Der Panzer

2,00 Stern(e) 4 Bewertungen

mugwump

Mitglied
[ 4]Wer nicht die Robustheit hat zum Schriftsteller, wessen Schreibapparat ein fragiles Gebilde ist, leicht zerstörbar vom kleinsten Windhauch, wessen Genius gehätschelt und gepflegt werden muss, wer anfällig gegen die geringste Störung ist, wer beim Knattern eines vorüber fahrenden Autos bereits zusammenzuckt, wer mit eingesunkenen Schultern über sein Blatt gebeugt, beständig Menschen hinter sich herschleichen meint, wer durch Winzigkeiten aus der Bahn seines Schreibens geworfen werden kann, wessen Haut dünn ist wie Papier, durchlässig für alle Unbill dieser Welt, wessen Nerven beständig von der kleinsten Regung angegriffen werden, wer von Gesprächen am Nebentisch bis ins Mark erschüttert wird, der soll das Schreiben sein lassen.

[ 4]Du sollst gegen die Welt verschlossen sein wie ein Panzer und unbeirrt durch die Realitäten rollen.
 

klara

Mitglied
manchmal bekommt der Schrifsteller die Robustheit dadurch, weil er dünnhäutig ist, weil ihn ein Geschpräch von Nebenen noch erschüttern kann, weil er eben nicht zu einem "einsilbigen" werden will, wie in deinem "Membran"...
oder was meinst du?
klara
 

mugwump

Mitglied
Liebe Klara, Du hast recht. Natürlich hast Du recht. Aber wir sind manchmal müde und wünschen uns weg von uns und wären gerne nur noch ein stumpfer Aufzeichnungsapparat, etwas, das Schreiben kann, ohne das es ihm etwas ausmacht. Thomas Mann ist ein schönes, schlimmes Beispiel für so ein Textmonster, der seinem Werk alles einverleibte, und scheinbar gingen die schlimmsten Tragödien spurlos an ihm vorbei, ohne dass er dabei auch nur den Stift absetzen musste. Was wünschte ich mir manchmal einen solchen Magen, dass ich alles verdauen könnte, auch noch den schlimmsten Fraß. Aber ich fürchte, es gibt beide: Die großen Herzlosen, die nur auf dem Papier bluten können, und die grandiosen Mitleider, die das Klappern einer Tür im Nebenzimmer zu Tränen rührt - mir fällt Kafka ein und seine elendig langen Sentenzen über den Gang ins Büro und die damit verbundenen unendlichen Leiden. Aber am Ende sind nicht alle so harte Hunde wie Kafka, die sowas überleben und auch daraus noch Literatur produzieren können - wir Sterblichen sind zu oft unkonzentriert und fahrig und auf einen Kafka, der weiterschreibt kommen hunderttausend, die verstummen. Aber gell, auch wir haben manchmal unsere guten Tage und schreiben dann trotzdem noch das Eine oder Andere...

Viele Grüße
mugwump
 

Carlo Ihde

Mitglied
Liebes mugwump: du schreibst in der ersten Zeile "wer nicht die Robustheit hat zum Schriftsteller", die verwendest auf eine Weise den Begriff Schriftsteller als eine Bezeichnung, die viel von einer Berufung hat. Ich möchte aber anmerken, dass viele Schreibende, die mit Fug und Recht als Schriftsteller zu bezeichnen sind, nicht die Robustheit hatten, die sie laut deiner kleinen Dialektik aber hätten haben müssen, bevor man sie als Schriftsteller bezeichnete. Zum Beispiel Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Fing an zu schreiben, weil sie mit 18 einen Nervenzusammenbruch hatte und ein ganzes Jahr lang das Haus nicht mehr verlassen wollte. Die hatte ihre oberflächliche Robustheit auf einen Schlag verloren, und dann zum Schreiben gefunden. Sie konnte zwar nicht [blue]leben[/blue], aber sie konnte [blue]schreiben[/blue]. Verstehst du? Keine Robustheit zu haben, ist in meinen Augen immer ein Zustand, den man therapieren muss. Viele hat erst die Therapie durch das Schreiben wieder zum Leben zurück finden lassen. Mir sind solche Menschen lieb, die gerne in und mit der Literatur leben, und dadurch ein freieres Leben finden, das eben auch frei ist von solchen schwarz-weiß-Zeichnungen, wie dein Text. Sicherlich möchte ein selbstbewusster Jungschriftsteller immer alle Konkurrenz weit von sich schieben, notfalls durch den gut gemeinten Ratschlag an alle Schwachen, ja mit dem Schreiben aufzuhören. Es sind aber gerade die Schwachen gewesen, die ganz große Literatur gemacht haben, und diejenigen, die laut tönen, bewegen wenig, außer sich selbst. Manchmal sogar noch vergeblicher auf der selben Stelle hin und her.
 
