Der Raum

Der Raum war klein, klein aber groß in seiner Güte. Gefüllt mit allerlei Möbeln und Gegenständen, die mehr zufällig zusammengewürfelt schienen als genaustens auf Symmetrie und Ästhetik bedacht. Mit einer schräg zur Decke laufenden Wand und weiteren fünf Wänden wirkte der Raum im Licht, der sich aus einem der kleinen, runden Fenster ergießenden goldenen Morgensonne recht skurril.

Das für diesen Raum überdimensionierte Doppelbett befand sich an der nach Osten ausgerichteten, schrägen, grauen Wand des Raumes, sodass die ersten Sonnenstrahlen die das Fenster durchbrachen, zuerst auf das Bett fielen, bevor sie in den anderen Fenstern und dem mannshohen, ovalen Spiegel reflektiert wurden und brachen. Ein Koffer; ein alter Reisekoffer aus Leder, stand halboffen zwischen dem rechten Bettpfosten und einer Kommode. Ein altes Stück Papier war herausgefallen, verblichene mit Tinte geschriebene Schrift färbte es Blau.

Blau war auch die Farbe der Kommode, die der Koffer an der rechten Seite berührte. Sie befand sich an der schräg nach außen gerichteten Wand rechts vom Bett und war recht sperrig, hatte drei Schubfächer und schloss mit dem Fenster ab. Das Blau war alt und hatte die Kraft verloren sich an der Kommode festzuhalten, und Teile, kleine Stücken, lagen auf dem Boden unter der Kommode. Dort wo die Farbe abgeblättert war, kam das helle braun des Holzes wieder zum Vorschein, bahnte sich seinen Weg zurück in die Wirklichkeit. Die unterste Schublade war verschlossen, die mittlere geöffnet. Sie wurde allerdings von der gefährlich weit geöffneten, obersten Schublade überdeckt, die überquoll. In ihr befand sich ein Wirrwarr von verschiedensten Klamotten: Strümpfe, Hosen, Oberteile verschiedener Art hingen in Teilen aus der Schublade heraus. Besonders auffällig war ein löchriges T-Shirt in verwaschenem Grün, auf dem in schwarzen Lettern "Anarchie" geschrieben stand. Die Wand hinter der Kommode war bunt. Blau, rot und gelb mischten sich hier scheinbar willkürlich, ein heilloses Durcheinander, ohne Muster und Richtung, ohne Sinn und Verstand. Halt bot nur das runde Fenster welches links von einem Wecker und rechts von einem Kerzenhalter flankiert wurde. Der Wecker, braun und rund, stand auf vier kleinen Beinen und über ihm waren zwei Glocken befestigt. Die linke Glocke hatte eine strahlend goldene Farbe, kein Makel war auf ihrer glatten Oberfläche zu erkennen. Ihre Schönheit war rein und vollkommen, im Gegensatz zu ihrer rechten Schwester. Auch sie war golden aber ihr Gold war blass und auf ihrer rauen Oberfläche konnte man viele Unebenheiten erkennen. Flecken und Pickel die schon bei der Herstellung entstanden waren entstellten sie, ließen sie hässlich wirken. Das hinderte den Wecker unter ihnen allerdings nicht daran weiter zu ticken. Sekunden,- Stunden- und Minutenzeiger liefen weiter ihre Bahnen, unaufhörlich und unaufhaltbar im Kreis. Gelegentlich berührten sie sich um ihre Erfahrungen auszutauschen, doch den größten Teil ihres unendlichen Weges liefen sie allein.
Rechts stand der silberne Kerzenhalter mit vier geschwungenen Armen in alle Himmelsrichtungen. Der linke Arm verdeckte einen Teil des Fensters, die lange, dünne, hellgrüne auf Kerze trennte das Fenster in zwei ungleiche Hälften. Ihr Docht besaß noch sein unschuldiges weiß, anders als sein linker Nachbar. Der Arm ragte in den Raum herein, besaß den gleichen Schwung, doch seiner Kerze fehlte die Vollkommenheit. Am Boden des Arms sammelten sich Tropfen blauen Wachses, wie Tränen liefen an der Kerze in Rinnsalen herunter.
Ihr Docht hatte bereits das typische Schwarz angenommen, stand aber aufrecht und gerade und erleuchtete seine Umgebung mit einem weichen, zurückhaltenden Licht.
Der Arm in Richtung Spiegel bog sich seltsam von seinem Halter weg und war über und über bedeckt mit roten Wachs. Es hatte groteske aber auch schöne Formen angenommen und schlang sich um den Arm in Pracht und Schrecken. Das Wachs lief in roten Strömen an der Kerze herunter und hatte ihren ursprünglichen Durchmesser fast verdoppelt, doch ihr Fehlte ein großer Teil ihrer ursprünglichen Höhe. Ihr Docht krümmte sich in seinem Leuchten vor Leidenschaft. Sein Feuer strahlte hell und kraftvoll, es war der Mittelpunkt seiner Umgebung, alles andere wurde von ihm angezogen, verschlungen. Der letzte Arm hing fast senkrecht an seinem Halter herunter. Wo sich einst seine Kerze befunden hatte war jetzt nur noch etwas dunkelgrünes Wachs übrig geblieben. Es war bereits hart und kalt geworden und in ihm eingeschlossen lag der Docht, ertrunken.
Die Wand rechts neben der Kommode war schwarz und lief schräg nach innen. Das runde Fenster in ihrer Mitte wurde durch einen großen Spiegel vor ihm verdeckt, ein Teil des einfallenden Lichtes abgeblockt, festgeklemmt zwischen Fenster und der schwarzen Spiegelrückseite. Unter dem Fenster und ebenfalls in diesem Zwischenraum befand sich eine große, braune Truhe aus Holz deren äußere Enden hinter dem Spiegel hervorguckten. Sie wirkte alt und an einigen stellen hatte das Holz Risse, Narben. Sie strahlte eine altmodische Schönheit aus. Auf allen sichtbaren Seiten der Truhe waren Bilder zu sehen, die von vergangen Zeiten sprachen. Bilder die großes Glück und Freude ausstrahlten, Bilder die Momente in einem positiven Licht erstrahlen ließen, Bilder die mehr waren als bloße Abbildungen, Bilder an die man sich gern erinnerte. Der Truhe fehlte ein Deckel, sie war nach oben offen, ihr Inhalt in Teilen sichtbar, fühlbar, füllbar. Anders als die Bilder rief das verschwommene Schwarz in der Truhe ein Gefühl der Angst, der Panik und Furcht hervor, welches durch die schwarze Wand und Spiegelrückseite noch verstärkt wurde. Das schwache Licht, welches durch das Fenster drang, wurde fast vollkommen absorbiert.
 



 
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