Der Morgen (gelöscht)

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G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo sternschwester!

Ich bewundere deine Fähigkeit, dich in die Seele eines Menschen hineinzuversetzen und seine Gefühle, seine Gedanken und seine körperlichen Empfindungen zu beschreiben. Wie du weißt, ist mein eigener Stil ein ganz anderer; vielleicht erfordert das Lesen deines Textes mir desgalb so viel Geduld und Ausdauer ab. (Über die vielen synonymen Adjektive haben wir ja schon einmal gesprochen).
Weit entfernt davon, dir irgendwelche klugen Ratschläge geben zu wollen, möchte ich dir doch etwas zu bedenken geben.
Dazu stelle dir bitte ein Gemälde vor. Von einem naturalistischen Maler, der sein Handwerk perfekt beherrscht und der akribisch jede Einzelheit seines Bildes ausarbeitet. Der Betrachter schaut es an und erkennt alles ganz genau. Er hat überhaupt keine Schwierigkeit, den Sinn und die Aussage des Bildes zu verstehen. Es ist nur ein einziger Blick nötig dazu. Und jetzt ein anderes Bild: ein expressionistisches oder abstraktes. Der Betrachter steht davor und wird herausgefordert. Er muss die Farben, die Kontraste, die Pinselführung auf sich wirken lassen, muss über Aussage und Wirkung des Gemäldes nachdenken, findet Gefallen daran oder fühlt sich provoziert ...

Vielleicht kannst du mit diesem Vergleich etwas anfangen?

Gruß, Hyazinthe
 

Ilona B

Mitglied
Hallo sternschwester,

Deine Geschichte ist sehr bewegend.
Die Verwirrung und die Angst von Nikolaj, alle Empfindungen die er bis zum Ende durchläuft, konnte ich deutlich nachempfinden.
Bei einigen Sätzen, muss ich Hyazinthe allerdings zustimmen.
Die vielen Adjektive überfordern mich etwas und haben dadurch meinen Lesefluss gestört. Als ob mein Gehirn erst einmal jedes einzelne Adjektiv analysiert und dann überlegt, wo genau der Unterschied zwischen ihnen besteht. Das lenkt ein wenig ab.
Z.B.
Da ist es wieder: das gewalttätige, fordernde, rücksichtslose, dröhnende Trommeln.
Gehetzt blickt er sich um, flackernde, zitternde, flimmernde Bilder vor Augen.
Aber er zwingt sich dazu, angestrengt, krampfhaft, verzweifelt, innerlich stöhnend, und er beißt sich auf die Unterlippe,
 
Hallo Hyazinthe,

ja, bei den Adjektiven muss ich besser aufpassen, das ist leider so eine Angewohnheit von mir. Beim Durchlesen und Überprüfen meiner eigenen Texte fällt es mir leider nicht immer auf, weil ich an komplizierte Texte gewöhnt bin.

Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, was Du mit deiner Andeutung naturalistisches Gemälde - expressionsistisches Gemälde sagen willst. Willst Du mir damit sagen, dass meine Geschichte wegen der naturalistischen Beschreibung plakativ geraten ist? Wenn ja, dann tut es mir leid, dass Du das so verstanden hast. Mein Gedanke dahinter war, dass diese Menschen, die sogenannten Opfer, in Geschichtsbüchern, wenn sie überhaupt vorkommen, dann nur als abstrakte Zahlen. Ich aber wollte in meiner Geschichte wenigstens einem dieser Menschen ein Gesicht geben und dem Leser die Möglichkeit, mit ihm mitzufühlen und seine Situation nachzuvollziehen. Denn zumindest bei mir ist das so, dass mich ein Thema nur dann beschäftigt, wenn es mich auch berührt.

Gruß,
sternschwester
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Guten Morgen, sternschwester!

Nein, ich meinte mit dem Vergleich eher, dass deine ausführliche Schilderung dem Leser nur wenig Raum lässt für eigene Phantasien.
Aber vielleicht sehen andere Leser das ganz anders.
Im Übrigen finde ich das Thema deiner Geschichte sehr wichtig und dein Anliegen, es durch die Sichtweise eines Betroffenen greifbar zu machen, absolut nachvollziehbar.

