noch nicht mit der Situation abgefunden. Zaghaft fing sie an zu erzählen:

„Helmut, das ist mein Mann, hat sich an dem Tag, an dem er das letzte Mal unser Heim verließ, wie immer verhalten. Ich kann mich noch genau an diesen Morgen erinnern. Es war ein Tag wie jeder andere. Nichts unterschied sich von den Wochen und Monaten zuvor.

Wir hatten am Abend zuvor gemeinsam mit unserer Tochter gegessen, sie ist jetzt dreizehn Jahre,“ schob sie ein, „dann haben wir ein wenig fern gesehen, wie immer.“

Sie hatte ein Taschentuch in die Hand genommen und zerknüllte es nervös zwischen den Händen.

„Am darauf folgenden Morgen ist Helmut wie immer aufgestanden, hat seine Morgentoilette erledigt, das Frühstück vorbereitet und seine Pausenbrote geschmiert. Sie müssen nämlich wissen, dass Helmut sehr korrekt war. Er ist oft zum Essen eingeladen worden, hat es aber immer dankend abgelehnt. Er war Finanzbeamter aus Überzeugung, unbestechlich.“

Dieses Stichwort raubte Reute einen Teil seiner Illusionen. Nachdenklich sah er die graue Maus an. Bei der Frau und dem Mief, den dieses Leben hier ausstrahlte, wäre ich auch irgendwann geflüchtet, dachte er bei sich. Im nächsten Moment aber nahm er sich vor, bei passender Gelegenheit das unscheinbare weibliche Wesen anzugraben. Reuter lebte in dem Glauben, Frauen ohne offensichtliche feste Bindung wären dankbar, wenn sich gelegentlich ein Mann wie er ihrer Bedürfnisse annehmen würde.

Er stellte noch eine Reihe ergänzender Fragen, konnte der Frau aber keine weiteren spektakulären Informationen entlocken.

Das Bild, das sich ihm vom verschwundenen Finanzbeamten bot, war das eines korrekten, unbestechlichen Beamten, der seinen Ausgleich im beschaulichen Leben im Kreise seiner Familie fand, keine Laster hatte, nie den Versuch eines Ausbruchs unternommen hatte.

Der Mann muss das Denkmal eines Tugendboldes gewesen sein. Er rauchte nicht, er ging nie alleine aus, er ließ sich von seinen Kunden nicht einmal zum Essen einladen.
Mit Akribie war er seiner Arbeit nachgegangen und, so ergänzte seine Frau noch mit einem kleinen stolzen Glanz in ihren Augen, auch erfolgreich. Es war ihm wohl des öfteren gelungen, Recht und Gesetz durchzusetzen.

Reuter dachte sich seinen Teil. Er stellte sich einen bürokratischen Schnüffler vor, der pedantisch Zeile um Zeile in den Buchhaltungsunterlagen der geprüften Bürger abhakte und die Dinge kleinlich zu Ungunsten des Steuerzahlers auslegte. Mit einer solchen Kleinkariertheit war natürlich der Unmut der von ihm heimgesuchten kleinen Selbständigen wie dem Metzgermeister Hölzl vorprogrammiert.

Es ging sicher nicht um große Beträge, um Steuerverschiebungen gewaltigen Ausmaßes, sondern um Posten in der Steuererklärung, die interpretationswürdig waren, und die dieser Beamte allzu engstirnig zugunsten des Finanzamtes auslegte.

Aber das alles konnte nicht Grund genug sein, plötzlich und ohne jede Vorankündigung ins Nirwana zu verschwinden, abzutauchen ohne jedes Lebenszeichen zu hinterlassen. Solche Kleingeister tauchen nicht einfach ab, ohne ordnungsgemäß mit mehreren Durchschlägen der Nachwelt zu hinterlassen, wohin sie sich abgewandt haben und aus welchem Grunde.

Reuter warf einen mürrischen Blick in die Runde. Selbst, wenn der außergewöhnliche Fall eingetreten war, dass dieser Mensch einer Bestechung erlegen ist, so hätte er seiner Restfamilie ganz sicher Teile des Geldes zukommen lassen.