C

Corto

Gast
Nein, ich glaube auch nicht alles, was ich lese.
Robustheit? Quatsch. Tom Clancy ist vielleicht "robust", Kant sicher nicht.
Panzer? Blödsinn. Dan Brown ist vielleicht so ein "Panzer", aber nicht Mann.
Ich habe den Text gelesen und gedacht: Schön formuliert, am Ende kommt der Clou. Aber er kam nicht.
Kein Problem. Dieser Text ist eine Provokation.
Du provozierst genau das Gegenteil von dem, was Du schreibst.
Oder auch nicht, je nach Leser.
Deswegen hätte ich mir eine klarere Aussage gewünscht.
Das wäre ehrlicher gewesen.
Oder ging es nur darum, den Frust über die eigene Unzulänglichkeit zum Ausdruck zu bringen? Dann wäre es ein schönes Selbstbildnis.
Gruß
Corto
 

mugwump

Mitglied
[ 4]Als ich Carlos Kommentare gelesen hab, dacht ich noch, aubacke, dass iss jetzt aber in die Hose gegangen. Als ich Cortos (wie in Südseeballade?!) Kommentar gelesen habe, war ich dann doch wieder etwas beruhigt. Was mir ein bisschen Nerven geht, ist der Umstand, dass hier oft ohne Umschweife über den Text auf den Autor geschlossen wird - und dann meistens falsch. Man muss schon mehrere Poetologien zulassen: Ich bin keiner, der sich um größtmöglich Authentizität im Schreiben bemüht. Ehrlichkeit und klare Aussagen sind was für Lebensbeichten, in der Literatur finde ich das meistens langweilig.

[ 4]Schön finde ich, wenn Texte anfangen zu schillern: Bin ich ein Panzer oder wäre ich gern ein Panzer? Zucke ich nervös zusammen, wenn in dem Mietshaus, in dem ich wohne, eine Tür geschlagen wird (eine ansonsten stille Mieterin im obersten Stockwerk hinter zumeist zugezogenen Gardinen - sie reichte mir schwach eine winzige Hand, als sie eingezogen war. Seitdem sah ich sie nur noch ihren Schatten um eine Ecke biegen, oder hörte ihre Trippelschritte im Flur...)? Ist es mir egal und ich hab sowieso immer Kopfhörer auf, wenn ich schreibe (Metallica, Kyuss, Rage Againt the Machine, Tool - ein aggressiver, wenn auch in den 90ern zurückgebliebener Musikgeschmack)?

[ 4]Der Zusammenhang zwischen dem, der schreibt, und dem, was geschrieben wird ist selten so eindeutig wie er hier gemacht wird - man kann Literatur nicht aus den Biographien der Schreibenden erklären - woher nehmt ihr bloss diese Spekulationen über einen Jungschriftsteller, der sich die Konkurrenz vom Leib halten will?! Ich bin ja nicht mal mehr jung...

[ 4]Und dann vielleicht noch ein Wort zu Thomas Mann: Ein Panzer ist eine Hülle, die ihren fragilen Einwohner vor dem Krieg schützen soll, der draußen tobt - und die selber Tod und Verderben in die Welt hineinträgt. Die Seitenlangen Elogen über seinen Toilette und die Art und Weise, wie er seine Familie für seine Kunst terrorisiert hat: Wenn Thomas Mann kein Panzer war, wer dann? Ist das erstrebenswert? Würde man wie Dr. Faustus einen Deal mit dem Teufel eingehen, um so schreiben zu können und sich dafür die Kälte eines Insektenforschers einhandeln? Ich weiß es nicht. Das winzige Panzer-Fragment weiß es auch nicht. Aber man wird ja wohl mal fragen dürfen, auch wenn man keine Antwort parat hat...


PS: Dan Brown muss ich jetzt auch mal in Schutz nehmen - natürlich bin ich neidisch auf Leute, die solche Sachen schreiben können. Hab seine Sachen verschlungen, meistens ohne Absetzen. War toll, würd ich jederzeit der Klavierspielerin vorziehen. Ich kann mir da auch tausend mal einreden, das ist nicht meine Art von Schreiben, aber letztlich bin ich manchmal natürlich einfach nur neidisch, weil er seine Bücher fertig kriegt, die Dinger mörder-spannend sind, und er damit ein Vermögen verdient. Vielleicht wird er im Pantheon nicht gerade einen Stuhl neben Shakespeare kriegen, aber jeder, der mal durch die Tagebücher von z.B. Musil geblättert hat, muss einsehen, was für eine überflüssige und traurige Angelegenheit der Nachruhm ist...