Gruß, Hyazinthe
 
A

aligaga

Gast
Mein Gedanke dahinter war, dass diese Menschen, die sogenannten Opfer, in Geschichtsbüchern, wenn sie überhaupt vorkommen, dann nur als abstrakte Zahlen. Ich aber wollte in meiner Geschichte wenigstens einem dieser Menschen ein Gesicht geben und dem Leser die Möglichkeit, mit ihm mitzufühlen und seine Situation nachzuvollziehen.
Es gibt wohl kaum ein Genre, das schriftstellerisch mehr ausgebeutet wurde und mehr ausgebeutet wird als Kriegsszenarien, Missetaten an Unschuldigen oder der Holocaust. Die Produktion so genannter "Betroffenheitsprosa" hat nachgerade Hochkonjunktur, und man hat sich daran gründlich abgelesen und abgesehen.

Wenn wir, so wie hier, mit nichts als den simplen Empfindungen konfrontiert werden, die immer vorherrschend sind, wenn's brutal zur Sache geht, und dabei zudem nichts als wortreiche Klischees Anwendung finden, statt eine eigene Sprache und eine eigene Sicht der Dinge, gerät's zum Kitsch, der nicht berührt, sondern nervt.

Tipp, @Sternschwester: Lies mal den "Totenwald" von Wiechert, etwas von Andersch oder meinetwegen "Im Westen nichts Neues" von Remarque. Oder den "Simplicius Simplicissimus", um zu erkennen, wie man menschliche Grausamkeit nicht bloß plakatieren, sondern so mit ihr umgehen kann, dass man begreift, was sie wirklich bedeutet.

Sonst bleibt's auf ewig bei der billigen Effekthascherei, die niemandem etwas einbringt - weder dem Leser noch der Autorin.

Gruß

aligaga
 
Hallo aligaga,

wenn dich das Genre Krieg, Holocaust etc. nervt, musst Du ja solche Geschichten nicht lesen! Das steht schließlich jedem frei, so etwas zu lesen oder nicht. Und es mag sein, dass dieses Thema bis zum Geht-nicht-mehr ausgelutscht ist, ich jedoch habe noch keinen direkten Text aus Sicht einer solcherart Person gelesen.

Und was deine Hinweise auf die Autoren betrifft: Remarque kenne ich sehr gut, ich habe viele Werke von ihm gelesen, nicht nur "Im Westen nichts Neues", genauso wie von Alfred Andersch.

Bei "Der Morgen" darf man aber nicht vergessen, dass dieser Text im Gegensatz zu Remarques Werken wie "Im Westen nichts Neues" oder "Zeit zu leben und Zeit zu sterben" eine Kurzgeschichte ist, ich musste mich also auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren und konnte hier nicht ausschweifende philosophische Überlegungen anstellen.

Gruß,
sternschwester
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sternschwester,

Deine Geschichte ist überzeugend. Ich würde nur ein paar Adjektive entfernen, weil viele doppelt gemoppelt sind. Und bitte im mittleren Teil einen oder zwei Absätze einbauen. Das erleichtert das Lesen und das Verständnis.

Ansonsten gilt: Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. (Karl Valentin). Also lasse Dich nicht beirren, über das Thema zu schreiben, das Dich bewegt.


LG DS
 
A

aligaga

Gast
wenn dich das Genre Krieg, Holocaust etc. nervt,
Bitte nicht so plump, @Sternschwester! Wenn du @alis Kommentar sorgfältig läsest, stelltest du fest, dass er weder den Krieg noch den Holocaust als "nervig" bezeichnet hat, sondern die billige Art, mit der sie immer wieder um der Effekthascherei willen missbraucht und verkitscht werden.

Dein Betroffenheitsstückerl ist ein Paradebeispiel dafür - es gibt nun mal nicht nur den zuckersüßen, sondern längst auch den sauren Kitsch.