Die Frau war offensichtlich froh, als er sich verabschiedete und ging.

Reuter fuhr zurück in die Redaktion.

Der Lokalredakteur empfing ihn mit einem Schwall wüster Beschimpfungen, die ihn aber ungerührt ließen.

Reuter zitierte den Götz von Berlichingen und registrierte interessiert, dass ihn sein Gegenüber zwar ansah, mit ihm sprach, aber überhaupt nicht zuhörte.

Es war kein Gespräch zwischen den Beiden, sondern das Aufeinanderprallen zweier Monologe.

„....und dann sage ich Dir, Du sollst nicht soviel saufen....“ fühlte sich Reuter beschimpft.

„Ich habe einen bayerischen Arzt,“ entgegnete er dem Lokalredakteur, „der lässt bei seinen Generaluntersuchungen grundsätzlich die Leber außen vor.“

Von einem Augenblick zum nächsten war der Mann aber die geballte Aufmerksamkeit, als Reuter von seinem Besuch bei der Frau des verschwundenen Finanzbeamten berichtete.

In die Ausführungen hinein schüttelte er seinen unbehaarten Kopf und knurrte:

„Das ist zu wenig für eine Story. Niemand interessiert es, wenn eine traurige kleine Gestalt aus dem Finanzamt über Nacht spurlos verschwindet. Wenn Du darüber einen Artikel bringst, dann nur in der Spalte Kurioses und Vermischtes. Sicher bekommst Du dann viele Leserbriefe, die dazu auffordern, auch noch den Rest der Truppe in der Versenkung verschwinden zu lassen. Außerdem ist das Thema öde, abgehakt, ausgelutscht. Hast Du eine Ahnung, wie viele Menschen allein in München jährlich spurlos verschwinden, abtauchen, und nach einiger Zeit, manchmal aber auch nie wieder in Erscheinung treten? Dafür interessiert sich heute keiner mehr. Nimm doch einfach einmal die Obdachlosenszene. Die sind einfach weg, verreist, ins Loch gefallen, und kein Schwein kümmert sich darum. Manchmal sind sie einfach nur verjagt, oder hast Du schon einmal Bettler in Deiner Strasse in Schwabing gesehen?“

Damit drehte sich der Lokalredakteur um und wollte ohne weitere Anmerkungen entschwinden.

Reuter hielt ihn am Ärmel fest.

„Was ist mit den Bettlern?“

Der Glatzköpfige winkte ab, bequemte sich aber doch zu einer kurzen Erklärung:

„Wenn dort jemand auftaucht, wird er von den Geschäftsinhabern davongejagt, manchmal auch etwas handfester. Dein komischer Metzger hat sich da besonders hervorgetan. Gelegentlich hat er auch schon einmal eine Anzeige wegen Körperverletzung erhalten, weil er einen hartnäckigen Obdachlosen, der nicht schnurstracks diesen Teil der Stadt verlassen wollte, verprügelt hat. Aber alle Anzeigen sind im Sande verlaufen, die Opfer, eben Penner, waren später nicht mehr da, aus Angst weitergezogen, volltrunken unter der nächsten Brücke übernachtet, was weiß ich.... Eine Adresse, unter der man sie später noch einmal für ihre Zeugenaussagen hätte besuchen können, hat diese Landplage ja nicht.“

Damit war für den Lokalredakteur das Gespräch entgültig abgeschlossen.

Reuter bohrte sich gedankenverloren im Ohr und betrachtete anschließend minutenlang das Ergebnis, das er vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger zerrieb.

Merkwürdig, dachte er, der joviale Herr Hölzl, immer freundlich, nett, weißt im Verborgenen eine ganz andere Ader auf, wenn es wahr ist, was er eben gehört hatte. Prügelt auf Menschen ein, die aus welchem Grunde auch immer außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft lebten.

Reuter zuckte für sich selbst die Schultern.

