Der Maler

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rainleser

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Der Maler

„Manchmal tun wir das, was wir tun wollen nicht, damit die anderen nicht bemerken, was wir tun wollen.“
Dieser Spruch ging ihm nicht aus dem Sinn. Wahrscheinlich deshalb, weil er ihn zweimal lesen musste um den Sinn zu verstehen. Dadurch erschien ihm dieser Spruch tiefsinniger als er tatsächlich war. Er hatte diesen Spruch unterhalb eines Bildes gesehen, das im Museum seiner Heimatstadt hing. Das Bild nannte sich „Bild in Schwarz“. Er ging selten ins Museum, doch einmal im Jahr gab es die Veranstaltung „Nacht der Kunst“. Alle Galerien und Museen in seiner Heimatstadt waren bis Mitternacht geöffnet. Da ging er dann schon mal mit seiner Frau hin, die mehr Interesse an Kunst hatte als er.
Tja, und da hatte er dieses Bild gesehen mit dem Spruch darunter. Das Bild war einfach nur schwarz. Schwarze Ölfarbe war dick auf die Leinwand aufgetragen. Als Künstler war der Name „Dormitian“ eingetragen.
Der Name kam ihm bekannt vor. Den hatte er irgendwo schon einmal gehört, konnte ihn aber nicht zuordnen.
Er saß auf seinem Bett und starrte vor sich hin. Karg eingerichtet hatte er sein Zimmer. Bett, Schrank, Nachttisch, ein kleiner Tisch, ein Stuhl. Merkwürdig dachte er. Wirkte irgendwie wie eine Zelle im Gefängnis. Was hatte ihn denn da geritten?
Der Nebel in seinem Hirn wollte sich lichten … doch seine Gedanken ließen sich nicht festhalten. Sie verschwanden.
Seine Frau kam ins Zimmer. Sie brachte ihm Besteck und sein Essen. Das machte sie schon seit einiger Zeit so. Das Essen war gut, kein Zweifel, doch wo hatte sie es gekocht? Er konnte sich nicht erinnern, wie ihre gemeinsame Küche aussah. Doch bevor er den Gedanken weiterverfolgen konnte, war auch er verschwunden.
Was war nur los? War er krank?
„Claudia“, sprach er seine Frau an. „Was ist los mit mir? Bin ich krank? Ich weiß überhaupt nicht, was ist. Mir kommt alles so fremd vor.“
„Ist schon alles in Ordnung“, entgegnete seine Frau. „Das Essen wird kalt.“
Es lag Nachdruck in dem Satz. Also nahm er das Besteck und begann zu essen. Was war das eigentlich auf dem Teller? Eine breiige, gelbliche Masse, etwas grünes Schmieriges und etwas mit einem gelben Fleck in der Mitte. Was sollte er eigentlich damit?
Er nahm die Gabel und verrührte alles auf dem Teller, bis eine undefinierbare Farbe entstand und sich ein breiiger Klumpen bildete. Dann griff er in die Masse, nahm einen seiner Pinsel und begann die Farbe gleichmäßig auf der Leinwand zu verteilen. Er schwelgte in einer Orgie aus Rot, Gelb, Grün und Blau …
Plötzlich öffnete sich die Tür, seine Frau trat ein und schimpfte lautstark mit ihm. Er verstand nicht ein Wort. Ein Schwall unverständlicher Silben schlug ihm entgegen. Seine Frau drehte sich herum und schlug die Tür zu.
Kaum war sie aus der Tür, hatte er sie schon vergessen. Er setzte sich auf den Stuhl und schaute sein neustes Werk an. Das Bild gefiel ihm. Er fand, dass ihm diesmal wirklich eine starke Farbkomposition gelungen war.

