Der Pragmatiker
Der Gemeindevorsteher Jurij Kovcak vermutete den Einmarsch der Wehrmacht in den nächsten Tagen. Eine jüdische Familie, der er endlose Fluchtmärsche zutraute, warnte er und schickte mit warmen Klamotten und Fleischkonserven versorgt auf den Weg. Die anderen waren zu schwach dafür, - „nicht zu retten“, - dachte er und sagte ihnen kein Wort.
Den Deutschen eilte er dienstbeflissen entgegen. Er verstand die Sprache, war ortskundig, kannte jeden in seinem Dorf und imponierte dem Major Schranz mit seiner Begeisterung für die „neue Ordnung“ und hündischer Ergebenheit. Als Jurij eine sogfältig geschriebene Liste mit allen Juden und Kommunisten des Dorfes präsentierte, konnte sich Schranz des Ekels nicht erwehren, - er war ein Frontoffizier und empfand eine Art Standesdünkel gegen Erschießungen von Zivilisten. Er schluckte mühsam den Ekel runter, dankte dem Informanten und beließ ihn in seiner Vorstandsfunktion, - nunmehr im Dienst des Führers. Beim Weggehen hob Jurij schüchtern, mit fragendem Blick, - ob er wohl dürfe, - die Hand zum Hitlergruß. „Welch` eine Ratte!“, - dachte Schranz und salutierte beherzt zurück.
Jurij ging in den Wald, kniete sich im tiefen Schnee nieder und heulte wortlos, wie ein verwundetes Tier. Dann beruhigte er sich und verhandelte mit seinem Gott: „Hörst du mich, Gott! Die Juden mussten weg! Wo viele Juden leben, da kommen irgendwann die SSler hin. Und die Kommunisten mussten auch weg. – Sie würden sich nicht beugen und wenn es Aufstand gibt, kommen auch die SSler. – Diese Leute waren nicht zu retten. Aber ich schwöre Dir, Gott, die Anderen bringe ich durch.“
Jurij schüchterte die Dorfbewohner ein und hielt sie zum Gehorsam und fleißgier Arbeit an. Er wurde mehr als jeder Deutsche gefürchtet und gehasst, er ließ sich ins Gesicht „Judas“ heißen und machte ohne Wimperzucker weiter. „Ich habe Dir geschworen, Gott, diese Leute bringe ich alle durch.“ Die Dorfbewohner beugten sich. Er verwaltete seine Gemeinde so vorbildlich loyal, dass man ein Lazarett dorthin verlegte. Das brachte mehrere Arbeitsplätze und Sonderrationen für die Einheimischen. – Über den Winter gab es weder Hungertote noch Hingerichtete in der Gemeinde.
Im frühen Sommer tauchten Propagandablättchen auf, die zum „töten der deitschen schweine“ aufriefen. Es waren nur ganz wenige, in wackeliger Handschrift und mit Rechtschreibfehlern drin. „Vergessen Sie es“, riet Major Schranz, „Sie sehen doch, dass es ein Kind geschrieben hat.“ Doch der Jurij gab nicht nach, er suchte wie besessen den Verfasser und fand ihn, - einen Fünfzehnjährigen mit leicht debilen Gesichtszügen und einem abwesenden Grinsen. „So ein Mensch kann nur aufschreiben, was neben ihm geredet wird“, erschrak der Gemeindevorsteher. „Gott lass sie keinen Aufstand versuchen. Sonst kommen die SSler und mähen das ganze Dorf nieder. Gib meinen Leuten Furcht, die sie retten kann.“
Jurij erwirkte vom angeekelten Schranz einen Erschießungsbefehl und vollzog ihn selbsthändig vor der versammelten Gemeinde. „Das Kind war nicht zu retten“, sagte er zu sich und seinem Gott, „dafür haben sie jetzt hoffentlich Angst und bleiben ruhig.“ Sie blieben ruhig und es gab keine Hinrichtungen mehr bis zum Ende des Jahres.
Als die Rote Armee heranrollte und die Deutschen nun den Rückzug antraten, nahmen sie Jurij nicht mit. „Nicht diese Ratte“, meinte Major Schranz. Jurij überlegte sein Plädoyer. Er sah sich nicht imstande, den Leuten, die er alle durchgebracht hat, seinen guten Willen zu beweisen. „Nicht zu retten“, dachte er und befestigte einen guten Strick am Dachbalken. Zum letzten Mal sprach er mit seinem Gott: „Ich hab` doch mein Wort gehalten, Gott, so gut ich konnte: bis auf dieses arme Kind habe ich sie alle durchgebracht. Siehst du das ein? Und ich selbst… Ich bin nicht zu retten.“ Er seufzte kurz auf und erhängte sich sodann.“
Der Gemeindevorsteher Jurij Kovcak vermutete den Einmarsch der Wehrmacht in den nächsten Tagen. Eine jüdische Familie, der er endlose Fluchtmärsche zutraute, warnte er und schickte mit warmen Klamotten und Fleischkonserven versorgt auf den Weg. Die anderen waren zu schwach dafür, - „nicht zu retten“, - dachte er und sagte ihnen kein Wort.
