Der Mann und die Raupe

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Vera-Lena

Mitglied
Der Mann und die Raupe

Der Weise sitzt in seinem Zimmer
umschäumt von der Erkenntnis Glimmer.
Er legt behutsam auf die Waage
die altbekannte Menschenfrage
vom Sein, von Gott und von der Welt.
Doch wurde er nicht einbestellt
von hohen Wesen, Lichtgestalten,
die Wahres in den Händen halten.

Er sann und sehnte sich nach Licht,
bekam die klare Antwort nicht.
Dann sprach er: "Herr, ich seh es ein,
ich kann nun mal kein Weiser sein."
Da kam ein Räuplein angeschlichen,
ist über seinen Zeh gestrichen,
der Weise setzt es auf ein Blatt,
damit es eine Nahrung hat.

Die Raupe sprach: "Du guter Mann,
schau einfach nur dein Herze an,
wie hast du mit mir mitgelitten;
um eine Antwort noch zu bitten,
tut nicht mehr Not, die Liebestat
ist einer Antwort schon die Saat.
Zufrieden war der Weise dort
und dankte Gott für dieses Wort.
 
S

suzah

Gast
hallo liebe vera-lena,

ich bin immer erstaunt, was dir so ganz nebenbei einfällt, das ist ja wieder sehr schön und gefällt mir gut.
da ich eine "antwort" in den bewußten thread aus unerfindlichen gründen nicht reinbekam, suchte ich dich hier.

liebe grüße suzah
 
H

Heidrun D.

Gast
Oft ist es in deinen Scherzgedichten (?!) ja so, liebe Vera-Lena, dass du ganz zum Schluss mit einer zündenden Pointe aufwartest. Doch hier ist die Sache umgekehrt aufgerollt: *lächel
Der Weise sitzt in seinem Zimmer
umschäumt von der Erkenntnis Glimmer.
ist ein ganz köstlicher Einstieg und gibt manch wertvollen Hinweis. ;)

Schmunzelnde Grüße
Heidrun
 

MarenS

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

ein feiner Einfall, dieses Gedicht. Ich hadere ein wenig mit den Wechseln zwischen neun- und achtsilbigen Zeilen. Da sich mir kein Sinn darin erschließt gerate ich auch immer beim Lesen ins Holpern. Das finde ich sehr schade.

Liebe Grüße von Maren
 
Hallo Vera Lena,

es hatte mal vor langer Zeit
der Herre Faust den inn'ren Streit.
Er wollte Lebensfragen lösen
und nicht so in den Tag reindösen,
doch kam da nicht ein Räupelein,
der Teufel selbst kam zu ihm rein.

Ich bewundere immer deine Einfälle.

Viele Grüße
Marie-Luise
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo, Ihr Lieben,

Euch Allen meinen Dank für Eure freundlichen Antworten! :)

Liebe Maren,

bei längeren Texten ist es nicht ungewöhnlich, dass die Silbenzahl, wenn die Schluss-Silbe entweder betont oder unbetont ist, entsprechend wechelt. Für mein Empfinden ist das mit keinem Stolperer verbunden. Du kannst das in jeder Ballade genauso vorfinden bei sämtlichen deutschen Lyrikern, angefangen bei Goethe usw.

Liebe Marie-Luise,

Der Faust steht doch sehr oft in Deiner Nähe. Das ist mir schon mehrmals aufgefallen. ;)

Liebe Heidrun,

Der Einstieg war hier in der Tat wichtig, damit man mit seinem Lesen sofort auf das richtige "Gleis" kommt.

Liebe suzah

es freut mich, dass Du mich hier wiedergefunden hast.

Euch Allen herzliche Grüße
Vera-Lena
 

MarenS

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

dann muss ich mich wohl damit arangieren. Ich bin aber auch eine Meckerziege!

...grinst Maren
 

MuusTri

Mitglied
Ja, Vera-Lena,

interessantes Bild,

aber irgendwie auch sehr brav klischeehaft.

Ich habe am Ende irgendwie noch das gewisse Etwas, den Zucker im Tee, den Pfeffer am Chili, weißt schon, vermisst.

Der Weise müsste statt

"Zufrieden (dort) [zu sein]"

irgendetwas geheimnisvolles machen, mit dem keiner rechnet und über dass sich tausende deiner Leser (^^) den Kopf zerbrechen.

Oder aber, du lässt es so, wie es ist, und dann ist es ja auch eine gute Geschichte.

Gruß,
Tristan
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Vera-Lena,

ich habe zwar so meine persönlichen Schwierigkeiten mit spirituellen Sachen, aber Deine kleine Raupe gefällt mir ganz gut. Hoffen wir mal auf einen prächtigen Schmetterling (das ist ja schon Wunder genug).
Einen kleinen Veränderungsvorschlag hätte ich trotzdem anzubringen:

Dann sprach er: "Herr, ich seh es ein,
ich kann [strike]nun mal[/strike] [blue]wohl doch[/blue] kein Weiser sein."
Da wäre zwar der Zweifel, aber die Hoffnung bliebe.

