Der Papst und das Mädchen

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wowa

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Der Papst und das Mädchen


Dr. Hübner starrte die Wand an. Raum und Zeit verschoben sich in einer eigentümlichen Fließbewegung und ohne sein Zutun, ja sogar gegen seinen Willen wanderten seine Gedanken zu jenem Treffen am späten Nachmittag. Wie jeden Morgen war er die anstehenden Termine durchgegangen und genau an dieser Stelle, ganz im Gegensatz zu seinem gewohnt stringenten Arbeitsstil, einfach hängengeblieben.
Ein Anruf seiner Sekretärin riss ihn aus seiner Versunkenheit. Das morgentliche Gruppenmeeting hatte sich bereits versammelt und wartete. Hastig klappte er den Laptop zu, nahm wegen des besseren Eindrucks noch ein paar Unterlagen mit und verließ im Laufschritt das Büro.
Unterwegs schaute er auf die Uhr und biß sich leise fluchend auf die Lippen: Eine halbe Stunde hatte er verträumt. Das war unprofessionell, nicht fokussiert, und die Mitarbeiter registrierten Konzentrationsschwächen seinerseits genau, zumal er derartigen Kontrollverlust stets vehement geißelte.
Leicht angeschwitzt und mit einiger Verspätung betrat er gemessenen Schrittes den Raum und leitete routiniert die Veranstaltung.
Nach dem Mittagessen gönnte sich Dr. Hübner ein kurzes Schläfchen in der eigens eingerichteten Relax – Zone des Instituts und kehrte ausgeruht in sein Büro zurück. Wenig später stand er am Fenster und starrte traumverloren in das zarte Frühlingsgrün der Parkanlagen.
Es hatte ihn erwischt, kein Zweifel, und das so kurz vor der Pensionierung. Es war lächerlich, unangemessen und in jeder Hinsicht störend.
Zeitlebens hatte er Wert gelegt auf eine saubere Trennung zwischen Beruf und Gefühl. Letzteres musste zugunsten der Karriere fraglos ein wenig zurücktreten, rückblickend jedoch war das die richtige Entscheidung. Bereits die Promotion brachte den Durchbruch.
In ihr beschrieb er akribisch die von ihm initiierte Entwicklung eines revolutionären Impfstoffes gegen die Maul – und Klauenseuche. Seither beschäftigte er sich erfolgreich mit der Vervollkommnung des Präparats. Sein Institut hatte bei der Bekämpfung von tierischen Infektionskrankheiten einen hervorragenden Ruf und sein Name war untrennbar mit dem Sieg über eine der schlimmsten Seuchen verbunden.
Er war der Maul – und Klauenseuche – Papst.
Das sagte so natürlich niemand, aber sein Wort hatte Gewicht, nicht nur in Fachkreisen. Er war gern gesehener Gast in Talk – shows und die Medien verfolgten den Fortgang seiner Arbeit wohlwollend und respektvoll. Ohne Übertreibung ließ sich sagen: Er war ein Mann von öffentlichem Interesse. Er war es gern.
Der unerwartete Einbruch des Intimen in dieses fein austarierte Arbeitsleben kam ungelegen.
Es war diese junge Physiotherapeutin, bei der er seit einigen Wochen wegen seines Tennisarms in Behandlung war. Sie heißt Kassandra Wilson, kommt aus Alabama/USA und lebt seit zwanzig Jahren in Berlin. Sie ist schwarz.
Ganz allmählich hatte dieser Mensch von ihm Besitz ergriffen. Anfangs dachte er nur sporadisch an sie, freute sich auf die Termine und war leicht amüsiert über die ungewöhnlichen Emotionen, die so gar nicht zu seiner sachlich – rationalen Weltsicht passen wollten. Doch mit zunehmender Vertrautheit schlich sie sich ein in seine Gedanken und nicht nur das, auch seine Träume und besonders die, waren infiziert.
An dieser Frau stimmte einfach alles, Aussehen, Figur, die angenehme Stimme, Charme, Witz, alles. Bis auf das Alter, da war er ihr gute dreißig Jahre voraus.
Wie dem auch sei, so ging es nicht weiter, es musste etwas passieren. Die Tagträume, die ihn neuerdings jäh überfielen, waren inakzeptabel und mit seiner Position in keiner Hinsicht zu vereinbaren.
Den Kontakt abbrechen, den Therapeuten wechseln? Urlaub nehmen und weit weg fliegen? Die vorzeitige Pensionierung beantragen? Alles keine wirklichen Optionen.
Nein, er würde das Thema wie gewohnt systematisch angehen und Punkt für Punkt abarbeiten. Und dann, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten, streng deduktiv eine Entscheidung treffen.
Pünktlich betrat Dr. Hübner die Praxis. Er kannte die Abläufe, fand problemlos den fraglichen Behandlungsraum, zog die Schuhe aus, schob die Hemdsärmel hoch und legte seinen schweren Körper, schon ein wenig nervös, auf die leicht gepolsterte Liege.
Kassandra erschien: ganz in Weiß, freundlich lächelnd, alles wie immer.
Nach den obligatorischen Befindlichkeitsfragen massierte sie seinen maladen Ellenbogen, suchte die Schmerzpunkte und erläuterte kurz und präzise ihr Tun. In das anschließende Schweigen hinein fragte Dr. Hübner:
„Würden Sie mit mir essen gehen? Heute Abend?“
Ihre Hände arbeiteten ruhig und gleichmäßig, und ihre Erwiderung schien diesen Rhythmus aufzunehmen.
„Eine klare Trennung des Beruflichen vom Privaten ist quasi die Voraussetzung meiner Arbeit. Das entspricht im übrigen auch dem Ethos der Heil – und Pflegeberufe.“
Dr. Hübner waren derartige Einwände geläufig.
„Die Einhaltung des professionellen Fraternisierungsverbotes ehrt Sie. Doch glauben Sie mir, ich meine es ernst. Sehen Sie, Kassandra, ich habe stets den Gefühlen einen nachgeordneten Platz in meiner Lebenspraxis zugewiesen. Der berufliche Erfolg bestätigte mich in dieser Ansicht. Erst als ich Sie kennenlernte, wurde mir die Fatalität dieser Konstruktion bewusst. Seither erscheint mir mein emotionales Defizit als Teil eines persönlichen Verarmungsprozesses, den ich aufhalten möchte. Aber ich kann es nicht. Sie können es. Bitte heiraten Sie mich.“
Anfangs dieser kleinen Rede hatte Kassandra unbeirrt weitergeknetet. Jetzt sieht sie ihn offen und freundlich an, doch ihre Worte treffen Dr. Hübner ins Mark.
„Herr Dr. Hübner, lassen Sie uns realistisch bleiben. Sie sind der Maul – und Klauenseuche – Papst und ich Ihre Physiotherapeutin. Der gesellschaftliche Abstand, das soziale Gefälle zwischen uns ist gähnend. Ich stände immer im Schatten Ihres übergroßen Lichtes und alle Welt würde mir bei der Wahrnehmung meiner repräsentativen Pflichten an Ihrer Seite unterstellen, ich sei doch einfach nur promigeil. Die Bedingungen der Möglichkeit einer glücklichen Ehe sind also denkbar schlecht. Hinzu kommt, dass ich mit meinem Leben relativ zufrieden bin. Es bleibt mir nur, Sie zu bitten, meine abschlägige Antwort nicht persönlich zu nehmen, sondern als den Umständen geschuldet.
Leider ist unsere Zeit abgelaufen, andere Patienten warten auf mich. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal.“
Sie gibt ihm die Hand und verlässt den Raum.
Dr. Hübner hat Koordinationsprobleme. Sein Herz rast, er schwitzt stark und seine Atmung ist flach und hektisch. Mein Gott, ist das peinlich. In seinem Alter sich eine dermaßene Blöße geben und wie ein Primaner abgefertigt werden. Das Wasser schießt ihm in die Augen. Am liebsten wäre er zu Hause und könnte sich verkriechen.
Aber er ist nicht zu Hause. Er liegt immer noch auf der Massagebank in dieser Physiopraxis. Mühsam richtet er sich auf, setzt die Füße auf den Boden und konzentriert sich auf seine Schuhe. Mit jeder Bewegung verstärkt sich ein Druck in seinem Brustkorb und trotz gieriger Schnappatmung geht ihm zusehends die Luft aus.
Er öffnet die Tür des Behandlungsraumes und schlurft schleppenden Schrittes in Richtung Rezeption. Kurz vor der Empfangstheke senkt sich ein Schleier über seine Augen, seine Beine knicken ein und er fällt in ein tiefes, schwarzes Loch.
Die Praxis ist gut besucht und das Personal weiß, was zu tun ist: Kleidung öffnen, Füße hoch. „Atmung?“ - „Negativ!“ - „Herztöne?“ - „Schwach, unregelmäßig!“
„Okay, Herzmassage, Defibrillator, künstliche Beatmung, Notarzt, schnell!“
Als Dr. Hübner eine Viertelstunde später im Notarztwagen liegt, ist er wieder bei Bewusstsein. Sein Zustand stabilisiert sich, die Medikamente wirken. Die Krise scheint überwunden.