Ein soziales Gewissen war ihm fremd, Mitleid empfand er keines. Für ihn war es eventuell nur der Aufhänger für eine Story. Das war sicher ein interessanter Ansatz, um einen zumindest im Stadtbezirk bekannten Geschäftsmann bloß zu stellen. Das lesen die Leute gern. Die Folgen wären zudem spannend zu beobachten. Mit etwas Glück würde sich ein solcher Artikel negativ auf das Geschäft des Mannes auswirken. Das würde Stoff für einen Fortsetzungsteil bieten.

Reuter empfand kein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass er womöglich an der Existenzgrundlage des Metzgermeisters kratzen würde. Ihm kam überhaupt nicht in den Sinn, dass er in diesem Punkt nicht einen Deut besser war als der kleingeistige Finanzbeamte, der ohne jedes Augenmaß zur vermeidlichen Durchsetzung seiner Auslegung von Steuergerechtigkeit die Lebensgrundlage eines Menschen angreift.

Unter dem Vorwand, dass ihn das Thema der ungerechtfertigten Steuerschätzung interessiere, vereinbarte Reuter einen Termin mit Metzgermeister Hölzl in den Abendstunden.

Er verfügte zwar über keinen besonders ausgeprägten Geruchssinn, aber die Penetranz, die von ihm selbst ausging, störte jetzt doch. Deshalb beschloss er, seine Wohnung aufzusuchen und die am Morgen unterlassenen hygienischen Maßnahmen einzuleiten.

Die Geschäfte hatten bereits geschlossen; auf den Straßen waren die letzten Passanten noch mit ihren Einkaufstüten auf den Weg gen heimischen Herd, um dort die Beute ihrer Streifzüge durch die Supermärkte und Boutiquen zu sichern.

Reuter überwand rasch die kurze Distanz zwischen seiner Wohnung und dem Laden von Meister Hölzl. Er fand den Namen des Metzgers an der Klingelleiste des Hauseinganges, der direkt neben dem Geschäft war. Kurz darauf sah er den massigen Mann durch den Laden kommen und die Tür öffnen.

Er ließ ihn hinein, verschloss sorgfältig wieder die Tür der Metzgerei und schlürfte in die hinteren Räume. Reuter folgte ihm.

Gleich hinter der Durchgangstür, die den Verkaufsbereich von den anderen Räumlichkeiten trennte, fand sich eine schmale, steile Treppe, die nach oben führte.

„Ich wohne direkt über dem Laden und habe eine direkte Verbindung von der Wohnung zum Geschäft“ erklärte Hölzl und erklomm schwer atmend die Stiege. Das altersschwache Holz knirschte kräftig unter dem Gewicht der beiden Männer.

Sie erreichten einen mit Linoleum ausgelegten schummrigen Flur, in dem es muffig roch.

Hölzl steuerte eine Tür an, durch deren Milchglasscheibe ein schwacher Lichtschein in den Flur drang. Es war das Wohnzimmer, das mit Möbeln im Stile der Dreißiger Jahre eingerichtet war. Es wirkte so auf Reuter, als würde jeden Moment Heinz Rühmann zu ihnen treten und behaupten, sein Name wäre Pfeiffer mit drei „f“.

Reuter nahm am runden Tisch platz, auf dem eine Spitzentischdecke lag. In der Mitte stand eine verzierte Vase mit einem Strauss Frühlingsblumen.

Etwas fehlte, bis Reuter einfiel, was es war. Es fehlte die Frau mit der akkuraten weißen Schürze und dem im Nacken geknoteten Dutt.

Folgerichtig fragte Reuter, noch bevor er Platz nahm: „Sie leben alleine?“

Hölzl nickte.

„Das habe ich mir nie angetan, das Heiraten. Wenn ich einmal das Bedürfnis nach einer Frau hatte, so wusste ich immer, was ich zu tun hatte.“ Dabei grinste er breit, warb im Gespräch unter Männern für Verständnis.