Viele Grüße

Sta.tor
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Tristan,

nach meinem Verständnis ist die Zufriedenheit eine ganz große Sache und zwar nicht erst, wenn man Weisheit erlangt hat, sondern für jeden Menschen. Das klingt so schlicht hier in diesem Text, aber es ist etwas Außergewöhnliches.
Der Mann war so voller Sehnsucht, ist dann geradezu in ein schwarzes Loch, in eine tiefe Verzweiflung gefallen. Als er nun doch eine Antwort erhielt, war er nicht "aus dem Häuschen", sondern da er ein Weiser war, war er einfach erfüllt von Dankbarkeit und diese Dankbarkeit brachte ihm auch eine tiefe Zufriedenheit, einen inneren Frieden mit sich selbst und mit allem um ihn herum.

Für mein Verständnis ist das ausreichend "Knalleffekt" für diesen Text.

Der Weise war nicht zufrieden, weil er "dort war", das hast Du etwas missverständlich gelesen, sondern weil er die ersehnte Atwort auf einem Wege erhalten hatte, den er sich gar nicht vorstellen konnte.

Danke für : "Interssantes Bild und gute Geschichte". Auch ich höre ein lobendes Wort immer gern und danke für Deine Beschäftigung mit diesem Text.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Sta.tor,

ich bin wirklich gerührt, wie Du mit meinem "Weisen" mitfühlst,
dass Du ihm die Hoffnung belassen willst.

Du hast genauso Recht damit wie Du damit auch Unrecht hast, und das macht die Sache für mich jetzt schwierig, ob ich Deinen Änderungsvorschlag annehmen soll, was ich natürlich könnte, denn auch er trifft den Kern der Sache.

Als der Mann auf seine sehlichen Frage keine Antwort erhielt, war er zuerst wie vernichtet. So steht es jetzt da.

Aber natürlich hat er nicht aufgehört, weiter zu fragen, sagen wir mal nach einer halben Stunde, fing er schon wieder an, denn einmal Sehnsucht nach Wahrheit, immer Sehnsucht nach Wahrheit. Insofern ist natürlich auch die Hoffnung in ihm wieder aufgestiegen.

Was soll ich jetzt machen?

Meine Version zeigt den Mann inmitten seiner Verzweiflung. Deine Version zeigt den Mann eine halbe Stunde später, als er wieder Hoffnung schöpft.

Weißt DU, die Raupe hat sich ja auch seiner erbarmt, also jetzt natürlich nicht bewusst, aber sie musste unbedingt zu diesem Zeitpunkt über seinen Zeh wandern. Und er hat sich nun wiederum der Raupe erbarmt, weil er das immer so macht. Das hätte er auch noch innerhalb der Verzweiflung getan, denn er hat nun mal ein großes Herz.

Ach, ich weiß nicht, was ich machen soll, grübel...

Danke, lieber Sta.tor, über Deine Antwort habe ich mich sehr gefreut. :)

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

tjaaa, hätte Faust auch eine solche Raupe gehabt hätte er sich das Ganze Hin-und-Her mit Mephistopheles sparen können. Oder auch nicht? Dein Gedicht erweckt bei mir eine große Sehnsucht danach, an die "Liebestat" glauben zu können, aber letztendlich ist der "altruistische" Hilfsreflex eben nur ein Reflex, bei Mensch wie bei Tier. Oder auch wieder nicht? Schopenhauer fand ja auch, dass Mitleid die (ethische) Antwort ist. Auf jeden Fall ist das Thema deines Gedicht natürlich nicht neu, aber immer sehr aktuell. Wobei ich an der Stelle des Weisen nach der Bemerkung der Raupe mir nur noch mehr den Kopf zerbrochen und noch mehr gezweifelt hätte... ;)

Die Form gefällt mir - wie bei dir ja immer :) - sehr gut, nur ein paar Anmerkungen hab ich:
Der Weise sitzt in seinem Zimmer
umschäumt von der Erkenntnis Glimmer.
Ich finde wie Heidrun: Starker Einstieg! Nur schade, dass du das Bild nicht wieder aufgreifst. Als Idee vielleicht:
Er sann und sehnte sich nach Licht,
bekam die klare Antwort nicht.
Das gefällt mir nicht besonders (weil es ja eigentlich "bekam keine klare Antwort" heißen müsste). Vielleicht an dieser Stelle lieber:
Er sann und sehnte sich nach Licht,
doch eine Antwort zündet nicht.
Dann macht auch der Einstieg mehr Sinn: Der "Glimmer" der Erkenntniss ist zwar da, aber eben nicht greifbar, weil nicht voll entfacht, kein zündendes Feuer, sondern eben nur Glimmer.