PPS: Jelinek ist kein gutes Beispiel - psychische Krankheit allein reicht noch nicht, um gute Literatur zu produzieren. Auf 100.000 Leute mit psychischen Störungen kommt vielleicht einer, der daraus einen künstlerischen Antrieb zu ziehen vermmag: Was ungefähr dieselbe Quote ist, wie bei Leuten ohne psychische Probleme. Vermag überhaupt jemand diesen Grad an Schwäche, Lähmung, Verletzlichkeit zu ermessen, den eine wirkliche psychische Störung bedeutet? Und ich meine jetzt hier nicht, dieses ab und zu mal ein bisschen traurig sein und dann die Blumen des Bösen lesen und seinen Weltekel kultivieren, nein, wirklicher, tiefer, schreiender Wahnsinn, von Gesichten verfolgt werden, in schwarzer Galle ertrinken, zu schwach sein für jede Regung: das ist kein Spaß mehr - diese Verwechslung von Genie und Wahnsinn ist eine deutsche Unart, sowas gibt es in anderen Literaturen kaum. Und das Nobelpreiskomitee bewertete schon immer vor allem politisch: Es gibt deutlich mehr gute Menschen unter den Preisträgern, als es gute Schriftsteller oder Schriftstellerinnen gibt. Und es ist klar, dass zum Beispiel Burroughs nie so einen Preis bekommen hätte, das wäre ein ganz falsches Signal an die Jugend dieser Welt... - da stehen auch in den Begründungen immer solche Sachen mit Völkerverständigung und Beförderung des Humanismus drin - gut gemeinte Literatur gibt's da viel, aber nicht unbedingt immer gut Geschriebene.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Liebes mugwump, auch du wirst dich den klassischen Bewertunsmaßstäben des interessierten Rezipienten nicht entziehen können. Da DARF auf jeden Fall die Frage auftauchen, ob der Text autobiographischen zu lesen ist. Und garantiert reflektiert er, mehr oder weniger bewusst oder unbewusst, deine eigene Einstellung zu anderen Wesen außerhalb deiner körperlichen Abmessungen, die sich so wie du im Schreiben üben und sich mühen, ihrerseits andere Schreibende kritisch zu beäugen. Insofern gibt der Text schon die Deutung her, dass du nur allzu gerne die, deiner Meinung nach, weniger Gepanzerten aus dem Wettbewerb gedrängt zu sehen. Ich finde das nicht wirklich verwerflich (so wie es viele verstehen könnten), im Gegenteil, ich finde es nur normal, wenn man sich gegen die Konkurrenz zur Wehr setzt, und gerade Schreibende sind anfällig dafür, in den blumigsten und auch den hässlichsten Ressentiments gegen ihre "Kollegen" zu wettern. Gerade die Schreibenden sind so voller Eitelkeiten, Neid, Hochmut, Unerbittlichkeit. Und da, wo sie es nicht sind, langweilen sie mich. Nichts ist schlimmer als belanglose Textchen von larmoyanten Autoren, die sich gegenseitig die Nettigkeiten in die Hand gegen und Bitte und Ja Danke und Amen. Ich würde gerne sehen, dass um Literatur vielmehr gekämpft wird. Alle Angriffe, für die du durch deinen streitbaren Panzer-Text deine Flanken geöffnet hast, sind doch ein schöner Anfang dieser Streitkultur. Ob du das bewusst getan hast oder nicht, ist egal. Aber Selbsteingenommenheit ist für mich unerträglich, wenn der Autor hinterher keinen Disput duldet. Und noch schlimmer wärs, wenn du aufgrund meines Angriffes zurück ruderst und abschwächst, im Sinne von "Das hab ich nicht so gemeint, tut mir leid," und so'n Kram. Die wenigen Streitbaren mit Substanz sollte schon zu ihrer Meinung stehen.
 

mugwump

Mitglied
Lieber Carlo, Entziehung liegt mir fern, und wenn ich keinen Disput wollte, wär ich wohl nicht hier. Aber wenn Disput, dann muss es auch erlaubt seinen, den Text gegen überzogene Interpretationen in Schutzu zu nehmen: Dabei ist es eigentlich egal, ob der Text von mir ist oder von jemand anderem.