Und es mag sein, dass dieses Thema bis zum Geht-nicht-mehr ausgelutscht ist, ich jedoch habe noch keinen direkten Text aus Sicht einer solcherart Person gelesen.
Es gibt neben der Flut billigster Betroffenheitsprosa sehr, sehr viele, tief bewegende Berichte von Zeitzeugen, @sternschwester. Blättere doch im "Tagebuch der Anne Frank" - das wär schon mal ein Anfang. Auch von Oskar Maria Graf gäbe es ein sehr lesenswertes Tagebuch: "Gelächter von außen". Da erfährt man ganz ohne Tschingderassa-Bumm, was der eine Mensch dem anderen anzutun imstande ist.

Glaub mir - das brächte dich weiter. So aber trittst du immer nur auf der Stelle herum.

Gruß

aligaga
 
Hallo aligaga,

wenn dir die Geschichte nicht gefällt, dann ist das dein gutes Recht, Literatur ist nun mal subjektiv.

Aber Du musst mir nicht alle Werke von Autoren aufzählen, die Du für gelungen hälst. Und die ich im Übrigen alle gelesen habe. Ja, ich kenne auch Anne Franks Tagebuch und die von Oskar Maria Graf. Aber ich muss und brauche sie nicht nachzuahmen.

Gruß,
sternschwester
 
A

aligaga

Gast
Von Oskar-Maria graf gibt's nur ein Tagebuch, @Sternschwester. Es reicht von 1918-1933. Nachahmen kannst du es nicht - es ist einmalig. Genauso wie Anne Franks Tagebuch.

Es sind dies auch keine "Aufzählungen" (es gäbe Massen!), sondern freundliche Hinweise. Du könntest daraus lernen, dass sich aus dem effekthascherischen, klischeehaften Persiflieren des Unglücks Dritter keine "Literatur" generieren lässt, sondern halt leider nur Betroffenheitskitsch.

Gruß

aligaga
 

FrankK

Mitglied
Hallo @sternschwester
Solche Texte wie dieser fallen mir nicht leicht.
Ich habe Schwierigkeiten damit, nicht nur wegen des Themas, sondern auch wegen der emotionalen Dichte, die mir als Leser keine Ausweichmöglichkeit gibt.

Thematisch habe ich Anfangs mit den üblichen Klischees gerechnet - Abtransport ins Lager, Arbeitseinsatz - dann dämmerte es mir: menschliche "Minensuchgeräte". War mir in dieser Form so noch nicht untergekommen.
Ich möchte mich, aus lauter "Übelkeit" heraus, auch gar nicht näher mit dem Thema beschäftigen.

Stilistisch gibt es nicht viel zu kritisieren, außer vielleicht die Masse an beschreibenden Eigenschaften, aber da arbeitest Du ja schon dran.

Formal gibt es ein paar allerwinzigste Stolpersteinchen bezüglich der drei "Auslassungspunkte". Solltest Du dir vielleicht auch noch einmal ansehen.
(Eine sehr gute Erklärung dazu findet sich im Wikipedia)

Strukturell ist der Text sehr dicht, für meinen Geschmack möglicherweise schon etwas zu dicht:
Die emotionalen Variationen kann ich in dieser gedrungenen Abfolge nur schwer verarbeiten. Während mein Gehirn noch an Emotion #5 herumkaut, lese ich schon Emotion #8.
Zwei / Drei Absätze mit Leerzeilen würden den Block aufreißen, mir als Leser eine Verschnaufpause gönnen, in denen ich die erfahrenen Empfindungen verarbeite. Zusätzlich würden die einzelnen Szenen klarer voneinander getrennt. Zu dicht gepackt könnte es passieren, dass mir als Leser einige Feinheiten verloren gingen.