Reuter ließ es unbeantwortet im Raum stehen, nahm aber dankend das Angebot an, Bier und Obstler zu Verbesserung der Atmosphäre auf den Tisch zu stellen.

Sie tranken den Schnaps und zogen anschließend einen großen Schluck Weißbier in sich hinein.

Hölzl begann unaufgefordert über das Finanzamt zu schimpfen. Reuter ließ ihn gewähren.

Der Metzgermeister hatte soviel Munition gegen die Willkür der Behörde im Bauch, dass sie bei der dritten Flasche Weißbier und einigen Obstlern angekommen waren, als Reuter das Thema vorsichtig auf das Verschwinden des Finanzbeamten lenkte.

Hölzl nahm noch einen kräftigen Zug aus seinem Bierglas, wischte sich mit dem Hemdsärmel den Mund ab, und grinste Reuter an:

„Der Typ ist einfach nicht wiedergekommen. Ich habe ein ganzes Jahr nichts, absolut nichts, vom Finanzamt gehört. Natürlich bin ich nicht so bescheuert, selbst nachzufragen. Und jetzt ist ein anderer aufgetaucht und fängt ganz von vorne an.“

Das verstand Reuter nicht.

„Selbst wenn der vorherige Prüfer spurlos verschwunden ist, so gibt es doch eine Steuerakte.“

Der Mann im weißen Kittel machte eine wegwerfende Handbewegung und grinste schadenfroh.

„Die hatte er dabei, als er das letzte Mal hier war. Und dann hat ihn keiner mehr zu Gesicht bekommen. Inklusive der blöden Steuerakte....“ schob er grinsend hinterher.

Sie tranken noch eine Flasche Weißbier. Inzwischen wurde das Gespräch in einer alkoholgeschwängerten Lockerheit geführt.

Reuter lobte seinen Zechkumpanen ob der konsequenten Haltung und leitete die Unterhaltung vorsichtig auf das Thema Bettler und Hausierer über.

Der Metzger redete sich in Rage. Er beschimpfte die Leute als geschäftsschädigendes asoziales Pack, das in seinen Augen jegliche Existenzberechtigung in dieser bürgerlichen Wohngegend verloren habe. Und da sich die Verantwortlichen außer der großen Worte nicht um die Belange der kleinen Leute kümmern würden, hätte er die Sache selbst in die Hand genommen.

„Und wie?“ wollte Reuter wissen.

„Ich habe die Typen verjagt – ich habe denen unmissverständlich klar gemacht, dass hier kein Platz für Schnorrer und Herumtreiber ist.“

Er senkte die Stimme, als würde er zu einem Mitverschwörer reden.

„Und wenn einer renitent war, habe ich schon einmal handfest nachgeholfen.“

„Verprügelt?“

Der kräftige Mann trank erneut einen großen Schluck, bevor er antwortet.

„Da gehört nicht viel zu. Die Burschen haben ja keine Substanz mehr. Die musst Du nur leicht anpusten, dann fallen die von alleine um.“

„Und das hat bei diesen Leuten solchen Eindruck hinterlassen, dass sie es nicht ein zweites Mal versucht haben?“

In Hölzl´s Augen funkelte es böse.

„Natürlich gab es einige, die sich im Recht glaubten, die es erneut versucht haben. Wenn ich es gewahr geworden bin, dass sie trotz meiner mahnenden Worte nicht begreifen wollten, habe ich es denen sehr konkret vermittelt.“

Bei Reuter stellte sich langsam eine schwere Zunge ein.

„Und das war so nachhaltig, dass diese Männer dann nie wieder aufgetaucht sind?“

Trotz des nicht unerheblichen Alkohols, den beide mittlerweile genossen hatten, ging ein Ruck durch den massigen Körper des Metzgermeisters.

„Was soll das heißen?“ fragte er.

Reuter winkte scheinbar belanglos ab. „Nur so.“

„Ich habe nur für Recht und Ordnung gesorgt. Ich habe sauber gemacht.“

Reuter wurde mutig, er wollte jetzt konkreter auf sein eigentliches Thema hinaus, auf das merkwürdige Verschwinden von Menschen.

