Der Pelz

Anonym

Gast
Da hing er endlich, der Mantel aus Silberfuchsfellen -
vor wenigen Minuten erst hatte ihn ein Bote des besten Kürschnermeisters der Stadt im edlen Karton mit der Bemerkung angeliefert, sie solle ihn erst mal einige Minuten aushängen lassen, bevor sie ihn anprobiere – er (der Pelz) brauche das, um seine volle Schönheit zu entfalten.
Also übte sie sich in Geduld, während sie ihn bewunderte, und ließ die Anfänge dieser (ihrer) Erfolgsgeschichte Revue passieren:

Schon vor zwei Jahren hatte sie sich geschworen, so einen Pelz, den musste sie unbedingt haben. Anlässlich einer im Fernsehen übertragenen Filmpremiere sah sie, was so ein Pelz für eine Wirkung hervorrufen konnte – er schmeichelte der Trägerin, einer allseits bekannten Filmdiva so ungemein und brachte ihre Schönheit in einem Maße zur Geltung, dass die Kameras schier nicht mehr von ihr lassen konnten.
Darauf wurde dieser Gedanke des ebenfalls 'Besitzen wollen' zur fixen Idee in ihrem Kopf; dieses aus der grauen Masse eindeutig hervorstechen zu wollen. Zugleich wusste sie, aus eigener Kraft konnte sie das nicht stemmen; ihr Job bei der Versicherung konnte das finanziell niemals deckeln, dazu brauchte es einen Mann mit ordentlichem Kapital.

Überaus hübsch wie sie war (fast schon konnte man sie als Schönheit bezeichnen) und clever obendrein, mit einer ordentlichen Portion Selbstsicherheit ausgestattet, entschloss sie sich, das alles bei einer Partnervermittlung in die Waagschale zu werfen - und prompt lernte sie Thorsten kennen - längst über 50, notabene bestückt mit Frau, zwei Kindern und Haus, aber auf der Suche nach einer Gespielin, die seinem öden Leben, das nur noch aus Arbeit und zermürbenden Auseinandersetzungen mit seiner ihm Angetrauten bestand (so seine Aussage), wieder mehr Glanz verleihen konnte. Und, natürlich, er war vermögend; sonst wäre er für sie nicht in Betracht gekommen.

Der Pelz war ein Geschenk zu ihrem morgigen Geburtstag. Unter dem gesamten Einsatz ihrer weiblichen Raffinesse hatte sie seit Wochen darauf hingearbeitet ihn davon zu überzeugen, dass diese Zahl 25 und die Tatsache, dass sie seit über einem Jahr ihm eine stets bereite Geliebte wäre, sie seine manchmal doch etwas ausgefallenen Liebeswünsche gerne und hingebungsvoll erfülle und ihm auch stets ein verständnisvoll liebendes Weib wäre, auch wenn er tagelang nichts von sich hören ließe, ein solch außergewöhnliches Geschenk wohl rechtfertigen würde.

Und, siehe da, er konnte sich ihren Argumenten nicht entziehen. Er bestätigte sogar mit zärtlicher Geste, ihr über die Wange streichend, ihren mit bittendem Unterton vorgebrachten Wunsch – und darum hing der Mantel jetzt am Kleiderschrank.

Kaum satt sehen konnte sie sich daran. Die Schönheit der Felle, der sanft silberne Glanz, die edle Verarbeitung, die dichte Struktur, die trotzdem leicht und verletzlich wirkte.

Von den Schultern abwärts weit geschnitten und hinten wie vorne aus mehreren langen Bahnen bestehend, dürfte er bis zur Mitte ihrer Unterschenkel reichen; dadurch würde er ihre langen Beine betonen und ihrer makellosen Figur den ultimativen Kick geben: umschmeichelnd, dabei verhüllend und trotzdem die Schönheit der Trägerin noch hervorhebend - weich, zart, unnachahmlich schön.