Den Deutschen eilte er dienstbeflissen entgegen. Er verstand die Sprache, war ortskundig, kannte jeden in seinem Dorf und imponierte dem Major Schranz mit seiner Begeisterung für die „neue Ordnung“ und hündischer Ergebenheit. Als Jurij eine sogfältig geschriebene Liste mit allen Juden und Kommunisten des Dorfes präsentierte, konnte sich Schranz des Ekels nicht erwehren, - er war ein Frontoffizier und empfand eine Art Standesdünkel gegen Erschießungen von Zivilisten. Er schluckte mühsam den Ekel runter, dankte dem Informanten und beließ ihn in seiner Vorstandsfunktion, - nunmehr im Dienst des Führers. Beim Weggehen hob Jurij schüchtern, mit fragendem Blick, - ob er wohl dürfe, - die Hand zum Hitlergruß. „Welch` eine Ratte!“, - dachte Schranz und salutierte beherzt zurück.
Jurij ging in den Wald, kniete sich im tiefen Schnee nieder und heulte wortlos, wie ein verwundetes Tier. Dann beruhigte er sich und verhandelte mit seinem Gott: „Hörst du mich, Gott! Die Juden mussten weg! Wo viele Juden leben, da kommen irgendwann die SSler hin. Und die Kommunisten mussten auch weg. – Sie würden sich nicht beugen und wenn es Aufstand gibt, kommen auch die SSler. – Diese Leute waren nicht zu retten. Aber ich schwöre Dir, Gott, die Anderen bringe ich durch.“
Jurij schüchterte die Dorfbewohner ein und hielt sie zum Gehorsam und fleißgier Arbeit an. Er wurde mehr als jeder Deutsche gefürchtet und gehasst, er ließ sich ins Gesicht „Judas“ heißen und machte ohne Wimperzucker weiter. „Ich habe Dir geschworen, Gott, diese Leute bringe ich alle durch.“ Die Dorfbewohner beugten sich. Er verwaltete seine Gemeinde so vorbildlich loyal, dass man ein Lazarett dorthin verlegte. Das brachte mehrere Arbeitsplätze und Sonderrationen für die Einheimischen. – Über den Winter gab es weder Hungertote noch Hingerichtete in der Gemeinde.
Im frühen Sommer tauchten Propagandablättchen auf, die zum „töten der deitschen schweine“ aufriefen. Es waren nur ganz wenige, in wackeliger Handschrift und mit Rechtschreibfehlern drin. „Vergessen Sie es“, riet Major Schranz, „Sie sehen doch, dass es ein Kind geschrieben hat.“ Doch der Jurij gab nicht nach, er suchte wie besessen den Verfasser und fand ihn, - einen Fünfzehnjährigen mit leicht debilen Gesichtszügen und einem abwesenden Grinsen. „So ein Mensch kann nur aufschreiben, was neben ihm geredet wird“, erschrak der Gemeindevorsteher. „Gott lass sie keinen Aufstand versuchen. Sonst kommen die SSler und mähen das ganze Dorf nieder. Gib meinen Leuten Furcht, die sie retten kann.“
Jurij erwirkte vom angeekelten Schranz einen Erschießungsbefehl und vollzog ihn selbsthändig vor der versammelten Gemeinde. „Das Kind war nicht zu retten“, sagte er zu sich und seinem Gott, „dafür haben sie jetzt hoffentlich Angst und bleiben ruhig.“ Sie blieben ruhig und es gab keine Hinrichtungen mehr bis zum Ende des Jahres.
Als die Rote Armee heranrollte und die Deutschen nun den Rückzug antraten, nahmen sie Jurij nicht mit. „Nicht diese Ratte“, meinte Major Schranz. Jurij überlegte sein Plädoyer. Er sah sich nicht imstande, den Leuten, die er alle durchgebracht hat, seinen guten Willen zu beweisen. „Nicht zu retten“, dachte er und befestigte einen guten Strick am Dachbalken. Zum letzten Mal sprach er mit seinem Gott: „Ich hab` doch mein Wort gehalten, Gott, so gut ich konnte: bis auf dieses arme Kind habe ich sie alle durchgebracht. Siehst du das ein? Und ich selbst… Ich bin nicht zu retten.“ Er seufzte kurz auf und erhängte sich sodann.“