„Kassandra, das ist dein dritter Infarkt. Alles alte Männer. Erklär mir das bitte.“
Freddy ist sichtlich angefressen. Er hat den Laden aufgebaut, sich fett verschuldet. Spektakuläre Zusammenbrüche, die auch noch in der Presse diskutiert werden, findet er gar nicht lustig.
„Ja, Freddy, ich weiß auch nicht, die eine eindeutige Erklärung ist schwierig, dafür sind die Fälle zu verschieden,“ Kassandra zuckt die Schultern, „vielleicht ist es der starke Kontrast zwischen der weißen Kleidung und meiner schwarzen Haut, der sie kirre macht? Unterbewusst, meine ich, auf der Oberfläche sind das natürlich alles aufgeklärte, lebenserfahrene Männer.“
Freddy schaut sie nachdenklich an. „Find ich irgentwie ein bisschen monokausal, aber immerhin, es ist ne Gemeinsamkeit.“
„Der Hübner gerade entspricht voll diesem Schema. Der wollte mich heiraten.“
„Was? Dieser Sack wollte dich heiraten? Wie kommt der denn auf sowas?“
Freddy fasst es nicht.
„Ich hab ihn abgewimmelt, - höflich,“ Kassandra übergeht seine Frechheit, „trotzdem, das lief ihm nicht gut rein. Das war er nicht gewohnt. Dem hat seit Jahrzehnten keiner mehr widersprochen.“
„Okay, sei`s, wie`s ist,“ Freddy steht auf, „du machst jedenfalls keine alten Männer mehr. Und ich warne dich: Noch so ein Fall und du bist draussen. Ich schwör dir, beim vierten schmeiss ich dich raus, eigenhändig!“
Abrupt dreht er sich um und verlässt den Raum. Sie zeigt ihm den Finger, er sieht es nicht.
Für heute ist Schluss. Kassandra wechselt die Kleidung und verlässt das Haus. Ein paar Straßen weiter in einer Bar bestellt sie ihr gewohntes Getränk. Der Barmann nickt, man kennt sich.
„Na, Kassandra, einen schönen Tag gehabt?“ fragt er und stellt das Glas auf den Tresen.
„Ging so,“ sagt sie.
 