Schwester Gerda trat ins Dienstzimmer der Station. Die Stationsärztin brütete gerade über einem Stapel Akten.
„Was ist los?“ Die Ärztin schien die Erregung der Krankenschwester zu spüren.
„Na ja, Herr Meßmer. Er hat mich wieder für seine Frau gehalten und nichts gegessen. Er hat das Essen an die Tapete geschmiert. Ich werde gleich eine der Putzfrauen hinschicken, um sauber zu machen.“
„Er hat sein Essen an die Wand geschmiert? Wie erklären Sie sich dieses Verhalten?“ Die Ärztin schaute interessiert.
„Ich glaube es hängt mit dem gestrigen Besuch im Stadtmuseum zusammen. Ich hatte gestern mit meiner Betreuungsgruppe unseren wöchentlichen Ausflugstag. Herr Meßmer gehört ja jetzt auch dazu. Ich dachte es wäre vielleicht eine gute Sache, wenn wir im Museum einige seiner Bilder betrachten. Es gibt ja dort einen Extraraum in dem nur seine Bilder ausgestellt sind. Er ist immerhin ein berühmter Sohn unserer Stadt.“
„Hat er sich denn zu den Bildern geäußert?“, wollte die Ärztin wissen.
„Nein. Nur eines der Bilder hat er länger angeschaut. Ein Bild, das nur eine schwarze Fläche zeigte. Mit meiner Frage ob er das Bild kennt konnte er aber nichts anfangen.“
„Ich denke ich sollte mal mit seiner Frau darüber reden. Mich würde ihre Meinung zu diesem Vorfall interessieren. Vielleicht war es nicht so gut Herrn Meßmer mit seinen Werken zu konfrontieren.“

Zwei Tage später saßen sich die Ärztin und Claudia Meßmer im Arztzimmer gegenüber. Die Ärztin hatte die Situation geschildert und auch das Bild erwähnt das Claudias Meßmers Mann so sehr interessiert hatte.
Claudia Meßmer war ihre Betroffenheit anzusehen. Sie sagte: „Ihre Schilderung, dass mein Mann sein Essen an die Wand geschmiert hat, erschreckt mich. Die Alzheimer-Demenz scheint doch schneller fortzuschreiten, als ich dachte. Es tut mir sehr weh, von meinem Mann so berichten zu hören. Wahrscheinlich war es keine gute Idee, ihm seine Bilder zu zeigen. Wer weiß, was das in ihm ausgelöst hat. Das schwarze Bild hat für meinen Mann eine besondere Bedeutung.“
Sie erzählte der Ärztin, dass ihr Mann erst sehr spät zum Malen gekommen sei. Dies habe an seiner Familie gelegen, in der jede künstlerische Tätigkeit nicht ernst genommen wurde.
Um sich seiner Familie gegenüber nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, hatte ihr Mann seinen Wunsch zu malen Jahrzehnte unterdrückt. Erst nach dem Tod seiner Eltern begann er mit dem Malen. Seine kraftvollen, ausdrucksstarken Bilder wurden schnell weltweit bekannt. Ihr Mann erkannte dadurch, welche kreative Kraft er besaß. Dies brachte ihm leider aber auch die Erkenntnis, dass er wertvolle Zeit vergeudet hatte, die nun für seine Kunst verloren war.
Claudia Meßmer stockte, sie musste ihre Rede kurz unterbrechen. Dann begann sie, erneut zu sprechen. „Die Folge war eine schwere Depression. In dieser Zeit entstand auch das Werk „Bild in Schwarz“. Sie werden jetzt sicher verstehen, wieso mein Mann dieses Bild mit diesem ellenlangen Untertitel „Manchmal tun wir das, was wir tun wollen nicht, damit die anderen nicht bemerken, was wir tun wollen“ versehen hat.
„Ich verstehe“, sagte die Ärztin. „Frau Meßmer, ich glaube jetzt tatsächlich, dass wir Ihrem Mann keinen Gefallen mit dem Museumsbesuch getan haben. Ich denke wir sollten solche Aktionen nicht mehr mit ihm durchführen. Sie selbst deuteten das ja auch schon an. Was meinen Sie?“
„Ich bin der gleichen Meinung. Ich glaube, dass wir so das Leid meines Mannes nur vergrößern. Das möchte ich ihm gern ersparen.“

Museumsbesuche und ähnliche Aktivitäten wurden von Klaus Meßmers Therapieplan gestrichen. Er hat nie wieder sein Essen an die Wände geschmiert. Ein echter Therapieerfolg.
Für Klaus Meßmer aber oder „Dormitian“, wie er in der Künstlerwelt genannt wurde, gab es keine Orgien mehr aus Rot, Gelb, Grün und Blau …
 

Raina

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Hallo rainleser,
Dein Text hat mich sehr berührt, denn er zeigt anschaulich, dass das, was wir für richtig halten, nicht unbedingt richtig sein muss, so wie am Beispiel des Malers. Aus Sicht der Ärzte hat man einen Erfolg erzielt, dem Patienten, der trotz Alzheimer, immer noch ein fühlender Mensch ist vielleicht eine seiner letzten Freuden genommen.
Besonders gut gefällt mir der Wechsel der Perspektive, einmal die Sicht des Malers und zum Anderen die Sicht seiner Betreuer.
Gern gelesen!

LG
Raina
 



 
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