Schon der leiseste Windhauch ließ die Haare sich sanft bewegen, zeigte das weiße Unterfell und spielte zugleich mit dem Licht; Schattierungen entstanden, lösten sich auf und leuchteten an anderer Stelle wieder auf.

Sie strich sanft die Bahnen am Rückenteil entlang, spürte, wie sich das Fell jeder Bewegung ihrer Hände anpasste: warm und zärtlich fühlte es sich an. Sie drückte ihre Wange dagegen, küsste den Pelz, seufzte in ihn hinein, sog seinen Duft ein. Nach was duftete er? Sie wusste es nicht – irgendwie animalisch, dabei aber nicht unangenehm, eher schon betörend, die Sinne verwirrend. Mit verzücktem Lächeln stand sie da, musste immer wieder in diese wundervolle Fülle fassen, ihre Hände darin spielen lassen.

Dann, es war soweit: Sie holte den Mantel vom Kleiderbügel, schlüpfte hinein, drehte sich vor dem mannshohen Spiegel – wie eine Feder lag er auf ihren Schultern; er tanzte um sie, wenn sie eine Pirouette drehte, fiel wieder zurück in seine Ausgangsposition, wippte leicht nach und veränderte dabei stets seine Farbe – fantastisch!

Sie lachte, fühlte sich wie in Ekstase, warf sich auf die Ledercouch, hüllte sich ganz dicht in den Pelz, stand wieder auf und tanzte wieder vor dem Spiegel – bis sie sich atemlos fallen ließ, den Pelz von den Schultern streifte, ihn neben sich legte und andächtig seine Schönheit bewunderte, sich in ihn kuschelte, wie eine Liebende.

„Ein ordentliches Sümmchen dürfte Thorsten dafür hingelegt haben ...“, überlegte sie, wie sie da in den Armen dieses eigenartigen Geliebten lag. Eindeutig war sie eine teure Gespielin, doch
Thorsten versicherte ihr immer wieder, er wolle das durchaus so, denn:
Alles, was ihm seine Ehefrau längst nicht mehr bot, das fand er bei ihr –sie war immer willig und bereit, ihn mit der Raffinesse, die der weibliche Körper so bietet, in Verzückung zu bringen, ihn zu umschmeicheln, zu umgarnen, und ihn in ihren Armen die tagtäglichen Misslichkeiten vergessen zu lassen.
Auch hörte sie ihm geduldig zu, wenn er sie mit nicht endend wollenden Monologen über seine geschäftlichen Aktivitäten bis spät in die Nacht hinein quälte, wobei sie ihm niemals das Gefühl gab, er langweile sie.
Und wenn er geschäftlich verreisen musste, war sie an seiner Seite – elegant, weibliche Finesse ausstrahlend, dabei verschwiegen und zurückhaltend, was schon manch eines seiner Geschäfte zu einem schnelleren Abschluss kommen ließ – die weibliche Kunst des Umgarnens versagte nur selten und band auch seine jeweiligen Partner locker mit ein.

Die Währung, mit der er dafür bezahlte, war: Ein schönes Apartment mit großer Terrasse, ein schickes Auto vor der Tür, ein ordentlich gefülltes Bankkonto, dazu Klamotten und Schmuck von den angesagtesten Designern - ihren Job hatte sie dafür längst an den Nagel gehängt.

Aber das alles genügte ihr nicht: Nur dieser Traumpelz konnte die Erfüllung ihrer Träume sein … all die anderen Dinge empfand sie fast schon als gewöhnlich; viele Frauen verkauften sich, auch wenn sie das gerne anders bezeichneten – aber was sollte daran verwerflich sein? Es war ein Geschäft, wovon zwei Seiten profitierten.

Sie fand, dieses Arrangement zwischen ihnen beiden funktionierte fabelhaft. Sie mochte ihn, obwohl er ihr Vater hätte sein können, und er liebte sie – vielleicht, nein, sogar ganz sicher.
Jedenfalls, besser als eine Beziehung mit einem dieser gleichaltrigen Männer war die Verbindung allemal: Die boten nichts, forderten nur, und sicher konnte man sich ihrer auch nie sein (zwei gescheiterte Verhältnisse waren zwei zu viel, wie sie sich sagte; und die kurzen Amouren, die sie zudem noch einging, hinterließen nur einen faden Geschmack).