„Es ist eigentümlich, dass der Name Hölzl häufiger im Zusammenhang mit Menschen steht, die ab einen bestimmten Zeitpunkt einfach von der Bildfläche verschwunden sind.“

Der Metzgermeister war aufgesprungen. Wütend fuhr er mit den Armen in der Luft herum. Er erweckte den Eindruck, als würde er sich im nächsten Moment auf Reuter stürzen.

„Niemand wagt es, solche Unterstellungen in den Raum zu stellen.“

„Ich spreche nur von Tatsachen, von Fakten, die es durch schlüssige Erklärungen zu untermauern gilt. Da gibt es zwei Lösungen, entweder haben Sie mit dem Verschwinden dieser Menschen zu tun oder nicht. Und das möchte ich gerne herausfinden.“ gab Reuter nahezu ungerührt als Erklärung ab.

Hölzl stand jetzt vor ihm, packte ihn am Revers, zog ihn aus dem Sessel hoch, und schrie ihn an:

„Komm einmal mit, ich werde Dir etwas zeigen.....“




Es war wieder ein herrlicher Frühsommertag. Mit dem ersten zarten Lichtschimmer hatten die Vögel angefangen zu tirilieren, die Menschen bewegten sich leichtfüßiger als sonst durch die Strassen, der Himmel zeigte ein kräftiges Blau, keine Wolke war am Firmament zu sehen. Mit einem leuchtenden Farbfeuerwerk begrüßten die Frühjahrsblüher den neuen Tag.

Nur der Lokalredakteur lief wie angestochen durch die Räume der Zeitung. Er brüllte wie ein Stier, tobte, schrie und stampfte jeden, der ihm auf Sichtweite zu nahe kam, in den Erdboden.

„Wo bleibt dieser verdammte Idiot von Reuter?“ blökte er eine junge Mitarbeiterin an, der es nicht gelungen war, rechtzeitig einen ausreichend großen Bogen um den explodierenden Choleriker zu machen.

Hilflos zuckte das eingeschüchterte Mädchen die Schultern.

„Keine Ahnung. Wir haben ihn seit über einer Woche nicht mehr gesehen. Er ist telefonisch weder zu Hause noch per Handy erreichbar. Wie vom Erdboden verschluckt. Einfach abgetaucht.“

Der Lokalredakteur stapfte zornbebend weiter. „Wenn ich den Kerl erwische, der ist gefeuert, der kann sehen, wo der bleibt, den jage ich dorthin, wo der Pfeffer wächst.....“

Mehr bekam das junge Mädchen von der Schimpftirade des Lokalredakteurs nicht mehr mit, weil dieser um die nächste Flurecke entschwunden war.

Es war wirklich ein wunderschöner Frühsommertag.

Metzgermeister Hölzl hielt mit einem freundlichen Lächeln der alten Dame die Tür auf, als diese das Geschäft verließ.

Freudig mit dem Schwanz wedelnd kam der kleine Mischling auf sie zu und wedelte heftig mit dem Stummelschwänzchen.

Sie beugte sich zu ihm nieder, streichelte ihm über den Kopf und sagte mit zarter Stimme zu ihrem Hund:

„Da wird sich mein Teddy aber freuen. Der nette Meister Hölzl hat wieder eine neue Partie deiner Lieblingsmahlzeit zubereitet. Ich habe dir auch zwei neue Dosen mitgebracht. Das wird ein Festmahl für meinen kleinen Liebling.....“
 
Hallo Phantom,

vielen Dank für die ausführliche Kritik und die damit verbundene Mühe.

Wenn man auf die Ausdrucksfehler aufmerksam gemacht wird, ist man sehr irritiert. Ich hätte mein eigenes Werk noch einige weitere Male Korrektur lesen können, ohne sie selbst zu bemerken. Allerdings wäre mir die Berliner Besonderheit "des" Weddings immer noch verschlossen geblieben.