A

aligaga

Gast
Diese Story leidet unter gleich zwei gräßlichen Fehlern - zum einen haben Veterinäre nichts "Päpstliches" an sich (es heißt: "Er war Veterinär und seine Frau auch ein Schwein"), zum anderen wird seit gut dreißig Jahren zumindest in der europäischen Union nicht mehr gegen MKS geimpft, sondern daran erkrankte Tiere rigoros ausgemerzt. Die Impfung ist in der EU verboten.

Weitere Kommentare erspare ich mir, @wowa, weil du zu jenen gehörst, die nur selber posten, auf die Werke anderer aber keinerlei Wert legen. Schade!

Gruß

aligaga
 

wowa

Mitglied
Hi,aligaga!
Danke für deine Hinweise. Das Veterinäre i.d.R. nix Päpstliches an sich haben,find ich auch. Nur Dr. Hübner eben doch, er ist die Ausnahme. Denn er hat MKS besiegt. Ok, das stimmt nicht, aber wär doch schön. Ich schreib halt keine Tatsachenberichte.
Und was deine Kritik an meiner Faulheit betrifft, andere Geschichten zu kommentieren, da hast du völlig recht. In der Beziehung muß ich an mir arbeiten.
Alles Gute
wowa
 
A

aligaga

Gast
Die MKS ist nicht besiegt, @wowa. Da bringst du was durcheinander. Vielleicht wolltest du ja ein Fantasy-G'schichtl schreiben? Sorry, aber es ist keine gutes geworden.

Kümmer dich mal ein bisschen um die der anderen. Von manchen könnte man was lernen!

Gruß

aligaga
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo wowa!

Ich habe häufig geschmunzelt beim Lesen deiner Geschichte. Köstlich, wie du diesen von seiner Überlegenheit und Rationalität überzeugten Endfünfziger beschreibst! Am besten finde ich den Dialog zwischen Dr. Hübner und Kassandra in seiner überspitzten Intellektualität. Witzig!

PS: Warum wechselst du mitten in der Geschichte vom Imperpekt zum Präsens?

Gruß, Hyazinthe
 

wowa

Mitglied
Hi,Hyazinthe!
Danke für deinen Kommentar. Positive Resonanz tut gut.
Was den Wechsel der Zeiten angeht:
Ich finde, Dr. Hübner ist ein Mann der Vergangenheit, in Routine erstarrt. Relativ jung hat er sein Thema gefunden, das er seither nur noch variiert, zugegeben mit Erfolg. "Dem hat seit Jahrzehnten keiner mehr widersprochen," sagt Kassandra Wilson. Wo sie ist, ist Gegenwart.Ich wollte die Figuren so noch stärker von einander absetzen. Außerdem kommen Action - Szenen im Präsenz besser.
Ist vielleicht ein etwas problematisches, verwirrendes Verfahren, aber ich mag derartige formale Brüche durchaus.
Alles Gute
Wowa
 



 
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