Für Thorsten stellte sich ihre Verbindung so dar: Die Jugend an seiner Seite zu haben, machte ihn selbst wieder jünger. Dass er dafür bezahlen musste, schien für ihn normal, dafür konnte er sich auf sie verlassen „eine einfach Kosten/Nutzen-Rechnung“, wie er das mal spaßeshalber nannte.

Und jetzt, als Krönung, dieses Geschenk – dieser wundervolle Mantel, den sie am heutigen Abend erstmals tragen würde, wenn er sie um 9 Uhr zu dieser Gartenparty von einem seiner Geschäftsfreunde abholte; eine Gartenparty im Winter: Mit Fackeln, Kandelabern, mit offenen Feuerstellen und natürlich – mit Heizstrahlern, damit die Gäste nicht froren. Und sie, sie würde an Thorstens Arm glänzen; ihr makellose Schönheit würde der Pelz erst so richtig zur Geltung bringen.

Noch war Zeit, die sie für eine intensive Körperpflege nutzte – dann wählte sie aus der Fülle ihrer Kleider ein elegantes Seidenkleid aus, passend in der Farbe zum Pelz und fing an sich sorgfältig zu schminken.
Der kleine Tisch stand in dem großen Wohnzimmer und gegenüber prangte ein großer Fernsehapparat an der Wand.
Sie stellte ihn an – und für einen Augenblick wollte sich ihre Welt verändern. Ihre Seele meldete sich, wie sie mit offenem Mund, den Eyeliner in der Hand, die grauenvoller Bilder sah und dem Sprecher lauschte:

Er berichtete von der qualvollen Massenzucht von Pelztieren, von schrecklichen Filmaufnahmen untermauert und begleitet. Darunter waren auch Silberfüchse, die, in viel zu engen Drahtkäfigen gehalten, ohne Wasser, ohne Futter vor sich hin vegetieren und ruhelos versuchen sich zu drehen – Panik in jeder Bewegung. Ihre Pfoten sind geschunden, Blut tropft von den eingerissenen Lefzen, das vom Kauen an den Gitterstäben stammt.

Sie sah Augen, die in die Kamera blicken, die die ganze Not der geschundenen Kreatur zeigen: Ohne Hoffnung wartet sie stumm und verzweifelt auf den Tod. Eine lebendige Ware, die ihrer Seele beraubt wird, die lebt, atmet und trotzdem nur tot etwas wert ist – der kein Mitgefühl entgegengebracht wird. Die, um das Haarkleid dicht und fest wachsen zu lassen, in Eiseskälte gehalten wird.
Und nochmals waren in einer Großaufnahme diese Augen zu sehen - den blanken Horror zeigten sie; nichts, was noch mit Hoffnung einhergehen konnte.

Sie nahm die Fernbedienung und schaltete ab.
Sie schaute auf den Pelz, der da in der ganzen Schönheit seines dichten Fells ausgebreitet auf der Couch lag. Ihr Atem ging flach, ihr Herz pumpte, und sie schleuderte mit einem Fluch den Pinsel in eine Ecke.

Dann ging sie auf den Pelz zu, nahm ihn hoch, streichelte ihn, seufzte tief und schlüpfte hinein.
„Ihr seid sowieso schon tot – also was soll's!“, und das kleine Sichtfenster zu ihrer Seele, das sich kurz geöffnet hatte, schloss sich.

Sie schlüpfte in ihre Schuhe „ich brauche jetzt Luft“, und verließ das Apartment – sie wollte vor dem Haus auf Thorsten warten; er würde jetzt jeden Moment eintreffen, auf ihn war Verlass bei Zeitangaben.
 



 
Oben Unten