Ich unterstütze auch Stators Vorschlag: "nun mal" passt nicht damit zusammen, dass du den Weisen von Anfang an eben als Weisen bezeichnest. "wohl doch" ist besser.

"Herze" ist mir sogar für dieses Gedicht zu altmodisch ;)

Es fehlen die Gänsefüßchen oben.

Und:
Zufrieden war der Weise dort
Wo? ;)

Lg Julia
 

presque_rien

Mitglied
PS.: Ich las grade erst deine Antwort an Stator und möchte noch ein Argument für seine Version ins Feld rücken: "ich kann wohl doch nicht" drückt vor allem eins aus: dass man an einer Erwartung scheitert. im "doch" steckt implizit drin: "Es wurde zwar angenommen, dass x, aber nicht-x trifft zu". Vergleiche: "Es regnet wohl doch nicht" bedeutet: Man dachte, es wird regnen, aber die Erwartung wurde nicht erfüllt.

Insofern drückt es gerade die Verzweiflung des Weisen aus, wenn er - obgleich als "Weiser" tituliert - entgegen der Erwartung nicht "die Antwort" finden kann. "Auch wenn ich selbst oder ihr annahm(t), ich wär weise, bin ich es wohl doch nicht, ich bin also gescheitert".

Wohingegen "nun mal" für mich nicht verzweifelt, sondern achselzuckend klingt. "nun mal" unterstützt eine Erwartung. "Ich kann nun mal kein Weiser sein, das war und ist so, und jeder weiß das, was solls". Wenn der Weise eine solche Einstellung hätte, würde er ja gar nicht daran verzweifeln, keine Antwort zu finden, denn er "kann nun mal kein Weiser sein".

Soweit meine semantische Intuition...
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Julia,

danke für Deine Entscheidungshilfen!!! :)

Ich werde den Text jetzt an vier Stellen verändern, denn Du hast auch die vorherigen Anmerkungen von Tristan und von Sta.tor für mich transparenter werden lassen.

Ich hoffe, dass ich jetzt einen besseren Zusammenklang des ganzen Textes erreichen kann. Das "zündet" ist eine sehr guter Gedanke, den ich gerne übernehme.

Über den philosophischen, sprituellen Hintergrund könnte man sich noch lange unterhalten, auch mit Goethe natürlich(wenn das möglich wäre *Seufz*), dessen "Faust" ja die Entwicklungsgeschichte eines Eingeweihten, also eines Menschen mit seht hohen, umfangreichen Erkentnissen und Einsichten beschreibt. Schön, dass der "Faust" Dir jetzt eingefallen ist *lach*

Noch einmal Danke und ganz liebe Grüße!
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Der Mann und die Raupe

Der Weise sitzt in seinem Zimmer
umschäumt von der Erkenntnis Glimmer.
Er legt behutsam auf die Waage
die altbekannte Menschenfrage
vom Sein, von Gott und von der Welt.
Doch wurde er nicht einbestellt
von hohen Wesen, Lichtgestalten,
die Wahres in den Händen halten.

Er sann und sehnte sich nach Licht,
doch eine Antwort zündet nicht.
Dann sprach er: "Herr, ich seh es ein,
ich kann wohl doch kein Weiser sein."
Da kam ein Räuplein angeschlichen,
ist über seinen Zeh gestrichen,
der Weise setzt es auf ein Blatt,
damit es eine Nahrung hat.

Die Raupe sprach: "Du guter Mann,
schau einfach nur dein Herz dir an,
wie hast du mit mir mitgelitten;
um eine Antwort noch zu bitten,
tut nicht mehr Not, die Liebestat
ist einer Antwort schon die Saat.
Die Worte schenkten Trost dem Mann,
in Dankbarkeit nahm er sie an.
 

Vera-Lena

Mitglied
Der Mann und die Raupe

Der Weise sitzt in seinem Zimmer
umschäumt von der Erkenntnis Glimmer.
Er legt behutsam auf die Waage
die altbekannte Menschenfrage
vom Sein, von Gott und von der Welt.
Doch wurde er nicht einbestellt
von hohen Wesen, Lichtgestalten,
die Wahres in den Händen halten.

Er sann und sehnte sich nach Licht,
doch eine Antwort zündet nicht.
Dann sprach er: "Herr, ich seh es ein,
ich kann wohl doch kein Weiser sein."
Da kam ein Räuplein angeschlichen,
ist über seinen Zeh gestrichen,
der Weise setzt es auf ein Blatt,
damit es eine Nahrung hat.

Die Raupe sprach: "Du guter Mann,
schau einfach nur dein Herz dir an,
wie hast du mit mir mitgelitten;
um eine Antwort noch zu bitten,
tut nicht mehr Not, die Liebestat
ist einer Antwort schon die Saat."
Die Worte schenkten Trost dem Mann,
in Dankbarkeit nahm er sie an.
 



 
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