Der Plan

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Sunny Day

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Der Plan

Die Liebe hat eine große Kraft und vielleicht schafft sie es, meinen Plan zu zerstören. Es hat mich zum Schwanken gebracht als ich gesehen habe, wie sehr Clara ihr Kind liebt. Seit zwei Wochen bin ich nun hier und arbeite als Haushaltshilfe in dieser Familie.
Die ganze Zeit über habe ich mein Vorhaben im Kopf gehabt, aber es bot sich bisher noch nicht die Gelegenheit es durchzuführen. Stattdessen wurde ich immer mehr ein Teil der Familie. Ich wurde Zeuge, wie fürsorglich und liebevoll Clara mit ihrem Kind umgeht. Es ist jetzt fünf Monate alt. Seine Haare sind dunkel und weich wie Gänseflaum. Seine Augen hell und wach, die Haut rosig und zart, fast seidig. Manchmal habe ich die Gelegenheit es näher zu sehen und betrachte seine langen Wimpern, die schmalen Finger. Wenn ein Lächeln über das Gesichtchen huscht, scheint die Sonne aufzugehen. Alles an ihm ist noch so klein, so perfekt und zieht mich in seinen Bann. Ich bemerke, dass ich anfange etwas zu empfinden, etwas wie Herzenswärme, sie entsteht langsam, wie eine aufgehende Blume in der Frühlingssonne. Aber ich sträube mich dagegen, - doch die Liebe hat eine große Kraft.

Ich weiß mittlerweile, dass Clara ihr Kind sehr liebt. Jeden Tag beobachte ich, wie sie es sachte auf dem Arm wiegt, wenn es schreit. Ich höre, wie sie dabei leise ein Lied vor sich her singt, um ihren Sohn zu beruhigen. Sie hält ihn auf dem Arm, auf dem linken, so dass sie ihn an ihrem Herzen hat. Sie schaut ihm tief in die babyblauen Augen und mit dem Lied auf den Lippen bringt sie ihn zur Ruhe. Es entgeht mir nicht, wie sie ihn täglich mit liebevollen Händen wickelt, mit Tüchern, so wie es damals eben üblich war.
Gestern sah ich, wie Clara ihren kleinen Jungen in die Luft hob, sie drehte sich mit ihm um die eigene Achse und lachte. Ihre Wangen waren gerötet, sie ist glücklich. Wenn sie nur wüsste, was ich weiß…
Ich bekam eine Gänsehaut bei dem Anblick dieser ungeheuren Liebe und des Glücks. Nicht wegen der Liebe und nicht wegen des Glücks oder weil ich ihr beides nicht gönnen würde, sondern weil es so widersprüchlich, so irrational ist. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll, Zuneigung oder Abneigung. Ich bin zerrissen zwischen meinem Plan, dem Wissen und dem süßen schuldlosen Baby.

Heute, am Abend des 19. Septembers ist der Moment günstig. Jetzt, in diesem Augenblick bietet sich für mich die Gelegenheit für mein Vorhaben, meinen Plan.
Sie sind unten, Clara und ihr Mann. Ich stehe allein im Kinderzimmer, allein mit dem Kind, das friedlich in seiner Wiege liegt und schläft. Seine Gesichtszüge sind entspannt, der Atem geht ruhig, seine kleine Brust hebt und senkt sich leicht unter der Decke. Er sieht so unschuldig aus, so unschuldig, dass ich seinen Anblick kaum ertragen kann. Langsam greife ich zu dem Kissen, das auf dem Sessel liegt.
Seitdem ich die Entdeckung gemacht habe, in die Vergangenheit reisen zu können, habe ich diesen Plan gefasst und ihn Schritt für Schritt verfolgt. Ich bin in das Jahr 1889 gereist und habe die Stelle der Haushälterin der Familie in Braunau angenommen.
Und jetzt stehe ich hier, mit dem Kissen in der Hand und dem Plan, es dem Kind auf das unschuldige Gesichtchen zu drücken, so lange bis es erstickt. Aber ich zögere, ich weiß nicht ob ich es kann. Vielleicht ist es Bestimmung, denn die Liebe hat eine große Kraft. Sie hat mich schleichend eingenommen seitdem ich hier arbeite. Nun besitzt sie mich und vielleicht hindert sie mich an meinem Plan dieses Kind zu ersticken, dieses Kind mit dem Namen Adolf Hitler.
 



 
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