Der Protagonist ist eine negative Figur, die durch äußeres Erscheinungsbild und Auftreten Antipathie erzeugt. Je nach persönlicher Anschauung gibt es sicher einige Passagen, an denen Normals schlucken und laut "iiih" sagen. Dazu gehört sicher auch das Popeln im Ohr. Deshalb, so glaube ich, ist auch niemand entrüstet über das Ende. Und wenn dann gleichzeitig auch noch ein Finanzbeamter "eingemacht" wird, erhöht das nicht unsere Trauer.

Mich hat übrigens auch die Kenntnis um das Geheimnis von Meister Hölzl nicht daran gehindert, während meiner Münchener Zeit meine Fleisch- und Wurtswaren weiterhin aus diesem Fachgeschäft zu beziehen...

Eine etwas längere Geschichte hat es natürlich schwerer, sich gegen kurze und knackige Stories zu behaupten. So werde ich Deine Anregung zum Kürzen aufgreifen und mich einmal im gerechteren Verteilen der Spannungsmomente üben.

Mir bleibt zu guter Letzt die Selbsterkenntnis, dass es noch ein sehr langer Weg bis zum Niveau einer Agatha Christie ist und auf dieser Strecke noch sehr, sehr viele Schuhe zu besohlen sind.

Mit einem fröhlichen Danke
Hannes
 
P

Phantom

Gast
na ja, Agatha Christie würde ich wohl nicht als "Ziel" anstreben, die hat ja vor vierzig Jahren gute Krimis geschrieben, doch ihre gleichen sich auf's Haar... eher die Norweger, Schweden (Mankell, Fossum, Holt, Nesser, Marklund, Lindell...), Deutschland muß sich mal wieder als "Krimiland" hervortun... wir müssen uns den Titel von den Nordischen Ländern zurückholen!!! :)

Gruß Phantom

P.S.: Lies doch mal bei Bedarf "Das Lächeln" von mir... da hab ich auch einen "Antihelden" geschaffen, ihn aber auf ganz andere Weise negativ dargestellt... Die Story wurde sogar von einer anderen Literaturhomepage abgelehnt, "aus naheliegenden Gründen"... so "brisant" war sie ...
 

Tekky

Mitglied
ich meine schon mal einen Krimi gelesen zu haben, in der ein Mann verschwand und es sich später herausstellte, daß er zu Lammbraten o.ä. verarbeitet worden war. Insofern fand ich das Ende etwas enttäuschend und irgendwie auch hervorsehbar. Aber Deine Story lebt von der bilfhaften Darstellung der Charaktere - ich konnte beim Lesen diesen Reuter fast schon riechen . Und Dein Schreibstil gefällt mir gut.

Abgesehen von den kleinen 'Versehen', die Phantom aufgeführt hat, ist mir noch folgender Satz aufgefallen:

Freudig mit dem Schwanz wedelnd kam der kleine Mischling auf sie zu und wedelte heftig mit dem Stummelschwänzchen
Gruss
 
Against Scandinavia

Hallo Phantom,

na, dann wollen wir einmal anfangen, den Nordmännern das
Fürchten beizubringen...

Ved venligst hilsen fra den gamle tysk
Hannes (Nygaard)
 
Hi Tekky,

leider ist es nicht auszuschließen, dass "irgendwo" "irgendwer" schon einmal etwas geschrieben hat... Es wäre natürlich schön, wenn man auf etwas wirklich Neues käme. Aber, das soll uns nicht die Freude am Fabulieren nehmen.

Tja, und wenn Du den Reuter riechen konntest, so hoffe ich , dass Du wenigstens bei leicht geöffnetem Fenster gelesen hast. Etwas anderes hätte ich Dir nicht antun wollen.

Vielen Dank auch für Deinen Hinweis zu der einen Formulierung. Das klingt ja wirklich so, als würde der Hund versuchen, sich selbst in den Schwanz zu beissen.

Mit einem fröhlichen Gruß aus Münster
Hannes
 



 
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