[ 4]Und da muss man dann auch konsequent bleiben: Was ich gemeint oder nicht gemeint habe, ist für die Rezeption herzlich uninteressant. Aus dem Alter, in dem wir verstanden werden wollen, falsch oder richtig oder überhaupt, sind wir raus, oder?! Daher fällt es mir auch schwer, diese Argument "Was hat sich der Autor dabei gedacht" nachzuvollziehen: Wenn der Text laufen kann, dann ohne Krücken persönlicher Biographien - und wenn nicht, dann hilft ein interessantes Leben und eine gute Meinung über die Welt einem schwachen Text nicht mehr auf die Beine. [ 4]

[ 4]Was ich jetzt aber vollends nicht mehr verstehe - was dann aber auch mit dem Text wirklich nichts mehr zu tun hat: Eitelkeit, Neid, Hochmut, Unerbittlichkeit sind ok, aber Selbsteingenommenheit ist es nicht? Ich halte eine Menge von Selbsteingenommenheit und würde mir mehr davon wünschen: Wenn man in demselben Gewerbe wie Musil, Kafka, Nabokov usw. unterwegs ist, dann muss man von sich eingenommen sein - und wenn man das nicht ist und an jedem Stäubchen etwas zu mäkeln findet, dann lässt man das Schreiben über kurz oder lang. Dann ist man vielleicht noch ein guter Mensch, aber kein Schreibender mehr. Was oft nicht der schlechteste Ausgang ist...

[ 4]Den letzten Absatz kann ich nur unterschreiben: Mir ist Streit allemal lieber als Lob (sage ich an guten Tagen: An schlechten Tagen lasse ich mir lieber schmeicheln) - man merkt eher, dass man richtig liegt, wenn man seine Positionen auch gegen Widerstand verteidigen kann. Oder man merkt, dass man falsch liegt, wenn einem das Verteidigen keinen Spaß mehr macht...
 

Carlo Ihde

Mitglied
Wenn du von dir aus sagst, dass du im selben Medium unterwegs bist, wie Kafka, Nabokov und Musil, dann hast du wohl die nötige Selbsteingenommenheit. Dieser Vergleich hinkt jedoch. Weil du eigentlich, so wie jeder von diesen Herren, in einem ganz individuellen Raum dieses Medium heiligst. Dieser eigene Raum ist dein Leben, das von anderen Ereignissen geprägt ist, als die von Musil und Nabokov. Schreiben an sich ist kein Hochmut. Über das eigene Leben zu schreiben ist kein Hochmut. Das eigene Leben ist niemals eine Krücke sondern es ist das Non-Plus-Ultra des Erlebens und einzig verlässliche Grundlage für die Authetizität des Reflektierens von Erlebtem. Und überhaupt glaube ich, dass du mich nicht verstehen willst. Die autobiographische Leseweise von prosaischen Texten ist insgesamt die naheliegendste. Für alle Menschen. Der Rezipient ist letztlich derjenige, der Wahrheiten entstehen lässt, im Abgleich zwischen einer singulären Erlebnisschilderung und seiner eigenen Erfahrung. Der Rezipienz hat das Recht darauf, dir seine Sichtweise auf deinen vorgetragenen Prosatext zu zeigen. Dazu ist er genug soziales Wesen. Texte existieren nicht im luftleeren Raum, sowie Schilderungen zwischenmenschlichen Erlebens nicht im luftleeren Raum möglich werden. Ob dir das nun gefällt oder dich an lösgelöstem Erleben hindert, ist mir wiederum so egal wie dir anscheinend der Rezipient.
 

mugwump

Mitglied
puuh, das ist aber doch klar, wenn Du als kleiner Junge Fußballspieler werden willst, dann sind doch deine Vorbilder eher Zinedine Zidane oder Michael Ballack und nicht Tom Geißler oder Nicky Adler - und dass Du im Verein Links-Außen spielst, und deine Helden im zentralen Mittelfeld, tut deiner Bewunderung keinen Abbruch.

Yo, mit dem Verstehen ist das offenbar so eine Sache. Ich such gerade noch die Stelle, an der ich dir auf die Füße getreten bin, aber wenn Du anfängst Sachen willkürlich zu verdrehen (warum sollte mir der Leser denn plötzlich egal sein?!), nur um Dir Luft zu machen, dann ist's nicht ganz leicht, das hier weiter voran zu bringen...
 

Carlo Ihde

Mitglied
Liebes mugwump, du schriebst schon, was du eigentlich meintest, sei für die Rezeption völlig uninteressant. Wahrscheinlich habe ich diese Aussage als Ein-Eindeutig und damit umgekehrbar angesehen. Also ich hab fälschlicherweise vorausgesetzt, dass du damit auch die These stützen willst, dass "die Rezeption völlig uninteressant ist für das, was du meinen wolltest". War mein Fehler.
 



 
Oben Unten