"Betroffenheitsprosa" ist hier ein ziemlich negativ besetzter Begriff. Linguistisch gibt es dafür aber keine genaue Definition. Halt einfach nur ein "modisches Schlagwort".
Im Sinne von "Betroffen machende Prosa" muss ich sagen: Ja, dieses Stück macht mich betroffen. Und genau dies ist auch Sinn und Zweck. Die "Greueltaten" dürfen nicht in Vergessenheit geraten, egal, wie "ausgelutscht" manch einer dieses Thema findet.
"Kitschig" ist an diesem Werk mit Sicherheit nichts.

Also immer schön weiter den Finger auf die schwärenden Wunden legen.


Aufmunternde Grüße aus Westfalen
Frank
 
Hallo aligaga,

ich weiß nicht, warum, aber irgendwie scheinst du alles, auf was ich dir antworte, als Anfeindung zu verstehen. Und deine Kritik klingt in meinen Ohren richtig böse, dabei soll es doch hier im Forum darum gehen, Verbesserungtipps, -anregungen und -vorschläge zu geben. Mit diesem Text und meinen Antworten wollte ich dich schließlich nicht beleidgen, aber du sagst mir immer nur, dass meine Kurzgeschichte effekthascherisch, plakativ, kitschig usw. ist und nennst mir diese literarisch großartigen Werke, ohne mir aber genau zu sagen, was im einzelnen zu verbessern ist. Ich versuch doch nur zu verstehen, was du meinst, damit ich daraus lernen kann.

Übrigens: Danke an Frankk, Hyazinthe und Ilona für die konkreten und wirklich hilfreichen Tipps, Ratschläge und Anregungen!

Schöne Grüße,
sternschwester
 
Und übrigens noch etwas zu Erich Maria Remarque, einem meiner Lieblingsschriftsteller:

Ich habe seinen Roman Der Funke Leben gelesen. Darin schildert er ein deutsches Konzentrationslager im letzten Kriegsjahr. Für diesen Roman wurde der Autor heftigst kritisiert. Argumente wie: er sei nicht „dabei“ gewesen, er habe sein Land im Stich gelassen, weil er emigriert ist usw., wurden ihm an den Kopf geworfen, und er wurde als „Nestbeschmutzer“ beschimpft.

Remarque selbst hat den Roman auch im Angedenken an eine seiner Schwestern geschrieben, die hingerichtet wurde, weil sie die Vermutung geäußert hat, dass das Deutsche Reich den Krieg verlieren wird.

Ich persönlich finde, dass es ein sehr gut geschriebenes Werk ist und ich bewundere Remarque für seinen Mut, über die Menschen im Herzen der Hölle zu schreiben, und seine Fähigkeit, sich in sie hineinzuversetzen. In Geschehen sowie den Empfindungen, Gedanken und Handlungen der Personen im Roman unterscheidet er sich nicht von Zeitzeugenberichten, –schilderungen und -romanen. Hier ein paar Beispiele:

Die Nacht von Ellie Wiesel
Als Gott und die Welt schliefen von Otto Schwerdt
Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész
Das andere Leben von Solly Ganor
Drei Leben von Max Mannheimer
Sternkinder von Clara Asscher-Pinkhof


Ja, daneben gibt es noch sehr unmittelbare und sehr bewegende Zeitzeugenschilderungen und –romane wie z.B. Das Tagebuch der Anne Frank oder Oskar Maria Grafs Unruhe um einen Friedfertigen. Aber diese Werke geben keinen Einblick direkt ins Herz der Finsternis, in die Konzentrationslager.


Wie der Herausgeber von Remarques Werken richtig festgestellt und anerkennend hervorgehoben hat, war Remarque der einzige unter den deutschen Autoren wie z.B. Heinrich Böll, Alfred Andersch usw., der sich die Mühe gemacht hat, dieses schwierige und tabuisierte Thema wie den Holocaust direkt anzusprechen und zu beschreiben. Das wird auch daran deutlich, dass unter all den Werken, die ich hier genannt habe, Remarque der einzige ist, der es nicht selbst erlebt hat. Alle oben genannten Autoren sind Menschen jüdischen Glaubens, die deportiert wurden.


Gruß,
sternschwester
 
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