Der Musiker in der Unterführung

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Eve

Mitglied
Da sitzt er wieder, wendet mir den Rücken zu - noch. Sein Fuß wippt im Takt zu den Klängen, die er seiner Gitarre entlockt. Der Holzstuhl, auf dem er sitzt, ist klein – ein Schemel mehr – und schief. In der Unterführung ist es kalt und feucht, der Herbstwind drückt sich die Treppen hinab und tanzt durch den Tunnel, gezogen von einer unsichtbaren Spirale, wirbelt Papierfetzen auf. Der Musiker scheint nichts davon zu bemerken, oder er stört sich einfach nicht daran. Sein Körper wiegt sich hin und her, ich weiß, dass seine Augen jeden erfassen, der an ihm vorbei kommt. Und ich weiß auch, dass er lacht. Warum sitzt er nicht oben vor der Kirche? Da gibt es einen Mauervorsprung, der ihm als Schutz dienen könnte. Die Luft wäre sicherlich frischer dort. Und es gäbe eine andere Straßenseite, die ich wählen könnte, wenn ich mich verstecken wollte. Hier unten gibt es kein Ausweichen, der Gang ist zu schmal, um sich an seinen Wänden entlang zu drücken. Erhobenen Hauptes mitten durch, anders geht es nicht.

Der Musiker wippt immer noch mit dem Fuß zur Melodie seines Liedes, er hat eine Armeegrüne Wollmütze auf dem Kopf, die kurz über den Ohren schon wieder zu Ende ist. Er ist groß und hager, dennoch sieht er nicht merkwürdig aus auf seinem kleinen Stuhl – vielleicht, weil er die ganze Zeit über wippt und wiegt und lacht.

Was soll ich machen? Ich überlege, die Stufen hinter mir wieder hinauf zu gehen und oben über die vierspurige Straße zu rennen, wenn mir der Feierabend-Verkehr überhaupt eine Chance lässt. Man muss schnell sein für solche Manöver. Ein paar Sekunden liegen zwischen den beiden Ampelphasen, die um die Kurve schießende Autos in diesen Stadtteil ergießen.

Stattdessen laufe ich mit hochgeschlagenem Mantelkragen weiter in den Tunnel hinein, ist ja auch zu albern. Außerdem ist es nur ein Mann mit einer Gitarre, ein Mann, den ich nicht kenne. Als ich an seinem winzigen Stühlchen vorbei eile, spüre ich seinen Blick. Es sind auch andere Menschen unterwegs, kreuzen immer mal wieder seinen Weg, weil sie an ihm vorüber müssen. Ich schaue geradeaus, presse Hast und Unnahbarkeit in meinen Schritt.
"Aaaah, la Bella mit die schöne Lächeln ..."
Ich ignoriere ihn, aber er versteht diese Art Sprache nicht.
"Heute keine Lächeln? ... so schöne Haare, so schöne Hände, so schöne Füße ..."
Dazu die Musik von seiner Gitarre, ich muss lächeln, diese Sprache wiederum versteht er.
"Aaah, jetzt lacht sie ... so schöne Lachen ..."
Er schlägt ein paar überschäumende Akkorde, Leute, die mir entgegen kommen, schauen mich an, freundlich.

Im Grunde ist es doch ganz einfach, ein Lächeln zurück zu geben.
 

Odilo Plank

Mitglied
Hallo Eve,
Deine lebendige und kontrastreiche Menschendarstellung gefällt mir sehr gut!
Für mich ist sie ein Vorbild in dieser mir bisher wenig bekannten Textsorte.
Herzliche Grüße! Odilo
 

Eve

Mitglied
Hallo Odilo Plank,

vielen Dank für deine positive Rückmeldung ... es freut mich sehr, dass diese Momentaufnahme das rüberbringen konnte, was ich ausdrücken wollte! Die Kälte, fast schon Abweisung, untereinander, jeder zieht sich in sich zurück, will lieber Einsiedler sein, als sein Herz (und sein Auge) nur ein bisschen zu öffnen ... fiel mir so auf neulich auf der Straße ;-) (und oft kann man sich selbst nach einem nervigen Tag im Büro aus so einer Haltung auch nicht recht befreien ...).

Viele Grüße,
Eve
 

Balu

Mitglied
Anfang, Hauptteil, Schluss und Spannungsbogen und viel Raum zwischen den Zeilen. Und das in einem Stück Kurzprosa. Mir will sich der Begriff Kurz hier anders erschließen. Schade, dass es so kurz ist.

Sehr beeindruckte Grüße Dir
Balu der Bär
 

Eve

Mitglied
Hallo Balu,

ich freue mich sehr über deinen Kommentar :) vielen Dank! Es stimmt, fast hätte aus dieser "Begebenheit" auch eine Kurzgeschichte entstehen können - aber ich hatte mich dann doch für die kürzere Form entschieden, um die Flüchtigkeit zu betonen.

Und es ist ja das beste Kompliment, das man bekommen kann, wenn jemand es schade findet, dass der Text schon zu Ende ist (im positiven Sinne) ;-)

Viele Grüße,
Eve
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Eve,

wieder eins deiner Werke die man gern auch noch ein zweites und drittes Mal liest.

Lieben Gruß
Franka
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ja, ein gekonnter Text. Macht Spass! Zwei kleine Fragen: warum schreibst Du [red]A[/red]rmeegrün, es handelt sich doch um ein Adjektiv!?
Wieso liefern resp. (er-)gießen gleich zwei Ampelphasen Autos in den Stadtteil? Rollen die nicht nur im Falle der - einen - Grünphase?

lG

P.
 

Eve

Mitglied
@Penelopeia
es freut mich sehr, dass dir der Text gefällt ... mit dem armeegrün hast du wohl Recht - ich bin da manchmal etwas überfragt mit der neuen Rechtschreibung (in Bezug auf Verbindungen von Substantiven und Adjektiven) ... erst wollte ich Armee-grün schreiben, aber das wäre wohl noch schiefer gewesen – wird geändert, danke ;-)

Bei den Ampelphasen hast du mich erwischt: auf dieser Straße laufen zwei andere Straßen zusammen, eine kommt von einer Brücke schräg links (mit einer eigenen Spur), die andere kommt gerade von links (auch eine eigene Spur) – und die Ampeln dieser beiden "Zulieferer" sind gleichgeschaltet, d. h. es kommt ein ganzer Schwung auf einmal auf den Straßenabschnitt, den Fußgänger unter Einsatz ihres Lebens manchmal trotzdem überqueren (um eine halbe Minute Zeit zu sparen, um einem Lächeln entgehen zu können ...). Das kommt im Text aber wohl nicht so rüber – ich werde mir das noch mal durchlesen.

Viele Grüße,
Eve
 

Eve

Mitglied
Da sitzt er wieder, wendet mir den Rücken zu - noch. Sein Fuß wippt im Takt zu den Klängen, die er seiner Gitarre entlockt. Der Holzstuhl, auf dem er sitzt, ist klein – ein Schemel mehr – und schief. In der Unterführung ist es kalt und feucht, der Herbstwind drückt sich die Treppen hinab und tanzt durch den Tunnel, gezogen von einer unsichtbaren Spirale, wirbelt Papierfetzen auf. Der Musiker scheint nichts davon zu bemerken, oder er stört sich einfach nicht daran. Sein Körper wiegt sich hin und her, ich weiß, dass seine Augen jeden erfassen, der an ihm vorbei kommt. Und ich weiß auch, dass er lacht. Warum sitzt er nicht oben vor der Kirche? Da gibt es einen Mauervorsprung, der ihm als Schutz dienen könnte. Die Luft wäre sicherlich frischer dort. Und es gäbe eine andere Straßenseite, die ich wählen könnte, wenn ich mich verstecken wollte. Hier unten gibt es kein Ausweichen, der Gang ist zu schmal, um sich an seinen Wänden entlang zu drücken. Erhobenen Hauptes mitten durch, anders geht es nicht.

Der Musiker wippt immer noch mit dem Fuß zur Melodie seines Liedes, er hat eine armeegrüne Wollmütze auf dem Kopf, die kurz über den Ohren schon wieder zu Ende ist. Er ist groß und hager, dennoch sieht er nicht merkwürdig aus auf seinem kleinen Stuhl – vielleicht, weil er die ganze Zeit über wippt und wiegt und lacht.

Was soll ich machen? Ich überlege, die Stufen hinter mir wieder hinauf zu gehen und oben über die vierspurige Straße zu rennen, wenn mir der Feierabend-Verkehr überhaupt eine Chance lässt. Man muss schnell sein für solche Manöver. Ein paar Sekunden liegen zwischen den beiden Ampelphasen, die um die Kurve schießende Autos von gleich zwei anderen Straßen parallel in diesen Stadtteil ergießen.

Stattdessen laufe ich mit hochgeschlagenem Mantelkragen weiter in den Tunnel hinein, ist ja auch zu albern. Außerdem ist es nur ein Mann mit einer Gitarre, ein Mann, den ich nicht kenne. Als ich an seinem winzigen Stühlchen vorbei eile, spüre ich seinen Blick. Es sind auch andere Menschen unterwegs, kreuzen immer mal wieder seinen Weg, weil sie an ihm vorüber müssen. Ich schaue geradeaus, presse Hast und Unnahbarkeit in meinen Schritt.
"Aaaah, la Bella mit die schöne Lächeln ..."
Ich ignoriere ihn, aber er versteht diese Art Sprache nicht.
"Heute keine Lächeln? ... so schöne Haare, so schöne Hände, so schöne Füße ..."
Dazu die Musik von seiner Gitarre, ich muss lächeln, diese Sprache wiederum versteht er.
"Aaah, jetzt lacht sie ... so schöne Lachen ..."
Er schlägt ein paar überschäumende Akkorde, Leute, die mir entgegen kommen, schauen mich an, freundlich.

Im Grunde ist es doch ganz einfach, ein Lächeln zurück zu geben.
 



 
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